Modernisierung der Aufsicht

Am 20. November 2019 hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule ans Parlament überwiesen. Auch in der 2. Säule sind gezielte Optimierungen vorgesehen.
Magali Baumann
  |  11. März 2020
    Recht und Politik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
  • Berufliche Vorsorge

Die Aufsicht in der Invalidenversicherung (IV) wurde mit der 5. IV-Revision 2008 grundlegend modernisiert. In der 2. Säule wurde die Aufsicht über die Vorsorgeeinrichtungen 2012 mit der Strukturreform in der beruflichen Vorsorge neu ausgestaltet. Die Aufsicht über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) hingegen ist seit deren Einführung 1948 nahezu unverändert geblieben. Das gilt auch für die Aufsicht über die Erwerbsersatzordnung (EO) für Dienstleistende und bei Mutterschaft, die Ergänzungsleistungen (EL) sowie die Familienzulagen in der Landwirtschaft.

Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von einer intensiven technologischen Entwicklung, von der zunehmenden Digitalisierung und ihren Risiken für die Durchführung der 1. Säule sowie von höheren Anforderungen an die Governance. Um die Stabilität des Vorsorgesystems weiterhin zu garantieren, drängt sich eine Überprüfung der gesetzlichen Grundlagen zur Aufsicht der AHV und der mit ihr verbundenen Zweige auf. Diesen Zweck verfolgt die Vorlage zur Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule mit drei Haupt­stossrichtungen: Verstärkung der Risikoorientierung, Optimierung der Governance sowie Verbesserung der Steuerung und der Aufsicht über Informationssysteme.

Verstärkung der Risikoorientierung Die Modernisierung bezweckt eine Stärkung der risikoorientierten Aufsicht in der 1. Säule. Die Vorlage sieht neue gesetzliche Grundlagen zur Präzisierung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der einzelnen Akteure vor (Bundesrat, Aufsichtsbehörde [Bundesamt für Sozial­versicherungen, BSV], Durchführungsstellen, Revisionsstellen).

  • Weil der Revisionsbericht über die Ausgleichskasse heute zu den wichtigsten Aufsichtsinstrumenten des BSV gehört, erfordert eine Modernisierung der Aufsicht zwingend eine Anpassung der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen. Der Gesetzesentwurf präzisiert deshalb die Aufgaben der Revisionsstelle sowie die Anforderungen an die Revisionsstelle und an die leitende Revisorin oder den leitenden Revisor. Es wird unter anderem die gesetzliche Grundlage geschaffen, gemäss der die Revisionsstelle zu prüfen hat, ob das Risikomanagement, das Qualitätsmanagement und das interne Kontrollsystem der Ausgleichskasse den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Diese Aufgabe ergibt sich aus der neuen gesetzlichen Verpflichtung der Ausgleichskassen, moderne Führungs- und Kontrollinstrumente einzuführen. Dem Bundesrat wird mit der Vorlage die Kompetenz eingeräumt, geeignete Mindestanforderungen zu definieren, denen diese Instrumente genügen müssen.
  • Im Hinblick auf eine risikoorientierte Aufsichtstätigkeit benötigt das BSV neben den Revisionsberichten weitere Kennzahlen, um die gesetzeskonforme Durchführung überwachen, mögliche Risiken rechtzeitig erkennen und geeignete Massnahmen ergreifen zu können. Diese Informationen entnimmt es den verfügbaren Statistiken und den Jahresrechnungen. Braucht es zusätzliche Kennzahlen, müssen die Durchführungsstellen diese zur Verfügung stellen. Mit der Änderung der gesetzlichen Grundlagen werden die Pflichten der Durchführungsstellen und die Aufgaben des BSV in diesem Bereich präzisiert.
  • Die Vorlage bezweckt nicht zuletzt eine Modernisierung des Katalogs von Aufsichtsmassnahmen. Der neue Katalog enthält mehrheitlich bestehende, auf Verordnungsstufe geltende Grundsätze, die jedoch aufgrund ihrer Bedeutung neu auf Gesetzesstufe geregelt werden (z. B. Durchführung oder Anordnung einer ergänzenden Revision). Ausserdem wird die Rolle des BSV verstärkt, indem die Kompetenz zum Ergreifen von geeigneten Massnahmen, die heute zum Teil beim Bundesrat liegt, neu einheitlich ihm als Aufsichtsbehörde zugeteilt wird. Der bestehende Massnahmenkatalog wird ausserdem erweitert, indem er neue Interventionsmöglichkeiten für das BSV schafft. So kann dieses beispielsweise einer Ausgleichskasse Zielvorgaben machen, wenn sich dies im Einzelfall aufdrängt. Vorgesehen sind neu auch Sanktionsmassnahmen gegen verantwortliche Personen innerhalb einer Ausgleichskasse. Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass eine dem Grad des Verschuldens angemessene Sanktion verfügt wird. Deshalb wird die Möglichkeit der Ermahnung beziehungsweise der Verwarnung eingeführt. Diese beiden neuen, milderen Massnahmen kommen zur aktuell möglichen Abberufung hinzu. Das BSV kann diese Massnahmen zwar nicht selbst ergreifen, erhält aber das Recht, sie vom zuständigen Wahlorgan zu verlangen. Im Fall einer Pflichtverletzung, durch den Kassenleiter einer Verbandsausgleichskasse beispielsweise, kann das BSV vom Kassenvorstand verlangen, dass er die nötigen Massnahmen einleitet.

Optimierung der Governance Governance hat im Verlauf der letzten Jahre an Bedeutung gewonnen – in diversen Sektoren entstanden entsprechende Good-Governance-Grundsätze. 2002 hatte Economiesuisse den Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance veröffentlicht, der verschiedene Empfehlungen für eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung abgibt und der 2014 revidiert worden war. Seit einigen Jahren diskutiert das Parlament entsprechende Verbesserungen der Governance im Obligationenrecht (OR; 08.011, 16.077). Die 1. Säule hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Folglich soll die Modernisierung der Aufsicht die bestehenden Lücken in den gesetzlichen Bestimmungen mit der Einführung solcher Grundsätze guter Governance füllen.

  • Das Gesetz wird mit Anforderungen an die verantwortlichen Personen innerhalb der Ausgleichskasse und ihres obersten Organs (d. h. des Kassenvorstandes bei Verbandsausgleichskassen und der Verwaltungskommission im Fall kantonaler Ausgleichskassen) ergänzt, um eine einwandfreie Geschäftsführung zu gewährleisten. Diese Personen müssen einen guten Ruf geniessen, Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten und ihre 
Interessenbindungen offenlegen. In der 1. Säule fehlen ­heute solche Vorschriften, für den Erhalt des Vertrauens ins System sind sie jedoch notwendig. Sollte sich zeigen, dass eine verantwortliche Person die Voraussetzungen nicht erfüllt, kann das BSV vom zuständigen Wahlorgan die Abberufung der betreffenden Person verlangen.
  • Zu einer guten Governance gehört auch eine angemessene Transparenz. Aus diesem Grund soll für die Rechnungslegung der Ausgleichskassen der Transparenzgrundsatz im Gesetz verankert werden, wobei der Bundesrat die Kompetenz erhält, auf Verordnungsstufe Ausführungsregelungen zu erlassen. Damit wird sichergestellt, dass die Finanzströme einheitlich und transparent ausgewiesen und Quersubventionierungen verhindert werden. Der Bundesrat wird ausserdem Mindestanforderungen an die Buchführung und Rechnungslegung der Sozialversicherungsanstalten (SVA) vorgeben. Bei den SVA sind Ausgleichskassen und IV-Stellen organisatorisch zusammengelegt.
  • Mit der Modernisierung der Aufsicht sollen auch weitere bundesrechtliche Vorschriften für die SVA eingeführt werden, für die es bisher keine Regelungen gibt. Die geplanten Bestimmungen sollen die Unabhängigkeit der SVA vom Kanton garantieren und dafür sorgen, dass die Revisionsstellen und das BSV ihre Aufgaben uneingeschränkt wahrnehmen können, wobei den Kantonen bei der Organisation ihrer Durchführungsstellen eine hohe Flexibilität eingeräumt wird.

Verbesserung der Steuerung und der Aufsicht über Informationssysteme Die Gesetzgebung hat mit den technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht Schritt gehalten und muss deshalb angepasst werden. Die Durchführung der 1. Säule basiert heute zu einem grossen Teil auf Informationssystemen. Dabei handelt es sich um Anwendungen, die den elektronischen Informationsaustausch und die Datenverarbeitung ermöglichen. Die zunehmende Digitalisierung in der Durchführung bietet zwar zahlreiche Vorteile, bringt aber auch Herausforderungen und Risiken mit sich. Der Aufsicht in diesem Bereich kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig gilt es, die Eigenverantwortung der Durchführungsstellen zu respektieren.

  • Mit der Modernisierung der Aufsicht sollen die Verantwortlichkeiten der Durchführungsstellen im Bereich ihrer Informationssysteme gesetzlich festgehalten werden. Konkret wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Durchführungsstellen dazu zu verpflichten, jederzeit die notwendige Stabilität und Anpassungsfähigkeit ihrer Informationssysteme sicherzustellen sowie die Informationssicherheit und den Datenschutz zu gewährleisten. Das BSV wird Mindestanforderungen in Bezug auf die Informationssicherheit und den Datenschutz festlegen. Die Einhaltung dieser Anforderungen ist im Rahmen einer Informatikprüfung zu überprüfen.
  • Die Vorlage sieht zudem eine Neuregelung der Finanzierung von Informationssystemen vor, weil die geltende Regelung drei Mängel aufweist. Erstens kommt sie kaum zur Anwendung, da sie verlangt, dass die Informationssysteme, die durch den AHV-Ausgleichsfonds finanziert werden, kumulativ für alle Akteure (Ausgleichskasse, Versicherte und Arbeitgeber) Verbesserungen bringen müssen. Mit der neuen Regelung reicht es, wenn einer der Akteure von den Optimierungen profitieren kann. Zweitens finanziert der Ausgleichsfonds keine kassenübergreifenden Informationssysteme mehr, sondern nur noch solche, die gesamtschweizerisch anwendbar und in eine übergeordnete Strategie eingebettet sind. Drittens finanziert er neu nicht nur die Entwicklung, sondern auch den Betrieb der Informationssysteme. Diese Regelung gilt sinngemäss auch in der IV und der EO.
  • Schliesslich besteht auch Handlungsbedarf für die gesetzliche Regelung des elektronischen Datenaustauschs. Der Austausch unter den schweizerischen Versicherungsträgern selbst (z. B. Durchführungsstellen der 1. Säule, Krankenkassen, Unfallversicherer) und jener mit den Bundesbehörden muss hohen Anforderungen bezüglich Informationssicherheit und Datenschutz entsprechen. Die Vorlage zur Modernisierung der Aufsicht gibt deshalb dem Bundesrat die Kompetenz, den Datenaustausch zu regeln. Diese Bestimmung bezieht sich auf die technischen und organisatorischen Aspekte des elektronischen Datenaustauschs wie Format und Transportkanäle.

Gezielte Verbesserungen in der 2. Säule Die Aufsicht über die Vorsorgeeinrichtungen in der beruflichen Vorsorge wurde 2012 mit der Strukturreform des BVG neu ausgestaltet. Die Neuordnung der Aufsicht hat sich zwar bewährt, in der Praxis hat sich seither jedoch ein punktuelles Optimierungspotenzial gezeigt. Deshalb sieht die Vorlage zur Modernisierung der Aufsicht einige gezielte Verbesserungen in der 2. Säule vor. So werden namentlich die Aufgaben der Expertinnen und Experten für die berufliche Vorsorge präzisiert, die Bedingungen für die Übernahme von Rentnerbeständen geregelt und die Unabhängigkeit der regionalen Aufsichtsbehörden sichergestellt, indem die Organe regionaler Aufsichtsbehörden nicht mit kantonalen Regierungsmitgliedern besetzt werden dürfen. Zudem erhält der Bundesrat die Kompetenz, die Rahmenbedingungen für die Entschädigung der Vermittlung von Vorsorgegeschäften festzulegen.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bereich Verfahren und Rente, Geschäftsfeld Invalidenversicherung, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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