Ein Grossteil der Väter bezieht Vaterschaftsurlaub

Anja Roth
  |  24. August 2022
    Forschung und Statistik
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie
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Keystone/Gaëtan Bally

Bei rund 70 Prozent der Geburten werden Vaterschaftsgelder entrichtet, wie eine erste Auswertung des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zeigt. Weil die Väter ein halbes Jahr ab der Geburt ihres Kindes Zeit haben, um den Urlaub zu beziehen, liegen die Daten später vor als beim Mutterschaftsurlaub.

Auf einen Blick

  • Es stehen erstmals statistisch verlässliche Angaben zum Vaterschaftsurlaub zur Verfügung.
  • Bei den Geburten des ersten Quartals 2021 werden in rund 70 Prozent der Fälle Vaterschaftsgelder bezogen.
  • Weil Väter den Urlaub bis zu einem halben Jahr aufschieben können, erscheinen die Zahlen später in der Statistik als beim Mutterschaftsurlaub.

Seit Anfang 2021 haben erwerbstätige Väter in der Schweiz Anrecht auf zwei Wochen bezahlten Urlaub. Die 10 Urlaubstage werden als 14 Taggelder ausbezahlt. Wie beim Mutterschaftsurlaub beträgt die Entschädigung 80 Prozent des Erwerbseinkommens vor der Geburt, höchstens aber 196 Franken pro Tag. Finanziert wird der Urlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO). Der Vaterschaftsurlaub muss innerhalb eines halben Jahres ab der Geburt des Kindes bezogen werden, wobei die Urlaubstage auch einzeln bezogen werden können.

Nach rund eineinhalb Jahren Erfahrung mit dem Vaterschaftsurlaub stellt sich die Frage: Wie viele Väter beanspruchen die Gelder?

Verschiedene Medien berichteten diesen Frühling, dass nicht einmal die Hälfte der Väter Vaterschaftsurlaub beziehen würde. Sie behaupteten dies aufgrund der Anzahl im Jahr 2021 ausbezahlter Vaterschaftsentschädigungen im Verhältnis zur Anzahl Geburten im selben Jahr. Das ist methodisch aber nicht haltbar.

Quote von 70 Prozent

Statistisch sinnvoll ist es, sich auf die Geburten von Januar bis März 2021 (erstes Quartal) zu beschränken und die Daten der Auszahlungen bis Ende Mai 2022 zu berücksichtigen: So ist der zeitliche Abstand zwischen Geburt und Auszahlung aus heutiger Sicht genügend gross, um erste zuverlässige Aussagen machen zu können. Denn zwischen der Geburt eines Kindes und der Auszahlung der Gelder können mehrere Monate verstreichen.

Im ersten Quartal 2021 gab es in der Schweiz 21 516 Lebendgeburten. Mehrlingsgeburten wurden dabei nur einmal gezählt, da diese lediglich einen Leistungsanspruch auslösen. Bis Ende Juni 2021 wurden für 36 Prozent der Geburten des ersten Quartals 2021 Entschädigungen für einen Vaterschaftsurlaub ausbezahlt (siehe Grafik). Diese Quote steigt ein Jahr später (Ende Mai 2022) auf 69 Prozent. Sie wird sich voraussichtlich bei etwa 70 Prozent einpendeln.

Aussagekräftige Werte erhält man aus heutiger Sicht somit etwa 15 Monate nach der Geburt. Verbindliche Hochrechnungen oder Approximationen sind allerdings erst in ein paar Jahren möglich, wenn mehr Zahlen zur Verfügung stehen.

Zum Vergleich: Bei der Mutterschaftsentschädigung erhält man bereits nach rund neun Monaten verbindliche Werte – was auch der langjährigen Erfahrung entspricht. Für die Geburten des ersten Quartals 2021 beträgt die Bezugsquote Anfang 2022 beispielsweise 77 Prozent. Der Grund für die gegenüber dem Vaterschaftsurlaub frühere Auszahlung liegt in einem anderen Bezugsverhalten: Der Urlaub wird unmittelbar nach der Geburt bezogen. Und darüber, wer die Mutter ist, bestehen keine Zweifel.

Urlaub nicht am Stück

Im Gegensatz dazu können Väter den Urlaub während sechs Monaten nach der Geburt beziehen. Von dieser Möglichkeit machen sie rege Gebrauch: 36 Prozent der Väter, deren Kind im ersten Quartal geboren wurde, nehmen die zehn Urlaubstage nicht am Stück, sondern entscheiden sich für einen wochen- oder tageweisen Bezug.

Da die Leistung erst nach vollständigem Bezug des Urlaubs oder – bei unvollständigem Bezug – nach Ablauf der sechs Monate ausbezahlt werden kann, kann für Geburten im Januar 2021 frühestens im August 2021 genau bestimmt werden, welcher Anteil der Väter eine Entschädigung bezogen hat. Auch Anmeldung, Verarbeitung und Auszahlung der Gesuche nehmen eine gewisse Zeit in Anspruch. Schliesslich ist bei jeder neuen Leistung mit einer Anlaufzeit zu rechnen, da die Rechte und Prozesse noch nicht vollständig bekannt und implementiert sind.

Nicht jede Geburt löst einen Anspruch aus

Zum Berechnen einer Bezugsquote wurden die Vaterschaftsentschädigungen mit den Geburten verglichen. Jedoch löst nicht jede Geburt automatisch einen Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung aus: Die wichtigsten Voraussetzungen sind eine Erwerbstätigkeit des Vaters sowie eine Anerkennung des Kindes.

Rund 10 Prozent aller Kinder werden erst nach der Geburt durch den Vater anerkannt. In einem Viertel dieser Fälle wird die Anerkennung sogar erst sechs oder mehr Monate nach der Geburt unterzeichnet, wie Berechnungen des Bundesamtes für Statistik zeigen: Ein halbes Jahr nach der Geburt verfällt jedoch der Anspruch auf die Entschädigung.

Die Erwerbsquote von Männern im Alter zwischen 30 und 45 Jahren liegt bei 96 Prozent. Hier müssen zusätzliche Datengrundlagen geschaffen werden, um zu beziffern, ob dies auch für Väter zutrifft. Eine genaue Quantifizierung der anspruchsberechtigten Väter ist unerlässlich, wenn zu einem späteren Zeitpunkt der Nichtbezug des Vaterschaftsurlaubs analysiert werden soll.

Derzeit ist es aufgrund der fehlenden Daten nicht möglich, genau zu beziffern, welcher Anteil der Geburten keinen Anspruch auf eine Vaterschaftsentschädigung auslöst. Klar scheint: Eine Bezugsquote von 100 Prozent wird nie erreicht werden. Für genauere Aussagen müssen weitere Datengrundlagen geschaffen werden, die frühestens Ende 2023 verfügbar sind. Schätzungsweise dürfte der Anteil der Geburten ohne Anspruch zwischen 5 und 15 Prozent liegen.

Wenn man die 70-Prozent-Quote als Richtschnur nimmt, werden für das Gesamtjahr 2021 dereinst 61 400 Vaterschaftsentschädigungen entrichtet. Hinzu kommen noch Vaterschaftsentschädigungen an Väter, deren Kind im Ausland wohnt. Diese wurden für den Vergleich mit den Geburten in der Schweiz nicht einbezogen, werden aber hochgerechnet für alle Geburten im 2021 nochmals zu rund 3900 zusätzlichen Entschädigungen führen. Insgesamt wird die Erwerbsersatzordnung somit für Geburten des Jahres 2021 schätzungsweise 65 300 Vaterschaftsentschädigungen im Umfang von 153 Millionen Franken ausbezahlen.

Im Vergleich zu den eingangs erwähnten Medienberichten liegt die tatsächliche Bezugsquote beim Vaterschaftsurlaub also deutlich höher. Wie stabil diese Werte für das erste Quartal 2021 sind, werden die nächsten Monate zeigen: Im November 2022 wird das BSV eine Hochrechnung zur Vaterschaftsentschädigung veröffentlichen. Definitive Werte für das Jahr 2021 sind voraussichtlich ab März 2023 verfügbar.

Dr. rer. pol., stellvertretende Bereichsleiterin, Datengrundlagen und Analysen, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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