Eine Erwerbstätigkeit im Ausland ist heute nicht mehr ungewöhnlich. Um hierbei Doppelbelastungen oder Versicherungslücken auszuschliessen, sorgt die Schweiz mit einem weitreichenden Netz von internationalen Verträgen dafür, dass die betreffenden Personen entweder Zugang zu ausländischen Sozialversicherungssystemen und -leistungen erhalten, oder aber in der Schweiz versichert bleiben und vom ausländischen Sozialversicherungssystem befreit sind.
Der wichtigste Vertrag der Schweiz auf dem Gebiet der Sozialversicherungen ist das Abkommen über die Freizügigkeit (FZA), das die europäischen Koordinierungsvorschriften für anwendbar erklärt 1. Er regelt, in welchem Staat jemand versichert ist, und gewährt die Gleichbehandlung von Schweizerinnen und Schweizern bei der Anwendung der Sozialversicherungsgesetzgebung eines EU- oder EFTA-Mitgliedstaates. So wird etwa der Zugang zu den Sozialversicherungsleistungen des jeweiligen Staats durch die Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten für die Erfüllung von Mindestversicherungszeiten erleichtert. Auch der Export von Geldleistungen wie Renten oder Familienzulagen darf nicht eingeschränkt werden.
Das europäische Koordinationsrecht erfasst alle Versicherungszweige, also auch die Arbeitslosenversicherung, die Familienzulagen, die berufliche Vorsorge, die Krankenversicherung und die Unfallversicherung. In der Schweiz versicherte Personen haben so beispielsweise bei Krankheit und Unfall in einem EU-Staat denselben Anspruch auf Behandlungen und Kostenerstattung wie Versicherte dieses Staates.
Die umfangreiche Koordinierung der Sozialversicherungen setzt voraus, dass die Staaten untereinander diverse Informationen austauschen. Für Behandlungen im Ausland müssen Anspruchsnachweise übermittelt werden, für die Berechnung von Renten braucht es Angaben zu ausländischen Versicherungszeiten und für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften müssen Bescheinigungen erstellt und versandt werden. Der grenzüberschreitende Informationsaustausch im Bereich der sozialen Sicherheit findet heute im Wesentlichen in Papierform statt, was bei der grossen Menge an zu übermittelnden Daten kompliziert, unsicher und langwierig ist.
Fallbeispiel: Koordinierung von Rentenleistungen
Herr Meier wohnt in der Schweiz, arbeitet aber während neun Jahren im Staat XY und bezahlt dort Sozialversicherungsbeiträge. Das Recht dieses Staates sieht vor, dass eine Altersrente nur erhält, wer während mindestens zehn Jahren versichert war. Zudem wird die Rente nur ausbezahlt, wenn sich der Wohnsitz im Staat XY befindet. Aufgrund des europäischen Koordinationsrechts muss Staat XY in der Schweiz zurückgelegte Versicherungszeiten bei der Rentenberechnung ebenfalls berücksichtigen. Zudem muss die Rente auch ausbezahlt werden, wenn Herr Meier zum Zeitpunkt der Pensionierung in der Schweiz und nicht im Staat XY wohnt (Export von Geldleistungen).
Elektronischer Austausch von Sozialversicherungsdaten (EESSI) Zukünftig soll der Austausch von Sozialversicherungsdaten nicht mehr in Papierform, sondern digital erfolgen. Über das von der EU entwickelte IT-System EESSI (Electronic Exchange of Social Security Information) können die Sozialversicherungsträger den Datenaustausch elektronisch abwickeln. Hierfür werden alle Sozialversicherungsträger dieselben elektronischen Standardvorlagen verwenden, die in allen 24 Amtssprachen zur Verfügung stehen.
An dem Projekt beteiligten sich neben den EU- auch die EFTA-Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission hat die EESSI-Software im Juli 2017 zur Verfügung gestellt. Alle Staaten haben nun zwei Jahre Zeit, EESSI in ihre nationalen Systeme einzubinden und die Sozialversicherungsträger mit dem grenzübergreifenden Informationsaustausch zu vernetzen. Damit alle schweizerischen Sozialversicherungssektoren Informationen versenden und empfangen können, muss die Schweiz eine nationale elektronische Zugangsstelle, den «Access Point», einrichten. Im ATSG wird geregelt, wer für die Einrichtung und den Betrieb dieser Zugangsstelle zuständig ist und wie dieser finanziert werden soll.
Die Schweiz wird voraussichtlich im Frühling 2019 in der Lage sein, die ersten Dokumente in elektronischer Form auszutauschen.
Anbindung nationaler Informationssysteme an EESSI Die Umsetzung von EESSI wurde zum Anlass genommen, gewisse Abläufe innerhalb der schweizerischen Sozialversicherungen zu modernisieren und zu standardisieren. So stehen den Durchführungsstellen für das Rentenverfahren in grenzüberschreitenden Fällen sowie für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften seit kurzem zwei nationale Informationssysteme (SWAP und ALPS) zur Verfügung. Derzeit laufen Bestrebungen, diese beiden Systeme an den Schweizer «Access Point» und damit an EESSI anzuschliessen, damit nicht nur der nationale Datenaustausch zwischen den Schweizer Stellen, sondern auch der grenzüberschreitende Datenaustausch mit dem europäischen Ausland direkt mittels dieser beiden Systeme elektronisch erfolgen kann.
Um den elektronischen Datenaustausch zwischen den Schweizer Stellen mit diesen Informationssystemen zu ermöglichen, werden im Rahmen der ATSG-Revision die nötigen gesetzlichen Grundlagen, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz, geschaffen. Zudem wird die Finanzierung dieser beiden Informationssysteme durch den AHV-Fonds geregelt.
Fallbeispiel: Koordinierung der Leistungen bei Krankheit
Frau Müller wohnt in Deutschland und arbeitet für eine Schweizer Firma mit Sitz in Basel. Aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in der Schweiz bestimmt das europäische Koordinierungsrecht, dass im Bereich der sozialen Sicherheit die Schweizer Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind. Darum ist sie in der Schweiz krankenversichert. Nun wird sie krank und geht zu Hause an ihrem Wohnort in Deutschland zum Arzt. Dieser behandelt sie, wie wenn sie in Deutschland krankenversichert wäre. Die Rechnung wird von einer deutschen Krankenversicherung bezahlt, welche sich die bezahlten Kosten von der Schweizer Krankenversicherung von Frau Müller erstatten lässt. Mit diesem Mechanismus wird sichergestellt, dass Frau Müller nur in einem Staat versichert ist und Beiträge bezahlt, sich aber, falls nötig, auch in einem anderen Staat behandeln lassen kann.
SWAP In SWAP (Swiss Web Application Pension) werden beispielsweise Rentenanträge, die EU- oder EFTA-Bürger in der Schweiz stellen, elektronisch erfasst: Geht aus der Rentenanmeldung in irgendeiner Weise hervor, dass eine Person Versicherungszeiten in einem EU-Staat zurückgelegt hat, leitet die zuständige AHV-Ausgleichskasse bzw. die IV-Stelle das zwischenstaatliche Antragsverfahren für Alters, Hinterlassenen- oder Invalidenrenten ein. Die Schweiz muss dem ausländischen Staat in solchen Fällen die Anmeldung und erhaltene Informationen via vordefinierte Formulare zustellen, der ausländische Staat wiederum informiert die Schweiz über die ausländischen Versicherungszeiten und Rentenentscheide. Verbindungs- bzw. Schnittstelle zwischen der Schweiz und dem Ausland ist die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS), die diese Formulare via SWAP entgegennimmt und nach Prüfung der Unterlagen an die zuständige Stelle im Ausland weiterleitet bzw. die Informationen aus dem Ausland empfängt und bearbeitet. Mit der Einführung von EESSI wird der gesamte Prozess elektronisch erfolgen.
ALPS Um den entsprechenden administrativen Aufwand zu minimieren, ist auch der Datenaustausch zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften modernisiert worden. Hierfür hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) zusammen mit den AHV-Ausgleichskassen und einigen Pilotfirmen die Austauschplattform ALPS (Applicable Legislation Platform Switzerland) entwickelt. Selbstständigerwerbende oder Arbeitgeber, die Arbeitnehmende ins Ausland entsenden, können das Formular A1, das zur Bestätigung der anwendbaren Rechtsvorschriften nötig ist, direkt und in elektronischer Form bei der AHV-Ausgleichskasse beantragen. Dieses wird auch via ALPS ausgestellt. Ferner kann auch die Erfassung der Versicherungsunterstellung bei Mehrfachtätigkeit oder die Weiterversicherung von Familienangehörigen in ALPS abgewickelt werden. Derzeit läuft beim BSV ein Projekt, um diese Plattform an EESSI anzuschliessen. Es wird eine entsprechende Schnittstelle entwickelt, sodass künftig auch der grenzüberschreitende Datenaustausch via ALPS medienbruchfrei erfolgt.
Fallbeispiel: Entsendung via ALPS
Herr Muster wird von seinem Arbeitgeber mit Sitz in Zürich für ein Jahr nach Paris entsandt, um dort bei der Tochterfirma zu arbeiten. Das für die Schweiz verbindliche europäische Koordinationsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit bestimmt, dass Herr Muster für diesen befristeten Zeitraum weiterhin den Schweizer Rechtsvorschriften untersteht. Er muss also keine Sozialversicherungsbeiträge in Frankreich bezahlen, auch wenn das französische Recht grundsätzlich eine Versicherungspflicht vorsähe. Der Arbeitgeber bezahlt weiterhin Sozialversicherungsbeiträge wie bis anhin, Herr Muster bleibt in der Schweiz krankenversichert und erhält weiterhin Schweizer Familienzulagen. Um in Frankreich nachweisen zu können, dass Schweizer Recht Anwendung findet und er sich nicht in Frankreich versichern muss, muss Herr Muster ein Formular A1 vorweisen können. In der Schweiz stellt dies die AHV-Ausgleichskasse aus, bei der der Arbeitgeber angeschlossen ist. Zudem muss die AHV-Ausgleichskasse die zuständige französische Stelle über die Entsendung informieren. Herr Muster bzw. sein Arbeitgeber kann das Formular A1 in ALPS elektronisch beantragen und erhält dieses auch via dieses Informationssystem ausgestellt.
- 1. Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und 987/2009 gemäss Anhang II FZA, SR 0.831.109.268.1 und SR 0.831.109.268.11.