Ausbildung und berufliche Integration

In der Schweiz erfolgt der Einstieg ins Berufsleben meist über eine berufliche Grund­ausbildung auf Sekundarstufe II. Ein Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat jedoch Mühe, diese zu erreichen und eine Ausbildung zu beginnen oder abzuschliessen. ­Entsprechend schwierig gestaltet sich der Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Sandro Stübi, Félicia Bielser
  |  01. September 2017
  • Interinstitutionelle Zusammenarbeit

Im Namen der nationalen IIZ-Fachstelle widmet sich der vorliegende Artikel den Resultaten von fünf Studien des Bundes, die unter dem Vorsitz des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) im nationalen Steuerungsgremium der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) zwischen 2015 und 2016 entstanden sind. Die Studien widerspiegeln einen der inhaltlichen Schwerpunkte dieser zwei Jahre: Die Bildung und berufliche Eingliederung Jugendlicher und junger Erwachsener (vgl. Kasten 1). Auf dieser Grundlage werden nachfolgend die Profile von vier Zielgruppen beleuchtet, für welche die IIZ eine Verbesserung der Eingliederungschancen in den ersten Arbeitsmarkt anstrebt.

Das schweizerische Bildungssystem Im schweizerischen Bildungssystem ist die Sekundarstufe II gleichbedeutend mit dem Beginn der nachobligatorischen Ausbildung. Das System umfasst drei Hauptachsen: die berufliche Grundbildung, das Gymnasium und die Fachmittelschule. Die Leistungsstärke des Bildungssystems liegt unter anderem darin, dass die berufliche Grundbildung direkt mit dem Arbeitsmarkt verknüpft ist. Im Zentrum dieses Bildungswegs stehen der Erwerb von beruflichen Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich nachgefragt werden, sowie die guten Beschäftigungschancen, die solchermassen erlangt werden. Dank der engen Verknüpfung der Berufsbildung mit der Arbeitswelt weist die Schweiz eine der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeitsquoten in Europa auf. Rund zwei Drittel der Jugendlichen, die die obligatorische Schule abschliessen, entscheiden sich für eine berufliche Grundausbildung; das verbleibende Drittel wählt einen allgemeinbildenden Ausbildungsgang. Das schweizerische Bildungssystem bietet die Möglichkeit, auch später noch einen höheren Bildungsweg einzuschlagen und zwar unabhängig davon, welcher Bildungsweg auf Sekundarstufe II besucht wurde. So ist es möglich von der Berufsbildung an eine Hochschule zu gelangen oder durch die Anrechnung erbrachter Bildungsleistungen den Wechsel der Tätigkeit zu erleichtern.

Fünf Berichte zum Thema Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt

Stutz, Heidi et al. (2016): Bestandsaufnahme zur Bildungsbeteiligung von spät eingereisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, [Bern: SEM]: www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte > Integration > Thematische Berichte und Studien.

Baer, Niklas et al. (2015): Profile von jungen IV-Neurentenbeziehenden mit psychischen Krankheiten, [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 19/15: www.bsv.admin.ch > Publikationen & Service > Forschung und Evaluation > Forschungspublikationen.

Egger, Marcel (2015): Nationale Evaluation Case Management Berufsbildung, [Bern: SBFI]: www.sbfi.admin.ch > Bildung > Berufsbildungssteuerung und -politik > Evaluationen und Studien > Übersicht Evaluationen.

Landert, Charles; Eberli, Daniela (2015): Bestandesaufnahme der Zwischenlösungen an der Nahtstelle I, [Bern: SBFI]: www.sbfi.admin.ch > > Bildung > Berufsbildungssteuerung und -politik > Evaluationen und Studien > Übersicht Studien > Berufliche Grundbildung.

Stalder, Martin; Guntern, Rahel (2015): Angebote der Nachholbildung: Möglichkeiten und Grenzen für die Arbeitslosenversicherung, [Bern: Seco]: www.seco.admin.ch > Arbeit > Arbeitslosenversicherung > Öffentliche Arbeitsvermittlung > Arbeitsmarktliche Massnahmen.

Die Partner der Berufsbildung sind sich einig, dass ein Abschluss auf Sekundarstufe II eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und die Teilnahme am sozialen und wirtschaftlichen Leben ist. Angestrebt wird bei den Jugendlichen eine Abschlussquote auf Sekundarstufe II von 95 Prozent. Bei den in der Schweiz geborenen 25-Jährigen, die ihre gesamte Ausbildung in der Schweiz durchlaufen haben, ist dieses Ziel bereits erreicht (Wolter et al. 2014).

nachobligatorische Bildung Zwei Übergangsphasen sind für die berufliche Zukunft Jugendlicher zentral: der Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II (Übergang I) und der Übergang von der Sekundarstufe II ins Erwerbsleben (Übergang II). Die Palette an Brückenangeboten für den Übergang I ist deutlich angestiegen. Seit den 1990er-Jahren bieten die Kantone und Gemeinden Übergangslösungen an, die auf die Bedürfnisse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zugeschnitten sind. Der Bund seinerseits hat zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit das Motivationssemester (Semestre de motivation, SEMO) eingeführt. Es steht Personen offen, die über keine Anschlusslösung verfügen und ermöglicht diesen einen direkten Übertritt in eine berufliche Grundausbildung oder eine Fachmittelschule auf Sekundarstufe II. Der Bericht von Landert und Eberli (2015) enthält eine Zusammenstellung der Überganglösungen: So gibt es noch andere Angebote zur Vorbereitung auf die berufliche Grundausbildung, welche die obligatorische Schulzeit verlängern, höchstens ein Jahr dauern und es den Absolventen ermöglichen, direkt mit der beruflichen Grundausbildung zu beginnen (Art. 7 BBV)1.

Rund 20 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen besuchen vor ihrem Eintritt in die Sekundarstufe II ein Brückenangebot. Gemäss den Ergebnissen von Landert und Eberli (2015) sind die Übergangslösungen zielführend, denn sie spielen beim Eintritt in eine nachobligatorische Ausbildung eine wichtige Rolle. Schätzungsweise rund 23 000 Jugendliche und junge Erwachsene jährlich besuchen ein Brückenangebot oder SEMO. Der Bericht gibt Empfehlungen ab, wie möglichst viele 25-Jährige zu einem Abschluss auf Sekundarstufe II gelangen. Dazu zählen beispielsweise der vereinfachte Zugang zu Brückenangeboten und die Ausrichtung des Angebots auf Schülerinnen und Schüler, die die obligatorische Schule in einer Sonderschule abgeschlossen haben, oder spät zugewanderte Jugendliche und junge Erwachsene. Um die Integration der Letztgenannten zu stärken, haben Bund und Kantone u. a. die Integrationsagenda Schweiz vereinbart. Und bis Ende 2017 werden gemeinsame Ziele ausgearbeitet, um die Integrationsförderung als Prozess ab der Einreise bis zur Bildung bzw. Erwerbsarbeit zu stärken, spät zugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Zugang zu Bildungswegen zu ermöglichen und die Integrationsmassnahmen von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen zu intensivieren. Zudem sollen die hierfür benötigten finanziellen Mittel und die erwarteten Einsparungen aufgezeigt werden.

Case-Management Berufsbildung 2006 beschlossen die Partner der Berufsbildung, die Brückenangebote zu ergänzen und Jugendlichen und jungen Erwachsenen, deren Zugang zur Arbeitswelt ernsthaft gefährdet ist, strukturierte Unterstützung zur Erlangung eines Abschlusses auf Sekundarstufe II anzubieten. Dadurch entstand das Case-Management Berufsbildung (CM BB). Zwischen 2008 und 2015 hat der Bund die Einführung des CM BB in den Kantonen gefördert und dieses 2016 an die Kantone delegiert. Die abschliessende Evaluation im Auftrag des Bundes zeigt, dass die Kantone verschiedene Modelle des CM BB implementiert haben, die das Erlangen eines Abschlusses auf Sekundarstufe II erfolgreich fördern (Egger et al. 2015). In den meisten Kantonen findet eine systematische Identifizierung von Jugend­lichen statt, die am Übergang I zu scheitern drohen. Ihnen wird nahegelegt, sich beim CM BB für eine Begleitung anzumelden.

Spät eingereiste ohne nachobligatorische Aus­bildung Für spät eingewanderte Personen zwischen 16 und 25 Jahren ist es schwieriger, auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Ihr Risiko, arbeitslos oder sozialhilfeabhängig zu werden, ist erhöht. Sie bilden keine heterogene Gruppe und sind über die Ausbildungsangebote teilweise nur schlecht zu erreichen. Das zeigt eine Analyse, die bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt wurde, die zwischen 2008 und 2013 in die Schweiz eingereist waren (Stutz et al. 2016). Die Studie bietet eine detaillierte Sicht auf die Instrumente und Massnahmen, die die Zielgruppe an den Arbeitsmarkt heranführen, und nennt Beispiele: «In Luzern und der Waadt sind die Berufsberatungen zentrale Akteure und treibende Kräfte bei der Bildungsintegration von Späteingereisten. In beiden Fällen sind Abklärungs- und Triagestellen sowie das Case-Management Berufsbildung dort angehängt, sie sind innovativ und mit den übrigen involvierten Stellen gut vernetzt. […] Wo einheitliche Abklärungs- und Triagestellen bestehen, lässt sich eine Tendenz beobachten, Junge des Asylbereichs aus den Speziallösungen herauszunehmen und in die allgemeinen Strukturen zu integrieren» (Stutz et al. 2016, S. 11). Ausserdem illustriert die Studie, welche Stellen bei den einzelnen Integrationsschritten die Hauptverantwortung tragen. Zudem zeigt sie, dass einige Personen schwieriger zu erreichen sind, beispielsweise die 22- bis 25-Jährigen, welche die Altersgrenze einiger Ausbildungsangebote für spät Eingereiste bereits überschritten haben.

Der Bericht empfiehlt die Umsetzung guter «Kooperationsstrukturen unter den involvierten Akteuren, um eine flexible und bedarfsgerechte Steuerung der Bildungsintegrationsangebote zu ermöglichen» (Stutz et al. 2016). In diesem Sinne fördern sie die Stärkung der Koordination und der IIZ.

Junge IV-Bezügerinnen und -Bezüger mit ­psychischen Problemen In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl an Neurenten der Invalidenversicherung (IV), die an psychisch beeinträchtigte Jugendliche zwischen 18 und 19 Jahren ausgerichtet wurden, um sechs Prozent gestiegen, während bei den IV-Neurenten für Personen mit psychischen Problemen allgemein ein Rückgang verzeichnet wurde (Baer et al. 2015). Dieses Phänomen ist nicht nur in der Schweiz, sondern auch in zahlreichen anderen Industrieländern zu beobachten (Prins 2017). Die integrationsorientierte Begleitung psychisch beeinträchtigter Personen im erwerbsfähigen Alter ist eine Herausforderung: Eine Invalidisierung im frühen Erwachsenenalter kann für die Personen – ebenso wie ihre Familie und die Gesellschaft – langfristige Konsequenzen haben. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) liess diese Pro­blematik näher untersuchen.

Die Ergebnisse der Studie von Baer zeigen, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die eine IV-Rente beziehen, oftmals bereits während der Schulzeit Probleme hatten, Sonderschulen besuchten, die Ausbildung unter- oder abbrachen und aus schwierigen familiären Verhältnissen stammen (Baer et al. 2015). Jung zu sein und gleichzeitig psychische Probleme zu haben, schmälert somit die Chancen, eine nachobligatorische Ausbildung zu absolvieren oder zu beenden und erhöht das Risiko, von Sozialleistungen abhängig zu werden. Damit die jungen Menschen in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können, rät die Studie, die Früherkennung zu fördern und den Einsatz beruflicher Massnahmen zu verstärken – eine Empfehlung, der der Bundesrat im Rahmen der Weiterentwicklung der IV folgt (Botschaft vom 15. Februar 2017; Lüthi 2017).

Erwachsene mit geringer Qualifikation oder ohne berufliche Grundausbildung Der Bundesrat hat Massnahmen beim Übergang I zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ergriffen. Allerdings besteht bei allen Personen ohne nachobligatorische Ausbildung ein deutlich höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Um die Möglichkeiten und Grenzen der Massnahmen zu klären, mit denen die Arbeitslosenversicherung (ALV) die berufliche Qualifikation wenig qualifizierter Arbeitssuchender fördern kann, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Bestandsaufnahme zur Nachholbildung im Rahmen der ALV in Auftrag gegeben. Stalder und Gunten (2015) zufolge ist die ALV erste Anlaufstelle, wenn es um die Nachholbildung geht. Da rund ein Drittel der gemeldeten Stellensuchenden über keinen Berufsabschluss verfügt, erreicht die ALV einen beträchtlichen Teil des Zielpublikums direkt. Das Seco hat untersucht, wie sich dieses Potenzial nutzen lässt und die ALV die berufliche Qualifikation dieser Stellensuchenden durch arbeitsmarktliche Massnahmen unterstützen kann.

In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die berufliche Grundausbildung in der Schweiz auch Erwachsenen offensteht. Im Rahmen des Projekts «Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene» will das SBFI die Abschlussquote bei der beruflichen Grundausbildung (eidg. Berufsattest EBA und eidg. Fähigkeitszeugnis EFZ) Erwachsener, die über keine berufliche Qualifikation verfügen, erhöhen und ihnen damit den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Schlussfolgerung Im Bemühen, die berufliche Eingliederung effizient und nachhaltig zu gestalten, zeigen die verschiedenen Akteure und Einrichtungen eine Tendenz zur vermehrten Koordination ihrer Massnahmen. So tragen die Bildungseinrichtungen zusammen mit den Akteuren der sozialen Sicherheit und Integration dazu bei, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen grossmehrheitlich einen Abschluss auf Sekundarstufe II erlangen und auf eine nachhaltige berufliche Eingliederung zusteuern.

Koordiniertes Handeln der beteiligten Akteure schafft die besten Integrationsvoraussetzungen. Deshalb unterstützen die Einrichtungen der IIZ die Partner und ermutigen sie dazu, die Angebote koordiniert, effizient und zielpersonenorientiert einzusetzen. In enger Zusammenarbeit mit den kantonalen Einrichtungen für soziale Sicherheit, Bildung und Integration und dank der Optimierung und Vereinfachung der Schnittstellen zwischen ihren Institutionen trägt die nationale IIZ wesentlich dazu bei, die Eingliederungschancen der unterstützten Personen in den Arbeitsmarkt zu verbessern.

  • 1. SR 412.101: www.admin.ch > Bundesrecht > Systematische Rechts­sammlung > Landesrecht > 4 Schule – Wissenschaft – Kultur > 41 Schule.
MA Soziologie, Projektverantwortlicher und Leiter der nationalen IIZ-Fachstelle im Jahr 2016, SBFI.
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MSc in Erziehungswissenschaften, Hochschul­praktikantin der ­nationalen IIZ-Fachstelle, SBFI.
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