Auf einen Blick
- Der Datensatz WiSiER (Wirtschaftliche Situation der Bevölkerung im Erwerbs- und Rentenalter) umfasste Steuerdaten aus elf Kantonen für die Jahre 2011 bis 2015, welche mit Register- und Erhebungsdaten verknüpft wurden.
- Im Jahr 2015 befanden sich 17 Prozent der Haushalte in einer prekären finanziellen Situation – darunter sind überdurchschnittlich viele Einelternhaushalte, Personen mit geringer Bildung, Haushalte mit tiefen Erwerbseinkommen sowie Drittstaatenangehörige.
- Leistungen der ersten Säule (AHV/IV) in Verbindung mit Ergänzungsleistungen schützen die Rentenbeziehenden in der Regel vor einer prekären finanziellen Situation.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schloss 2017 mit insgesamt elf Kantonen Verträge für die Lieferung von kantonalen Steuerdaten der Jahre 2011 bis 2015 ab. Diese beinhalteten – im Vergleich zu Umfragedaten – verlässlichere Informationen zu Vermögen und Einkommen aus Renten und Erwerbsarbeit.
Für das Jahr 2015 waren Informationen zu 3,3 Millionen Erwachsenen und 1,2 Millionen Minderjährigen verfügbar. Die Steuerdaten stammen aus den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Genf, Luzern, Neuenburg, Nidwalden, St. Gallen, Tessin und Wallis. Damit konnte über die Hälfte der Schweizer Wohnbevölkerung in der deutsch-, der französisch- und der italienischsprachigen Schweiz abgedeckt werden.
Alle Steuerdaten wurden harmonisiert und mit weiteren Register- und Erhebungsdaten des Bundesamts für Statistik (BFS), der Zentralen Ausgleichsstelle (ZAS) und des BSV sowie des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) verknüpft. Die Guthaben der zweiten Säule und der Säule 3a wie auch die Einkünfte aus Stipendien und Prämienverbilligungen in der Krankenversicherung konnten nicht integriert werden.
Das Analysepotenzial des Datensatzes war dank der Anreicherung der Steuerdaten mit Informationen aus Register- und Erhebungsdaten äusserst umfangreich. So konnten beispielsweise die familiären Beziehungsstrukturen, die Haushaltszusammensetzung und die Situation von Konkubinatspaaren berücksichtigt werden. Oder es konnte der Einfluss von Invalidität oder Geburt auf die wirtschaftliche Situation der Haushalte genauer aufgezeigt werden.
Das BSV hat auf der Basis von WiSiER acht Studien publiziert, und sowohl das BSV als auch das BFS haben den Datensatz für interne Auswertungen verwendet. Zudem basieren elf Forschungsprojekte von anderen Institutionen auf diesem Datensatz (eine Übersicht findet sich hier).
Jeder sechste Haushalt in prekärer Lage
Im Jahr 2015 betrug das Medianäquivalenzeinkommen eines Haushalts 63 470 Franken pro Jahr. Einkommen, die 180 Prozent oder mehr dieses Medianwerts betragen, werden als umfangreiche Mittel bezeichnet. Von 60 Prozent bis 180 Prozent handelt es sich um die Mediansituation. Einkommen, die 50 Prozent oder mehr des Medianwerts betragen, aber kleiner sind als 60 Prozent, werden als geringe finanzielle Mittel bezeichnet. Einkommen unter 50 Prozent des Medianwerts werden als sehr geringe finanzielle Mittel qualifiziert. Werden die beiden letzteren Kategorien zusammen betrachtet, ist von einer prekären finanziellen Situation die Rede (vgl. Wanner und Gerber 2022: Tabelle 3).
14 Prozent der Haushalte verfügten 2015 über umfangreiche Mittel, 70 Prozent befanden sich in der Mediansituation, und 17 Prozent waren in einer prekären Situation. Die Wahrscheinlichkeit, sich in einer prekären finanziellen Situation wiederzufinden, hing stark von den demografischen und sozioprofessionellen Charakteristika ab. So waren überdurchschnittlich häufig Einelternhaushalte, Personen mit geringer Bildung, spezifische Gruppen von Selbstständigerwerbenden, Beschäftigte in der Landwirtschaft und Staatsbürger und Staatsbürgerinnen eines Nicht-EU/EFTA-Landes betroffen (Wanner und Gerber 2022).
Familien und Alleinlebende mit erhöhtem Risiko
Familien befinden sich häufiger in einer prekären Situation als Haushalte ohne Kinder (Bischof et al. 2023). Die wichtigste Weichenstellung für die wirtschaftliche Situation findet bei der Geburt des ersten Kindes statt – wenn die Eltern festlegen, wer in welchem Mass Verantwortung für die Kinderbetreuung beziehungsweise für den Erwerb von Einkommen übernimmt. Je tiefer der Anteil des Erwerbseinkommens der Frau am gesamten Haushaltserwerbseinkommen vor der Geburt, desto ausgeprägter ist dessen Rückgang nach der Geburt. Die meist langfristig tiefen Erwerbseinkommen der Mütter stellen insbesondere bei einer späteren Trennung oder Scheidung ein erhebliches Prekaritätsrisiko dar.
Frauen in der lateinischen Schweiz, Frauen mit Hochschulabschluss oder solche mit ausländischer Staatsangehörigkeit reduzieren gegenüber den entsprechenden Vergleichsgruppen ihr Einkommen weniger stark. Ausserdem verringern Mütter aller Einkommensklassen das Einkommen weniger, wenn institutionelle Kinderbetreuung genutzt wird.
Auch die Wahrscheinlichkeit von Alleinlebenden, sich in einer prekären Situation zu befinden, ist über alle Alterskategorien hinweg im Vergleich zur Gesamtbevölkerung etwas erhöht (Steiner und Littmann-Wernli 2023). Dies liegt vor allem daran, dass in Einpersonenhaushalten zum Beispiel bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit kein zusätzliches Einkommen zur Verfügung steht.
Erste Säule als Stütze
Mehrere WiSiER-Studien zeigen auf, dass die Sozialversicherungen der ersten Säule in der Schweiz die Entstehung von prekären Situationen in der Regel verhindern. So sind Personen, die im Erwerbsalter eine Hinterlassenenrente beziehen, bezüglich ihrer wirtschaftlichen Situation gleich- oder sogar leicht bessergestellt als jene Vergleichsgruppen, die nicht verwitwet sind (Gabriel et al., 2022).
Auch der Invalidenversicherung (IV) gelingt es verhältnismässig gut, den meisten IV-Renten-Beziehenden ein Dasein mit sehr geringen finanziellen Mitteln zu ersparen (Guggisberg et al. 2020). Bei verhältnismässig vielen Personen, die neu eine IV-Rente beziehen, verbessert sich die finanzielle Lage relativ schnell. Dies dürfte auch eine Folge davon sein, dass mit der Zusprache der IV-Rente der Zugang zu Ergänzungsleistungen und damit eine minimale Sicherung des Existenzbedarfs sichergestellt wird.
Der Rentenübergang stellt für die meisten Neurentnerinnen und -rentner kein finanzielles Risiko dar (Braun-Dubler et al. 2022). Personen in Haushalten mit geringen Mitteln erfahren beim AHV-Rentenübergang dank den Ergänzungsleistungen im Durchschnitt eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation.
Wichtige Datengrundlage
Die durchgeführten Analysen der wirtschaftlichen Situation verschiedener Bevölkerungsgruppen leisteten einen Beitrag für Reformen und die Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit – unter anderem für diese politischen Vorlagen:
- Bundesgesetz und Verordnung über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (vgl. Rudin et al. 2019)
- Kinderrenten der ersten Säule vertieft analysieren, Postulat der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats und Änderung (Weiterentwicklung der IV), Botschaft / Bericht des Bundesrates (Guggisberg et al. 2020)
- Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern beheben, Postulat von SP-Nationalrätin Yvonne Feri (Gabriel et al. 2022)
- Förderung der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Regelrentenalters, Postulat von Mitte-Ständerat Peter Hegglin (Braun et al. 2022)
- Alleinstehende in der Schweiz. Eckwerte für einen Bericht, Interpellation von FDP-Ständerat Andrea Caroni (Steiner und Littmann-Wernli 2023)
Die Nutzung von WiSiER war bis Ende 2023 befristet, und die Daten wurden gemäss Vereinbarung mit den Kantonen gelöscht.
Das BFS engagiert sich aufgrund des grossen Analysepotenzials verknüpfter Daten im Rahmen der Nationalen Datenbewirtschaftung dafür, kantonale Steuerdaten zu gewinnen und einen dauerhaften Datensatz aufzubauen. Deshalb beabsichtigt der Bundesrat, die Erhebung von Steuerdaten in die Statistikerhebungsverordnung aufzunehmen. Die Vernehmlassung dazu ist abgeschlossen. Die Stellungnahmen werden zurzeit durch das BFS ausgewertet.
Diese Daten sollen auch für das «Nationale Armutsmonitoring» künftig genutzt werden. Sobald Daten für mehrere Jahre vorliegen, eröffnen sich noch weiterreichende Möglichkeiten von individuellen Verlaufsanalysen.
Literaturverzeichnis
Bischof, Severin; Kaderli, Tabea; Liechti, Lena; Guggisberg, Jürg (2023). Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennungen und Scheidungen; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/23.
Braun-Dubler, Nils; Frei, Vera; Kaderli, Tabea; Roth, Florian (2022).Wer geht wann in Rente? Ausgestaltung und Determinanten des Rentenübergangs; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 5/22.1.
Gabriel, Rainer; Koch, Uwe; Wanner, Philippe (2022). Die wirtschaftliche Situation von Witwen, Witwern und Waisen; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 6/22.
Guggisberg, Jürg; Liechti, Lena (2019): Wirtschaftliche Verhältnisse der Bezügerinnen und Bezüger einer Rente aus der 1. Säule (AHV/IV) mit Anspruch auf eine Kinderzusatzrente; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 5/19.
Guggisberg, Jürg; Liechti, Lena; Bischof, Severin (2020). Die wirtschaftliche Situation von IV-Rentnerinnen und IV-Rentnern; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 14/20.
Rudin, Melania; Stutz, Heidi; Liesch, Roman; Guggisberg, Jürg (2019). Anreize sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen von Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (gemäss Vorentwurf für ein Bundesgesetz); Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 6/19.
Steiner, Ilka; Littmann-Wernli, Sabina (2023). Die wirtschaftliche Situation der Alleinlebenden in der Schweiz; Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen BSV.
Wanner, Philippe; Gerber, Roxane (2022). Die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung im Erwerbs- und im Rentenalter; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 4/22.