Betreuende Angehörige sind eine bedeutende gesellschaftliche Ressource und für die Gesundheitsversorgung und das Solidarsystem sehr wichtig: Sie springen ein, wenn Familienangehörige, Freunde oder Bekannte erkranken oder altersbedingt Unterstützung im Alltag brauchen. In akuten Situationen sind Angehörige – unabhängig von ihrem Alter – oft die Erstversorgenden. Dank Betreuung und Pflege durch Angehörige können Familienmitglieder früher aus dem Spital entlassen oder ambulant behandelt werden. Chronisch kranke Personen oder Menschen mit Behinderungen können länger zu Hause leben.
Sobald Angehörige regelmässig in einem grösseren Ausmass Betreuungsaufgaben übernehmen, wird es für sie oft schwierig, im bisherigen Umfang erwerbstätig zu bleiben. In der Folge reduzieren insbesondere Frauen und ältere Arbeitnehmende häufig ihr Arbeitspensum oder steigen ganz aus dem Erwerbsleben aus. Damit gefährden sie nicht nur ihre finanzielle Sicherheit und ihre Altersvorsorge, sondern gehen auch dem Arbeitsmarkt verloren. Dieser Verlust ist angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels und des Ziels einer hohen Erwerbsbeteiligung für die Entwicklung der Wirtschaft nachteilig. Unabhängig von familiären Aufgaben sollten Investitionen in die Berufsausbildung von Frauen – ebenso wie von Männern – auf dem Arbeitsmarkt optimal genutzt werden können.
Seit 2008 führen Bund und Parlament das Thema Angehörigenbetreuung auf ihrer politischen Agenda. Im Dezember 2014 verabschiedete der Bundesrat im Rahmen seiner Strategie «Gesundheit 2020» den Aktionsplan zur Unterstützung von betreuenden und pflegenden Angehörigen. Als Teil dieses Plans überwies der Bundesrat am 22. Mai 2019 den Entwurf zum Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung an die eidgenössischen Räte. Darin schlägt er vier neue Massnahmen vor: die Lohnfortzahlung bei betreuungsbedingten Kurzabsenzen, einen bezahlen Betreuungsurlaub für Eltern von schwer erkrankten oder verunfallten Kindern, eine Erweiterung der Betreuungsgutschriften in der AHV sowie eine Anpassung bei der Hilflosenentschädigung.
Die Umsetzung des Aktionsplans wird vom Förderprogramm «Entlastungsangebot für betreuende Angehörige 2017–2020» unterstützt. Dieses dokumentiert einerseits vorbildliche Angebote, Projekte und Massnahmen zur Unterstützung betreuender Angehöriger. Andererseits lässt das Bundesamt für Gesundheit mit Forschungsaufträgen das Wissen erarbeiten, das zur Weiterentwicklung von Unterstützungsangeboten nötig ist. Hier weisen erste Ergebnisse darauf hin, dass betreuende Angehörige derzeit die Entlastung nicht erhalten, die sie bräuchten, um trotz der zusätzlichen Aufgaben gesund und wirtschaftlich leistungsfähig zu bleiben.
In den vergangenen fünf Jahren hat der Bund die nötigen Diskussions- und Entscheidungsgrundlagen eingeleitet, welche zur nachhaltigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für erwerbstätige betreuende Angehörige erforderlich sind. Angesichts der demografischen Alterung sind die Diskussionen um tragfähige politische Massnahmen kein gesellschaftspolitischer Luxus, sondern vielmehr eine Notwendigkeit.