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Berufliche Eingliederung und Sozialpartnerschaft – sechs Länder im Vergleich

Wie funktionieren verschiedene Systeme der beruflichen Eingliederung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen? Eine Studie hat die Ausgestaltung und Wirkungsweise von Quotenmodellen und freiwilligen Modellen in sechs europäischen Ländern analysiert.
Thomas Geisen, Lea Widmer, Michèle Fehlmann, Edgar Baumgartner
  |  02. September 2025
    Forschung und Statistik
  • Berufliche Vorsorge
  • Eingliederung
  • Invalidenversicherung
  • Unfallversicherung
In Frankreich besteht für grössere Firmen eine Beschäftigungspflicht von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Büroviertel La Défense in Paris. (Alamy)

Auf einen Blick

  • Eine vom Bundesamt für Sozialversicherungen in Auftrag gegebene Studie hat die Systeme der beruflichen Eingliederung mit und ohne gesetzliche Beschäftigungspflicht von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Schweiz, Schweden, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und in den Niederlanden untersucht.
  • Besonders im Fokus stand die Bedeutung der Sozialpartner bei der beruflichen Eingliederung.
  • Für den Erfolg der beruflichen Eingliederung ist nicht entscheidend, ob eine gesetzliche Beschäftigungspflicht existiert; vielmehr sind die Kooperation zwischen den Akteuren sowie die Bereitstellung und der Einsatz von Eingliederungsmassnahmen und -Instrumenten im Prozess zentral.

Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) hat eine Studie verschiedene Modelle und Mechanismen der beruflichen Eingliederung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen untersucht (Geisen et al. 2025). Kern der Studie war ein Vergleich von sechs europäischen Ländern. Dabei wurden sowohl Quotenregelungen als auch auf Freiwilligkeit beruhende Modelle betrachtet und die Rolle der Sozialpartner (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) in den Fokus gerückt.

Zu den verglichenen Ländern mit gesetzlich verpflichtender Quotenregelung für die Eingliederung von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gehören Frankreich, Deutschland und die Niederlande. Länder in der Untersuchung, die auf Freiwilligkeit der Arbeitgeber setzen, sind die Schweiz, Grossbritannien und Schweden.

Schweiz: Grundsatz der Freiwilligkeit

Das System der beruflichen Eingliederung in der Schweiz beruht im Grundsatz auf Freiwilligkeit, und es gibt keine Beschäftigungspflicht von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Arbeitgebenden. Freiwillige Quotenregelungen existieren bei einzelnen Arbeitgebern, beispielsweise in der Bundesverwaltung. Beim schweizerischen System der beruflichen Eingliederung handelt es sich um ein dezentrales, netzwerkorientiertes System, das von verschiedenen Akteuren getragen wird, wobei die Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Arbeitgebenden im Zentrum stehen.

Für die berufliche Eingliederung sind die Sozialversicherungen, insbesondere die Invalidenversicherung (IV) und die Unfallversicherung, sowie die privaten Taggeldversicherungen und die berufliche Vorsorge massgeblich. Hingegen sind die Sozialpartner im fallbezogenen Vollzug der beruflichen Eingliederung von eher geringer Bedeutung. Allerdings sind sie entscheidende Akteure bei der Festlegung und Mitgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die berufliche Eingliederung und bei der Ausgestaltung von Gesamtarbeitsverträgen.

Schweden: Sozialversicherungsanstalt zentral

Auch Schweden kennt keine Beschäftigungspflicht von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, obwohl die Einführung einer solchen bereits lange diskutiert wird. Das skandinavische Land verfügt über ein zentral organisiertes, strukturorientiertes System der beruflichen Eingliederung, an dem wenige Akteure beteiligt sind. Zur Förderung der Beschäftigung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden umfassende Lohnersatzleistungen für Arbeitgebende und unterstützte Beschäftigung bereitgestellt. Darüber hinaus sind Arbeitgebende in Schweden gesetzlich dazu verpflichtet, Beschäftigten Massnahmen und Aktivitäten zur Gesundheitsprävention und zur beruflichen Eingliederung anzubieten.

Seit 1992 werden die Arbeitgebenden bei der beruflichen Eingliederung von der Schwedischen Sozialversicherungsanstalt (SIA) unterstützt, die für die Koordination des Eingliederungsprozesses zuständig ist. Sozialpolitische Akteure kritisieren, dass der Krankenversicherung eine Kultur der beruflichen Eingliederung fehlt. Dies führe dazu, dass der Versicherungsfall im Vordergrund steht und die berufliche Eingliederung als Randthema behandelt wird. Darauf werden zum Teil auch die fehlenden Aktivitäten von Sozialpartnern zurückgeführt.

Grossbritannien: Diskriminierungsverbot

Bis 1995 hatte Grossbritannien eine gesetzliche Beschäftigungspflicht von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die dann zugunsten einer allgemeinen gesetzlichen Regelung zum Verbot der Diskriminierung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Rekrutierungsprozess und in den anderen Bereichen von Beschäftigung abgeschafft wurde. Kritisiert wird, dass neue Belastungen für die Betroffenen auftreten, wenn nur auf die Rechte von Personen gegen Diskriminierung abgestellt wird. Denn so müssen sich diese nunmehr individuell gegen Diskriminierung zur Wehr setzen – im Betrieb und auch juristisch.

In einem solchen auf Selbstorganisation beruhenden System gibt es weder für Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch für Arbeitgebende verlässliche und prozessorientierte Unterstützungshilfen für den Arbeitsplatzerhalt oder die berufliche Eingliederung. Diese Lücke wird derzeit teilweise durch Wohltätigkeitsorganisationen gefüllt, die sich für die Belange von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen engagieren. Die Sozialpartner wirken auf politischer Ebene, forschen zu für Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen relevanten Themen oder geben diese Forschung in Auftrag, und sind punktuell in Betrieben mit Fragen des Arbeitsplatzerhalts und der Eingliederung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen befasst.

Frankreich: Zentrale Steuerung

In Frankreich kann das System der beruflichen Eingliederung als strukturorientiert charakterisiert werden, mit einer zentral ausgerichteten Steuerung und einer hohen Systemkomplexität. Die berufliche Eingliederung wird von spezialisierten Organisationen umgesetzt, die Steuerung erfolgt zentral, das heisst nationale Organisationen tragen die Gesamtverantwortung, regionale Organisationen sind für die konkrete Umsetzung und die Zusammenarbeit mit Arbeitgebenden und Organisationen der beruflichen Eingliederung verantwortlich.

Seit 1924 besteht in Frankreich eine betriebsbezogene Beschäftigungspflicht ab 20 Beschäftigten, die heute bei einer Beschäftigungsquote von sechs Prozent liegt. Wird diese nicht erreicht, müssen Arbeitgebende eine Gebühr zahlen, die für die Verbesserung der Integration von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingesetzt wird. Den Sozialpartnern kommt in diesem System eine aktive Rolle zu. Sie sind in den relevanten Organisationen der beruflichen Eingliederung vertreten und nehmen aktiv Einfluss auf die Ausgestaltung der Unterstützungsangebote für die Beschäftigten. Darüber hinaus können Gewerkschaften sich auch in den Betrieben unmittelbar für Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einsetzen.

Deutschland: Hohe Komplexität

Die berufliche Eingliederung in Deutschland unterliegt ebenfalls einer zentralen Steuerung. Sie ist strukturorientiert und besitzt eine grosse Anzahl an Unterstützungsinstrumenten, die zur hohen Komplexität und Unübersichtlichkeit des Systems beitragen. Es gilt eine gesetzliche Beschäftigungsquote, die Arbeitgebende ab 20 Beschäftigten dazu verpflichtet, einen Anteil von fünf Prozent an Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu beschäftigen. Wird diese nicht erreicht, haben Arbeitgebende eine Ausgleichsabgabe zu entrichten, die zur Förderung der Beschäftigung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingesetzt wird. Die Sozialpartner setzen sich politisch für die Belange von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und von Arbeitgebenden ein.

Trotz gesetzlicher Verpflichtung ist die Integration von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt insgesamt nur marginal und die Beschäftigung von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Sondersystemen (Werkstätten) hat in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Diskutiert wird vor diesem Hintergrund eine Anhebung der Ausgleichsabgabe, was insbesondere auch die Gewerkschaften fordern.

Niederlande: Netzwerkorientiert

Die Niederlande weisen eine netzwerkorientierte Systemstruktur auf, mit einer überschaubaren Anzahl an Akteuren, die am System der beruflichen Eingliederung beteiligt sind. Bereits 1947 wurde eine gesetzliche betriebsbezogene Beschäftigungspflicht für Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von zwei Prozent eingeführt, die zwischen 1987 und 1998 auf 7 Prozent erhöht wurde. Aufgrund ihrer Komplexität und geringen Wirksamkeit wurde diese Form der Beschäftigungspflicht stark kritisiert.

Im Jahr 2015 wurde schliesslich die betriebsbezogene durch eine arbeitsmarktbezogene Beschäftigungsquote ersetzt. Das bedeutet, dass bis 2026 insgesamt 125 000 Stellen neu für gesundheitlich beeinträchtigte Personen mit Sozialhilfebezug geschaffen werden sollen. Arbeitgebende und Arbeitnehmende werden darüber hinaus gesetzlich dazu verpflichtet, den beruflichen Eingliederungsprozess aktiv zu gestalten. Sollte diese Beschäftigungspflicht bis 2026 nicht erfüllt werden, sollen die Arbeitgebenden mit Sanktionen belegt werden, unter anderem könnte es dann zur Wiedereinführung einer betriebsbezogenen Beschäftigungspflicht kommen. Die Sozialpartner agieren in diesem System vorwiegend auf politischer Ebene. In die konkrete Umsetzung der beruflichen Eingliederung sind sie nicht involviert.

Rollen der Sozialpartner

Sozialpartner können – je nach Länderkontext – in der beruflichen Eingliederung verschiedene Funktionen ausüben. Sie setzen sich beispielsweise dafür ein, dass die vorhandenen Ressourcen in der beruflichen Eingliederung bereitgestellt werden (Allokationsfunktion). Weiter können sie sich für soziale Innovationen, wie Modellprojekte, in der beruflichen Eingliederung starkmachen (Impulsfunktion).

Darüber hinaus sensibilisieren die Sozialpartner für die Belange von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, indem sie auf «good practice» Beispiele und auf erfolgreiche Strategien der beruflichen Eingliederung verweisen (Multiplikatorfunktion). Schliesslich können sie auf gute sozialrechtliche Rahmenbedingungen in der beruflichen Eingliederung hinwirken (Politikfunktion) sowie mitverantwortlich die Prozesse der beruflichen Eingliederung organisieren und kontrollieren (Prozessfunktion).

In allen Ländern, mit Ausnahme von Schweden, nehmen die Sozialpartner eine Politikfunktion ein, beteiligen sich also an der Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Mit Ausnahme der Niederlande sind sie auch überall daran beteiligt, Innovationen voranzutreiben und Modellprojekte zu entwickeln. Allerdings sind nur die Sozialpartner in Frankreich direkt in den Eingliederungsprozess involviert und an der Vergabe von Ressourcen beteiligt. Eine sensibilisierende Rolle als Multiplikatoren kommt ihnen in Deutschland und Frankreich sowie in der Schweiz und Grossbritannien zu.

Keine isolierte Betrachtung

In Bezug auf die Bedeutung der verpflichtenden Beschäftigungsquote verdeutlicht der Systemvergleich, dass diese lediglich einen möglichen Faktor in komplexen Systemen der beruflichen Eingliederung darstellt. Dies gilt auch für die gesetzlich verpflichtende, arbeitsmarktbezogene Beschäftigungsquote in den Niederlanden. Entsprechend kann die Wirkung von Quoten- oder freiwilligen Modellen auch nicht isoliert beurteilt werden. So zeigt sich beispielsweise mit Blick auf die Beschäftigungslücke – also die Differenz zwischen der Erwerbsquote aller Erwerbspersonen und der Erwerbsquote von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen –, dass diese in der Schweiz (ohne Quote) bei 16 Prozent und in Frankreich (mit Quote) bei 19 Prozent liegt. Am oberen Ende der Skala finden sich Deutschland (mit Quote) und Grossbritannien (ohne Quote) mit Beschäftigungslücken von 30 Prozent beziehungsweise 28 Prozent (OECD 2022).

Entscheidend für die berufliche Eingliederung sind Kontextfaktoren (vgl. Pawson und Tilley 1997) – wie die Wirtschaftslage, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik –, aber auch die Bedeutung, die der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Gesellschaft grundsätzlich beigemessen wird, hat einen Einfluss auf deren Erwerbsbeteiligung.

Darüber hinaus wirken innerhalb der länderspezifischen Kontexte verschiedene Mechanismen auf den Prozess der beruflichen Eingliederung. Dazu gehören die professionellen Fähigkeiten und Kompetenzen von Eingliederungsfachpersonen sowie die Zusammenarbeit mit Arbeitgebenden und weiteren wichtigen Akteuren. Zudem haben die bereitgestellten Massnahmen und Instrumente sowie deren adäquater Einsatz einen Einfluss auf den beruflichen Eingliederungsprozess, beispielsweise die Möglichkeit zu rechtlichen Sanktionen bei Nichteinhaltung einer bestehenden betrieblichen Beschäftigungsverpflichtung oder eines Diskriminierungsverbotes.

Für die Weiterentwicklung der bestehenden Systeme kann zum einen an die in den jeweiligen Ländern bereits etablierten Funktionen der Sozialpartner angeknüpft werden. Zum anderen kann mit der Einführung neuer, bislang nicht genutzter Funktionen der Beitrag der Sozialpartner zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen weiter gestärkt werden.

Literaturverzeichnis

Esping-Andersen, Gøsta (1990). The three worlds of welfare capitalism. Cambridge: Polity Press.

Geisen, Thomas et al. (2025). Rolle der Sozialpartner bei der beruflichen Eingliederung von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen: Quotenmodelle und freiwillige Modelle. Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 06/25.

OECD (2022). Disability, Work and Inclusion: Mainstreaming in All Policies and Practices.

Pawson, Ray; Tilley, Nick (1997). Realistic Evaluation. London: SAGE.

Professor für Arbeitsintegration und Eingliederungsmanagement, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz
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Collaboratrice scientifique, Haute école de travail social, Haute école spécialisée de la Suisse du Nord-Ouest
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Assistante scientifique, Haute école de travail social, Haute école spécialisée de la Suisse du Nord-Ouest
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Prof. Dr., Leiter Institut Professionsforschung und -entwicklung, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz
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