AHV-Nummer: langwieriger Gesetzgebungsprozess bis zum gutschweizerischen Kompromiss

Valérie Werthmüller
  |  11. Januar 2022
    Recht und Politik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
ZAS/CDC

Neu können alle schweizerischen Behörden die AHV-Nummer als Personenidentifikator nutzen. Dem Paradigmenwechsel ging ein langer Gesetzgebungsprozess voraus. Angesichts der unterschiedlichen Haltungen zur Digitalisierung waren Geduld und Beharrlichkeit gefragt, um dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Auf einen Blick

  • Seit dem 1. Januar 2022 können Bundes-, Kantons- und Gemeindebehörden die 13-stellige AHV-Nummer (AHVN) systematisch als Personenidentifikator verwenden.
  • Indem sie v.a. die Verwechslungsgefahr bei der Bearbeitung von Personendossiers verhindert, trägt die AHVN zur Effizienzsteigerung in der Verwaltung bei, wie sie im Rahmen der E-Government-Strategie Schweiz angestrebt wird.
  • Der Datenschutz ist garantiert. Die nach dem Zufallsprinzip generierte AHVN lässt keine Rückschlüsse auf die Identität der Person zu, der die Nummer zugeteilt wurde.
  • Die Einführung der AHVN als Personenidentifikator zog sich über sieben Jahre hinweg. Die Herausforderung bestand darin, ein Gleichgewicht zu finden zwischen einer flexibel ausgerichteten Gesetzgebung und erhöhten Anforderungen an Informationssicherheit und Datenschutz.

Seit dem 1. Januar 2022 können Bundes-, Kantons- und Gemeindebehörden die AHV-Nummer (AHVN) systematisch als Personenidentifikator verwenden, um ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Verwaltungsabläufe werden dadurch vereinfacht und zudem kostengünstiger. Der Datenschutz und die Informationssicherheit bleiben gewährleistet.

E-Government versus Datenschutz

Durch die Revision des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; Systematische Verwendung der AHV-Nummer durch Behörden, AS 2021 758) ist die systematische Verwendung der AHVN möglich, ohne dafür eine spezifische Gesetzesbestimmung in einem Spezialgesetz festzulegen. Bereits 2014 sprachen sich die Kantone für eine Lockerung der Gesetzgebung in diesem Sinne aus. Den Bürgerinnen und Bürgern sollten bessere Dienstleistungen und eine effizientere Verwaltung zur Verfügung stehen. Auch ging es darum, zur Umsetzung der E-Government-Strategie beizutragen. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) sowie ein Teil der kantonalen Datenschutzbeauftragten blieben wegen potenzieller Risiken für den Persönlichkeitsschutz skeptisch.

Ziel des Gesetzgebers

Laut Bundesverfassung hat jede Person Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten (Art. 13 Abs. 2 BV). Um einer möglichen Verletzung dieses Grundrechts vorzubeugen, hat der Gesetzgeber eine formelle gesetzliche Grundlage mit den Voraussetzungen geschaffen, unter denen die systematische Verwendung der AHVN zulässig ist. Er hielt sich dabei an den Grundsatz der Zweckbindung, indem er die Nutzung der AHVN ausschliesslich zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben erlaubt. Um den Datenschutz und die Informationssicherheit zu gewährleisten, wurden entsprechende technische und organisatorische Massnahmen im Gesetz verankert. Wer die AHVN systematisch verwendet, ohne dazu berechtigt zu sein oder ohne diese Massnahmen einzuhalten, hat demnach mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen. Schliesslich hat der Gesetzgeber die notwendigen Ausführungsbestimmungen angepasst, so dass eine kontrollierte breitere Verwendung der AHVN möglich ist, aber die Umsetzung pragmatisch bleibt.

Schwieriger Gesetzgebungsprozess

Sowohl bei neuen Bundesgesetzen als auch bei Gesetzesrevisionen erfolgt jedes Gesetzgebungsverfahren unter Mitwirkung von Bundesrat, Verwaltung und Parlament. In der Debatte über die AHVN drehte sich alles um die Informationssicherheit und den Datenschutz. Im Zentrum standen Fragen nach der Notwendigkeit einer  Verfassungsänderung oder nach dem richtigen Gesetz für die neue Regelung – sollte es das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG; SR 172.010) oder doch das AHVG sein – oder ob es beispielsweise besser wäre, sektorale Identifikatoren vorzusehen. Parallel dazu befassten sich einzelne Ämter im Rahmen eigener Projekte ebenfalls mit der Thematik. Je nach Sachfrage wichen die Positionen auf rechtlicher und vor allem auf politischer Ebene stark voneinander ab. Bisweilen wurde die mögliche Verwendung der AHVN gar als Vorwand genommen, um ganze Vorlagen abzulehnen.

Bei der Ausarbeitung des Bundesgesetzes über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen winkten beide Kammern den Vorschlag der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren für die Verwendung der AHVN ohne Weiteres durch. Bei der Modernisierung des Grundbuchs war dies indes nicht der Fall. Im Rahmen dieser Beratungen reichte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats das Postulat Sicherheitskonzept für Personenidentifikatoren (17.3968) ein. Der Bundesrat bezog dazu in der Botschaft zur Änderung des AHVG Stellung (Bundesrat 2019). Damit kam das Anliegen der Kommission voran, die Arbeiten zur systematischen Verwendung der AHVN wurden hingegen verzögert. Was die Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung der AHVG-Revision anbelangt, brachte eine konstruktive Lesung des RVOG, wonach für Verfügungen und andere Leistungen der Bundesverwaltung Gebühren zu erheben sowie Ausnahmen von diesem Grundsatz vorzusehen waren, Pragmatismus und Rechtmässigkeit miteinander in Einklang.

AHVN als abstrakter Identifikator

Der Akt der Rechtssetzung soll einen politischen Willen zum Ausdruck zu bringen. Dabei dürfen die technischen Aspekte nicht ausser Acht gelassen werden. Denn es gilt zu verstehen, was die AHVN eigentlich ist und wozu sie verwendet wird. Vergeben wird die AHVN von der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS). Es handelt sich um eine nach dem Zufallsprinzip generierte dreizehnstellige Zahlenfolge, die eine Person ihr Leben lang begleitet. Der Identifikator muss bei Personenstandsänderungen daher nicht ersetzt werden. Die AHVN lässt keine Rückschlüsse auf die Identität der Person zu, der die Nummer zugeteilt wurde. Sie gilt deshalb als «nichtsprechend». Natürliche Personen können sicher identifiziert werden, insbesondere, wenn sie einen komplexen, einen häufigen oder mehrere Namen haben. Die Qualität der Daten ist im Gegensatz zu einer manuellen Bearbeitung, die Transkriptionsfehler enthalten könnte, gewährleistet. Unerwünschte administrative Verwechslungen zwischen Personendossiers werden damit vermieden. Ausserdem können mit der AHVN die Informationen eines Datensystems in digitale Daten umgewandelt werden. Damit schafft die AHVN die technische Voraussetzung für einen regelkonformen Datenaustausch in automatisierter Form.

Identifizierung versus Authentifizierung

Auch wenn der Unterschied zwischen Identifizierung und Authentifizierung klein scheint, ist er doch entscheidend. Die AHVN dient weder der Legitimierung noch der Authentifizierung. Sie öffnet keine Türen zu Informatiksystemen, auf die man sonst nicht zugreifen könnte. Sie ist auch kein Identifikationsmittel, kann also nicht wie ein Pass oder eine ID eingesetzt werden. Es ist nicht möglich, allein durch die Angabe der AHVN staatliche Leistungen zu erhalten.

Informationssicherheit

Die systematische Verwendung der AHVN geht einher mit der elektronischen Datenverarbeitung. Die Informationssicherheit besteht aus einer Reihe von Massnahmen, die sich beim Schutz der Systeme vor widerrechtlichen Eingriffen bewährt haben. Dazu gehört insbesondere die IT-Sicherheit, die kein isolierter Eingriff, sondern ein kontinuierlicher Prozess ist. Ein ausreichendes Sicherheitsniveau kann nur erreicht werden, wenn die organisatorischen, personellen, technischen und Infrastruktur-Vorgaben eingehalten werden. In diesem Sinne müssen Nutzungsberechtigte ihre Informationssysteme ständig auf dem neuesten Stand halten. Die Revision des AHVG trägt somit zur Verbesserung der Informationssicherheit insbesondere in der öffentlichen Verwaltung bei. Regelmässige Risikoanalysen und die konsequente Umsetzung der flankierenden Massnahmen stellen sicher, dass die systematische Verwendung der AHVN den Datenschutz nicht gefährden.

Gutschweizerischer Kompromiss

Sieben Jahre mögen lang erscheinen, um einige Gesetzesbestimmungen anzupassen. Doch es war nicht einfach, ein Gleichgewicht zwischen einer flexibler ausgerichteten Gesetzgebung und höheren Anforderungen an die Informationssicherheit und den Datenschutz zu finden. Der immaterielle Aspekt der Thematik verlangte ein verhältnismässiges, transparentes und sorgfältiges Vorgehen. Ebenso galt es, den Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Dabei ging es darum, möglichen Fehlentwicklungen vorzubeugen sowie das Vertrauen in die Digitalisierung und das E-Government zu stärken. Das revidierte AHVG und die Ausführungsbestimmungen traten auf den 1. Januar 2022 in Kraft; nach langwierigen Arbeiten, die schliesslich eine ausgewogene Lösung hervorbrachten. Das zeigt einmal mehr, dass in der Schweiz der Kompromiss ein integraler Bestandteil des demokratischen Prozesses ist.

Lic. iur., Leiterin Stab Geschäftsfeld AHV, Berufliche Vorsorge und EL, BSV.
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