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Zweite Säule: Individualisierung der Leistungen mindert Solidarität

Der Umfang der Solidarität in der beruflichen Vorsorge innerhalb einer Vorsorgeeinrichtung hängt stark vom jeweiligen Umwandlungssatz ab. Sind die Umwandlungssätze nach Geschlecht und Zivilstand differenziert, führt dies zu einer Individualisierung der zweiten Säule auf Kosten der Solidarität.
Séverine Arnold, Thibaud Dubuis, Sébastien Viquerat
  |  23. Oktober 2025
    Forschung und Statistik
  • Berufliche Vorsorge
Je nach Pensionskasse ist die Solidarität zwischen den Geschlechtern unterschiedlich stark ausgeprägt. (Shutterstock)

Auf einen Blick

  • Jede Pensionskasse kann über den Umwandlungssatz zum Zeitpunkt der Pensionierung den Umfang der Solidarität zwischen den Versicherten bestimmen.
  • Ein einheitlicher Umwandlungssatz nach Alter und Geschlecht bedeutet maximale Solidarität, individuelle Umwandlungssätze hingegen eine geringere Solidarität.
  • Flexiblere Altersleistungen, beispielsweise die Wahlmöglichkeiten bei der «Reversion» (der Wahl der Höhe der Begünstigung des hinterbliebenen Ehegatten der Hinterlassenenrente), erfordern eine individuellere Berechnung der Vorsorgeverpflichtungen.

Innerhalb einer Pensionskasse kommen verschiedene Solidaritäten zwischen den Versicherten zum Tragen. Diese werden zum Zeitpunkt der Pensionierung festgelegt und können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Sie hängen von der Ausgestaltung der Altersleistungen und insbesondere von den reglementarischen Umwandlungssätzen der Vorsorgeeinrichtung ab. Über den Umfang dieser Solidaritäten entscheidet der Stiftungsrat einer Vorsorgeeinrichtung – so kann er beispielsweise eine Individualisierung der Altersleistungen vorsehen.

Im Folgenden untersuchen wir die geschlechterspezifischen Solidaritäten sowie die Solidaritäten, die sich aus dem Zivilstand der Versicherten und dem Altersunterschied zwischen Ehe- oder Konkubinatspartnerinnen und -partnern ergeben. Zudem analysieren wir die Auswirkungen der Optionen bei der Wahl der Höhe der Begünstigung des hinterbliebenen Ehegatten der Hinterlassenenrente («Reversion», siehe Kasten) ‒ sofern diese von der Vorsorgeeinrichtung angeboten werden ‒ auf die Rentenaussichten für hinterlassene Eheleute.

Geschlechterspezifische Solidarität

Eine Solidarität zwischen Männern und Frauen ist dann gegeben, wenn eine Pensionskasse ihre reglementarischen Umwandlungssätze geschlechtsunabhängig festlegt, das heisst, wenn sie für Männer und Frauen in einem bestimmten Alter identische Umwandlungssätze anwendet. Dies ist insbesondere bei den Mindestleistungen gemäss Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) der Fall, insofern der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent per Anfang 2029 für alle Versicherten ab 65 Jahren gelten wird, wie in der Reform der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV 21) vorgesehen. Die Solidarität geht hauptsächlich auf zwei Faktoren zurück: Erstens weisen Männer eine tiefere Lebenserwartung auf als Frauen; zweitens wird die Hinterlassenenrente bei Ehepaaren beim Tod des Mannes durchschnittlich länger ausbezahlt als beim Tod der Frau.

Die versicherungsmathematischen Umwandlungssätze werden vom Aktuar berechnet und garantieren das langfristige finanzielle Gleichgewicht der Kasse. Tabelle 1 veranschaulicht diese auf den Umwandlungssätzen basierende Solidarität. So beeinflusst das Geschlecht die versicherungsmathematischen Umwandlungssätze direkt. Die Sätze stützen sich auf die Sterblichkeitsdaten nach Alter und Geschlecht (die sogenannten BVG 2020) und andere klassische Annahmen aus dem Bereich der Vorsorge (im Folgenden als kollektive Methode bezeichnet), wobei für die Reversion von einer Ehegattenrente im Todesfall von 60 Prozent ausgegangen wird.

Auf der Grundlage der versicherungsmathematischen Berechnungen hätte somit ein 65-jähriger Mann, der bis vor der Pensionierung bei seiner Pensionskasse ein Altersguthaben von 1 Million Franken angespart hat, Anspruch auf eine jährliche Altersrente von 47 200 Franken (= 4,72% * 1 000 000 Fr.). Eine Frau mit dem gleichen Guthaben würde eine jährliche Altersrente von 49 600 Franken erhalten.

Somit ist der Umwandlungssatz für Männer tiefer ist als jener für Frauen, was hauptsächlich auf den höheren Anteil an Hinterlassenenleistungen zurückzuführen ist, die ausbezahlt werden, wenn der Mann stirbt. Der Grund: In Paarbeziehungen ist der Mann im Durchschnitt älter als die Frau, und die Frau lebt durchschnittlich länger. Das bedeutet, dass die Pensionskassen bei gleichem Rentenalter und gleicher Rente für Männer – infolge der Hinterlassenenrente – einen um etwa 5 Prozent höheren Finanzierungsbedarf antizipieren müssen als für Frauen. Um das finanzielle Gleichgewicht zu wahren, setzt die Pensionskasse bei gleich hohem Altersguthaben zum Pensionierungszeitpunkt die Altersrente für den Mann tiefer fest als jene der Frau. Mit einem geschlechtsunabhängigen Umwandlungssatz, beispielsweise von 4,8 Prozent, schreibt die Kasse also eine Solidarität der Frauen gegenüber den Männern vor, da Frauen eine niedrigere Rente erhalten, als sie eigentlich erhalten sollten.

Zivilstand und Alter der Ehepartnerin oder des Ehepartners massgebend

Die Renten für hinterbliebene Eheleute bedingen eine Solidarität zwischen verheirateten Personen mit Anspruch auf Hinterlassenenleistungen und jenen Personen, die sich nicht in dieser Ausgangslage befinden, namentlich Ledige (ohne Konkubinatspartner), Witwen und Witwer, und zwar, sofern die gesetzlichen Umwandlungssätze unabhängig vom Zivilstand sind. In diesem Fall würden eine ledige und eine verheiratete Person, die bei Erreichen des Rentenalters das gleiche Guthaben angespart haben, die gleiche Altersrente erhalten.

Wenn die verheiratete Person stirbt, muss die Kasse jedoch noch eine Rente an die überlebende Ehegattin oder den überlebenden Ehegatten bezahlen, was beim Tod der ledigen Person wegfällt. Um die langfristige finanzielle Stabilität der Pensionskasse zu sichern, fällt die Rente der ledigen Person etwas tiefer aus als die Rente, auf die sie Anspruch gehabt hätte, wenn berücksichtigt worden wäre, dass sie unverheiratet war. Die Rente der verheirateten Person hingegen ist etwas höher als wenn ihr Zivilstand einbezogen worden wäre.

Die Ausrichtungsdauer der Hinterlassenenleistungen hängt ausserdem vom Altersunterschied des Ehepaars ab, was ebenfalls eine Solidarität voraussetzt, wenn die reglementarischen Umwandlungssätze diesem Altersunterschied nicht Rechnung tragen.

Um den Einfluss dieser Solidaritäten zu messen, stellen wir die versicherungsmathematischen Umwandlungssätze für 65-jährige Frauen und Männer im Jahr 2025 nun nach denselben Annahmen und Reversionssätzen wie vorgängig verwendet dar, wenden aber dabei die sogenannte individuelle Methode an, bei der der Zivilstand (entsteht durch die Person potenziell ein Anspruch auf eine Hinterlassenenrente?) und der Altersunterschied zwischen den Eheleuten ‒ bei gegengeschlechtlichen Paaren ‒ berücksichtigt werden (siehe Tabelle 2).

Nehmen wir das Beispiel eines 65-jährigen Mannes, der unverheiratet ist und bei Erreichen des Rentenalters ein Kapital von 1 Million Franken angespart hat. Die Pensionskasse könnte ihm eine jährliche Rente von 53 500 Franken (= 5,35% * 1 000 000 Fr.) auszahlen, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Werden die klassischen Annahmen des Bereichs angewendet (siehe Tabelle 1), erhält der Mann eine Rente von lediglich 47 200 Franken (= 4,72 % *1 000 000 Fr.), das heisst 12 Prozent weniger, als wenn berücksichtigt würde, dass er nicht verheiratet ist. Eine entsprechende Berechnung für eine unverheiratete Frau ergäbe eine um 2 Prozent höhere Rente, im Gegensatz zur Rente aufgrund der in Tabelle 1 verwendeten klassischen Annahmen. Damit zeigt sich, dass die Hinterlassenenleistungen für Eheleute stark ins Gewicht fallen, insbesondere für Männer.

Überdies ist der Einfluss des Altersunterschieds zwischen den Eheleuten deutlich sichtbar. Mit Blick auf ihr finanzielles Gleichgewicht könnte die betreffende Pensionskasse einem 65-jährigen Mann, der mit einer 55-jährigen Frau (10 Jahre jünger als er) verheiratet ist, eine jährliche Rente von 42 300 Franken (= 4,23% * 1 000 000 Fr.) bezahlen, da die Kasse im Todesfall des Mannes der Ehefrau noch eine Hinterlassenenrente ausrichten muss. Daraus ergibt sich eine um 21 Prozent tiefere Rente als jene, die einem ledigen Mann ausbezahlt werden kann.

Stiftungsrat bestimmt Umfang der Solidarität

Für die Festlegung des reglementarischen Umwandlungssatzes ist der Stiftungsrat zuständig, der damit die gewünschte Solidarität bestimmt. Möglich ist ein Einheitssatz für ein bestimmtes Alter und Geschlecht (maximale Solidarität) bis hin zu individuellen Umwandlungssätzen unter Berücksichtigung eines allfälligen Anspruchs auf eine Hinterlassenenrente sowie des Altersunterschieds des Ehepaars.

Immer mehr Pensionskassen setzen auf eine Flexibilisierung der Alters- und Hinterlassenenleistungen und bieten beispielsweise Wahlmöglichkeiten bei der «Reversion» der Hinterlassenenrente oder einen Kapitalschutz über die Ausrichtung eines allfälligen Todeskapitals an die Ehepartnerin beziehungsweise den Ehepartner oder die Erben. Diese Optionen werden in der Regel über eine Anpassung des Umwandlungssatzes finanziert. Wird eine höhere Rente für überlebende Eheleute (und damit eine höhere Reversion) angeboten, kompensiert die Pensionskasse den daraus resultierenden Kostenanstieg über eine Senkung der Altersrente (und damit des Umwandlungssatzes). Umgekehrt führt eine tiefere Reversion zu einer Erhöhung des Umwandlungssatzes. Die Anpassung des Umwandlungssatzes muss jedoch angesichts der aus den individuellen Entscheiden der Versicherten hervorgehenden Antiselektionseffekte vorsichtig bemessen werden.

Zur Veranschaulichung untersuchen wir den Einfluss und die Auswirkungen der Reversionsoption für die Hinterlassenenrenten, die manche Pensionskassen den Versicherten anbieten. Wenn die Versicherten zwischen verschiedenen Reversionsstufen wählen können, entscheiden sich nur verheiratete Versicherte für die maximale Reversion, insbesondere wenn die Ehepartnerin oder der Ehepartner deutlich jünger ist. Ledige und verwitwete Personen dürften sich grundsätzlich für die tiefste Reversionsstufe entscheiden, weil sie keine Rente für überlebende Eheleute auslösen werden.

Wenn wir davon ausgehen, dass nur Verheiratete eine Reversion von 100 Prozent wählen, müsste für Männer ein Umwandlungssatz von 4,08 Prozent – und für Frauen ein Umwandlungssatz von 4,66 Prozent – angewendet werden, um das finanzielle Gleichgewicht der Pensionskasse zu garantieren (siehe Tabelle 3).

Berücksichtigt werden bei der Hinterlassenenrente Reversionen von 60 Prozent und 100 Prozent nach der kollektiven Methode sowie eine Variante mit Berücksichtigung des Effekts des Zivilstands der Versicherten (sogenannte Antiselektion). Bei der kollektiven Methode mit Antiselektion wird antizipiert, dass sich nur Versicherte mit einer Ehepartnerin oder einem Ehepartner für den höheren Reversionssatz entscheiden. Die Umwandlungssätze, die den Antiselektionseffekt berücksichtigen, wurden auf der Grundlage der Tafeln BVG 2020 festgelegt, wobei angenommen wird, dass alle 65-Jährigen verheiratet sind. Für die höheren Altersgruppen wird vorausgesetzt, dass die Anzahl verheirateter Personen abnimmt (insbesondere aufgrund des Todes von Ehepartner/-innen). Bei der Bestimmung der Umwandlungssätze gemäss der traditionellen kollektiven Methode werden hingegen die in den Tafeln BVG 2020 angegebenen Prozentzahlen für die Anzahl verheirateter Personen berücksichtigt (wie in Tabelle 1).

Mit einem reglementarischen Umwandlungssatz von 4,39 Prozent für Männer beziehungsweise 4,89 Prozent für Frauen müsste die Pensionskasse zu hohe Renten bezahlen. Es scheint tatsächlich wenig wahrscheinlich, dass unverheiratete Personen eine hohe Reversion wählen, da ihre Altersrente dadurch sinkt (tieferer Umwandlungssatz für eine höhere Reversion). Hier zeigt sich auch, dass sich die Wahl der Reversion für Männer stärker auswirkt. Der Antiselektionseffekt ist folglich für Männer besonders ausgeprägt und bei der Festsetzung der reglementarischen Umwandlungssätze unbedingt zu berücksichtigen.

Individualisierung versus Solidarität

Die Individualisierung der zweiten Säule zeigt sich in der Schweiz auf unterschiedliche Art und Weise. Eine Analyse der verschiedenen Solidaritäten, die bei den Umwandlungssätzen spielen, verdeutlicht die Möglichkeit der Pensionskassen, nach Geschlecht und Zivilstand differenzierte Sätze anzuwenden, was zu einer verstärkten Individualisierung und einer tieferen Solidarität führt. Da verheiratete Personen höhere Reversionssätze wählen, müssen die Pensionskassen den durch die individuellen Entscheide entstehenden Verzerrungen Rechnung tragen, wobei manche Entscheide antizipiert werden können. Die Individualisierung der Leistungen geht folglich auch mit einer individualisierten Beurteilung der Vorsorgeverpflichtungen einher, die im Hinblick auf die finanzielle Stabilität der Kasse nicht vernachlässigt werden darf. Es ist Sache des Stiftungsrats, die Tragweite der Solidaritäten zu bestimmen und dadurch die künftige strategische Richtung vorzugeben.

Definitionen

Umwandlungssatz: Der Prozentsatz, mit dem das bei der Pensionierung angesparte Guthaben in eine Altersrente umgewandelt wird. Ein Umwandlungssatz von 6,8 Prozent beispielsweise bedeutet, dass eine Person, die bei Erreichen des Rentenalters über ein Altersguthaben von 1 Million Franken verfügt, eine jährliche Rente von 6,8 Prozent mal 1 000 000 Franken – also 68 000 Franken erhält. Der reglementarische Umwandlungssatz ist der Satz, den die Pensionskasse anwendet und in ihrem Reglement festhält. Eine Pensionskasse kann verschiedene Umwandlungssätze anbieten und diese auf die individuelle Situation der Versicherten anpassen. Eine solche Individualisierung der Umwandlungssätze ist jedoch nur in stark umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen möglich. Zudem gibt es den gesetzlichen BVG-Mindestumwandlungssatz, der den Mindestbetrag der Rente, die an die Versicherten ausbezahlt werden muss, vorgibt. Diese Rente ergibt sich aus der Anwendung des Mindestumwandlungssatzes auf das minimale BVG-Altersguthaben.

Reversion: Eine Reversion von 60 Prozent bedeutet zum Beispiel, dass die Hinterlassenenrente für die überlebende Ehegattin oder den überlebenden Ehegatten 60 Prozent der Altersrente der verstorbenen Person entspricht.

Kollektive Methode, individuelle Methode und kollektive Methode mit Antiselektion: Eine Analyse nach der kollektiven Methode stützt sich auf die Statistiken zur Heiratswahrscheinlichkeit und zum Altersunterschied zwischen Eheleuten gemäss den geltenden versicherungsmathematischen Tafeln (für diesen Artikel BVG-2020-Generationentafeln mit einem technischen Satz von 1,75%). Die individuelle Methode berücksichtigt hingegen den Zivilstand und den Altersunterschied zwischen den Eheleuten. Die kollektive Methode mit Antiselektion legt den Antiselektionseffekt zugrunde, d. h. es wird antizipiert, dass lediglich verheiratete Versicherte höhere Reversionssätze wählen. In diesem Beitrag geht diese Methode mit einer Anpassung der Heiratswahrscheinlichkeit einher.

Ordentliche Professorin, Universität Lausanne
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Doktorand, Universität Lausanne
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Prokurist, BVG-Experte, Pittet Associés
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