Familien: Armutsrisiko steigt mit Scheidung

Eine Scheidung erhöht das Armutsrisiko von Familien mit tiefen Einkommen. Dies zeigt eine Nationalfondsstudie zu den wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Scheidung in der Schweiz. Mütter sind stärker betroffen als Väter.
Robert Fluder, Dorian Kessler
  |  10. Juni 2024
    Forschung und Statistik
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Für Frauen mit Kindern ist eine Trennung oft mit finanziellen Risiken verbunden. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Scheidungen vermindern das verfügbare Einkommen der geschiedenen Personen meist erheblich, wobei die Einbussen bei Frauen meistens grösser sind als bei Männern.
  • Unterhaltszahlungen leisten einen wichtigen Beitrag zum Einkommen geschiedener Frauen.
  • Wenn der Expartner nur ein tiefes Einkommen hat, um einen ausreichenden Unterhalt zu leisten, steigt das Armutsrisiko für die Expartnerin beziehungsweise den Expartner sowie deren Kinder.

Seit den 1970er-Jahren haben Scheidungen stark zugenommen: Während vor rund 50 Jahren weniger als 20 Prozent der Ehen geschieden wurden, sind es heute laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) 40 Prozent.

Gleichzeitig hat sich das Umfeld von Paarbeziehungen und Scheidungen verändert. Bedeutsam sind dabei das veränderte Rollenverständnis, die häufigere Erwerbsbeteiligung der Frauen sowie die gesellschaftliche Akzeptanz von Scheidungen. In der Folge wurden Scheidungs- und Unterhaltsrecht den veränderten Bedingungen angepasst.

Die Auflösung einer Ehe oder einer Lebensgemeinschaft ist ein einschneidendes Lebensereignis, oft mit gravierenden Folgen für die finanziellen Verhältnisse der betroffenen Paare und ihrer Kinder. Dies zeigt eine Nationalfondsstudie zu den wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Scheidung in der Schweiz, deren Ergebnisse nun in einem Buch zusammengefasst worden sind (Fluder et al. 2024). Nach einer Trennung müssen mit dem bisherigen Einkommen meist zwei Haushalte finanziert werden, was rasch zu finanziellen Engpässen führen kann.

Bedingt durch Erwerbsunterbrüche aufgrund von Betreuungspflichten fehlt häufig die Berufserfahrung. Der Ausbau der Erwerbstätigkeit nach einer Trennung ist deswegen für Betroffene oft nur schwer möglich. Gemessen am bedarfsgewichteten Einkommen pro Haushaltsmitglied (Haushaltsäquivalenzeinkommen) anhand der Daten des Schweizer Haushalt-Panels erfahren Frauen mit minderjährigen Kindern nach einer Scheidung eine Einkommenseinbusse von durchschnittlich 38 Prozent. Bei Vätern ist die durchschnittliche Einbusse mit rund 7 Prozent deutlich tiefer.

Auch Paare ohne Kinder sind erheblichen scheidungsbedingten ökonomischen Belastungen ausgesetzt. Mit einer Scheidung ist deshalb ein erhöhtes Armutsrisiko verbunden. Gemessen an der Armutsgefährdungsquote steigt das Armutsrisiko bei Frauen mit Kindern um 18 Prozentpunkte und bei Frauen ohne Kinder um 12 Prozentpunkte.

Bei Männern mit Kindern ist die Zunahme des Armutsrisikos mit einem Anstieg von 9 Prozentpunkten halb so gross. Bei Männern ohne Kinder ist eine Zunahme von 3 Prozentpunkten feststellbar, diese ist allerdings statistisch nicht signifikant (Fluder et al. 2024: 82–83).

Kinder sind besonders betroffen. Erstens, weil Personen mit minderjährigen Kindern stärker von scheidungsbedingten Armutsrisiken betroffen sind und zweitens, weil Kinder häufiger in den Haushalten ihrer Mutter leben.

Diese Ergebnisse decken sich mit einer Studie von Bischof et al. (2023), in welcher festgestellt wurde, dass sich der Anteil der Personen mit sehr geringen finanziellen Mitteln bei Müttern im Verlauf einer Scheidung von 7 auf 34 Prozent erhöht, während dem dieser Anteil bei Vätern konstant 7 Prozent beträgt.

Auch bei der subjektiven Einschätzung der eigenen finanziellen Lage kann nach einer Scheidung eine erhebliche Verschlechterung festgestellt werden, wobei diese von den Männern als ebenso gross eingeschätzt wird wie von den Frauen (Fluder et al., 2024: 84). Eine mögliche Erklärung dafür sind die zu leistenden Unterhaltszahlungen, welche Männer als grosse finanzielle Belastung wahrnehmen.

Unterhaltszahlungen weiterhin bedeutend

Da Paare die Erwerbs- sowie die Betreuungs- und Haushaltsarbeit meist ungleich aufteilen und nach einer Scheidung diese Aufteilung in vielen Fällen fortbesteht, sollen Unterhaltszahlungen einen finanziellen Ausgleich schaffen. Unterhaltszahlungen in Form des nachehelichen Unterhalts und der Kinderalimente sind ein wichtiger Bestandteil des Haushaltseinkommens von geschiedenen Frauen, die Betreuungsleistungen erbringen. Zwei Drittel von ihnen erhält in den ersten Jahren nach der Scheidung Unterhaltsbeiträge von monatlich durchschnittlich rund 1900 Franken (Fluder et al. 2024). Rund 22 Prozent erhalten nachehelichen Unterhalt und 59 Prozent Kinderalimente.

Unterhaltszahlungen tragen einen erheblichen Teil zur Existenzsicherung der Einelternhaushalte bei. Untersuchungen zur Armut in den Kantonen Bern und Basel-Landschaft konnten aufzeigen, dass sich die Armutsquote der Einelternhaushalte durch Unterhaltszahlungen um gut ein Drittel reduziert (Hümbelin et al. 2022; Fluder et al. 2020). Bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel und die entsprechenden rechtlichen Anpassungen und Bundesgerichtsurteile (beispielsweise das neue Scheidungsrecht ab 2000) hat die Häufigkeit von nachehelichen Unterhaltszahlungen jedoch abgenommen. Vergleicht man die frühen 1990er-Jahre mit den 2000er-Jahren, so kann festgestellt werden, dass Zahlungen eines nachehelichen Unterhalts bei Männern mit einem tiefen Einkommen deutlich abgenommen haben. Insbesondere seltener geworden ist nachehelicher Unterhalt dann, wenn die Frau über ein hohes Erwerbseinkommen verfügt. Nur wenn Männer über ein hohes und Frauen über ein tiefes Einkommen verfügen, wird aufgrund der Vorgaben der zuständigen Behörden weiterhin mehrheitlich ein nachehelicher Unterhalt festgelegt (Fluder et al., 2024: 103–105).

Nachehelicher Unterhalt wird somit in der Praxis nur noch verordnet, wenn dies für die zahlungspflichtige Partei finanziell tragbar und der Bedarf nachgewiesen ist. Dabei wird erwartet, dass die finanziell schwächer dastehende Person (in der Regel die Frau) möglichst rasch wirtschaftlich selbstständig und damit unabhängig vom Expartner wird, was in der Scheidungsrechtspraxis als «clean break» bezeichnet wird (Schwenzer 2009). Dies zeigt sich auch an den jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichts zum nachehelichen Unterhalt. Für diejenige Person, die ihre Erwerbstätigkeit bei der Familiengründung stark eingeschränkt hat und deshalb oft nicht über die erforderliche Berufserfahrung verfügt, kann dies zu schwierigen finanziellen Verhältnissen und Abhängigkeiten von der Sozialhilfe führen.

Geschiedene Frauen sind oft auf Sozialhilfe angewiesen

Wegen erheblichen Einkommensverlusten und eingeschränkten Erwerbsmöglichkeiten aufgrund längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt oder stark reduzierter Erwerbstätigkeit sind Frauen nach einer Scheidung oft auf Sozialhilfe angewiesen. Rund jede fünfte Frau bezieht im Jahr einer Ehescheidung Leistungen der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung oder der Invalidenversicherung. Betrachtet man die Verläufe der finanziellen Unterstützung rund um die Scheidung, so zeigt sich, dass insbesondere Sozialhilfebezüge zunehmen und zum Scheidungszeitpunkt ein Maximum erreichen. Die finanzielle Situation verschlechtert sich in der Regel nach der Trennung, welche meist ein bis zwei Jahre vor der formalen Scheidung erfolgt.

Allerdings nimmt das Sozialhilferisiko nur bei Haushalten der untersten beiden Einkommensquintile markant zu, während bei der mittleren Einkommensgruppe (drittes Quintil) die Zunahme moderat ist und bei den obersten vierzig Prozent sich eine Scheidung nicht auf das Sozialhilferisiko auswirkt (siehe Grafik 1). Hauptsächlich Paare mit Kindern und insbesondere Frauen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, Sozialhilfe beantragen zu müssen. Aber auch bei Paaren ohne Kinder und tiefem Einkommen erhöht sich die Abhängigkeit von der Sozialhilfe, insbesondere für Frauen.

Nur wenn der Partner über ein genügend hohes Einkommen verfügt, sind Personen mit einem geringen Erwerbseinkommen hinreichend geschützt. Ein gewisser Schutz beginnt ab einem jährlichen Erwerbseinkommen des Expartners von rund 50 000 Franken, wobei ein vollständiger Schutz erst gegeben ist, wenn dieser mehr als jährlich 130 000 Franken verdient (siehe Grafik 2). Es zeigt sich zudem, dass Trennungen bei Paaren mit einer ungleichen Rollenteilung zwischen Erwerbs- sowie Betreuungs- und Hausarbeit ein höheres Armuts- und Sozialhilferisiko zur Folge haben als Paare mit einer eher egalitären Rollenteilung (Fluder et al., 2024: 124).

Wenn nach einer Scheidung das Einkommen des Paares nicht ausreicht, um den gemeinsamen Einkommensbedarf zu decken, so geht das bestehende Manko meist zulasten der weniger verdienenden Person, die Sozialhilfe beantragen muss – meist der Frau. Die besserverdienende Person wird nur dann zu Unterhalt verpflichtet, wenn nach den Unterhaltszahlungen der eigene finanzielle Bedarf (das Existenzminimum) gedeckt ist. Dies bedeutet auch, dass Unterhaltszahlungen in der Regel bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs nicht berücksichtigt werden, was auch einkommensstärkere Personen (in der Regel Männer) in eine schwierige finanzielle Lage bringen kann.

 Politischer Handlungsbedarf

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Einkommenssituation nach einer Scheidung hängt von verschiedenen Faktoren ab – von der Lebenssituation, der Rollenteilung, den Erwerbsmöglichkeiten und Berufsaussichten, von Unterhaltszahlungen und der Intensität von Betreuungspflichten. Diese Bedingungen haben einen erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Wohlfahrt nach einer Trennung. Frauen müssen deutlich höhere finanzielle Einbussen in Kauf nehmen als Männer.

Insgesamt besteht ein erheblicher Handlungsbedarf, um diese Risiken und Ungleichheiten zu reduzieren. Gezielte Unterstützung bei Mankosituationen, Massnahmen zur Verbesserung der Erwerbschancen nach Erwerbsunterbrüchen und fehlender Berufserfahrung sowie Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Betreuungspflichten und Erwerbsarbeit könnten hier Abhilfe schaffen.

 

Literaturverzeichnis

Bischof, Severin; Kaderli, Tabea; Guggisberg, Jürg; Liechti Lena (2023). Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennungen und Scheidungen; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/23.

Fluder, Robert; Hümbelin, Oliver; Luchsinger, Larissa; Richard, Tina (2020). Ein Armutsmonitoring für die Schweiz: Modellvorhaben am Beispiel des Kantons Bern. Caritas/ Berner Fachhochschule.

Fluder, Robert; Kessler, Dorian; Schuwey, Claudia (2024). Scheidung als soziales Risiko.

Friedman, Jerome H. (1991). Multivariate Adaptive Regression Splines. The Annals of Statistics 19(1):1–67.

Hümbelin, Oliver; Richard, Tina; Hobi, Lukas Christian; Fluder, Robert (2022). Armutsmonitoring im Kanton Basel-Landschaft: Bericht zuhanden des kantonalen Sozialamtes Basel-Landschaft.

Schwenzer, Ingeborg (2009). Nachehelicher Unterhalt – oder: nach der Änderung Ist vor der Änderung. Mitteilungen Zum Familienrecht, Nr. 10, 11–15.

Emeritierter Professor, Berner Fachhochschule Soziale Arbeit
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Professor, Institut für Organisation und Sozialmanagement, Berner Fachhochschule
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