Wie steht es um die Finanzen der AHV?
Im Moment geht es der AHV gut. Dank den jüngsten Reformen «STAF» und «AHV21» sind die Finanzen bis rund 2030 stabil – also dank höherer Lohnabzüge, höherem Bundesbeitrag, höherer Mehrwertsteuer und dank der Erhöhung des Frauenrentenalters. Das hat der AHV etwa zehn Jahre Luft verschafft.
Kurz nach 2030 kippt die Rechnung jedoch ins Minus
Ja und zwar ziemlich rasch. Gemäss unseren Prognosen übersteigen die Ausgaben die Einnahmen im Jahr 2033 bereits um mehr als 3 Milliarden Franken. Da das Umlageergebnis danach zunehmend negativ wird, leert sich der AHV-Fonds rasch. Um die AHV-Finanzen von 2030 bis 2040 zu sichern, wird der Bundesrat bis Ende 2026 dem Parlament die nächste Reform vorlegen.
Weshalb nimmt das Defizit so rasch zu?
Ausschlaggebend ist die Demografie: Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner wächst stärker als die Zahl der Erwerbstätigen, die in die AHV einzahlen.
Sind die steigenden Löhne in diese Projektionen eingerechnet?
Ja. Ohne die Zunahme der Reallöhne und ohne die Zuwanderung stünde die AHV heute nicht so gut da. Denn eine höhere Lohnsumme generiert Einnahmen. Entscheidend ist dabei das Wirtschaftswachstum: Eine starke Wirtschaft bildet ein Gegengewicht zur demografischen Entwicklung. Allerdings vermögen weder das Wirtschaftswachstum noch Produktivitätssteigerungen die demografische Alterung zu kompensieren. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verwendet hier übrigens die Zahlen für das durchschnittliche Produktivitätswachstum der Expertengruppe des Bundes.
«Eine starke Wirtschaft bildet ein Gegengewicht zur demografischen Entwicklung»
Wie hat sich die höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen auf die AHV-Finanzen ausgewirkt?
Die Erwerbsbeteiligung der Frauen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Sie tragen immer stärker zur Finanzierung der AHV bei. Ausschlaggebend ist dabei nicht nur die Zahl der erwerbstätigen Frauen, sondern die Lohnsumme, also wie viel sie verdienen.
Inwiefern stellt der Trend zur Teilzeitarbeit ein Problem für die AHV dar?
Entscheidend für die AHV ist, wie stark die Lohnsumme wächst. Die erwerbstätigen Frauen arbeiten nach wie vor mit tieferen Pensen als die Männer und häufiger in Berufen mit tieferen Löhnen. Beim Thema Teilzeit ist aber auch wichtig festzuhalten: Wer sein Pensum reduziert, leistet in der Regel mehr unbezahlte Arbeit – in der Betreuung, der Hausarbeit oder der Erziehung. Frauen leisten immer noch 50 Prozent mehr Haus- und Familienarbeit als Männer. Langfristig wird eine niedrigere Erwerbsquote zu tieferen Renten und weniger Einnahmen für die AHV führen.
Eine wichtige Rolle im Vorfeld der Abstimmung spielt die Inflation: Was ist stärker gestiegen, die Teuerung oder die AHV-Rente?
Die Kaufkraft einer Rente hat sich nicht verschlechtert. Zwischen 2000 und 2023 ist die minimale AHV-Altersrente jährlich im Schnitt um 0,9 Prozent gewachsen, die Teuerung um 0,6 Prozent. Auch über einen längeren Zeitraum gesehen ist die Mindestrente stärker gestiegen als die Inflation und zwar im Schnitt doppelt so schnell. Der Mischindex aus Lohnanstieg und Teuerungsanstieg ist für die Rentnerinnen und Rentner eine gute Sache.
Die Teuerung ist also kein Problem für Rentnerinnen und Rentner?
Die Teuerung kann durchaus ein Problem sein, denn Rentenbeziehende leben ja nicht nur von der AHV. So gibt es in der beruflichen Vorsorge im Gegensatz zur AHV keinen gesetzlich vorgeschriebenen Teuerungsausgleich. Wegen der Inflation, der Mietzinserhöhungen und der höheren Krankenkassenprämien haben viele Menschen am Ende des Monats weniger Geld in ihrem Portemonnaie als früher. Wichtig ist deshalb auch die Verbilligung der Krankenkassenprämien. Wer Ergänzungsleistungen zur Rente hat, erhält grundsätzlich die volle Prämienverbilligung. Im Gegensatz zur Invalidenversicherung ist der Anteil der Rentenbeziehenden mit Ergänzungsleistungen in der AHV übrigens relativ konstant geblieben.
Was wissen wir darüber, wie arm oder reich die Pensionierten sind?
Wie arm oder reich eine Rentnerin oder ein Rentner ist, lässt sich aus der Höhe der AHV-Altersrente nicht ableiten. Dazu muss man auch die Leistungen aus der zweiten und dritten Säule sowie das Vermögen berücksichtigen. Es hängt auch stark davon ab, wie die Armutsgrenze definiert wird. Für diejenigen, die nur über eine erste Säule verfügen, sind Ergänzungsleistungen ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Armut. Es braucht hier aber noch mehr Forschung und wir sind derzeit mit einer Studie daran, zusätzliche Antworten zu liefern.
Die 13. AHV-Altersrente kostet 4 Milliarden Franken pro Jahr – Tendenz steigend. Wie lässt sich das finanzieren?
Das müssten Bundesrat und Parlament entscheiden, allenfalls auch das Volk. Die Initiative macht dazu keine Angaben. Die Initianten schlagen aber vor, die Lohnprozente für Arbeitgeber und Arbeitnehmende um je 0,4 Punkte zu erhöhen. Will man die Mehrkosten über die Mehrwertsteuer decken, müsste diese im Einführungsjahr um 1 Prozent steigen. Denkbar ist auch die Erhöhung des Rentenalters oder eine Kombination dieser Massnahmen. Hingegen scheint die Verwendung der Nationalbankgewinne derzeit wenig realistisch.
Inwieweit könnte zur Finanzierung der 13. Rente auf den AHV-Fonds zurückgegriffen werden?
Grundsätzlich steht das Vermögen der AHV nicht zur Verfügung, um zusätzliche Leistungen zu finanzieren. Gemäss Gesetz muss die AHV über genügend Reserven verfügen – nämlich 100 Prozent einer Jahresausgabe. Die AHV braucht dieses Geld, um die Schwankungen bei den Beitragseinnahmen und den Einnahmen aus den Anlageerträgen aufzufangen und die Leistungen stets auszahlen zu können. Wichtig ist, immer auch die Schulden der IV gegenüber der AHV miteinzubeziehen: Diese 10 Milliarden Franken fehlen im AHV-Fonds.
Die Initiative für eine 13. AHV-Rente will nur die Altersrenten der AHV erhöhen, nicht aber die Renten der IV oder die Renten für Witwen, Witwer und Waisen. Ist das nicht ungerecht?
Es ist zumindest systemfremd, denn diese Renten sind aufeinander abgestimmt. Vor allem, da in der IV die Hälfte der Rentenbeziehenden auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist. Hier ist die Armutsgefährdung besonders gross.
Wie müsste man sich die Auszahlung einer 13. Rente vorstellen? So wie ein 13. Monatslohn im Dezember?
Einfacher umsetzbar als eine zusätzliche Rente wäre wohl, die Rente pro Monat um 8,3 Prozent zu erhöhen. Über die Umsetzung entscheiden aber letztlich Bundesrat und Parlament.
Die 13. Rente müsste bei einer Annahme schon 2026 ausbezahlt werden. Könnte man in dieser kurzen Zeit überhaupt die Finanzierung sichern?
Das würde angesichts unserer parlamentarischen Verfahren sicher schwierig. Grundsätzlich haben Bundesrat und Parlament zwei Möglichkeiten: Entweder sie erarbeiten eine separate Finanzierungsvorlage für die 13. Rente oder sie integrieren die Finanzierung in die AHV-Reformvorlage, die der Bundesrat bis Ende 2026 ausarbeiten muss. Auf jeden Fall sollte rasch eine Lösung gefunden werden, denn das Vertrauen der Bevölkerung in die AHV muss erhalten bleiben.
Sprechen wir über die Renteninitiative. Diese fordert, das Rentenalter bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre zu erhöhen. Danach soll es automatisch erhöht werden, wenn die Lebenserwartung steigt. Wären dadurch die AHV-Finanzen langfristig gesichert?
Ab 2033 brächte die Initiative 2 Milliarden Franken ein. Und auch nachher würde die AHV weiter entlastet, da ja das Rentenalter an die Lebenserwartung gekoppelt ist. Um den Effekt der Demografie zu kompensieren und die AHV-Finanzen langfristig zu sichern, reicht dies aber nicht aus. Es bräuchte zusätzliche Finanzierungsmassnahmen.
Wie lange dauert es bei einem Ja, bis das Rentenalter 67 erreicht ist?
Gemäss den Prognosen des Bundes ist das Rentenalter 67 im Jahr 2043 erreicht, und im Jahr 2050 liegt es bei 68 Jahren. Der vorgeschlagene Automatismus sieht vor, dass das Rentenalter nicht eins zu eins der Lebenserwartung folgt. Steigt die Lebenserwartung um einen Monat, dann würde das Rentenalter um 0,8 Monate erhöht. Entscheidend ist nicht die Lebenserwartung bei Geburt, sondern im Alter von 65 Jahren.
Sollten die beiden Initiativen abgelehnt werden, wie es Bundesrat und Parlament empfehlen, wie würde es dann weitergehen?
Voraussichtlich im September steht die Abstimmung über die Reform der zweiten Säule an. Mit der BVG-Reform soll das Rentenniveau gesichert, die Finanzierung gestärkt und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten – und damit insbesondere von Frauen – verbessert werden. Der Bundesrat wird dieses Jahr zudem seine Diskussionen über die nächste AHV-Reform beginnen. Ausserdem läuft die Vernehmlassung zur Anpassung der Witwen- und Witwerrente. Und es werden Unterschriften für eine Initiative gesammelt, die den Plafond für die Rente von Paaren abschaffen will. Es wird ein intensives Jahr für die Alterspolitik.
Die AHV-Vorlagen vom 3. März 2024
Die Initiative für eine 13. AHV-Rente will die Altersrenten der AHV um eine Monatsrente erhöhen. Sie bestimmt auch, dass die Ergänzungsleistungen wegen der 13. Rente nicht gekürzt werden dürfen. Die Renteninitiative will das Rentenalter erhöhen und so die Finanzierung der AHV sichern. Sie fordert, das Rentenalter bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre zu erhöhen. Danach soll es automatisch erhöht werden, wenn die Lebenserwartung steigt. Bundesrat und Parlament lehnen beide Vorlagen ab.