Im letzten Editorial betonte ich, wie zentral der Sozialstaat ist, um gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wohlstand zu garantieren. Ich verwies darauf, dass es ihn braucht, um die Regeln für die gegenseitige Solidarität festzulegen, dank derer sich die Bevölkerung vor wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Risiken schützen kann.
Seither sahen sich die politischen Entscheidungsträger durch die Covid-19-Pandemie gezwungen, rasch wichtige Entscheide zu treffen, um weiten Teilen der Bevölkerung ein Ersatzeinkommen zu gewährleisten. Um die Folgen der Arbeitsverbote oder der Kinderbetreuungspflichten zu mildern, kamen als zentrale Instrumente der Solidarität die Arbeitslosenversicherung und die Erwerbsersatzordnung zum Tragen.
Für die Verwaltung war es herausfordernd, eine zielführende Dringlichkeitsgesetzgebung sowie einfache und schnelle Umsetzungsverfahren zu erarbeiten, die gleichzeitig Missbräuche und Mitnahmeeffekte verhinderten. Umso mehr, als kaum auf Erfahrung oder Good Practice zurückgegriffen werden konnte; denn schliesslich ist jede Krise anders. Die Mitarbeitenden in Bundes-, Kantons- und Gemeindebehörden haben gemeinsam mit Akteuren aus Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialwesen die Doppelaufgabe übernommen, die laufenden Geschäfte aufrechtzuerhalten und zugleich Krisenmassnahmen umzusetzen.
Bei der Krisenbewältigung war die Schweiz auf die Kompetenzen, die Erfahrung und das Engagement ihrer Behörden angewiesen. Die Bevölkerung konnte sich davon überzeugen, dass eine qualifizierte Verwaltung nicht nur eine Last ist, sondern auch Vorteile bringt.
So hat die Eidgenossenschaft im sozialpolitischen Bereich
- in Zusammenarbeit mit den AHV-Ausgleichskassen ein neues Sozialversicherungsgesetz (Corona-Erwerbsersatzentschädigung) erarbeitet,
- zusammen mit den Kantonen die Krippen finanziell unterstützt,
- das BVG angepasst (Verwendung der Beitragsreserven),
- die Abläufe der Invalidenversicherung auf die neuen Gegebenheiten abgestimmt, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit angepasst und
- finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten für den Kulturbereich geschaffen.
Verschiedene Massnahmen wurden später ergänzt und überarbeitet; mehrere Milliarden Franken investiert. Die Krisenstäbe der einzelnen Ämter sorgten dafür, dass alle Mitarbeitenden ihren Aufgaben nachkommen konnten, indem v. a. die Möglichkeiten des Homeoffice erweitert wurden. Dabei war es eine grosse Herausforderung, eine stabile Infrastruktur einzurichten, die auch in einer organisatorisch äusserst komplexen Situation die reibungslose Umsetzung politischer Entscheide erlaubte.
Innert weniger Wochen hat uns die Pandemie auf Lücken im Gesundheitssystem und sozialen Schutz hingewiesen, Grenzen und neue Perspektiven des Föderalismus aufgezeigt und die Gelegenheit geboten, unsere Fähigkeit zur Krisenbewältigung zu testen. Und nicht zuletzt hat sie uns die Anpassungsfähigkeit unserer Institutionen schätzen gelehrt und uns bewiesen, dass es möglich ist, mit einer Erweiterung der bestehenden Systeme und Infrastrukturen auf dringende Bedürfnisse zu reagieren.
Nun gilt es, die Lehren zu ziehen und der Politik die Instrumente zur Verfügung zu stellen, die sie braucht, um auch auf künftige Risiken adäquat zu reagieren.