Auf einen Blick
- Zwischen 2012 und 2023 nahmen die IV-Neurenten um 42 Prozent zu, wie eine neue Studie des Versicherers PK Rück und des Beratungsunternehmens C-Alm mit Fokus auf die berufliche Vorsorge zeigt.
- Experten erwarten für die nächsten fünf Jahre einen weiteren Anstieg um bis zu 10 Prozent.
- Vorsorgeeinrichtungen können unter anderem mit präventiven Massnahmen dazu beitragen, den Anstieg zu bremsen.
Steigen die Renten der Invalidenversicherung (IV) in der ersten Säule, hat dies auch Auswirkungen auf die zweite Säule. Denn bezieht eine Person eine IV-Rente und ist gleichzeitig in der beruflichen Vorsorge versichert, zahlt auch die Pensionskasse eine Invalidenrente. Erwerbstätige mit einem Jahreseinkommen von mindestens 22 680 Franken (BVG-Eintrittsschwelle 2025) bei einem Arbeitgeber in der Schweiz sind obligatorisch bei dessen Pensionskasse versichert.
Im Jahr 2014 veröffentlichte die PK Rück gemeinsam mit dem Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen eine erste Studie zur Entwicklung der Invalidität in der Schweiz (PK Rück und Universität St. Gallen 2014). Ziel war es, besser zu verstehen, welche Faktoren die Zahl der Neurenten beeinflussen könnten. Dafür wurden Daten der Invalidenversicherung von 1996 bis 2012 ausgewertet. Ausserdem enthält die Studie eine Befragung von Sommer 2013, bei der rund 40 mögliche Einflussfaktoren abgefragt wurden. Eine genaue Gewichtung der Faktoren wurde damals allerdings nicht vorgenommen.
Ausgangspunkt für die Prognose war die Zahl der IV-Neurenten im Jahr 2012. Die zentrale Frage lautete: Wie wird sich diese Zahl in den nächsten fünf Jahren entwickeln? Die Befragung von 422 Personen ergab die Erwartung, dass die Zahl der IV-Neurenten bis ins Jahr 2017 stabil bleiben wird. Gleichzeitig deuteten die abgefragten Einflussfaktoren auf eine mögliche leichte Zunahme der Invalidität in den Folgejahren hin.
Der Realitätscheck
Mit der Invaliditätsstudie 2024 des Versicherers PK Rück und des Beratungsunternehmens C-Alm 2024 (PK Rück und C-Alm 2024) erfolgt nun der Realitätscheck: Welche der damaligen Prognosen sind eingetroffen? Nach fünf Jahren und nach gut zehn Jahren wird die Entwicklung der IV-Neurenten nachgezeichnet. Es werden die Invaliditätsentwicklungen ab BVG-Eintrittsschwelle herausgeschält und Annäherungen an den versicherten Personenkreis in der zweiten Säule gesucht. Zugleich liegt eine Prognose bis 2029 vor. IV-Neurenten für Personen unter 20 Jahren, aufgrund von Geburtsgebrechen oder Unfallfolgen wurden herausgerechnet, um die Relevanz für die zweite Säule zu erhöhen.
Die Invaliditätsstudie 2024 ist in drei Hauptteile gegliedert. Die Ergebnisse wurden durch eine interdisziplinäre Fokusgruppendiskussion ergänzt, an der vier Experten teilnahmen. Diese diskutierten aus den Perspektiven der beruflichen Vorsorge (Laurent Schläfli, Präsident Inter-Pension und Geschäftsführer Profond), der Invalidenversicherung (Florian Steinbacher, Vizedirektor des Bundesamts für Sozialversicherungen und Leiter Geschäftsfeld Invalidenversicherung), der Versicherungsmathematik (Florian Boecker, Head Life eines international tätigen Rückversicherers und Versicherungsmathematiker) und der Versicherungspsychiatrie (Gerhard Ebner, Past-Präsident Swiss Insurance Medicine, Gutachter sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) die zentralen Erkenntnisse und entwickelten Lösungsansätze, insbesondere mit Blick auf die zweite Säule.
Starker Anstieg der Neurenten ab 2017
Im ersten Teil der Studie wurde die Entwicklung der IV-Neurenten anhand der Daten des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) und des Bundesamts für Statistik (BFS) analysiert. Bereits in der Studie aus dem Jahr 2014 wurde auf Basis der Daten bis 2012 eine stabile Entwicklung für die Jahre bis 2017 von den Befragten prognostiziert. Diese Vorhersage hat sich bestätigt: Die Zahl der Neurenten blieb zunächst stabil.
Ab 2017 veränderte sich die Situation jedoch deutlich. In den darauffolgenden sechs Jahren stieg die Zahl der IV-Neurenten an (siehe Grafik 1). Von 2012 bis 2023 betrug die Zunahme der IV-Neurenten insgesamt 42 Prozent, ab der BVG-Eintrittsschwelle 34 Prozent. Diese Steigerungsraten liegen deutlich über dem Bevölkerungswachstum im gleichen Zeitraum, welches lediglich 9 Prozent betrug. Die Personengruppe mit einem Einkommen über 26 000 Franken (für Personen ab BVG-Eintrittsschwelle liegen keine genaueren Daten vor) nahm in der Bevölkerung sogar um 14 Prozent zu.
Interessanterweise zeigte sich ein Anstieg in allen Altersgruppen – selbst bei den 40- bis 49-Jährigen, deren Bevölkerungszahl sogar leicht rückläufig war. Besonders auffällig ist das Wachstum bei psychischen Erkrankungen, die in nahezu allen Altersgruppen die häufigste Ursache für Invalidisierungen sind. Allerdings haben auch fast alle anderen Ursachen zugenommen, sodass die steigenden Invaliditätszahlen nicht allein durch psychische Erkrankungen erklärt werden können.
Experten rechnen mit weiterem Anstieg
Parallel zur Datenauswertung wurde im November 2024 für die Invaliditätsstudie eine anonyme Befragung unter 606 Fachpersonen durchgeführt. Die Teilnehmenden kamen aus unterschiedlichen Disziplinen und hatten verschiedene berufliche Hintergründe. Ihre Einschätzung zur Entwicklung der IV-Neurenten in der zweiten Säule zeigt eine klare Tendenz:
Mehr als 80 Prozent der Befragten gingen davon aus, dass die IV-Neurenten in den kommenden fünf Jahren weiter ansteigen würden. 76 Prozent rechneten mit einem Anstieg von 10 Prozent, während 8,6 Prozent einen Anstieg von 20 Prozent erwarteten.
Die eingesetzte Fokusgruppe diskutierte unter anderem die Ergebnisse der Umfrage und lieferte verschiedene Interpretationen. Alle Beteiligten der Fokusgruppe waren sich einig, dass die Invalidisierungen in den kommenden Jahren um bis zu 10 Prozent zunehmen würden.
Einigkeit herrschte auch darüber, dass der Anstieg der Invalidisierungen multifaktoriell ist. Es gibt keine einzelnen Ursachen wie Corona, einen veränderten Umgang mit bestimmten Diagnosen in der Rechtspraxis oder veränderte Prävalenzen, die diesen Trend allein erklären könnten. Stattdessen betonten die Expertinnen und Experten, dass frühe Interventionen und verstärkte Präventionsmassnahmen entscheidend seien, um die Entwicklung zu bremsen. Dies bestätigen weitere Studien, und hier kann die berufliche Vorsorge durch den direkten Zugang zu den angeschlossenen Unternehmen Hand bieten.
Arbeitsunfähigkeitsdaten als Frühwarnsystem
Im dritten Teil der Studie wurden die Arbeitsunfähigkeitsdaten von inzwischen rund 250 000 versicherten Personen bei der PK Rück ausgewertet. Diese Daten geben Aufschluss über die Zusammenhänge zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidisierung:
Männer haben nach Meldung einer Arbeitsunfähigkeit eine höhere Wahrscheinlichkeit zu invalidisieren – unabhängig von der Dauer der Arbeitsunfähigkeit, der Diagnose oder der Altersgruppe. Faktoren wie die Dauer der Meldung, die Verfahrensdauer bis zur Entscheidung sowie die Einkommenssituation beeinflussen die Invalidisierungswahrscheinlichkeit erheblich.
Die Auswertung zeigt, dass die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen im Vergleich zum Bestand überproportional gestiegen sind (siehe Grafik 2). Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, geeignete Massnahmen der frühen Intervention oder zur Prävention zu ergreifen, um durch berufliche Eingliederung Invalidisierungen zu vermeiden.
Frühzeitig reagieren lohnt sich
Die Invaliditätsstudie 2024 bietet nicht nur einen Rückblick auf die letzten zehn Jahre, sondern auch wertvolle Einblicke in aktuelle Herausforderungen und zukünftige Trends. Sie zeigt, dass die berufliche Vorsorge einen Beitrag zur Eindämmung der steigenden Invaliditätszahlen leisten kann, indem gemeinsam mit den angeschlossenen Unternehmen eine optimierte Zusammenarbeit stattfindet.
In Ergänzung zu den Taggeldversicherern und den IV-Stellen gibt es in der zweiten Säule viel Sinnvolles zu tun:
- Frühzeitige Intervention bei Arbeitsunfähigkeit
- Gezielte Prävention über die angeschlossenen Betriebe
- Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Vorsorgeeinrichtungen, IV-Stellen und Taggeldversicherern
- Konsequenter Einsatz von Instrumenten zur Erreichung einer Teilarbeitsfähigkeit bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit
Die PK Rück möchte mit dieser Veröffentlichung die Vorsorgeeinrichtungen ermutigen, die vorliegenden Ergebnisse zu nutzen und ihre angeschlossenen Unternehmen bei der Wiedereingliederung und der Prävention zu unterstützen. Es liegt im Interesse aller Akteure der beruflichen Vorsorge, Trends frühzeitig zu erkennen und aktiv gegenzusteuern, um langfristig positive Entwicklungen zu fördern.
Literaturverzeichnis
PK Rück und Universität St. Gallen (2014). Invalidität in der Schweiz. Einflussfaktoren und zukünftige Entwicklung.
PK Rück und C-Alm (2024). Fokus 2. Säule. Invaliditätsentwicklung seit 2012 und Ausblick.