Kenntnisse in der Sprache des Aufnahmelandes sind für die Teilnahme am sozialen Leben sowie für den Zugang zur Bildung und zum Arbeitsmarkt eine zentrale Voraussetzung. In den letzten Jahren wurde die Bedeutung des Spracherwerbs für die Integration stärker in den Gesetzesgrundlagen verankert, beispielsweise mit der Revision des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) sowie des Bürgerrechtsgesetzes (BüG) oder im Wortlaut des neuen Bundesgesetzes über die Weiterbildung (WeBiG). In der Schweiz erlernen erwachsene Ausländerinnen und Ausländer die Ortssprache in unterschiedlichen privat oder staatlich finanzierten Strukturen, Kontexten und Massnahmen. Bund, Kantone und Gemeinden investieren beträchtliche Summen in Angebote für den Spracherwerb, auch wenn – wie die Botschaft zum WeBiG betont – die Arbeitgeber, die Organisationen aus der Arbeitswelt und die Teilnehmenden selbst den Grossteil der Ausgaben für die Sprachkurse tragen.1
Die Teilnehmer von staatlich unterstützten Sprachkursen haben nicht alle dieselben Lernziele: Die einen erlernen die Sprache, um Zugang zu einer Berufsausbildung zu erhalten, andere, um eine Arbeit zu finden, wieder andere, um ihre Kinder besser durch die Schulzeit begleiten zu können. Je nach Kontext und Ziel werden die Kurse in der Berufsausbildung und der Schule oder von spezifischen Integrationsdiensten sowie von den Arbeitsvermittlungsstellen angeboten.
Unabhängig vom jeweiligen Ziel muss das Erlernen der Sprache sowohl auf die gesellschaftlichen als auch auf die persönlichen Bedürfnisse der Person ausgerichtet sein. Vor diesem Hintergrund hat das SEM im Auftrag des Bundesrats zusammen mit zahlreichen Partnern aus der Praxis das Rahmenkonzept «fide: Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz» zur Sprachförderung fremdsprachiger Erwachsener entwickelt (Lenz et al. 2009). Ein Meilenstein für die schrittweise Implementierung des Konzepts wird 2018 die Einführung eines Instrumentes für den Nachweis von Sprachkompetenzen und eines Sprachenpasses sein. Ebenfalls 2018 wird das neue Qualitätslabel für Kurse in der Zweitsprache (Deutsch, Französisch und Italienisch) von «fide» auf den Markt kommen.2
Das Konzept von «fide» sieht vor, im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) eine Koordinationsgruppe zu etablieren, die sich um die strategischen Fragen der Sprachförderung kümmert. Sie wird die Qualität der Sprachkurse, die durch die IIZ-Institutionen angeboten werden, sowie die angemessene Qualifikation der Sprachkursleitenden sicherstellen und die Implementierung und Anerkennung der von «fide» zur Verfügung gestellten Beurteilungsinstrumente begleiten.
Nationales Sprachförderungskonzept Nach dem Willen des Bundesrats sollen alle fremdsprachigen Erwachsenen in der Schweiz Zugang zu einem bedarfs- und bedürfnisorientierten sowie qualitativen Sprachkursangebot erhalten. Die Grundlagen zur Erreichung dieses Ziels sind mit «fide» heute gegeben. Das 2009 vom Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg (i. Ü.) im Auftrag des SEM erarbeitete «Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten» bildet die konzeptionelle Grundlage von «fide». Es definiert die Grundsätze für eine auf den schweizerischen Integrationskontext zugeschnittene Sprachförderung und macht Empfehlungen zur qualitativen Verbesserung von Sprachlernangeboten und zu effizienten Lehr- und Lernformen. Schliesslich findet man einen Konzeptvorschlag für ein faires Beurteilungsinstrument kommunikativer Kompetenzen. Inzwischen wurden die Empfehlungen mit erfahrenen Partnern in verschiedenen Projekten zum umfassenden Sprachförderungskonzept «fide» weiterentwickelt.
Fachlich orientiert sich das Sprachförderungskonzept «fide» an den Prinzipien der Erwachsenenbildung und am gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GER). Es basiert auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen des Zweitsprachenerwerbs und orientiert sich an Best Practices aus der schweizerischen Sprachförderungspraxis sowie an den Bedürfnissen von Behörden, Arbeitgebern und der Bevölkerung. Damit wird sichergestellt, dass fremdsprachige Erwachsene im Kurs lernen, was sie im Schweizer Alltag und in der Arbeitswelt brauchen.
Mit der Sprache handeln Um das Rahmenkonzept bedarfs- und bedürfnisgerecht umzusetzen, veranlasste das SEM eine breit angelegte Erhebung, welche die Universität Freiburg zwischen 2010 und 2011 bei rund 500 Schlüsselpersonen in der ganzen Schweiz durchführte. Lehrpersonen, Hausärzte, Arbeitgeber oder Behördenvertreter wurden nach den spezifischen Sprachkompetenzen gefragt, die sie von fremdsprachigen Erwachsenen erwarten. Ebenso wurde bei der Migrationsbevölkerung erhoben, in welchen konkreten Alltagssituationen sie die lokale Landessprache benötigen.
Fremdsprachige Erwachsene werden sehr rasch mit Situationen konfrontiert, die sie sprachlich autonom bewältigen müssen. Im Alltag ist es nicht möglich, mit dem ersten Arztbesuch oder der Anmeldung auf einer Behörde zuzuwarten, bis man einen Deutschkurs absolviert und ein bestimmtes Niveau erreicht hat. Die sprachlichen Herausforderungen beginnen am Tag der Ankunft. Einige Themen werden für die allermeisten Lernenden früher oder später wichtig, andere Lernfelder hingegen sind individuell, je nach Einreisegrund, Geschlecht, Lebenssituation und persönlichen Zielen. Für die Motivation und den Lernerfolg ist es erwiesenermassen zentral, erkennen zu können, dass der zu lernende Stoff bei der Bewältigung des Alltags hilft und dass durch die konkrete Anwendung das Gelernte verfestigt und die Lernfortschritte sichtbar werden.
Aus diesen Überlegungen heraus orientiert sich «fide» zum einen an alltäglichen Szenarien mit vorhersehbarem Ablauf, die auf einfache Weise beschrieben und gezielt geübt werden können. Zum anderen wird auch die sprachliche Bewältigung spezifischer Situationen geübt, bei denen es in der Regel nicht nur um Sprachkenntnisse, sondern auch um Berufskompetenzen oder allgemeines Wissen über die Abläufe sowie Gepflogenheiten in der hiesigen Gesellschaft geht. So wurden zum Beispiel spezifische Szenarien für die Baubranche entwickelt, als Grundlage für den Sprachkurs «Deutsch auf der Baustelle» des Schweizerischen Baumeisterverbands. Und im Rahmen eines Pilotprojekts wurden mit Szenarien wie «Zum Frauenarzt gehen» oder «Die Hebamme nach der Geburt zu Hause empfangen» auch schwangere Frauen und Mütter mit kleinen Kindern angesprochen.
Seit seiner öffentlichen Präsentation 2012 befindet sich das Sprachförderungskonzept «fide» in der Implementierungsphase. Es wurden zusammen mit den Kantonen Einführungen für Kursleitende organisiert, Weiterbildungsmodule angeboten und erste Kurse nach den «fide»-Prinzipien umgesetzt. 2016 gab der Bund eine Studie in Auftrag, die aufzeigte, wie die Grundideen des «fide»-Konzepts von den Akteuren in der Praxis – insbesondere von den Sprachkursleitenden – wahrgenommen und umgesetzt werden (Hagenow 2016). Durchwegs positiv werden der klare Bezug zum schweizerischen Alltag und der handlungsorientierte Ansatz beurteilt. Die Studie beinhaltet Empfehlungen für die weitere Entwicklung von «fide» auf verschiedenen Ebenen.
Aufgaben und Ziele der Koordinationsgruppe «fide» Weshalb braucht es eine interinstitutionelle Koordination der Sprachförderung von fremdsprachigen Erwachsenen? Der Erwerb einer Ortssprache bildet eine zentrale Voraussetzung für den Zugang zu Bildung und die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Die Integrationsförderung, die Berufsbildung, die Arbeitsmarktbehörde und die Sozialhilfe sind mit unterschiedlichen Schwerpunkten wichtige Finanzierer von Sprachförderungsangeboten. Eine bessere Koordination im Bereich der Sprachförderung trägt unter anderem dazu bei, die Durchlässigkeit zwischen Sprachkursen zu verbessern oder durch einheitliche Qualitätsanforderungen die bestehenden finanziellen Mittel wirksamer einzusetzen. Durch die Einführung des Sprachnachweises «fide» und des Sprachenpasses wird zudem im Rahmen der IIZ die Möglichkeit bestehen, auf eine einheitliche Dokumentation von Sprachkompetenzen zurückgreifen zu können. Dies bringt nicht nur der fremdsprachigen Bevölkerung eine Erleichterung, sondern wird auch die Kommunikation unter Behörden erleichtern.
Qualität: das Label «fide» Das Hauptziel der nationalen Koordinationsgruppe zur Sprachförderung besteht darin, die Qualität und Koordination des Sprachkursangebots in den verschiedenen Strukturen der interinstitutionellen Zusammenarbeit sicherzustellen. 2017 wurden in einer Pilotphase acht Sprachkursangebote mit dem Label ausgezeichnet, darunter solche, die von Integrationsdiensten, Arbeitsvermittlungsstellen und Arbeitgebern des Baugewerbes finanziert werden. Das Label «fide» erhöht die Sichtbarkeit des spezifischen Angebots für das Zielpublikum und baut auf der Realität des Schweizer Alltags auf. Es ergänzt bestehende Qualitätszertifikate im Bereich Erwachsenenbildung wie eduQua, SVOAM oder ISO. Der Koordinationsgruppe «fide» wird eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung des Qualitätslabels zukommen. Ihre Aufgabe wird es zudem sein, die Botschaft zu vermitteln, dass ein qualitativ hochwertiger Kurs in erster Linie ein Angebot ist, das am besten den Bedürfnissen der Teilnehmer entspricht. Die Koordinationsgruppe setzt sich daher für einen professionellen Evaluationsprozess bei der Wahl des passenden Angebots ein.
Qualifikation: «fide»-Ausbildungsmodule Einer der wichtigsten Qualitätsaspekte ist die Qualifikation der Sprachkursleitenden. Mit den drei Ausbildungsmodulen von «fide» («Migration und Interkulturalität», «Zweitsprachendidaktik», «Szenariobasierter Unterricht nach den «fide»-Prinzipien») verfügt die Schweiz erstmals über ein spezifisches Ausbildungsangebot für den Zweitsprachunterricht, unabhängig von der unterrichteten Sprache. Seit 2015 haben über 300 Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner für Zweitsprachunterricht das Zertifikat «Sprachkursleiter/-in im Integrationsbereich» erlangt. Die Koordinationsgruppe «fide» wird sich für eine angemessene Qualifikation der Sprachkursleiterinnen und -leiter einsetzen, indem sie die Ausbildungsmodule «fide» zusätzlich zum Diplom als Erwachsenenbildnerin bzw. Erwachsenenbildner oder einem gleichwertigen Diplom fördert.
Evaluation: Sprachenpass Fremdsprachige Personen müssen in der Schweiz immer wieder ihre Sprachkompetenzen dokumentieren, sei es bei der Stellensuche, um Zugang zu einer Ausbildung zu erhalten oder beim Beantragen einer Bewilligung oder eines Schweizer Passes. Mit dem Sprachnachweis «fide» und dem Sprachenpass lassen sich Sprachkenntnisse auf Deutsch, Französisch und Italienisch einfach und zuverlässig nachweisen. Während sich die meisten Sprachprüfungen auf Gegebenheiten in Frankreich, Deutschland oder Italien beziehen, testet der Sprachnachweis «fide» die Sprachkompetenzen in Schweizer Alltagssituationen. Darüber kann beispielsweise in Erfahrung gebracht werden, ob die Teilnehmenden sprachlich in der Lage sind, die Krankenkasse zu kündigen, ihr Kind bei der Schule krank zu melden oder die Anweisungen des Arbeitgebers für eine neue Aufgabe zu verstehen. In der Berufsausbildung oder bei der Arbeitsintegration ist ein Nachweis der mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenzen unabdingbar. Mit dem auf dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen basierenden Sprachenpass steht nun ein leicht verständliches Dokument zur Verfügung, um diese auszuweisen. Die Koordinationsgruppe «fide» wird für die Verbreitung der Beurteilungsinstrumente verantwortlich sein und sicherstellen, dass alle Instanzen, die sich mit dem Nachweis von Sprachkompetenzen befassen, den Sprachnachweis «fide» und den Sprachenpass anerkennen und fördern.
Die Zukunft der Sprachförderung Der Erwerb der Ortssprache ist ein zentrales Element der Integration. Ausreichende Sprachkompetenzen bilden die Voraussetzung für die Teilnahme an Bildung, am Erwerbsleben und ganz allgemein am gesellschaftlichen Leben. Eine engere Zusammenarbeit der IIZ-Akteure in der Sprachförderung, insbesondere in Fragen der Qualität, der Ausbildung von Kursleitenden und Beurteilung und Dokumentation von Sprachkompetenzen, wird dazu beitragen, die bestehenden finanziellen Mittel so effizient und wirksam wie möglich einzusetzen. Davon sollen vor allem die in der Schweiz lebenden fremdsprachigen Personen profitieren, die durch qualitativ ansprechende Sprachkurse bessere Bildungs- und Berufsperspektiven erhalten.
- Materialien
- Hagenow-Caprez, Margrit (2016): «fide» in der Praxis. Studie zuhanden des Staatssekretariats für Migration SEM (Deutsch mit französischer und deutscher Zusammenfassung): www.fide-info.ch > aktuell > Infomail 7 vom 24.2.2017.
- Lenz, Peter et al. (2009): Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten, [Bern: Bundesamt für Migration]. www.fide-info.ch > Was ist fide? > Rahmencurriculum.
Die Geschäftsstelle «fide»
Nach einer zweijährigen Pilotphase wurde 2017 die Geschäftsstelle «fide» im Dauerbetrieb eröffnet. Sie kümmert sich im Auftrag des SEM um die operative Umsetzung aller Dienstleistungen im Rahmen von «fide» und dient dem Bund als Kompetenzzentrum für die Sprachförderung im Integrationsbereich.
Geschäftsstelle «fide»
Effingerstrasse 35
3008 Bern
fide@fide-info.ch
031 351 12 12
Auf dem Webportal www.fide-info.ch finden Behörden, Kursleitende und Interessierte Unterrichtshilfen für einen Handlungs- und alltagsorientierten Lern- und Lehrprozess. Das sind neben den Musterszenarien aus dem Alltag auch konkrete Instrumente zur Bedürfniserhebung und zur Evaluation der Lernfortschritte. Mitarbeitende von Behörden finden in kurzen Filmen zu einzelnen Szenarien anschauliche Beispiele, wie eine Situation durch eine Person auf dem Sprachniveau A1 bzw. A2 gelöst wurde. So erhalten auch Laien eine Ahnung von den Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER).
- 1. Die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Sprachförderung sind schwer zu beziffern. Es ist von einem zweistelligen Millionenbetrag auszugehen.
- 2. www.fide-info.ch/.