Auf einen Blick
- Eine Mehrheit der Kantone verfügt über eine Sozial- oder Armutsberichtserstattung.
- Die Inhalte dieser Berichte und der Stellenwert von Armut unterscheiden sich stark.
- Die kantonalen Berichte sind parallel zum nationalen Armutsmonitoring eine wichtige politische Steuerungsgrundlage.
Um Armut und soziale Missstände gezielt bekämpfen zu können, ist statistisches Wissen entscheidend. In der Schweiz sind diesbezüglich die kantonalen Berichte zur sozialen Lage und zur Armut der Bevölkerung wichtige Datenquellen.
Eine Studie (Neukomm 2023), die das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) im Rahmen des nationalen Armutsmonitorings in Auftrag gegeben hat, hat einen Überblick über die kantonale Berichterstattung erstellt. Nebst den kantonalen Berichten zur sozialen Lage oder zur Armut in der Bevölkerung, wertet sie auch sogenannte Sozialberichte aus, die Informationen zu den kantonalen Sozialleistungen enthalten. Die Studie widerspiegelt den Stand der kantonalen Berichterstattung im März 2023.
Die Studie bildet einen wichtigen Grundlagenbeitrag für den ersten Bericht des nationale Armutsmonitorings, der 2025 erscheint. Das nationale Armutsmonitoring verfolgt das Ziel, Bund, Kantonen und Gemeinden steuerungsrelevantes Wissen zur Prävention und Bekämpfung von Armut zu vermitteln. Dabei sollen auch kantonale Vergleiche und die dabei bestehenden Herausforderungen in den Blick genommen werden.
Das nationale Armutsmonitoring orientiert sich an drei übergeordneten Fragestellungen:
- Armutslage der Bevölkerung: Wo liegen die Probleme?
- Akteure und ihre Rollen: Wer macht was?
- Evaluatives Wissen: Welche Strategien und Massnahmen lohnen sich?
Um diese Fragen zu beantworten, verwendet das nationale Armutsmonitoring statistische Indikatoren und arbeitet in ausgewählten Themengebieten den Stand der wissenschaftlichen Forschung auf (BSV 2021).
21 Kantone mit einem Bericht
Die Studie zeigt: Die Sozial- und Armutsberichterstattung der Kantone hat sich in den vergangenen 20 Jahren ausgeweitet. Während in den 2000er-Jahren nur wenige Kantone über eine entsprechende Berichterstattung verfügten, die zudem meist nur die kantonalen Sozialleistungen beleuchtete, haben inzwischen 21 Kantone mindestens einmal einen Sozial- oder Armutsbericht oder eine ähnliche Publikation zum Thema Sozialleistungen erstellt (siehe Tabelle). . Mit Ausnahme von Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Obwalden, Schaffhausen und Uri haben alle Kantone einen Bericht veröffentlicht.
Allerdings ist die Frequenz der Berichterstattung unterschiedlich. Nebst Kantonen mit einer jährlichen Berichterstattung wie Zürich, Thurgau, Glarus, St. Gallen und Basel-Stadt gibt es Kantone, die ihre Berichte in grösseren Abständen erstellen, sowie diejenigen, die erst einen einmaligen Bericht erstellt haben oder die ihre Berichterstattung wieder sistierten. Eine sehr aktive Rolle nimmt Luzern ein: Der Zentralschweizer Kanton publizierte als einer der ersten einen umfassenden Sozialbericht und verfügt auch noch heute über eine vielseitige Berichterstattung mit einem breiten konzeptionellen Zugang.
Die Mehrheit der Sozial- und Armutsberichterstattungen geht auf politische Vorstösse in den kantonalen Parlamenten zurück oder ist Bestandteil von Zielsetzungen oder Legislaturplänen der Kantonsregierungen. Luzern und Solothurn verfügen über einen allgemeinen gesetzlichen Auftrag zur Sozialplanung, in dessen Kontext eine Sozialberichterstattung vorgesehen ist. In Kantonen mit jährlicher Publikation ist die Berichterstattung oft Bestandteil von Steuerungsgrundlagen der Regierung zu kantonalen Sozialleistungen.
Unterschiedliche Inhalte
Inhaltlich ist das Spektrum der kantonalen Sozial- und Armutsberichte breit, wobei die rechtlichen und politischen Vorgaben im Einzelfall ausschlaggebend sind. So fokussieren einige Kantone auf die soziale Lage der Bevölkerung oder auf die soziale Sicherung; bei anderen wiederum steht die Armutssituation der Bevölkerung im Zentrum (siehe Tabelle 2). Einige setzen den Schwerpunkt auf die finanzielle Bedürftigkeit der Bevölkerung – sei es in Form des Bezugs kantonaler Sozialleistungen oder in Form von finanzieller Armut. Andere erwähnen die Lage ihrer Bevölkerung im Rahmen von breit gefassten Analysen, die verschiedene Lebensbereiche abdecken. Die Berichte der Kantone Neuenburg, Waadt und Wallis verbinden zwei Perspektiven: Sie geben sowohl dem Sozialleistungsbezug als auch der finanziellen Armut viel Gewicht.
Unterschiedlicher Stellenwert von Armut
Aufgrund dieser Unterschiede hat die Armut je nach Bericht einen unterschiedlichen Stellenwert. Eine konzeptionell abgestützte Auseinandersetzung mit Armut findet sich in zwölf Kantonen (alle Westschweizer Kantone, Tessin, Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Luzern und Solothurn). Die Kantone Aargau, Luzern und Solothurn widmen dabei der Armut in ihren umfassenden Analysen zur sozialen Lage der Bevölkerung in verschiedenen Lebensbereichen je ein eigenes Kapitel.
Den Kern der Armutsbeobachtungen bilden Indikatoren zur finanziellen Armut, in der Regel ergänzt durch Indikatoren zur wirtschaftlichen Situation der Haushalte. Die Kantone Freiburg, Genf, Jura und Waadt präsentieren darüber hinaus Indikatoren zu Armut in weiteren Lebensbereichen, besonders zur Erwerbsintegration und Gesundheit. Die Auswahl, Definition und Erhebung dieser Indikatoren zu Armut variieren dabei stark. Die Armutsquote als zentrale Kenngrösse zur Messung von Armut findet zwar durchgängig Abbildung, ist indessen weiterhin nur begrenzt vergleichbar. Datenbasis ist inzwischen bei vielen Kantonen ein eigens verknüpfter Datensatz mit kantonalen Steuerdaten und Administrativdaten.
Politische Massnahmen
Einige Kantone – darunter Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Freiburg, Genf und Wallis – präsentieren mit ihren Berichten auch Strategien oder politische Massnahmen zur Bekämpfung und Prävention von Armut. Dabei passt ins Bild, dass diese kantonalen Berichte der Armut einen speziellen Stellenwert einräumen.
Ihre Massnahmen leiten die Kantone in der Regel aus den Analysen ab – entweder direkt in Form von Massnahmenkatalogen, Aktionsplänen oder indirekt in Form von umfassenden Sozialplanungen und Strategien. Inhaltlich stehen meist die materielle Existenzsicherung sowie die Erwerbsintegration im Zentrum. Es finden sich aber auch Massnahmen in den Bereichen Bildung, soziale Beziehungen, Wohnen sowie Koordination des Sozialsystems.
SODK-Empfehlungen zu Sozialberichten
Bis etwa 2010 gingen die Kantone, die einen Sozial- oder Armutsbericht publizierten, mit eigenständigen Ideen daran, ihre kantonalen Berichterstattungen gemäss ihren jeweiligen Zielen umzusetzen. Dabei verwirklichten einige Kantone «Leuchtturm-Projekte», die viel Beachtung fanden, sich aber längerfristig oft nicht durchsetzen konnten. Nach 2015 führten die Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK 2012) zu einer gewissen Angleichung der Ausgestaltung und Inhalte kantonaler Berichte.
Jüngere Innovationen betreffen zumeist spezifischere Belange wie die Indikatorenauswahl oder die Verbesserung der Datenqualität. Nach wie vor setzen Kantone aber auch neue Meilensteine in ihrer Berichterstattung, so etwa Basel-Landschaft im Jahr 2020 mit einer eigenen kantonalen Armutsstrategie (Regierungsrat BL 2020).
Mehrere Kantone planen derzeit neue Berichte, namentlich Appenzell Innerrhoden und Schaffhausen, die bisher über keinen Sozial- oder Armutsbericht verfügten. Bei neuen Projekten werden oft bestehende Berichterstattungskonzepte, zu denen insbesondere das Hilfswerk Caritas und die Berner Fachhochschule sowie die Statistikstelle des Kantons Luzern (LUSTAT) Vorlagen geliefert haben, auf die eigenen kantonalen Verhältnisse adaptiert.
Nutzen für nationales Armutsmonitoring begrenzt
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Möglichkeiten der Nutzung der existierenden kantonalen Sozial- und Armutsberichte für das nationale Armutsmonitoring sind trotz Angleichungstendenzen insgesamt begrenzt. Zwar haben fast die Hälfte der Kantone Berichte, die Armut als Thema aufgreifen und Analysen dazu enthalten. Die Berichte sind jedoch von unterschiedlicher Aktualität und sowohl in ihrer Ausrichtung und Konzeption als auch in den Ergebnissen zur Armut nur bedingt vergleichbar. Massnahmen zur Armutsbekämpfung und -prävention enthalten dabei lediglich etwa ein Viertel der kantonalen Berichte.
Im Hinblick auf das nationale Armutsmonitoring, das sich im Aufbau befindet, bedeutet dies: Die Sozial- und Armutsberichte erlauben vor allem Aussagen zum Stand der kantonalen Berichterstattung sowie zur Unterschiedlichkeit der Zugänge angesichts jeweiliger kantonaler Vorgaben und Zielsetzungen. Für Erkenntnisse zur Armutssituation im Kantonsvergleich sind die Berichte hingegen weniger geeignet.
Literaturverzeichnis
BSV (2021). Konzept für ein Nationales Armutsmonitoring in Erfüllung der Motion 19.3953 WBK-S.
Fluder, Robert et al. (2020): Ein Armutsmonitoring für die Schweiz: Modellvorhaben am Beispiel des Kantons Bern. Bern: Caritas/BFH.
Neukomm, Sarah (2023): Sozial- und Armutsberichterstattung in den Kantonen. Synthesebericht. Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen. Zürich: Neukomm Impacts.
Regierungsrat BL (2020). Strategie zur Verhinderung und Bekämpfung von Armut im Kanton Basel-Landschaft. Muttenz: FHNW.
SODK (2012). Empfehlungen der SODK zur Ausgestaltung von kantonalen Sozialberichten.