Auf einen Blick
- Long Covid ist ein neues, ernst zu nehmendes Krankheitsbild, nicht selten mit schweren Auswirkungen für die Betroffenen.
- Eine Studie liefert erstmals wissenschaftliche Daten und ermöglicht es, die Auswirkungen von Long Covid bei der IV über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren nachzuverfolgen.
- Die Studie ermöglicht eine vorläufige Bilanz zur Anzahl Long-Covid-Betroffener, die sich bei der IV angemeldet haben, und zu den Leistungen, die diesen Personen zugesprochen wurden.
Per Ende 2023 ist davon auszugehen, dass sich mindestens 2900 Personen mit Long-Covid-Symptomen bei der Invalidenversicherung (IV) angemeldet haben. Dies zeigt eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (Guggisberg et al. 2025). Die Studie stützt sich auf rund 500 Falldossiers aus den Jahren 2021 bis 2023, welche ausgewertet und als Long-Covid-Betroffene identifiziert wurden. Die Ergebnisse aus der Analyse der Dossiers wurden auf die Gesamtheit der Anmeldungen im Untersuchungszeitraum hochgerechnet. Um die Resultate besser einordnen zu können, wurde eine Vergleichsgruppe aus angemeldeten Versicherten ohne Long Covid aus derselben Anmeldeperiode (2021 bis 2022) gebildet.
Die grosse Mehrheit der identifizierten Long-Covid-Fälle sind IV-Neuanmeldungen aufgrund der Long-Covid-Erkrankung. Nur in rund einem von sieben Fällen wurde Long Covid in einem bereits laufenden IV-Verfahren relevant. Die Anmeldung erfolgte typischerweise vier bis zwölf Monate nach der Covid-Infektion.
Frauen erkranken gemäss bisherigen Erkenntnissen häufiger als Männer an Long Covid, trotz eines geringeren Risikos für eine schwere akute Covid-Erkrankung. Das zeigt sich auch bei den Long-Covid-Fällen der IV: Frauen machen davon fast zwei Drittel (64%) aus.
Die Zahl der Long-Covid-Fälle stieg bei der IV seit Anfang 2021 zunächst an, ging jedoch 2023 wieder etwas zurück. Mit 1,6 Prozent machen die Long-Covid-Fälle nur einen kleinen Teil aller IV-Neuanmeldungen aus. Weil für die Studie nur diejenigen Long-Covid-Fälle identifiziert werden konnten, die per August 2023 eine medizinische Stellungnahme mit Long-Covid-Diagnose oder explizitem Verdacht in den Dossiers enthalten haben, dürfte die tatsächliche Zahl der Personen mit Long Covid bei der IV höher sein.
Vielfältige Krankheitssymptome
Die Krankheitssymptome von Long Covid sind vielfältig. 85 Prozent der identifizierten Long-Covid-Betroffenen in der IV haben Symptome wie Fatigue oder Belastungsintoleranz. Sie leiden an chronischer Müdigkeit und sind sehr schnell erschöpft. 60 Prozent weisen neurokognitive Störungen wie zum Beispiel Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörungen auf. Long-Covid-Betroffene in der IV sind in neun von zehn Fällen zum Zeitpunkt der Anmeldung zu 100 Prozent krankgeschrieben.
Long Covid trifft Junge wie Alte, Gesunde und chronisch Kranke. Ein Drittel der Personen mit Long Covid bei der IV weist keinerlei weitere gesundheitliche Beeinträchtigung neben Long Covid auf, zwei Drittel leiden an einer weiteren chronischen Erkrankung. Ein Wert, der etwas über dem Durchschnitt der Allgemeinbevölkerung liegt.
Im Zeitraum von zwei Jahren ab IV-Anmeldung zeigen sich bei rund 60 Prozent der Betroffenen erste Verbesserungen in der Arbeitsfähigkeit. Rund 40 Prozent der Long-Covid-Betroffenen – insbesondere etwas ältere Personen ab 48 Jahren und Personen mit mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen – sind aber auch nach zwei Jahren noch zu 100 Prozent arbeitsunfähig. Generell zeigt sich, dass Verbesserungen entweder rasch oder aber kaum mehr eintreten.
Rund jede vierte von Long Covid betroffene Person hat seit der Anmeldung bei der IV in einem Zeitraum von einem bis zwei Jahren die Arbeitsstelle verloren. Das Risiko eines Stellenverlusts scheint für Long-Covid-Betroffene höher zu sein als für Angemeldete ohne Long Covid, wie der Vergleich mit einer anderen Studie vermuten lässt (Guggisberg und Kaderli 2023).
Rentenzusprache bei Long Covid
Ende 2023 bezogen 20 Prozent der Long-Covid-Betroffenen, die sich im Jahr 2021 bei der IV angemeldet hatten, eine Rente. Zum Vergleich: In der Referenzgruppe aus dem Anmeldejahr 2021 ohne Long Covid lag der Anteil der Rentenbeziehenden bei 13 Prozent. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Auswertungen noch nicht für alle Personen ein Rentenentscheid vorlag.
Nach dem Prinzip «Eingliederung vor Rente» prüft die IV immer zuerst das Eingliederungspotenzial einer betroffenen Person, bevor sie eine Rente spricht. So hat 24 Monate nach der Anmeldung knapp die Hälfte (45%) eine Verfügung zum Rentenentscheid erhalten, für die andere Hälfte (55%) liegt noch kein Entscheid vor.
Gewisse Auffälligkeiten bei der Rentenquote in der Referenzgruppe zeigen sich auch bei den Long-Covid-Fällen: Männer erhalten häufiger einer Rente zugesprochen als Frauen, jüngere Person seltener als ältere und Personen aus der lateinischen Schweiz häufiger als jene aus der Deutschschweiz.
Längerfristige Entwicklung unklar
Medizinisch zeigt sich bei den Long-Covid-Fällen der IV ein Bild mehrheitlich schwer kranker Menschen mit grossen Einschränkungen in Alltag und Beruf. Für die IV bedeutet dies, dass Long Covid ein neues, ernst zu nehmendes Krankheitsbild darstellt. Da Varianten des Covid-19-Virus weiterhin zirkulieren, ist die längerfristige Entwicklung der Zahl von Neurenten aufgrund von Long Covid schwierig abzuschätzen. Die Anzahl zusätzlicher Neurenten ist in Relation zu den übrigen IV-Renten (Bestand 2023: 251 000) und den jährlichen Neurenten (2023: 22 300) als eher tief einzustufen.
Literaturverzeichnis
Guggisberg, Jürg; Kaderli, Tabea (2023). Eingliederung in der IV: Statistische Analysen Neuanmeldekohorten 2008–2017. Studie im Auftrag des BSV, FoP2-IV Forschungsbericht Nr. 05/23.
Guggisberg, Jürg; Liechti, Lena; Kaderli, Tabea; Keller, Tabea; Höglinger, Marc (2025). Auswirkungen von Long-Covid auf die Invalidenversicherung. Studie im Auftrag des BSV, FoP2-IV Forschungsbericht Nr. 02/25.