Auf einen Blick
- Die berufliche Vorsorge steht seit mehreren Jahren vor der doppelten Herausforderung der steigenden Lebenserwartung und den zu geringen Anlagerenditen
- Mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform) soll der Umwandlungssatz in einem Schritt von 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent gesenkt werden.
- Um das Leistungsniveau insgesamt zu erhalten, soll der Sparprozess gestärkt werden; Versicherte, die kurz vor der Pensionierung stehen, werden unter bestimmten Voraussetzungen einen Rentenzuschlag erhalten.
Nach dem Scheitern der Vorlage «Altersvorsorge 2020» an der Urne im September 2017, forderte der Bundesrat die Sozialpartner auf, ein gemeinsames Projekt zur Reform der zweiten Säule vorzulegen. Im Sommer 2019 stellten der Arbeitgeberverband, der Gewerkschaftsbund und Travail Suisse eine Kompromisslösung vor.
In der Botschaft zur Reform der beruflichen Altersvorsorge (BVG 21) von November 2020 übernahm der Bundesrat die Grundzüge dieses Kompromisses. Nach intensiven Debatten verabschiedeten beide Kammern am 17. März 2023 die Reform der beruflichen Vorsorge mit grosser Mehrheit.
Umwandlungssatz und Renten
Die berufliche Vorsorge steht seit mehreren Jahren vor der doppelten Herausforderung der steigenden Lebenserwartung und den zu geringen Anlagerenditen. Die aktuelle Reform ist nach den gescheiterten Reformen in den Jahren 2010 und 2017 der dritte Anlauf, hier Abhilfe zu schaffen. Sie zielt darauf ab, die Finanzierung der zweiten Säule zu stärken, das Leistungsniveau insgesamt zu erhalten und die Absicherung von Teilzeitbeschäftigten und Personen mit tiefem Einkommen zu verbessern.
Im obligatorischen Teil der zweiten Säule liegt der aktuelle Mindestumwandlungssatz bei 6,8 Prozent. Um diesen Umwandlungssatz zu gewährleisten, wären eine unveränderte Lebenserwartung sowie eine Rendite von mindestens 5 Prozent während der gesamten Rentenbezugsdauer nötig. Dies war in den vergangenen Jahren nicht der Fall: Die Lebenserwartung in der Schweiz stieg kontinuierlich an, und seit der Jahrtausendwende lagen die Renditen auf den Finanzmärkten im Durchschnitt deutlich unter dem Zielwert von 5 Prozent.
Vorsorgeeinrichtungen mit Leistungen nahe am BVG-Obligatorium sind deshalb seit einigen Jahren mit einem Ungleichgewicht zwischen den zu zahlenden Leistungen und deren Finanzierung konfrontiert. So sind die Renten mit einem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent im Verhältnis zur erzielten Rendite zu hoch. Die Folge davon ist eine Umverteilung eines Teils der Kapitalerträge von aktiven Versicherten hin zu Rentnerinnen und Rentnern, was die finanzielle Situation der Vorsorgeeinrichtungen zunehmend destabilisiert (siehe Kasten).
Pensionskassen unterschiedlich stark betroffen
Für Pensionskassen, die das gesetzliche Minimum oder Leistungen nahe am BVG-Obligatorium versichern, und solchen mit Vorsorgeleistungen im überobligatorischen Bereich, ist das Problem des zu hohen Umwandlungssatzes nicht gleich akut.
Die obligatorische Vorsorge deckt Löhne zwischen der Eintrittsschwelle (derzeit 22 050 Franken) und dem oberen Grenzbetrag (88 200 Franken) ab. Viele Vorsorgeeinrichtungen versichern jedoch den über diesem Grenzbetrag liegenden Lohnanteil und zahlen höhere Leistungen als das Minimum gemäss Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG). Diese sogenannten umhüllenden Kassen haben ihren Umwandlungssatz in den letzten Jahren massiv gesenkt, da sie bei den überobligatorischen Leistungen über einen grossen Handlungsspielraum verfügen.
Auf umhüllende Vorsorgeeinrichtungen und deren Versicherte wird die Senkung des Mindestumwandlungssatzes grundsätzlich also keine oder nur geringe Auswirkungen haben. Hingegen wird der tiefere Satz den finanziellen Druck auf Kassen verringern, die Leistungen nahe am BVG-Obligatorium versichern.
Rentenniveau halten
Mit der Reform soll der Umwandlungssatz um 0,8 Prozentpunkte auf 6,0 Prozent gesenkt werden. Das entschärft bei den betroffenen Vorsorgeeinrichtungen den finanziellen Druck, der mit einem zu hohen Umwandlungssatz einhergeht, und reduziert die Umverteilung zulasten der aktiven Versicherten.
Ausgleichsmassnahmen sorgen dafür, das Rentenniveau stabil zu halten. Ohne diese Massnahmen hätte die Senkung des Umwandlungssatzes für künftige Rentnerinnen und Rentner eine um rund 12 Prozent tiefere Rente zur Folge.
Damit jüngere Generationen trotz tieferem Umwandlungssatz ein höheres Vorsorgeguthaben aufbauen können, stärkt die Reform das langfristige Sparen. Die getroffenen Massnahmen sorgen zudem für eine bessere Absicherung von Teilzeitbeschäftigten und Personen mit tiefen Einkommen. Die Reform umfasst folgende Ausgleichsmassnahmen:
- Senkung der Eintrittsschwelle auf 19 845 Franken (90 % des aktuellen Betrags): Dank dieser Massnahme sind etwa 70 000 Personen zusätzlich in der zweiten Säule versichert.
- Wechsel von einem festen Koordinationsabzug von 25 725 Franken zu einem prozentualen Abzug von 20 Prozent des AHV-pflichtigen Lohns: Der koordinierte Lohn beträgt somit neu 80 Prozent des Lohns, sodass die tiefsten Einkommensklassen besser abgesichert werden.
- Vereinfachung der Altersgutschriften: Anstelle der bisherigen vier Altersgruppen wird es nur noch zwei (25- bis 44-Jährige: 9 Lohnprozente; über 45-Jährige: 14 Lohnprozente) geben, wobei die Mehrkosten für Versicherte ab 55 Jahren wegfallen.
Massnahmen für Übergangsgeneration
Weil die Massnahmen zur Stärkung des Sparprozesses ihre Wirkung erst langfristig entfalten, können Versicherte, die in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der Reform in Rente gehen oder neu eine Invalidenrente beziehen, den tieferen Umwandlungssatz durch verstärktes Sparen nicht ausreichend kompensieren. Damit der Übergangsgeneration keine Renteneinbussen drohen, sieht die Reform Auffangmassnahmen vor.
So sollen Personen, die bei Inkrafttreten der Reform zwischen 50 und 65 Jahre alt sind, einen Rentenzuschlag erhalten. Die Höhe des Zuschlags hängt vom Geburtsjahr und vom Vorsorgeguthaben ab. Auf den vollen Zuschlag haben nur Versicherte Anspruch, deren Vorsorgeguthaben unter 220 500 Franken liegt. Versicherte mit einem Vorsorgeguthaben bis 441 000 Franken erhalten einen Teilzuschlag. Bei darüber liegenden Vorsorgeguthaben gibt es keinen Zuschlag.
Der volle Rentenzuschlag beträgt für Versicherte, die in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten der Reform im ordentlichen Rentenalter in Pension gehen oder neu eine Invalidenrente beziehen, 2400 Franken pro Jahr. Die folgenden fünf Jahrgänge erhalten 1800 Franken und die fünf letzten Jahrgänge 1200 Franken. Der Anspruch auf den Zuschlag erlischt mit dem Tod der rentenberechtigten Person. Überlebende Ehegatten können keinen Anspruch auf den Zuschlag erheben.
Finanzierung der Rentenzuschläge
Die Vorsorgeeinrichtungen müssen die Rentenzuschläge im Kapitaldeckungsverfahren finanzieren. Ein Teil der erforderlichen Summe soll durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds finanziert werden. Dazu erhebt der Sicherheitsfonds jährlich Beiträge von den Vorsorgeeinrichtungen, die dem Freizügigkeitsgesetz (FZG) unterstehen. Der Rest muss mit Eigenmitteln der Vorsorgeeinrichtungen finanziert werden.
Die Vorsorgeeinrichtungen haben in Bezug auf die Finanzierungsquellen für die Beitragszahlungen an den Sicherheitsfonds und ihres Anteils an den Rentenzuschlägen freie Hand. Sie können die Mittel beispielsweise jährlich anrechnen, sie durch spezifische paritätische Beiträge oder durch Auflösung nicht mehr benötigter technischer Rückstellungen finanzieren.
Weitere Verbesserungen
Mit der Reform soll eine Reihe weiterer Verbesserungen eingeführt werden. Insbesondere soll die Weiterversicherung bei Versicherten ausgebaut werden, die nach Vollendung des 58. Altersjahres ihre Arbeitsstelle verlieren. Versicherte hätten in diesem Fall die Möglichkeit, ihre Freizügigkeitsleistung künftig in der Vorsorgeeinrichtung zu belassen, wobei sie lediglich einen Beitrag zur Deckung der Verwaltungskosten leisten müssten.
Darüber hinaus wird es möglich sein, sich die Freizügigkeitsleistung bar auszahlen zu lassen, wenn der Betrag unter 2000 Franken liegt.
Reformkosten
Die Kosten für die Stärkung des Sparprozesses und die Rentenzuschläge werden während 15 Jahren mit durchschnittlich 2,1 Milliarden Franken pro Jahr zu Buche schlagen.
Es ist davon auszugehen, dass das Volk das letzte Wort haben wird, da die politische Linke und die Gewerkschaften Ende März das Referendum ergriffen haben. Die Frist für die Unterschriftensammlung endet am 6. Juli 2023. Kommt das Referendum zustande, wird die Volksabstimmung voraussichtlich im Frühjahr 2024 stattfinden. Wann die Reform genau in Kraft tritt, steht somit noch nicht fest.