Auf einen Blick
- Die Regularisierung erwerbstätiger Sans-Papiers wirkt sich auf die Lebensbedingungen der betroffenen Menschen, aber auch auf die Sozialversicherungen aus.
- Da regularisierte Arbeitnehmende höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen, sind sie sozial besser abgesichert als zuvor.
- Regularisierte Arbeitnehmende nehmen selten Sozialhilfe in Anspruch.
Zwischen 2017 und 2018 hat der Kanton Genf die «Operation Papyrus» durchgeführt. Ziel des Programms war es, den Aufenthalt von gut integrierten Arbeitskräften, die keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzen, nach objektiven, transparenten Kriterien zu regeln. Das Programm wurde von der Kantonsverwaltung in enger Zusammenarbeit mit den Partnern – Verbänden und Gewerkschaften, die Sans-Papiers unterstützen – sowie mit dem Einverständnis des Staatssekretariats für Migration (SEM) umgesetzt. Mit der «Operation Papyrus» wurden fast 3000 Personen regularisiert. Zudem umfasste das Programm mehrere Begleitmassnahmen, um insbesondere die Hauswirtschaftsbranche zu regeln und sicherzustellen, dass die regularisierten Arbeitnehmenden Sozialversicherungsbeiträge bezahlen.
Die Parchemins-Studie
Die Parchemins-Studie nutzte die einmalige Situation, die durch die «Operation Papyrus» entstand, und analysierte zwischen 2017 und 2022 die Veränderungen der Lebensbedingungen und des Gesundheitszustands der regularisierten Sans-Papiers. Gestützt auf die Daten aus vier quantitativen und drei qualitativen Erhebungswellen, beleuchtet die Studie insbesondere die Entwicklung der beruflichen Situation von ehemaligen Sans-Papiers. Einen weiteren Untersuchungsschwerpunkt bilden die einbezahlten Sozialversicherungsbeiträge und die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch die Befragten. Die ursprüngliche quantitative Stichprobe umfasste 468 Personen, in der letzten Erhebungswelle reduzierte sich die Stichprobe jedoch auf 260 Teilnehmende (Refle et al., 2024). Befragt wurden sowohl Personen im Regularisierungsprozess als auch Personen, die weiterhin keine gültigen Aufenthaltspapiere besassen.
Die Studienteilnehmenden lebten im Durchschnitt seit über zehn Jahren in Genf. Es handelt sich hauptsächlich um Frauen aus Lateinamerika oder Südostasien, die überwiegend in der Hauswirtschaftsbranche arbeiteten, keine gültigen Aufenthaltspapiere besassen und über keinen Schutz vor den häufig schwierigen Arbeitsbedingungen und vor schlechter Bezahlung verfügten. Die Regularisierung bringt in der Regel also eine Erleichterung, steht aber auch für eine neue Lebensphase mit zahlreichen Veränderungen. Im Rahmen der Studie sind eine Verbesserung der Wohnverhältnisse und ein besserer Zugang zum Gesundheitssystem festzustellen. Auf der anderen Seite steht oftmals die enttäuschte Hoffnung der regularisierten Personen, durch die Anerkennung der Erstausbildung oder der als Sans-Papiers erworbenen Kompetenzen in ein anderes Berufsfeld wechseln zu können (Refle et al., 2024).
Lohndeklaration via Plattform
Die Genfer Plattform Chèque Service vereinfacht die Lohndeklaration bei den Sozialversicherungen. Damit spielt sie für erwerbstätige Sans-Papiers (insbesondere aus der Hauswirtschaftsbranche) eine wichtige Rolle. Die Studie zeigt, dass die Nutzung von Chèque Service nach der Regularisierung kontinuierlich zugenommen hat, vor allem bei den Frauen. Entsprechend hat sich auch die Zahl der gemeldeten Arbeitnehmenden im Laufe der Zeit erhöht, und zwischen 2016 und 2019 sind die Sozialversicherungsbeiträge um 5,7 Millionen Franken gestiegen (Zahlen Kanton Genf, 2020).
Die Möglichkeit, in die zweite Säule (berufliche Vorsorge BVG) einzuzahlen, ist indes weiterhin begrenzt. Denn auch nach der Regularisierung beträgt das Jahreseinkommen bei einigen Personen weniger als 21 510 Franken und liegt damit unter der BVG-Eintrittsschwelle. Betroffen ist insbesondere die Hauswirtschaftsbranche.
Ein weiteres signifikantes Ergebnis betrifft die Krankenversicherung. Die Betroffenen haben sich nach der Regularisierung jeweils rasch einer Krankenversicherung angeschlossen, oftmals bereits bei Einreichung des Regularisierungsantrags. Bei Studienende waren 100 Prozent der regularisierten Arbeitnehmenden krankenversichert. Bei den Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung beträgt dieser Anteil lediglich 10 Prozent.
Sozialhilfe nehmen auch mehrere Jahre nach der Regularisierung nur wenige ehemalige Sans-Papiers in Anspruch. Bei Studienende betrug die Sozialhilfequote bei den regularisierten Personen 5 Prozent, verglichen mit 6,7 Prozent bei der gesamten Genfer Bevölkerung (Stand 2021; Ferro-Luzzi et al., 2023).
Aus der Studie geht zudem hervor, dass die regularisierten Personen die verfügbaren Hilfen für einkommensschwache Haushalte (Wohnhilfe, Familienergänzungsleistungen) nur selten beanspruchen. Die meisten regularisierten Personen zählen weiterhin zu den Working Poor, wie das bei Studienende erzielte jährliche Medianäquivalenzeinkommen von 32 400 Franken zeigt. Die Prämienverbilligungen bei den Krankenkassen steigen nach der Regularisierung zwar deutlich an, werden letztlich jedoch nur an eine Minderheit der Studienteilnehmenden (40%) ausbezahlt, obwohl fast alle Anspruch darauf hätten (Grafik 1).
Die vertieften Befragungen machen deutlich, dass die Studienteilnehmenden die administrativen Abläufe nach wie vor schlecht verstehen und sie als komplex empfinden. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die ehemaligen Sans-Papiers vor ihrer Regularisierung nicht mit diesen Formalitäten konfrontiert waren. Hinzu kommt, dass einige Studienteilnehmende dankbar für die Regularisierung sind und deshalb freiwillig auf die Hilfen der öffentlichen Hand verzichten.
Eine zentrale Frage stellt für diese Arbeitnehmenden der Ruhestand dar. Bei Studienende waren die regularisierten Personen im Durchschnitt 48 Jahre alt, und einige standen kurz vor dem Rentenalter. Aufgrund der Jahre ohne gültigen Aufenthaltsstatus und der Vielzahl tief dotierter Arbeitsverträge in der Hauswirtschaftsbranche haben die meisten regularisierten Migrantinnen und Migranten wenig in die Sozialversicherungen und vor allem in die zweite Säule einbezahlt. Ihre Altersrente dürfte somit bescheiden ausfallen. Im Rahmen der letzten Datenerhebungswelle wurden die Teilnehmenden (259 Personen) gefragt, wo sie ihren Ruhestand verbringen möchten. Rund ein Drittel der Befragten will in sein Heimatland zurückkehren, und etwa 10 Prozent planen ihren Ruhestand in einem Drittstaat. Ein Drittel möchte in der Schweiz bleiben (Grafik 2). Ein Einflussfaktor für diese Wahl ist das Verhältnis zwischen Lebenshaltungskosten und Rentenhöhe.
Insgesamt hat die Studie gezeigt, dass die Regularisierung die Lebensbedingungen der Sans-Papiers deutlich verbessert. Es bezahlen mehr ehemalige Sans-Papiers Beiträge an die Sozialversicherungen, was höhere Beitragseinnahmen zur Folge hat. Allerdings ist die Interaktion mit den Behörden für diese Personenkategorie häufig neu. Das erschwert die Inanspruchnahme von Leistungen, die ihnen zustehen würden. Die häufige Nichtinanspruchnahme von Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand zeigt, wie ausgeprägt der Wunsch nach Autonomie bei dieser Bevölkerungsgruppe ist, die viele Jahre am Rande der Gesellschaft gelebt hat.
Literaturverzeichnis
Ferro-Luzzi, Giovanni; Refle, Jan-Erik; Burton-Jeangros, Claudine; Jackson, Yves (2023). Die Regularisierung der Sans-Papiers im Kanton Genf. Social Change in Switzerland, N°36.
Refle, Jan-Erik; Burton-Jeangros, Claudine; Jackson, Yves (2024). Sortir de la clandestinité. Les conséquences de la régularisation des travailleurs sans-papiers. EPFL Press.
Republik und Kanton Genf (2020). Opération Papyrus: bilan final, 24. August.