Auf einen Blick
- Das erste deutsch-schweizerische Sozialversicherungsabkommen trat 1951 in Kraft und stellte deutsche und schweizerische Staatsangehörige sozialrechtlich gleich.
- Das Abkommen legte erstmals verbindliche Vorschriften für die Alterssicherung der Grenzgänger fest.
- Seit 2002 ist im Hinblick auf die Sozialversicherungen das bilaterale Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union massgeblich.
«Die deutschen und schweizerischen Staatsangehörigen sind in den Rechten und Pflichten aus der Sozialversicherung […] einander gleichgestellt.» So lautete eine zentrale Passage des ersten Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, das im Juli 1951 in Kraft trat.
Im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg haben wir anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Abkommens dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte in einer Festschrift nachgezeichnet (von Miquel und Wehner 2025). Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Punkte aus deutscher Perspektive zusammen.
Wofür Sozialversicherungsabkommen?
Auswanderung und Einwanderung stellten seit jeher bedeutsame Aspekte der deutschen Geschichte dar. Dies gilt im Besonderen für die Wanderung von Arbeitskräften zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter dem Vorzeichen der Industrialisierung stark zugenommen hatte. Die Zeit nach 1945, die durch das politische Zusammenwachsen Europas und die Internationalisierung von Arbeitsmärkten gekennzeichnet war, gab dieser Entwicklung nochmals einen beträchtlichen Auftrieb. In der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ist die grenzüberschreitende berufliche Mobilität in den westlichen Industrienationen zur Normalität geworden.
Diese zunehmende Verflechtung von Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen blieb nicht ohne Folgen für das System der sozialen Sicherheit, das sich nach 1945 ebenfalls erweiterte und internationalisierte. Die starke Zunahme von Arbeitnehmenden, die als deutsche Grenzgänger im europäischen Ausland arbeiteten oder umgekehrt als Angehörige eines europäischen Nachbarstaates in Deutschland erwerbstätig waren, stellte das zwischenstaatliche Sozialrecht vor Herausforderungen und machte entsprechende Vereinbarungen erforderlich.
Das Mittel zum Zweck stellten bilaterale sowie seltener multilaterale Sozialversicherungsabkommen dar, die zwischen den betreffenden Staaten abgeschlossen wurden und auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit den Bürgern des einen Vertragsstaates bei Aufenthalt im anderen Vertragsstaat soziale Schutzrechte garantierten. Das Ziel bestand also darin, die Gleichstellung und Integration sozialer Sicherheitsstandards zu fördern. Im Falle der Rentenversicherung bedeutete dies vor allem, dass Versicherungs- und Beitragszeiten aus dem jeweils anderen Land zur Erfüllung von Wartezeiten angerechnet und zu einer einheitlichen Versicherungskarriere zusammengeschlossen wurden. Die Berechnung der Rente wiederum erfolgte nach nationalen Rechtsvorschriften.
Arbeitsmigration in die Schweiz
Die katastrophale Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage im zerstörten Nachkriegsdeutschland, führte vor allem zur Abwanderung in die Schweiz – der umgekehrte Weg spielte in der Nachkriegszeit praktisch noch kaum eine Rolle. Es war die geografische und sprachliche Nähe sowie die dort bestehenden Arbeitsmöglichkeiten, warum die Schweiz von den deutschen Grenzgängern bevorzugt aufgesucht wurde. Die stärkste Fluktuation von Arbeitskräften war dann auch in den grenznahen Landesteilen von Baden-Württemberg zu verzeichnen. Zugleich profitierte die Schweiz von den vielfach gut qualifizierten deutschen Arbeitskräften, die vorzugsweise in den Firmen und Unternehmen der Grenzregionen Anstellung fanden.
Je stärker die Arbeitsmigration in die Schweiz zunahm, umso dringender stellte sich die Frage nach der sozialen Sicherung der deutschen Grenzgänger und Berufspendler. Diese war zunächst vollkommen unzulänglich. Das Sozialrecht konnte mit den beschleunigten Dynamiken der Arbeitsmigration nicht Schritt halten und zwischenstaatliche Regelungen über die Sozialrechtsbeziehungen beider Länder existierten nicht. Das sollte sich jedoch zeitnah ändern.
So setzten bereits in den späten 1940er-Jahren Verhandlungen zu einem Abkommen über soziale Sicherheit zwischen Deutschland und der Schweiz ein, welches in erster Linie den Schutz der in der Schweiz beschäftigten deutschen Staatsangehörigen gewährleisten sollte. Wie sich zeigte, war dies ein ebenso ambitioniertes wie kompliziertes Unterfangen, bei dem viele Hemmnisse und Schwierigkeiten zu überwinden waren.
Ein massgebliches Hindernis bestand in der historisch gewachsenen Verschiedenartigkeit der jeweiligen nationalen Versicherungssysteme. Während die Organisationsstruktur der deutschen Sozialversicherung bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden war und sich in das gegliederte System der Unfall-, Kranken- sowie Rentenversicherung ausdifferenziert hatte, bestand in der Schweiz keine Pflichtversicherung gegen die Risiken des Alters, der Krankheit und der Berufsunfähigkeit.
Ein Meilenstein in der sozialstaatlichen Neuausrichtung der Schweiz nach 1945 war die Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) im Jahr 1948, die als obligatorische Volksversicherung ausgestaltet war. Sie erfasste im Unterschied zur deutschen Sozialversicherung sämtliche in der Schweiz lebenden Personen – gleichgültig, ob sie in einem festen Arbeitsverhältnis standen, selbstständig oder arbeitslos waren. Während es in anderen Zweigen wie der Krankenversicherung bei einem freiwilligen und hybriden System blieb, eröffnete die Einführung der AHV als Pflichtversicherung der Schweiz die Aufnahme von Verhandlungen mit den Nachbarstaaten über Sozialversicherungsabkommen. Dies mündete in der Verabschiedung mehrerer Vertragswerke auf Gegenseitigkeit.
Das Abkommen von 1950
Zu diesen zählte auch das »Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizer Eidgenossenschaft über Sozialversicherung», das im Oktober 1950 von den Regierungsdelegationen beider Vertragsstaaten in Bonn unterzeichnet wurde und 1951 in Kraft trat. In der Tradition seiner Vorgänger aus der Weimarer Republik zielte es im Kern darauf ab, die unterschiedliche sozialrechtliche Behandlung von inländischen und ausländischen Personen beziehungsweise bei einem Inlands- und Auslandsaufenthalt zu beseitigen. Zu diesem Zweck wurde das sogenannte Wohnortprinzip der AHV, wonach Leistungen ausschliesslich auf Berechtigte mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz beschränkt waren, in dem Abkommen aufgehoben.
AHV-Renten konnten in der Folge auch an deutsche Versicherte mit Wohnsitz in der Bundesrepublik ausgezahlt werden. Des Weiteren brachte das Abkommen Erleichterungen für deutsche Staatsbürger hinsichtlich der Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch in der AHV. Um die sogenannte Wartezeit zu erfüllen und Ansprüche in der AHV geltend zu machen, reichte es für Deutsche fortan aus, wenn mindestens fünf volle Jahre Versicherungsbeiträge gezahlt worden waren.
Eine zweite Option war, dass die Betreffenden mindestens zehn Jahre in der Schweiz gewohnt, davon fünf Jahre unmittelbar und ununterbrochen vor dem Versicherungsfall, und in diesem Zeitraum mindestens ein Jahr Beiträge zur AHV entrichtet hatten. Durch diese Regelungen wurde die Alterssicherung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen erstmals auf eine verbindliche Grundlage gestellt. Die Ansprüche konnten bezogen sein auf sämtliche der vier Rentenarten, die in der AHV unterschieden wurden: die einfache Altersrente, die sogenannte Ehepaar-Altersrente, die Witwenrente sowie schliesslich die Waisenrente.
Vom bilateralen zum europäischen Sozialrecht
Das Abkommen mit der Schweiz, dessen Laufzeit bei automatischer Verlängerung ein Jahr betrug, wurde im Laufe der Jahrzehnte mehrfach aktualisiert und den sich verändernden Bedingungen der Arbeitswelten sowie den erweiterten Standards sozialer Sicherheit angepasst. Dies war erstmals 1964 der Fall, als die deutsche und die schweizerische Regierung ein neues und umfangreicheres Sozialversicherungsabkommen unterzeichneten, das 1978 um eine Durchführungsvereinbarung ergänzt wurde.
Eine zweite Neuerung erfolgte im Jahr 1989 in Gestalt eines Zusatzabkommens, das die gesetzliche Krankenversicherung der Vertragspartner in das Abkommen einbezog und zudem weitere Anpassungen an innerstaatliche Rechtsänderungen vorsah. Ab den 1990er-Jahren trat in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union das koordinierende europäische Sozialrecht an die Stelle der hier bisher bestehenden bilateralen Abkommen, die seither durch dieses überlagert werden. Im Falle der Schweiz ist hier seit 2002 das Freizügigkeitsabkommen massgeblich, das mit der Europäischen Gemeinschaft geschlossen wurde und die entsprechenden Verordnungen zur Anwendung brachte.
Literaturverzeichnis
Von Miquel, Marc; Wehner, Christoph (2025). Soziale Sicherung, Arbeitsmigration, Freizügigkeit. Zur Geschichte der deutsch-schweizerischen Sozialversicherungsabkommen und der Verbindungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Festschrift im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. 19. Mai.