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Health Technology Assessment: Wissenschaftliche Basis für eine effiziente Gesundheitsversorgung

Das HTA-Programm des Bundes stellt sicher, dass medizinische Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Damit trägt es zur Qualitätssicherung und zur Kostendämpfung im Schweizer Gesundheitswesen bei.
Stephanie Vollenweider
  |  03. Juni 2025
    Recht und Politik
  • Krankenversicherung
Operieren oder nicht operieren? Im Jahr 2021 hatte ein HTA-Bericht osteoporotische Wirbelkörperfrakturen im Fokus. (Alamy)

Auf einen Blick

  • Das HTA-Programm des Bundes liefert wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen für die Vergütung medizinischer Leistungen.
  • Durch systematische Analysen und gesundheitsökonomische Bewertungen wird eine qualitativ hochwertige und finanzierbare Gesundheitsversorgung sichergestellt.
  • Seit Einführung des Programms wurden bereits direkte jährliche Einsparungen von über 100 Millionen Franken erzielt.

Was ist Health Technology Assessment (HTA)? HTA bezeichnet die systematische Bewertung von Gesundheitstechnologien. Eine Gesundheitstechnologie kann beispielsweise ein diagnostischer Test, ein Medizinprodukt, ein Arzneimittel, ein Impfstoff oder ein medizinisches Verfahren sein.

Ein wesentlicher Bestandteil von HTA ist die Analyse des Nutzens (Wirksamkeit, Sicherheit) sowie der Kosten und der Kostenwirksamkeit einer Technologie im Vergleich zu einer Alternativtechnologie oder keiner Behandlung. Beispiele für solche Assessments sind die Erstellung systematischer Übersichtsarbeiten («systematic reviews»), Metaanalysen, Netzwerk-Metaanalysen sowie gesundheitsökonomische Modellierungen und Analysen, die speziell auf den Schweizer Kontext ausgerichtet sind. Weitere wichtige zu analysierende Aspekte sind die ethischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und organisatorischen Auswirkungen einer Technologie.

Dieser Ansatz ist wissenschaftlich fundiert, objektiv und nachvollziehbar. Dies ist essenziell, um fundierte und verantwortungsbewusste Entscheidungen über die Vergütung medizinischer Leistungen zu treffen (Perleth et al. 2024).

Wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich

Das Ziel der Strategie «Gesundheit2030» des Bundesrats ist eine qualitativ hochstehende und finanziell tragbare Versorgung (Bundesrat 2019). HTA ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Nicht wirksame und nicht effiziente Leistungen, Medikamente und Verfahren sollen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) reduziert werden. Damit kann nicht nur der Behandlungserfolg verbessert, sondern auch das Kostenwachstum gedämpft werden.

Die gesetzliche Grundlage des HTA-Programms des Bundes bildet das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Art. 32 KVG), wonach medizinische Leistungen, die von der OKP vergütet werden, die Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit erfüllen (WZW-Kriterien) und periodisch nach diesen Kriterien überprüft werden müssen. Bei den Beratungen des indirekten Gegenvorschlags zur Kostenbremse-Initiative hat sich das Parlament jüngst ausdrücklich zu HTA bekannt, indem es die Grundsätze des Evaluationsverfahrens im KVG gestärkt hat (Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2023; Parlament 2022/23).

Zur Konkretisierung der WZW-Kriterien hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im März 2022 das Grundlagendokument «Operationalisierung der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit» als Verwaltungsverordnung veröffentlicht (BAG 2022).

Im Jahr 2017 wurde innerhalb der Bundesverwaltung eine eigene HTA-Einheit (Sektion HTA) geschaffen mit folgendem Auftrag:

  • Auf- und Ausbau des HTA-Programms des Bundes
  • Überprüfung von ausgewählten bestehenden OKP-Leistungen mittels HTA
  • Bereitstellung evidenzbasierter Entscheidungsgrundlagen zur Bewertung neuer OKP-Leistungen in ausgewählten Fällen im Rahmen des Antragssystems (z. B. gesundheitsökonomische Analysen bei Arzneimitteln)
  • Koordination des ganzen Prozesses von Assessment, Appraisal, Decision und Nachverfolgung der Vergütungsentscheide

Das HTA-Programm des Bundes

Die Sektion Health Technology Assessment des Bundesamts für Gesundheit ist für die Koordination des HTA-Prozesses des Bundes verantwortlich (siehe Grafik).

Themeneingaben können beispielsweise von Krankenversichererverbänden, medizinischen Fachverbänden, Pharmaverbänden, Behörden, Privatpersonen oder dem BAG gemacht werden. Die Sektion HTA plausibilisiert und priorisiert in Zusammenarbeit mit anderen Sektionen des BAG die Themen. Die drei ausserparlamentarischen Kommissionen (ELGK, EAK, EAMGK) sprechen darauf eine Wahlempfehlung aus, und die Direktion des Direktionsbereichs Kranken- und Unfallversicherung entscheidet, welche Themen in den HTA-Prozess aufgenommen werden sollen.

Vor der Auftragsvergabe an eine externe, unabhängige HTA-Agentur nimmt das BAG in einem Pre-Scoping eine Voranalyse und eine Eingrenzung der Fragestellung vor. Darauf wird in einem Einladeverfahren der geeignete Auftragnehmer ermittelt.

Das Resultat der Assessment-Phase ist ein umfassender Bericht. Der Einbezug der Stakeholder und die Prüfung durch unabhängige Fachspezialisten sind Teil dieses («Peer Review»-)Prozesses. Trotz gesundheitspolitischer Ziele ist er immer in der wissenschaftlichen Methode begründet und unvoreingenommen. Der HTA-Bericht selbst gibt keine Beurteilung darüber ab, ob und allenfalls in welchem Ausmass die Leistung in den OKP-Leistungskatalog gehört. Er bildet die systematische, wissenschaftliche Grundlage für den weiteren Prozess (Appraisal und Decision). Im Appraisal (=Beurteilung) werden Regulierungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der nationalen und regionalen Rahmenbedingungen diskutiert (siehe dazu Operationalisierung des Appraisals und der Vergütungsempfehlung [BAG 2022]). Im Anschluss an das Appraisal erfolgt die Decision (=Beschluss) über die Kostenübernahme.

Eine Herausforderung für die Entscheidungsträger ist dabei oft eine lückenhafte Evidenz aufgrund fehlender oder qualitativ mangelhafter Studien. Immer wieder sind deshalb vor dem Entscheid weitere Abklärungen nötig. Dazu gehören auch Diskussionen mit entsprechenden ärztlichen Fachgesellschaften oder Versicherern, damit die Regulationen prozessual und klinisch sinnvoll und umsetzbar sind. Dieser ganze Prozess braucht Zeit – was aber wichtig für eine nachhaltige und gelebte Umsetzung durch alle Betroffenen ist.

Einsparungen von über 100 Millionen Franken

Ein Anfangsverdacht, dass eine Leistung möglicherweise nicht mit den WZW-Kriterien konform ist, kann sich nach umfassender Analyse bestätigen oder auch nicht. Es kann sich aufgrund eines HTA-Berichts beispielsweise zeigen, dass es nicht im Sinne des Patientenwohls ist, eine Leistung vollständig zu streichen, sondern dass es aufgrund der Datenlage sinnvoller ist, die Leistung nur auf gewisse Indikationen und spezielle Patientengruppen einzuschränken. Dies führt dazu, dass das anfangs geschätzte Einsparpotenzial nicht so hoch ausfällt wie prognostiziert.

Das HTA-Programm ist kein Rationierungsprogramm, sondern es stellt sicher, dass die OKP nur Leistungen vergütet, die wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind. Dadurch wird gewährleistet, dass der Bevölkerung sichere, effektive und wirtschaftliche Therapien zur Verfügung stehen.

Das HTA-Programm führte bereits zu direkten Einsparungen von jährlich über 100 Millionen Franken, wobei die schwer bezifferbaren indirekten Kosteneinsparungen durch die Verbesserung der Behandlungs- und Versorgungsqualität noch hinzuzurechnen sind (BAG 2025a).

In einer Übersichtstabelle hat das BAG alle HTA-Projekte aufgelistet (siehe auch Kasten). Die HTA-Protokolle und -Berichte werden zusammen mit den Stakeholder-Rückmeldungen und den Antworten darauf ebenfalls auf der Website des BAG publiziert. Zudem informiert das BAG über einen Newsletter über erfolgte Vergütungsentscheide. Anregungen zu potenziell nicht wirksamen, zweckmässigen oder wirtschaftlichen Leistungen nimmt das BAG über ein Themeneingabe-Formular entgegen.

HTA-Berichte – Beispiele

Vitamin-D-Tests: Der HTA-Bericht aus dem Jahr 2020 führte zum Entscheid, dass die Kostenübernahme von Vitamin-D-Tests durch die OKP auf spezifische Fälle (z. B. Patienten mit Osteoporose, Lebererkrankungen u. a.) eingeschränkt und die Testhäufigkeit limitiert wurde.

Kypho-/Vertebroplastie zur Therapie von osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen: Der HTA-Bericht von 2021 dürfte dank Präzisierungen in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (Anhang 1 KLV) zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität und einem angemesseneren Einsatz von operativen Eingriffen führen. Zudem wurden die Leitlinien von 2004 der entsprechenden Fachgesellschaften aktualisiert.

Hormontests bei einer vermuteten Schilddrüsenfunktionsstörung: Der HTA-Bericht von 2023 zeigt, dass das zweistufige Testen von Schilddrüsenhormonen zu erheblichen Einsparungen für die OKP führen würde, ohne die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu beeinträchtigen. Das BAG hat darauf zusammen mit den medizinischen Fachgesellschaften verschiedene Massnahmen zur Reduktion der Anzahl Tests bis Ende 2026 beschlossen (BAG 2024).

Politisches Spannungsfeld

Eine Herausforderung der kommenden Jahre besteht darin, die noch ausstehenden Vergütungsentscheide zu medizinischen Leistungen auf der Basis von HTA-Berichten umzusetzen. Zudem müssen die Auswirkungen der Vergütungsentscheide in sinnvollen Abständen nachverfolgt und gemessen werden. Gleichzeitig soll die Zahl der HTA-Berichte zu medizinischen Leistungen erhöht werden, wie dies auch die Eidgenössischen Finanzkontrolle empfiehlt (EFK 2025).

Auch die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) hatte sich bei ihrer Nachkontrolle zur Inspektion «Spezialitätenliste der OKP» eingehend mit dem HTA-Programm befasst (GPK-S 2023). Sie reichte zusammen mit ihrem Bericht das Postulat «Health Technology Assessments (HTA). Bilanz, Erhöhung der Wirksamkeit und Prüfung der Schaffung einer unabhängigen Einrichtung» ein. Sie fordert darin den Bundesrat auf, Bilanz zur HTA-Praxis im BAG zu ziehen und Massnahmen vorzuschlagen, um die Wirksamkeit von HTA weiter zu erhöhen.

Das HTA-Programm steht damit im Spannungsfeld zwischen der politischen Forderung nach Stärkung von HTA und den aktuellen Sparmassnahmen aufgrund von Entscheiden von Bundesrat und Parlament (BAG 2025b). Die im Bereich HTA durchgeführten Kürzungen sind schmerzhaft, da es sich beim HTA-Programm um ein zentrales kostendämpfendes Instrument hinsichtlich der Weiterentwicklung eines qualitativ hochwertigen und finanziell tragbaren Gesundheitssystems handelt. Die laufenden und bereits konkret geplanten HTA-Projekte sind von den Kürzungen nicht betroffen.

Aufgrund der eingesparten Mittel können jedoch weniger zusätzliche neue HTA in Auftrag gegeben werden, und insbesondere bedeutet die Kürzung, dass aus einer länderübergreifenden Initiative für den Aufbau einer internationalen Datenbank (IHSI) für ein sogenanntes Horizon Scanning ausgestiegen werden muss.

HTA-Programm ist auf Kurs

Abschliessend lässt sich sagen: Seit seiner Initiierung des HTA-Programms des Bundes hat das BAG die dafür notwendigen Prozesse, Netzwerke und Methoden geschaffen und zugunsten der OKP substanzielle Einsparungen erzielt. Die internationalen Beziehungen in HTA-Netzwerken (HTAi, INAHTA, ISPOR) auf technisch-wissenschaftlicher Ebene ermöglichen die laufende Weiterentwicklung des HTA-Programms. Und zusammen mit dem sich stetig erweiternden Netzwerk an nationalen und internationalen Auftragnehmern, Reviewern und Fachexperten für die HTA-Berichte ist das BAG gerüstet, um mit HTA-Methoden auch in Zukunft den Auftrag der vertieften Überprüfung von umstrittenen OKP-Leistungen effizient zu erfüllen.

Literaturverzeichnis

Dr. phil. nat., Leiterin Sektion Health Technology Assessment, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
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