Das Dreisäulenkonzept ist das Markenzeichen der schweizerischen Altersvorsorge. Doch die Metapher ist nicht wertfrei: Das Konzept hat sich über die Landesgrenzen hinaus als Symbol für Gruppierungen und Lobbys etabliert, die eine Ausweitung von Pensionsfonds und Rentensparplänen befürworten.
Auf einen Blick
- Verschiedene Länder verwenden Bilder wie Hocker, Leitern, Säulen oder Tempel, um ihr Altersvorsorge-System zu beschreiben.
- Die Drei-Säulen-Metapher setzte sich in der Schweiz während der Volksabstimmung 1972 um die Altersvorsorge durch. Inszeniert wird eine symbolische Gleichheit zwischen den drei Pfeilern.
- In der Folge wurden die Metapher verwendet, um Massnahmen einzuleiten, die auf ein System mit Kapitaldeckungsverfahren abzielen.
- Das Dreisäulenmodell wird international zu einer «generischen» Marke.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die Dreisäulendoktrin der Altersvorsorge die schweizerische Antwort auf die international geführte Diskussion zur Entwicklung der Renten dar (vgl. Das Drei-Säulen-System der Schweiz im internationalen Vergleich). Die Schweizer Variante zeichnete sich etwa durch die Ausweitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge aus. Dies ermöglichte es den Pensionskassen, sich in einem Schlüsselbereich der sozialen Sicherheit zu etablieren. Im Folgenden wird die internationale Verbreitung der Dreisäulendoktrin thematisiert und aufgezeigt, wie diese in den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelte Schweizer «Marke» gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu einem international weit verbreiteten Symbol wurde (Leimgruber 2012).
Von der Trittleiter zu den Säulen
Nicht nur die Schweiz setzt beim Altersvorsorgesystem mit den Säulen auf eine Metapher. Bereits in den 1950er-Jahren verwendeten US-amerikanische Lebensversicherer das Bild eines dreibeinigen Hockers («three-legged stool»), um das Zusammenspiel von Grundversicherung (Social Security), betrieblichen Pensionskassen und individuellem Alterssparen zu illustrieren.
In der Schweiz symbolisierte im Jahr 1965 eine Trittleiter (Abb. 1) erstmals die sogenannte Schweizer Lösung. Wie seine US-amerikanischen Kollegen wollte der Waadtländer Versicherungsmathematiker Marc Haldy mit diesem Bild darauf hinweisen, dass die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) sowie allfällige zusätzliche Leistungen einzig Trittstufen für die von Arbeitgebern, Lebensversicherern und anderen Finanzinstituten entwickelten Zusatzrenten darstellen. Das Leiterbild dient also nicht nur zur Illustration, es greift auch die von den Befürwortern der Dreisäulendoktrin angestrebte normative Ausrichtung auf. Es geht also darum, die politische Botschaft zu vermitteln, dass ein Vorsorgemarkt aufgebaut werden müsse, um eine zu starke Expansion der AHV zu vermeiden.
Die Drei-Säulen-Metapher, die sich in der Volksabstimmung von 1972 gegen den linken Alternativentwurf für eine «Volkspension» durchsetzte, verstärkte diese Doktrin, indem sie eine symbolische Gleichheit zwischen den drei Altersvorsorgekomponenten inszenierte (Abb. 2). Nachdem die Metapher zum politischen Erfolg gegen die Ausweitung der umlagefinanzierten Altersvorsorge beigetragen hatte, setzten Lebensversicherer und Banken die Drei-Säulen-Metapher ab 1980 standardmässig für Werbezwecke ein, um ihre Produkte zu verkaufen (Abb. 3 und 4). Damit bereiteten sie die Arbeitgeber in der Schweiz sukzessive auf die obligatorische Einführung der zweiten Säule im Jahr 1985 vor (Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge, BVG) vor.
Noch einen Schritt weiter in der Symbolik ging die Grossbank Credit Suisse nach der Jahrtausendwende, indem sie das Vorsorgesystem als dreisäuligen «Vorsorgetempel» präsentierte (Abb. 5). Durch die von privaten Interessen gesteuerte und zu didaktischen, politischen und Werbezwecken eingesetzte Metapher wurde das Dreisäulenmodell so zu einem beinahe heiligen Symbol der Altersvorsorge.
Abb. 3 und 4: La Sécurité sociale en question: retour aux sources – la solidarité helvétique – entre le bien et le mieux: des idées réalistes – nouvelle croissance des comportements sociaux (XXIe Assemblée générale de l’AISS; Genève, 3 – 13 octobre). Genf: International Social Security Association (ISSA) 1983.
Die normative Dimension dieses Vorsorgetempels zeigt sich dabei meist nicht auf den ersten Blick. Deutlicher wird eine Illustration eines Beitrags des «Economist», der sich 2003 mit dem Zerfall der Altersvorsorge befasste (Abb. 6): Die liberale Londoner Wochenzeitschrift begrüsste damals die Veröffentlichung einer Richtlinie der Europäischen Kommission, die die Säulensymbolik in die Regulierung von Pensionskassen integrierte. Gleichzeitig forderte der Artikel die Regierungen auf, staatliche Rentenversprechen zu dämpfen – da die Systeme angeblich kurz vor dem Kollaps standen. Stattdessen sollten die Regierungen, wenn nötig, die individuelle Vorsorge durch verpflichtende Massnahmen fördern. Ansatz und Ausrichtung von Reformen sind dabei unverkennbar: Retter in der Not ist das Kapitaldeckungsprinzip, das von privaten Akteuren sichergestellt wird.
Woher kommt diese reformistische Doktrin, die nicht nur in Medien und Politik, sondern auch auf Ebene der vergleichenden Sozialpolitikforschung zu finden ist?
Schweizer Lösung setzt sich langsam durch
Massgeblich zur internationalen Verbreitung der Dreisäulendoktrin trugen Versicherungsmathematiker und Lebensversicherer bei. Während die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) zur Beschreibung von Rentensystemen noch in den 1970er-Jahren eine Vielzahl von Begriffen wie «Stufen», «Sektoren» oder auch «Ebenen einer Pyramide» verwendete, nutzten europäische Versicherer die Säulen-Metapher, um Massnahmen zu propagieren, die auf den Aufbau des Kapitaldeckungsverfahrens abzielten. Zunächst verbreitete sich das Dreisäulenkonzept über Fachpublikationen, über direkte Kontakte zwischen Schweizer und europäischen Versicherungsexperten sowie via internationale Arbeitgeberverbände im Versicherungssektor. In diesem relativ kleinen Expertenkreis war die normative Dimension der Doktrin, die sich insbesondere gegen eine Umverteilung und für eine Kapitaldeckung richtete, jedoch noch kein kontroverses Thema.
Erst in den 1980er- bis 1990er-Jahren, als die liberale und konservative Kritik zur «Krise des Sozialstaats» an Kraft gewann, wandelte sich die Säulen-Metapher zu einer internationalen Doktrin – und wurde so zu einer allgemeinen, vom schweizerischen Kontext losgelösten Bezeichnung: Obwohl die Vorsorgeakteure – auch in der Schweiz – dieses Vorsorgesystem vielfach als «Modell» bezeichnen, steht meist weniger der Inhalt der Reformen (obligatorische zweite Säule und Förderung des individuellen Alterssparens), sondern vielmehr der Grundgedanke dieser Reformen (d. h. die Förderung der Kapitaldeckung in all ihren Formen) im Mittelpunkt.
Die drei Säulen der Weisheit?
Die Verbreitung und die Verankerung der Dreisäulendoktrin gehen stark auf die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurück. Seit den 1980er-Jahren richtete sich die Kritik dieser internationalen Organisationen nämlich frontal gegen diese «Last» der Sozialausgaben in öffentlichen Haushalten und die hohen Lohnbeiträge. Mit dem Ziel, die Kosten der sozialen Sicherheit zu bremsen oder sogar zu senken, ist diese «ökonomistische» Kritik Teil einer breiteren Bewegung, die die Rolle des Staates über Sparmassnahmen, Privatisierung und Deregulierung in Frage stellt. Im Bereich der Altersvorsorge wurde so ein Kontrast zwischen Umlagefinanzierung und systematischer Fokussierung auf Kapitaldeckungslösungen geschaffen, wobei das Kapitaldeckungsprinzip als effizienter (da der Marktlogik unterworfen), investitionsförderlicher (Pensionsfonds investieren an Finanzmärkten) und weniger demografieanfällig (Bevölkerungsalterung) angesehen wird.
In dieser länderübergreifenden Kampagne für die Privatisierung und Kommerzialisierung der Altersvorsorge wird das Schweizer Dreisäulenmodell regelmässig als Vorbild genannt. So unterstrich die OECD bereits 1988, dass die in der Schweiz beschlossene «bewusste» Reform, das heisst das Obligatorium der zweiten Säule, ein starkes Signal für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge darstelle. Und eine Studie der Weltbank mit dem Titel «Swiss Chilanpore» (1993) – einem Wortspiel aus Schweiz, Chile und Singapur – lobte das Schweizer System ausdrücklich: Die Ökonomen der Weltbank waren voller Ankerkennung für das schweizerische Kapitaldeckungsverfahren und insbesondere für dessen demokratisch legitimierte Einführung. Demgegenüber bezeichneten sie das chilenische Modell der sozialen Sicherheit, das auf private Akteure setzt, zwar als «ideal». Die Tatsache, dass es von einem Militärregime durchgesetzt wurde, mache es international jedoch kaum salonfähig. Auch die von der Regierung Singapur für obligatorisch erklärte Altersvorsorge wird grundsätzlich begrüsst, das Modell lasse jedoch wenig Raum für private Akteure.
Die Drei-Säulen-Metapher nimmt in der Folge einen zentralen Platz in den Empfehlungen des 1994 von der Weltbank veröffentlichten Berichts «Averting the old age crisis» (Die Krise der Alterung abwenden) ein. In diesem einflussreichen Bericht, der in vielen Studien als Meilenstein in der Kampagne zur Förderung «finanzialisierter» (im Gegensatz zu versicherungsbasierten) Altersvorsorgeprodukte gilt, wird das Schweizer Modell zwar nicht explizit genannt, aber die Dreisäulendoktrin wird zweifelsfrei als erstrebenswertes Reformziel angesehen. Ab diesem Zeitpunkt sind die drei Vorsorgesäulen international definitiv etabliert und die damit einhergehende Metapher mit starker normativer Komponente ist nunmehr in breiteren Kreisen angekommen – insbesondere in den Medien und in wissenschaftlichen Studien. Ironischerweise schreiben viele die Urheberschaft dieses Reformansinnens der Weltbank zu, obwohl die internationale Organisation lediglich eine Doktrin zusammenfasst und aufbereitet, deren Ursprung klar in der Schweiz liegt.
Vor diesem Hintergrund ist die erwähnte Metapher des «Vorsorgetempels» (Abb. 5) als Quintessenz der in diesem Beitrag analysierten Dynamiken zu verstehen. Die Sprache der Säulen dient dazu, die Altersvorsorge in ihren einzelnen Komponenten zu illustrieren, aber auch, um die Richtung vorzugeben, nämlich die Individualisierung und Kapitalisierung von Altersguthaben. Diese Metapher greift die normative Komponente der Drei-Säulen-Metapher auf und stellt sie gleichzeitig als eine natürliche, gewissermassen unausweichliche Entwicklung dar. Das in den 1960er-Jahren aus intensiven Debatten zur Zukunft der Altersvorsorge hervorgegangene «Markenzeichen» der Schweizer Lösung dient auch ein halbes Jahrhundert später auf internationaler Ebene durchaus noch als allgemeingültiges Symbol und «Generikum».
Literaturverzeichnis
Leimgruber, Matthieu (2012). The historical roots of a diffusion process: The three- pillar doctrine and European pension debates (1972–1994), Global Social Policy, 12/1, pp. 24-44.