Behördenkommunikation leicht verständlich und inhaltlich korrekt

Ein Schweizer Pionierprojekt hat Behördentexte in leicht verständliche Sprache übertragen und das Potenzial sowie die Herausforderungen des Texterstellungsprozesses evaluiert. Trotz der inhaltlichen Komplexität der sozialen Sicherheit, scheint es möglich, gewisse Empfehlungen der Studie auch in der Kommunikation über die Sozialversicherungen zu beachten.
Anne Parpan-Blaser, Simone Girard-Groeber, Monika von Fellenberg, Gabriela Antener, Annette Lichtenauer
  |  06. September 2019
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  • Sozialpolitik allgemein

Das 2014 von der Schweiz ratifizierte Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK) umfasst das Recht zu barriere­freier Kommunikation. Als Mittel hierzu wird unter anderem die Verwendung einer leicht verständlichen Sprache erwähnt (Art. 2). Angesprochen ist also das Konzept der Leichten Sprache (LS). Dieses sieht die Vereinfachung von Texten vor, damit auch leseungeübte Personen komplexe Inhalte er­fassen und verstehen können. LS bezieht sich auf die Wort-, Satz- und Textebene sowie auf gestalterische Elemente, die die Orientierung der Lesenden im Text unterstützen. Eine Vereinheitlichung der vereinfachenden Sprachadaptationen und entsprechende Standards fehlen im Deutschen bisher noch. Grob kann man folgende Konzepte unterscheiden:

  • Leichte Sprache (LS): inhaltliche und sprachliche Reduk­tion (Sprachniveau A2 laut Gemeinsamem europäischem Referenzrahmen für Sprachen [GER]);
  • Einfache Sprache (ES): sprachliche Reduktion bei inhalt­licher Vollständigkeit (Sprachniveau B1 laut GER);
  • Leicht verständliche Sprache: allgemeine Bezeichnung für vereinfachte Sprachformen in Anlehnung an LS und ES.

Ihren Ursprung hat LS einerseits in den Bewegungen zu einer demokratischen Gesellschaft in den nordischen ­Ländern um 1970 (z. B. «Kultur für alle» in Schweden) und andererseits in der Selbstvertretungsbewegung von Menschen mit Beeinträchtigungen um 1990 (z. B. «People First» in den USA). Unter dem Motto «Nichts über uns ohne uns» kämpften diese für den Einbezug in für sie relevante Entscheidungen und die Selbstvertretung ihrer Rechte. Allerdings können noch andere Gründe wie Sinnes­barrieren (Wahrnehmung von Text und Ton), Fach­barrieren (thematische Hintergrund­informationen fehlen) oder Fachsprachenbarrieren (spezi­fische Begriffe sind für Laien zu komplex) das Erfassen von Texten in Standardsprache erschweren (Schubert 2016). Dazu kommt das unterschiedliche Niveau der Lesekompetenz und des Auffassungsvermögens in der Bevölkerung: Laut der Adult-Literacy-and-Life­skills-Studie ALL (BFS 2005) können in der Schweiz rund 800 000 Menschen nicht genug lesen und schreiben, um zusammenhängende Texte und schematische Darstellungen zu verstehen. Erschwerend wirkt überdies das oft komplexe Sprachniveau amt­licher Texte. All dies führt dazu, dass kommunikative Ziele von Behörden oder Ver­waltungsstellen (wie beispielweise informieren, Entscheide mit­teilen, Informationen ein­holen) vielfach nicht erreicht werden. Die Zielgruppe leicht ver­ständlicher Sprache ist daher so umfassend wie heterogen: Es handelt sich um Menschen mit Lernschwierig­keiten, psychischen Beeinträchtigungen, funktionalem Analphabetismus, Menschen mit beginnender Demenz, aber auch Per­sonen mit (noch) geringen Deutschkenntnissen. LS ­richtete sich also generell an Lesende, für die allgemein- oder fachsprachliche Texte zu schwierig sind und die deshalb an ihr Lesevermögen angepasste Informationen benötigen (Bredel/Maass 2016, S. 5).

Das Projekt «Einfach leicht verständlich»

Hintergrund Die Verwendung der LS steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen, es fehlt an empirischem Wissen. Die Studie «Einfach leicht verständlich. Leichte Sprache im Erwachsenen­schutzverfahren» ist das erste Entwicklungs- und Forschungsprojekt, das sich in der Schweiz Fragen rund um das Übertragen von behördlichen Texten in LS widmete. Es wurde vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von ­Menschen mit Behinderungen (EBGB) und vom Seraphischen Liebeswerk mitfinanziert. Gerade amtliche Schreiben und Verwaltungsformulare sind oft so komplex verfasst, dass Adressatinnen und Adressaten diese nicht ver­stehen. Als exemplarisches Feld wurde der Erwachsenenschutz gewählt. Das Erwachsenenschutzrecht, dessen revidierte Bestimmungen auf den 1. Januar 2013 in Kraft traten, regelt die Situation von hilfsbedürftigen Erwachsenen, die ihre Angelegenheiten nicht oder nur unvollständig selbst erledigen können. Es soll deren Wohl und Schutz sicherstellen und im Grundsatz die Selbstbestimmung der betroffenen Personen erhalten und fördern.

Ganz allgemein müssen Behörden sich in ihrem ­Handeln auf rechtliche Grundlagen stützen und korrekte Informationen vermitteln. Behördliche Eingriffe in Persönlichkeitsrechte bzw. Grundrechte setzen klare gesetz­liche Grund­lagen voraus, müssen juristisch schlüssig begründet werden und erfordern die Verwendung der entsprechenden juristischen Terminologie. Dies schränkt Personen, die von behördlichen Mass­nahmen betroffen sind und aus unterschiedlichen Gründen über geringe Lesekompetenz verfügen, in ihrer Selbst­bestimmung und Partizipation im Verfahren ein. ­Betroffene erhalten in Gesprächen mit Behördenmitarbeitenden und abklärenden Stellen zwar umfassende mündliche Erklärungen. Aber abgesehen davon bleibt ihnen ein eigenstän­diger Zugang zu den für sie wichtigen Inhalten verwehrt. Es besteht demzufolge ein «grosser Bedarf, amtliche Informationen in Leichter Sprache» auch schriftlich zu vermitteln, da gerade «der eigenständigen Entscheidung in rechtlichen Angelegenheiten» ein zentraler Stellenwert im Hinblick auf Partizipation zukommt (Aichele 2014, S. 22 und 24). Tatsächlich verstehen Betroffene die Prozesse und Verfahren (Verfahrensschritte) im Kindes- und Erwachsenenschutz oftmals nicht, wie eine Analyse von rund 1100 Fällen der Kescha zeigt (Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz/Uni­versität Freiburg 2018).

Vorgehen In Zusammenarbeit mit der KESB Region ­Solothurn und einer Gruppe von Prüferinnen und Prüfern mit einer Lernbehinderung bzw. mit kognitiver Be­einträchtigung wurden fünf zentrale Texte aus dem Erwachsenenschutzverfahren (Abklärungsauftrag und Begleitbrief, Entscheid kurz und lang, Formular für den Verzicht auf eine Anhörung) in LS übertragen und auf Ihre Verständlichkeit geprüft. Weil die erforderlichen Erklärungen die Texte hätten zu lang werden lassen, entschied man sich im Laufe der Arbeiten, ergänzend eine Informationsbroschüre zum Erwachsenenschutzrecht zu erarbeiten.

Das Übertragen der Texte in LS umfasste folgende Teilschritte: Zuerst wurden die zu vereinfachenden Texte und deren Kernbotschaften in Zusammenarbeit mit der Behörde bestimmt, die Zielgruppe und die gewünschte Verständlichkeitsstufe geklärt, Abläufe und Rollen festgelegt und alle relevanten Personen informiert. Die durch das Projektteam übertragenen Texte überprüfte die Behörde auf inhalt­liche Vollständigkeit und juristische Korrektheit. Anschliessend wurden sie in moderierten Sitzungen durch eigens rekrutierte und geschulte Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe (Menschen mit Lernschwierigkeiten) auf ihre Verständlichkeit hin überprüft. Auf der Grundlage ihrer Rückmeldungen überarbeitete das Projektteam die Texte ein weiteres Mal und legte sie dann der Behörde zur Korrekt­heitsprüfung vor. Die Texterstellung erfolgte damit zyklisch (siehe Grafik G1). Ab Juni 2016 kamen die Dokumente bei der KESB Region Solothurn zum Einsatz.

Ergebnisse der qualitativen Untersuchung Ab September 2016 wurden in einem qualitativen Vorgehen die Wahrnehmung der Texte und deren Einfluss auf die Zu­sammen­arbeit untersucht. Dafür wurden Betroffene von Erwachsenenschutzverfahren, fallführende Personen der KESB Region Solothurn, Personen aus den Abklärungsstellen sowie private und professionelle Mandatstragende befragt.

Die Wahrnehmung aller Dokumente durch die Betroffenen war überwiegend positiv. Hervorgehoben wurden die insgesamt sehr gute Verständlichkeit, der Umfang, die Schriftgrösse und das Schriftbild, die grafischen Hinweise auf besonders wichtige Inhalte, die farbliche Gestaltung, Aufzählungen zur Strukturierung des Texts, die Übersichtlichkeit. Der Informationsgehalt scheint angemessen, sodass zum Verständnis keine weiteren Unterlagen hinzugezogen werden mussten. Die Dokumente wirken auf der Ebene der Partizipation und der Zusammenarbeit: Be­troffene berichten, die Dokumente hätten einen Beitrag dazu geleistet, sich der eigenen Rechte bewusst zu werden. Die Dokumente erwiesen sich als hilfreich für das Verständnis des Verfahrens und für ein selbstständiges Lesen und Verstehen. Alle Befragten hielten fest, dass verständ­liche Informationen zum Erwachsenenschutz den Boden für eine gute Zusammenarbeit im Verfahren bereiten und Miss­verständnissen vorbeugen können. Dies hat nicht nur mit dem Inhalt der Erklärungen zu tun, sondern auch mit dem sichtbaren ­Bemühen der Behörde, auf Augenhöhe zu ­kommunizieren.

Allerdings hat sich in den Interviews auch gezeigt, dass ein erwachsenenschutzrechtliches Verfahren für die Betroffenen zumeist unerfreulich bleibt. Optisch und sprachlich gut zugängliche Dokumente vermögen zwar Befürchtungen und den Auftrag der Behörde zu klären, aber die Vorbehalte bleiben. Die Kommunikationsweise der KESB wird zudem nicht nur anhand verständlicher Dokumente eingeschätzt, sondern auch aufgrund des direkten oder telefonischen Kontakts. Unterlagen und Informationen in leicht verständlicher Sprache lösen demzufolge nicht alle (Kommunikations-)Probleme im Erwachsenenschutz und in der Behörde.

Ergebnisse der ProjekteEvaluation Die Evaluation des Projekts hatte zum Ziel, die gewählten Abläufe und Prozesse zur Erbringung von Dienstleistungen im Bereich LS (wie Auftragsklärung, Übersetzung und Prüfung von Texten, Einführung von Texten zur Verwendung) auszuwerten. Die ausführlichen Empfehlungen sind erhältlich bei anne.parpan@fhnw.ch. Es wurden Vor- und Nachteile des Vorgehens beschrieben und Empfehlungen verfasst, die für all jene Stellen aufschlussreich sind, die sich für die Erstellung von leicht verständlichen Texten interessieren. Zentrale Datenquellen für die Evaluation waren Journale der Projektmitarbeitenden zu Koordination und Zusammenarbeit und der Moderatorin zur Textprüfung sowie Befragungen von Behörden­mitarbeitenden, Prüferinnen und Prüfern.

In Bezug auf die Texterstellung und -prüfung ist die Evaluation zu den folgenden Ergebnissen gekommen:

Bei der Planung (vgl. Grafik G1) stellte sich rasch ­heraus, dass juristische Fachexpertise in den Übersetzungsprozess miteinbezogen werden sollte, um der Komplexität der Sachverhalte und der juristischen Sprache angemessen Rechnung zu tragen. Dass mit Juristinnen der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW zusammengearbeitet werden konnte, beschleunigte den Prozess, denn die Behörde hätte aufgrund ihres hektischen Tagesgeschäfts nicht in der­selben Frequenz oder kurzfristig für Klärungen angefragt werden können.

  • Für vergleichbare Projekte ist demnach vorab zu ­prüfen: Welche Fachbereiche sind abzudecken? Wann und in ­welcher Form wird die fachliche Expertise beigezogen (z. B. bei der Entscheidung, was zu übersetzen ist, im Übersetzungsprozess, bei der Prüfung)? Welche zeitlichen und finanziellen Ressourcen sind dafür notwendig?

Die Evaluation hat auch gezeigt, dass der Prozess für die ­projektbeteiligten Personen ebenso bedeutsam war wie die erarbeiteten Produkte. Die bereits zu Beginn vorhandene Sensibilisierung für verständlichere Texte in der Behörde nahm im Laufe der Zusammenarbeit beständig zu. Der Einbezug mehrerer Behördenmitglieder aus den Disziplinen Recht, Soziale Arbeit und Psychologie verlangsamte zwar den Prüfprozess, hatte aber den Vorteil, dass die Akzeptanz von LS in der Behörde insgesamt stieg.

  • Auftraggebende sollten nach Möglichkeit in den Prozess der Texterstellung involviert werden. Die Beteiligten gewinnen dadurch ein Gespür für die Notwendigkeit und die Möglichkeiten von LS und verändern ihre (schriftliche) Kommunikation auch über die erarbeiteten Texte hinaus. Aus diesen Gründen kann man der Möglichkeit, Texte von einem Übersetzungsbüro in LS übersetzen zu lassen, ­kritisch gegenüberstehen. Dies vor allem dann, wenn die Auftraggeberschaft nicht über ein klar definiertes Konzept zu adressatengerechter Kommunikation verfügt.
  • In diesem Projekt wurde eine Textprüfung durch Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe durchgeführt. Zwar wird die Texterstellung damit aufwändiger (mehr Arbeitsschritte, mehr Kosten), dafür ist eine hohe Qualität der Endtexte gewährleistet sowie die Möglichkeit gegeben, den Text mit einem Label für leicht verständliche Sprache oder LS auszuweisen, z. B. dem europäischen Logo für leichtes Lesen von Inclusion Europe. So wird der Text für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung auf Anhieb als ein leicht verständlicher erkennbar und seine Eigenheiten werden auch für Lesende, die andere Erwartungen an einen Text haben, verständlich.
  • Das Profil der Prüfenden sollte der für den Text anvisierten Ziel­gruppe entsprechen. Es ist also von grosser Bedeutung für den gesamten Prozess, diese von Beginn an klar vor Augen zu haben. So kann beispielsweise bei der Entscheidung über die Art und Anzahl der zu produzierenden Texte in LS auch der Wissensstand der Zielgruppe der Texte mitberücksichtigt werden.

In Bezug auf die Nutzung und den Einsatz der Texte in der Praxiswurden bei der Evaluation folgende Punkte herausgear­beitet:

Im Projekt «Einfach leicht verständlich» wurden sowohl Textvorlagen wie auch eine Informationsbroschüre erstellt. Die Auswertung zeigt, dass diese in der Praxis unterschiedlich genutzt werden: Während die Broschüre oft Verwendung findet, wurden die Briefvorlagen und Entscheide zum Zeitpunkt der Erhebung zögerlich eingesetzt. Einerseits muss bei den Vorlagen eine Einschätzung der Lesekompetenz der Adressaten vorgenommen werden. Andererseits müssen Vorlagen mit fallspezifischen Aus­führungen ergänzt werden, was grundlegende Kompetenzen in LS erfordert.

  • Das Verfassen fallspezifischer Textteile in LS durch die Mitarbeitenden der Auftraggeberschaft ist zeitaufwendig. Es ist deshalb bereits bei der Auftragsklärung darauf zu achten, ob dies geleistet werden kann und soll. Wenn ja, ist abzuklären, ob die Mitarbeitenden diese Kompetenz im Rahmen einer Schulung erwerben oder bereits da­rüber verfügen. Wenn nein, sollten ausschliesslich Texte erstellt werden, die ohne Anpassungen zum Einsatz kommen ­können.
  • Für vergleichbare Projekte wäre es ausserdem sinnvoll, ­bereits im Voraus eine gemeinsame Verwendungspraxis zu erarbeiten, diese möglichst breit abzustützen und innerhalb der Behörde zu kommunizieren.

Potenzial von Texten in LS für die Sozial­versicherungen Das Erstellen oder Übersetzen von Dokumenten in LS oder in eine leicht verständliche Sprache birgt grosses Potenzial, vor allem wenn ein umfassendes Konzept einer adressatenorientierten und parti­zipationsfördernden Kommunikation besteht. Als Erstes ist zu überlegen, welche Informationen für wen bereitgestellt werden sollen. Damit verbunden ist die Frage, ob es sich dabei um Einzelfälle oder eine breite Öffentlichkeit handelt. Verschiedene Vorgehensweisen sind sodann denkbar:

  • Eine erste Möglichkeit besteht darin, ein Kommunikationsangebot neu zu gestalten und bestehende Texte in LS zu über­setzen. Wenn sich z. B. Personen für ein IV-Verfahren anmelden müssen, sind sie nicht nur mit komplexen Sachverhalten, sondern auch mit fachspezifischem Vokabular konfrontiert. Dieser Herausforderung kann mit der Adaptation von Anmeldeformularen der IV-­Stellen und der bereits bestehenden Merkblätter begegnet werden, um sie so noch spezifischer an die Erfordernisse von Menschen mit geringen Lesekompetenzen anzu­passen. Erste Schritte in diese Richtung hat z. B. die SVA St. Gallen unternommen: Das Merkblatt «Krankheits- und Behinderungskosten» sowie Formulare zum Gesuch und zur Abrechnung privater Haushalthilfen zu den Ergänzungsleistungen stehen in Leichter Sprache zur Verfügung.
  • Ein weiteres Vorgehen könnte darin bestehen, Begleit­texte in leicht verständlicher Sprache zu vorhandenen Texten zu konzipieren, die erklären, wie diese einzuordnen sind und worauf sie sich beziehen. Dies könnte z. B. bei Gesetzesentwürfen sinnvoll sein.
  • Eine weitere Möglichkeit ist das Zusammenfassen komplexer Texte und zentraler Passagen (z. B. von ­Entscheiden oder wichtigen Informationen) in leicht verständlicher Sprache. Es geht dabei nicht darum, umfangreiche Unterlagen (wie z. B. medizinische Gutachten) zu übersetzen, sondern die für die Betroffenen wichtigsten Inhalte in leicht verständlicher Sprache zugänglich zu machen. Dieses Vorgehen bietet sich für die Dispositive und die Rechtsmittelbelehrung der IV-Stellen an sowie auch für gesetzliche Grundlagen.

Ein indirekter Beitrag zur Bereitstellung zugänglicher Texte für Personen mit geringen Lese- und Verstehenskompe­tenzen könnte beispielsweise mittels Finanzhilfen erbracht ­werden. In verschiedenen Bereichen leistet das BSV Finanzhilfen an Organisationen mit Angeboten (z. B. in der ausserschulischen Kinder- und Jugendförderung, Alters- und Invalidenhilfe), die sich in Teilbereichen an Zielgruppen von LS richten (Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Demenz etc.). Das BSV könnte bei der Vergabe von Geldern an die ent­sprechenden Organisationen beispielsweise beachten, ob diese ihre Zielgruppen in einer leicht verständlichen Sprache informieren. Entsprechend würde das BSV dazu beitragen, dass Informationen verständlicher aufbereitet und mehr Personen adressatenspezifisch kommunizieren würden. Um die Identifikations- und Partizipationsbereitschaft der Öffentlichkeit zu fördern, muss diese zielgruppengerecht und verständlich angesprochen werden. Bundesstellen könnten dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.

Fazit Die Einsatzmöglichkeiten von LS sind breit und variantenreich. Vor dem Hintergrund der UN-BRK gewinnen Forderungen nach LS an Gewicht und nähren auch die lang­jährige Debatte, ob und inwiefern die Verwaltungs- und Rechtssprache verständlicher zu gestalten sei (z. B. Lerch 2004). Eine teilweise Abkehr von Verwaltungssprache (Formalisierung, fachsprachliche Ausdrücke etc., vgl. Heinrich 2014), soll keine Minderung der Expertise sein. Dieses Spannungs­feld zwischen leicht verständlicher und inhaltlich korrekter Sprache verweist auf die doppelte Adressierung der Kommunikation von Verwaltungsstellen und Behörden, die sich an der «Schnittstelle zwischen Gesetzgeber und den Norm-Adressaten» befinden und einen «Spagat zwischen Fach- und Alltags­sprache» leisten müssen (Sellmann 2014, S. 178f.). Dabei stellt sich immer wieder die Frage, ob überhaupt alle inhaltlichen und fachlichen Nuancen übertragen werden können und sollen. Das hier beschriebene Projekt zeigt deutlich, dass möglicherweise zu­sätzliche Produkte (hier: Informationsbroschüren) nötig sind, um den Kontext zu umreissen, in dem Dokumente in LS eine bestimmte Funktion erfüllen. Zudem ist zu beachten, dass die rechtliche Verbindlichkeit bei einer Übersetzung in LS nicht immer gegeben ist, sodass der Text in LS zuweilen als Begleittext fungiert.

Im Kern geht es bei leicht verständlicher Sprache um die Frage, an wen sich Fachstellen, Verwaltungsabteilungen oder Behörden wenden und wie sie ihr Verhältnis zu den adressierten Personen definieren. Wie wichtig ist es, von diesen verstanden zu werden? Nicht immer besteht ein Bewusstsein dafür, dass mit schlecht verständlichen Unterlagen und Dokumenten (zusätzlicher) Aufwand generiert wird: Nachfragen, Missverständnisse, wütende Anrufe wie auch die Gleichgültigkeit von Bürgerinnen und Bürgern kosten Zeit und Geld.

  • Literatur
  • Hochschule für Soziale Arbeit (HSA FHNW, 2019): Informationen zum Er­wachsenenschutz in leicht verständlicher Sprache (SO) sowie Informationen zum Kindesschutz in leicht verständlicher Sprache (BE): In weiten Teilen inhaltlich deckungsleiche Broschüren der Kantone Solothurn, Zürich und Bern jeweils mit kantonsspezifischen Ergänzungen.
  • Anlaufstelle Kindes- und Erwachsenenschutz KESCHA, Universität Freiburg (2018): Medienmitteilung 16.1.2018: www.kescha.ch > Medien / Anfragen Geschäftsstelle > Medienmitteilungen.
  • Bredel, Ursula; Maass, Christiane (2016): Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis, Berlin: Dudenverlag.
  • Schubert, Klaus (2016): «Barriereabbau durch optimierte Kommunikations­mittel: Versuch einer Systematisierung», in: Mälzer, Nathalie (Hg.): Barrierefreie Kommunikation – Perspektiven aus Theorie und Praxis, Berlin: Frank & Timme, S. 15–33.
  • Aichele, Valentin (2014): «Leichte Sprache – Ein Schlüssel zu ‹Enthinderung› und Inklusion», in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ): Leichte und Einfache Sprache 64 (9–11), S. 19–25.
  • Heinrich, Peter (2014): «Verwaltungssprache als Element der Organisationskultur», in: Fisch, Rudolf; Margies, Burkhard (Hg.): Bessere Verwaltungssprache. Grundlagen, Empirie, Handlungsmöglichkeiten, Berlin: Duncker & Humblot, S. 49–62.
  • Sellmann, Gudrun (2014): «Der Staat geht auf die Bürger zu: Verwaltungssprache, Bürokratieabbau und Dienstleistungsorientierung», in: Fisch, Rudolf; Margies, Burkhard (Hg.): Bessere Verwaltungssprache. Grundlagen, Empirie, Handlungsmöglichkeiten, Berlin: Duncker & Humblot, S. 177–185.
  • Bundesamt für Statistik BFS (2005): Grundkompetenzen von Erwachsenen. Erste Ergebnisse der ALL-Erhebung (Adult Literacy and Lifeskills), [Neuenburg: BFS]: www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken > Publikationen
  • Lerch, Kent D. (2004): Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht, Berlin: Walter de Gruyter.
  • Europarat für kulturelle Zusammenarbeit (2001): Gemeinsamer ­europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin, München: Langenscheidt.
Dr. phil., Dozentin Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit HSA, Institut Integration und Partizipation
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Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit HSA, Institut Integration und Partizipation
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Lic. iur., Fürsprecherin, MPA, Dozentin Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit HSA, Institut Integration und Partizipation
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Lic. phil., Dozentin Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit HSA, Institut Integration und Partizipation
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Lic. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Soziale Arbeit HSA, Institut Integration und Partizipation
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