Haftpflicht: Verjährungsabkommen schafft Klarheit

Im Regresswesen sind Verjährungen zentral. Weil die entsprechende Rechtsgrundlage unklar ist, haben sich 40 Sozial- und Privatversicherer auf eine verbindliche Interpretation geeinigt.
Peter Beck
  |  23. Februar 2023
    Recht und Politik
  • Invalidenversicherung
  • Unfallversicherung
Wer haftet? Ein Motorradunfall kann zu einer jahrelangen Rechtsstreitigkeit führen, währenddessen Forderungen zu verjähren drohen. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Haftpflichtversicherungen und regressierende Sozialversicherungen haben 2022 ein neues Verjährungsabkommen abgeschlossen – Hintergrund ist die Revision des obligationenrechtlichen Verjährungsrechts von 2020.
  • Das Abkommen schafft einfache und objektive Anknüpfungspunkte für Beginn und Dauer der Verjährungsfristen.
  • Eine zehnjährige Verjährungsfrist vereinfacht die Regresserledigung.

Seit rund 20 Jahren bildet das BSV zusammen mit der Suva und dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV) eine Arbeitsgruppe, die rechtliche und praktische Probleme des Koordinations- und Regressrechts bespricht und – wenn möglich und ange­bracht – einem kundenfreundlichen und effizienten Lösungsvorschlag zuführt.

In der Arbeitsgruppe prallen unterschiedliche Interessen aufeinander: Auf der einen Seite wollen die Suva und das BSV den rechtlichen Boden dafür be­stellen, dass sie die in Haftpflichtfällen von den Sozialversicherungen bezahlten Leistungen möglichst vollständig im Re­gress gegen die Haftpflichtversicherungen einkassieren können. Auf der anderen Seite hat der SVV, der die Haftpflichtversicherer vertritt, ein legi­times Interesse daran, möglichst viele rechtliche Gründe dagegen einzuwenden.

In der Vergangenheit hat die Arbeitsgruppe unterschiedliche Rechtsmeinungen geklärt und Lösungsvorschläge zuhanden der Schadenleiterkommission (SLK) des SVV, in der die grösseren Haftpflichtversicherungen vertreten sind, verfasst. Wenn die SLK den Vorschlägen zustimmt, werden diese an alle Haftpflichtversicherun­gen und an die beteiligten Sozialversicherungen kommuniziert.

Die Vereinbarungen sind für die Suva, das BSV und die SVV-Mitglieder verbindlich. Doch auch die übrigen Privat- und Sozialversicherer halten sich daran. Denn sie vereinfachen allgemein die haftpflichtrechtliche Erledigung von Personenschäden und Regressfällen. Damit fördern sie letztlich die Prozessökonomie, was Artikel 13 der Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) grundsätzlich erlaubt.

Die jüngste Vereinbarung stammt aus dem Jahr 2022, welche Klarstellungen zum obligationenrechtli­chen Verjährungsrecht enthält. Das neue Verjährungsabkommen ersetzt das Verjährungsabkommen von 2020 sowie alle altrechtlichen Verjährungsabkommen.

Tücken der Verjährungsfristen

Das Verjährungsabkommen ist als Reaktion auf die Anfang 2020 in Kraft getretene Revision des obligationenrechtli­chen Verjährungsrechts zu verstehen. Mit der Revision sind die unterschiedlichen, hauptsächlich in der Spezi­algesetzgebung vorzufindenden Fristen im ausservertraglichen Haftpflichtrecht weitgehend vereinheitlicht und verlängert worden. Zudem weist das Vertrags­recht neu – wie das ausservertragliche Haftpflichtrecht – eine sogenannt relative Verjährungsfrist auf.

Das Verjährungsrecht spielt insbesondere für die Regresserledigung eine wichtige Rolle. Denn mit dem Eintritt einer Verjährung kann eine Forderung nicht mehr gegen den Willen des Schuldners durchgesetzt werden. Es bedarf dabei einer ausdrücklichen Einrede des Schuldners, damit die Forderung entkräftet und im Falle eines Zivilprozesses nicht von den Gerichten zugesprochen wird. 

Für die Regressbearbei­tung ist in erster Linie folgende Bestimmung des Haftpflichtrechts des Obligationenrechts (OR) massgebend:

«Bei Tötung eines Men­schen oder bei Körperverletzung verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung mit Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an welchem der Geschädigte Kennt­nis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit Ablauf von zwanzig Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhal­ten erfolgte oder aufhörte» (Art. 60 Abs. 1bis OR).»

Mit anderen Worten: Bei der Durchsetzung der Regressforderung gegenüber einer Haftpflicht­versicherung gilt es zwei gesetzliche Fristen zu wahren. Die erste ist die dreijährige «relative» Frist, die ab Kenntnis des Schadens (respektive der Regressforderung) und der Person des Ersatzpflichtigen läuft. Die zweite ist die 20-jährige «ab­solute» Frist, die ab Schadenereignis läuft. Wird eine dieser Fristen nicht gewahrt (respektive nicht unter­brochen), ist die Regressforderung verjährt.

Unklare Begrifflichkeiten

In der Regresspraxis ist meist die kürzere, relative Frist bedeutsam. Allerdings wird bei der relativen Frist aus den Begriffen «Kenntnis von Schaden» und «Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen», nicht klar, wann die Frist zu laufen beginnt. Dies ist unbefriedigend, denn der Fristbeginn gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen unter den Parteien, die bis­weilen gar vor den Zivilgerichten landen.

Um solche Auseinandersetzungen zu vermeiden, regelt das neue Verjährungsabkommen verbindlich für die Parteien, unter welchen klaren und objektiv zu bestimmenden Bedingungen eine Verlängerung der relativen Frist einsetzt. Die Fristverlängerung macht es mög­lich, die Regressforderung während dieser Zeitspanne zu regulieren, ohne an die Verjährung denken zu müssen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber auch die absolute Frist über 20 Jahre hinaus verlängert werden.

Im Verjährungsabkommen sind die objektiven Bedingungen nun klar für sämtliche denkbaren Regressfälle formuliert. Die Regressfälle können somit in ein automatisier­tes Fristenmanagementsystem eingebunden werden, was enorm hilft, die Fülle und die Diversität der Fälle effizient zu bearbeiten. Letztlich liefert das neue Verjährungsabkommen die Grundlage dafür, dass die Parteien die Massen an Haftpflicht- respektive Regressfällen wirtschaftlich abwickeln können.

Kreis der Teilnehmenden geöffnet

Im Gegensatz zur Vorgängerversion (2020) begrenzt das neue Verjährungsabkommen den Geltungsbereich auf Personenschäden (die vorherige Ausweitung auf Sach- und Vermögensschäden hatte sich als nicht praktikabel herausgestellt und wurde deshalb rückgängig gemacht). Neu steht das Abkommen zudem auch Trägern der beruflichen Vor­sorge, den liechtensteinischen Sozial- und Privatversicherern sowie dem Nationalen Garan­tiefonds (NGF) der Schweiz und Liechtenstein offen. Weiter gelten neu als «Unfallversicherer» nicht nur diejenigen, die gemäss Artikel 68 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) das Geschäft des UVG-Obligatoriums be­treiben, sondern auch solche, die die Zusatzversicherung und die freiwillige Versicherung ge­mäss dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) anbieten. Auch in der beruflichen Vorsorge gilt das Verjährungsabkommen für die Vorsorgeeinrichtungen im obligatorischen und im überobligatorischen Bereich. Demgegenüber sind Krankenversicherer nur im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (subsidiäre UVG-Deckung) erfasst.

Zehn Jahre Verzicht auf Verjährungseinrede

Die Grundregel des Abkommens lautet: Der Haftpflichtversicherer verzichtet im Rahmen der Deckung für sich und namens seines Versicherten auf die Verjährungseinrede, sofern ihm (oder notfalls seinem Versicherten) der Regressanspruch innert drei Jahren ab dem schädigenden Ereignis schriftlich angemeldet wurde. Für den Regress der AHV/IV und die Träger der beruflichen Vorsorge beginnt diese dreijährige Frist an dem Tag zu laufen, an dem die Anmeldung zum Leistungsbezug bei den zuständigen Organen der AHV, der IV (Ausgleichskassen oder IV-Stellen) oder beim Träger der beruflichen Vorsorge eingeht.

Nach Ablauf der Ankündigungsfrist, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren ab schädigendem Ereignis beziehungsweise für den Regressanspruch der AHV/IV sowie der Träger der beruflichen Vorsorge ab Eingang der Anmeldung zum Leis­tungsbezug, verzichtet der regressierende Versicherer auf die Geltendmachung von Regress­ansprüchen, es sei denn, er verhindert den Verjährungseintritt durch das rechtzeitige Einho­len eines Verjährungseinredeverzichts oder durch verjährungsunterbrechende Massnahmen.

Weiter hält das Verjährungsabkommen fest: Die AHV/IV sowie die Träger der beruflichen Vorsorge verzichten unabhängig vom Zeitpunkt der Anmeldung zum Leistungsbezug nach Ablauf von 15 Jahren ab schädi­gendem Ereignis auf die Geltendmachung von Regressansprüchen, sofern sie nicht rechtzei­tig einen Verjährungseinredeverzicht einholen oder verjährungsunterbrechende Massnah­men ergreifen.

Somit hat für die AHV/IV und die Vorsorgeeinrichtungen die Regressankündigung im Regelfall innert drei Jahren seit Datum der Anmel­dung zum Leistungsbezug zu erfolgen. Nach erfolgter Regressankündigung gegenüber der Haftpflichtversicherung ist die Verjährung während zehn Jahren ab Anmeldung bei AHV/IV und bei Vorsorgeeinrichtungen, indessen maximal bis 15 Jahre nach dem schädigenden Ereignis gewahrt. Vor Ablauf dieser Fristen sind erforderlichenfalls Verjährungsverzichtserklärungen einzuholen oder andere ver­jährungsunterbrechende Massnahmen zu ergreifen.

Nachmeldung bei nicht rechtzeitiger Regressankündigung

Wird dem regressierenden Versicherer erst später als drei Jahre nach dem schädigenden Ereignis der Schadenfall gemeldet, so kann er dem Haftpflichtversicherer den Regress inner­halb eines Jahres ab Eingang der Schadenmeldung nachmelden. Das Gleiche gilt, wenn erst nach Ablauf der dreijährigen regulären Ankündigungsfrist eine Regresskonstellation entsteht oder bekannt wird, die trotz sorgfältiger Regressbearbeitung nicht früher hätte erkannt wer­den können. Die einjährige Nachmeldefrist beginnt mit Kenntnis der Regresskonstellation. In allen Fällen ist eine Nachmeldung des Regresses nur bis zehn Jahre nach dem Tag des schädigenden Ereignisses zulässig.

Wenn innert drei Jahren seit Anmeldung bei der AHV/IV und bei Vorsorgeeinrichtungen keine Regressanzeige erfolgen konnte, weil die Regresskonstellation nicht bekannt war (oder trotz sorgfältiger Bearbeitung nicht erkannt werden konnte) oder sie noch gar nicht entstanden war, besteht ersatzweise die Möglichkeit der nachträglichen Regressankündigung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Regresskonstellation – allerdings nur bis maximal zehn Jahre nach dem schädigenden Ereig­nis. Nach erfolgter, rechtzeitiger Nachmeldung ist die Verjährungsfrist wiederum für zehn Jahre ab Anmeldung zum Leistungsbezug beziehungsweise maximal 15 Jahre ab Ereignis gewahrt.

40 Unterzeichnende

Das revidierte Verjährungsabkommen hat sich bisher in der Praxis bewährt. Mit dem Verjährungsabkommen gelang es zudem, den Bestand an offenen Regressfällen unter den altrechtlichen Abkommen ins neue Abkommen zu integrieren, ohne dass bislang Lücken bei der Wahrung der Verjährungsfristen aufgetreten sind.

Auch ist es als Erfolg zu werten, dass alle Teilnehmenden des Abkommens aus dem Jahr 2020 die Revision von 2022 unterzeichnet haben. Und schliesslich spricht die Anzahl von 40 Teilnehmenden dafür, dass ein allseitiges Bedürfnis nach Rechtssicherheit mit einer Vereinbarung abgedeckt werden kann.

Fürsprecher, Leiter Regress AHV/IV, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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