Fachkräftemangel im Sozialbereich spitzt sich zu

Hohe Fluktuation, kurze Verweildauer und steigender Personalbedarf: Eine nationale Studie zeigt, wie angespannt die Fachkräftesituation im Sozialbereich ist. Besonders betroffen sind die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung sowie Einrichtungen mit unsicherer Finanzierung.
Olivia Thoenen
  |  04. Februar 2025
    Forschung und Statistik
  • Kinder
  • Sozialpolitik allgemein
In der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung ist der Fachkräftemangel besonders gross. Kita in Zürich. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Fachkräfte im Sozialbereich sind meist jung, weiblich und verfügen mehrheitlich über einen formalen Abschluss aus dem Sozialbereich
  • Derzeit können 90 Prozent der ausgeschriebenen Stellen besetzt werden – allerdings oft erst nach längeren Übergangsfristen oder mit unzureichend qualifizierten Fachkräften.
  • Die Mehrheit der befragten Betriebe geht von einem weiter zunehmenden Fachkräftebedarf aus.

Häufige Wechsel, kurze Verweildauer und Kompromisse bei der Neubesetzung von Stellen – die Fachkräftesituation im Sozialbereich ist angespannt. Dies zeigt eine Studie von Interface Politikstudien, die erstmals alle Arbeitsfelder des Sozialbereichs untersucht hat (Amberg et al. 2025). Auftraggeber sind Savoirsocial, der Dachverband für Berufsbildung im Sozialbereich und Sassa, die Fachkonferenz der Fachhochschulen Soziale Arbeit Schweiz.

Rund 1700 Betriebe aus acht Arbeitsfeldern und allen Regionen der Schweiz haben im Frühsommer 2024 an der Befragung teilgenommen. Vertiefende Fokusgruppengesprächen und Daten aus der öffentlichen Statistik haben die Ergebnisse ergänzt und ermöglichen ein differenziertes Bild der Fachkräftesituation im Sozialbereich.

Viele junge, qualifizierte Arbeitnehmende

Charakteristisch für den Sozialbereich ist der grosse Anteil junger Mitarbeitenden. Rund die Hälfte ist jünger als 37 Jahre und nur 14 Prozent sind älter als 55 Jahre. Insgesamt sind 70 Prozent der Mitarbeitenden Fachkräfte und verfügen über einen formalen Abschluss in einem sozialen oder verwandten Beruf. Dieser Anteil ist im Vergleich mit einer ähnlich gelagerten Studie von 2016 weiter gestiegen (Savoirsocial 2016).

Der tiefste Anteil an Fachkräften ist in der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung auszumachen. In diesem Feld verfügen 40 Prozent der Mitarbeitenden über keinen formalen Abschluss im Sozialbereich.

Durchmischung der Abschlussniveaus

Rund die Hälfte der Mitarbeitenden mit einer beruflichen Tätigkeit im Sozialbereich hat eine Tertiärausbildung, ein Drittel einen Abschluss auf Sekundarstufe II, normalerweise ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ). Die übrigen besitzen entweder einen fachfremden oder gar keinen formalen Abschluss.

Betrachtet man die einzelnen Arbeitsfelder, werden Unterschiede sichtbar. In Bereichen mit staatlichen Vorgaben wie Sozialhilfe, Massnahmenvollzug haben mehr als die Hälfte der Beschäftigten eine tertiäre Ausbildung. Wo Betreuung und Begleitung im Vordergrund stehen, überwiegt hingegen der Anteil der Mitarbeitenden mit einem Abschluss auf Sekundarstufe II oder tiefer. Unterschiede zeigen sich auch zwischen den Sprachregionen: In der lateinischsprachigen Schweiz ist der Anteil an Personen mit tertiärer Ausbildung höher, insbesondere der Anteil an akademischen Abschlüssen.

Rekrutierung wird aufwendiger

Mit den getätigten Anstrengungen können aktuell 90 Prozent der ausgeschriebenen Stellen besetzt werden, 60 Prozent der offenen Stellen fristgerecht und mit der gewünschten Qualifikation (siehe Grafik 1).

Die vertiefenden Interviews zeigen, dass die Gründe für die erschwerte Personalsuche zwischen den Arbeitsfeldern variieren. Während zum Beispiel in der stationären Kinder- und Jugendbetreuung die Herausforderung in der Rekrutierung von sozialpädagogisch ausgebildeten Fachkräften besteht, ist in der familien- und schulergänzende Kinderbetreuung das Finden von erfahrenem Personal schwierig. Für Betriebe im Bereich der soziokulturellen Animation oder auch im Bereich Migration und Asyl ist es schwierig ausgebildetes Fachpersonal zu finden, da die Arbeitsplatzsicherheit aufgrund der stark schwankenden Finanzierung durch die öffentliche Hand nicht gegeben ist.

Überdurchschnittlich hohe Fluktuation

Die Fluktuationsrate der befragten Betriebe liegt bei 22 Prozent und somit über dem schweizweiten Branchendurchschnitt von 16 Prozent (BFS 2024). Die Fluktuationsrate ist dabei in kleineren Betrieben mit weniger als 10 Mitarbeitenden grösser (27%) als bei grösseren Betrieben mit 51 bis 100 Mitarbeitende (20%). Die deutlich höchste Fluktuationsquote haben Betriebe der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung, wie zusätzliche Auswertungen der Daten zeigen. Die Befragten sehen eine zunehmende Belastung der verbleibenden Mitarbeitenden als direkte Folge der hohen Fluktuationsraten.

Die Arbeitgebenden wissen bei zwei Dritteln der Mitarbeitenden, wohin diese nach der Kündigung wechseln: Rund 60 Prozent wechseln den Arbeitgeber, 30 Prozent den Beruf und 10 Prozent sind nicht mehr erwerbstätig. Diese Anteile entsprechen in etwa den Anteilen, die auch aus branchenübergreifenden Studien bekannt sind (beispielsweise BFS 2020).

Verweildauer der Mitarbeitenden ist kurz

Knapp 40 Prozent der Mitarbeitenden sind zum Befragungszeitpunkt seit weniger als drei Jahren im Betrieb angestellt (siehe Grafik 2). Im Vergleich zum branchenübergreifenden Durchschnitt arbeiten im Sozialbereich deutlich weniger Personen länger als 5 Jahre im selben Betrieb, der Wert liegt 12 Prozentpunkte tiefer bei 38 Prozent.

Unterschiede gibt es zwischen den Sprachregionen: In der lateinischen Schweiz bleibt ein grösserer Anteil von Mitarbeitenden länger als 10 Jahre im selben Betrieb als in der Deutschschweiz.

Die drei häufigsten Gründe, die die Arbeitnehmenden den Arbeitgebenden als Kündigungsgrund nennen, waren Arbeitsbelastung, Lohnvorstellungen oder der Wunsch nach Neuorientierung. Dies ist unabhängig von Arbeitsfeld und unabhängig der Grösse der Betriebe der Fall.

In den vertiefenden Interviews zeigt sich, dass unter «Arbeitsbelastung» je nach Arbeitsfeld unterschiedliche Aspekte verstanden werden: Insbesondere in der Sozialhilfe ist die Arbeitsbelastung aufgrund hoher Fallzahlen und hoher administrativer Vorgaben hoch. In den Arbeitsfeldern, wo betreuerische Tätigkeiten dominieren, kann die Kombination von physisch intensiver Arbeit mit vulnerablen Personen zu einer belastenden Arbeitsatmosphäre führen.

Steigender Fachkräftebedarf

Die Mehrheit der befragten Betriebe geht von einem weiter zunehmenden Fachkräftebedarf aus. Das Wachstum wird in allen Regionen der Schweiz als steigend eingeschätzt, jedoch gibt es Unterschiede nach Arbeitsfeldern. Die Befragten aus dem ambulanten Bereich Kind, Jugend, Familie gehen am häufigsten von einem zunehmenden Bedarf aus: 75 Prozent rechnen mit einem weiter steigenden Fachkräftebedarf. Dabei wird der steigende Bedarf vor allem auf EFZ-Stufe (Fachmann/Fachfrau Betreuung, alle Fachrichtungen) und auf Tertiärstufe bei diplomierten Sozialpädagoginnen und -pädagogen und Bachelor in Sozialer Arbeit erwartet.

Die Befragten führen den steigenden Fachkräftebedarf vor allem auf drei Faktoren zurück: die wachsende Nachfrage nach den bereits bestehenden Angeboten, die zunehmende Komplexität der Aufgaben und die fortschreitende Professionalisierung. Dadurch wird sich die Qualität der angebotenen Dienstleistungen weiter verbessern.

Den Sozialbereich mit Daten sichtbar machen

Die Analyse für die Fachkräftestudie verdeutlicht erneut: Der Sozialbereich ist in öffentlichen Statistiken unzureichend abgebildet. Eine eindeutige Zuweisung der Codierung der Systematik der Wirtschaftszweige (NOGA-Codierung) auf die Arbeitsfelder des Sozialbereichs oder Abgrenzung der relevanten Berufe gemäss Berufsnomenklatur ist nicht in jedem Fall möglich und gerade in gesundheitsnahen Institutionen oder Berufen schwierig. Zudem liegen die Daten oft nicht im nötigen Detaillierungsgrad vor. Erwähnenswert ist ferner die in den öffentlichen Statistiken verwendete Begrifflichkeit, die nicht mehr dem heutigen Verständnis des Sozialbereichs entspricht.

Dank des Engagements aller beteiligten Betriebe und Organisationen konnte mit der vorliegenden Studie ein aussagekräftiges Big Picture erarbeitet werden, das eine umfassende Grundlage bietet, um gezielte Massnahmen für eine nachhaltige Verbesserung der Fachkräftesituation im Sozialbereich zu entwickeln.

Literaturverzeichnis

Amberg, Helen; Rickenbacher, Julia; Müller, Franziska; Mariéthoz, Sarah; Brun, Nils (2024). Fachkräftestudie im Sozialbereich. Bericht zuhanden des Schweizerischen Dachverbands für die Berufsbildung im Sozialbereich SAVOIRSOCIAL und der Konferenz der Fachhochschulen für Soziale Arbeit Schweiz SASSA. Interface Politikstudien Forschung Beratung.

BFS (2022). Armutsgefährdung in der Schweiz und in Europa, Analysen nach Bevölkerungsgruppen und zur Armutsgefährdung der Erwerbstätigen.

BFS (2024): Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), Berufliche Mobilität: Bruttorotationsquote nach dem Grund für das Verlassen einer Stelle.

Savoirsocial (2016). Fachkräfte- und Bildungsbedarf für soziale Berufe in ausgewählten Arbeitsfeldern des Sozialbereichs.

Savoirsocial
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