Nachhaltige Stadtentwicklung im Kanton Basel-Stadt

Barbara Alder, Nadine Grüninger, Catherine Heinzer
  |  08. Oktober 2021
  • Armut
  • Chancengerechtigkeit
  • Generationen
  • Gesellschaft
  • Sozialpolitik allgemein

Nachhaltigkeit ist ein globales Handlungsprinzip. Es basiert auf der Brundtland-Definition von 1987, welche heute aktueller ist denn je und besagt: Nachhaltig ist eine Entwicklung dann, wenn sie gewährleistet, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu gefährden. Die Agenda 2030 der UNO basiert auf der Brundtland-­Definition. Sie ist mit ihren 17 Zielen seit 2015 der global geltende Orientierungsrahmen für die internationalen und
nationalen Bemühungen einer nachhaltigen Entwicklung, so auch für den Bund mit seiner «Strategie nachhaltige Entwicklung 2030».

Auf einen Blick

  • Der Kanton Basel-Stadt stellt die Sicherung der finanziellen, sozialen, individuellen und materiellen Lebensgrundlagen, die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und die Gerechtigkeit in den Fokus nachhaltigen staatlichen Handelns.
  • Eine nachhaltige Stadtentwicklung muss neben den ökologischen und wirtschaftlichen Aspekten v.a. auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick haben.
  • Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht u.a. durch intragenerationelle Gerechtigkeit und soziale Teilhabe.
  • Der Kanton Basel-Stadt fördert Chancengerechtigkeit und soziale Teilhabe mit mit der obligatorischen Deutschförderung im Vorschulalter über diverse interdisziplinäre Projekte zugunsten vulnerabler Gruppen.

Für die nachhaltige Stadtentwicklung ist es entscheidend, neben der globalen und nationalen Ebene insbesondere auch die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Hierzu ist es im ersten Schritt wichtig zu klären, was ein konkretes Gemeinwesen unter Nachhaltigkeit versteht.

Ausgehend von der Brundtland-Definition hat der Kanton Basel-Stadt das globale Handlungsprinzip und die Agenda 2030 auf die lokalen Gegebenheiten übersetzt. Nachhaltiges Handeln als Prinzip ist im Kanton Basel-Stadt in der Verfassung mit den «Leitlinien staatlichen Handelns», Paragraph 15 der Kantonsverfassung (SG 111.100), seit 2005 verankert:

§ 15 Kantonsverfassung Basel-Stadt

Leitlinien staatlichen Handelns

  1. Der Staat orientiert sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben an den Bedürfnissen und am Wohlergehen der Bevölkerung. Er berücksichtigt dabei die Würde, die Persönlichkeit und die Eigenverantwortung des einzelnen Menschen.
  2. Er wirkt auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und auf eine nachhaltige Entwicklung hin, die den Bedürfnissen der gegenwärtigen Generation entspricht, aber zugleich die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse künftiger Generationen und ihre Möglichkeiten nicht gefährdet, ihre eigene Lebensweise zu wählen.
  3. Er sorgt für Chancengleichheit und fördert die kulturelle Vielfalt, die Integration und die Gleichberechtigung in der Bevölkerung sowie die wirtschaftliche Entfaltung.

Im Rahmen einer Begleitforschung an der Universität Basel wurden in enger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis die nationalen und internationalen Entwicklungen des Nachhaltigkeitsdiskurses aufgenommen und anhand der Kantonsverfassung der Begriff Nachhaltige Entwicklung für Basel-Stadt konkretisiert (Kämpfen 2021). In einem Satz kurz zusammengefasst bedeutet nachhaltige Entwicklung für den Kanton Basel-Stadt «Lebensqualität für alle, heute und in Zukunft».

Ganzheitliche Sichtweise

Die «Leitlinien staatlichen Handelns» der Kantonsverfassung adressieren sechs Themenbereiche (vgl. Grafik G1):

  • Bevölkerung;
  • staatliches Handeln;
  • Grundbedürfnisse und Wohlergehen;
  • natürliche Lebensgrundlagen;
  • gesellschaftlicher Zusammenhalt;
  • wirtschaftliche Entfaltung.
Schaubild, das alle sechs Themenbereiche Bevölkerung, staatlichen Handelns, Grundbedürfnisse und Wohlergehen, natürliche Lebensgrundlagen, gesellschaftlicher Zusammenhalt und wirtschaftliche Entfaltung mit Pfeilen untereinander verbindet.

Die sechs Themenbereiche hängen eng miteinander zusammen, beeinflussen sich gegenseitig auf vielfältige Weise und ergeben zusammen eine ganzheitliche 360°-Optik. Allfällige Massnahmen in den sechs Bereichen tragen nicht per se zur nachhaltigen Entwicklung bei, sondern sie tun dies dann, wenn sie auf die drei Ziele Werterhalt, Handlungsfähigkeit und Gerechtigkeit hinwirken.

«Werterhalt» bedeutet, dass die natürlichen, finanziellen, sozialen, individuellen und materiellen Lebensgrundlagen bewahrt und gesichert bleiben. Die Lebensgrundlagen dürfen nicht zerstört, ihre Erneuerung darf nicht beeinträchtigt sein. «Handlungsfähigkeit» heisst, dass die Gesellschaft als Ganzes fähig ist, auf Veränderungen und neue Bedürfnisse zu reagieren. Und «Gerechtigkeit» umschreibt die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit, die eine ganzheitlich ausgerichtete Gesellschaft gewährleisten können muss, und zwar in Bezug auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Sprache, kulturelle Prägung, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit, körperliche und seelische Verfassung, sozioökonomischen Status etc.; wie auch zugunsten kommender Generationen.

Umsetzung im Verwaltungshandeln

Diesen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz gilt es in der Verwaltungsarbeit umzusetzen – eine anspruchsvolle Aufgabe! Um die Nachhaltigkeit als Handlungsprinzip im Arbeitsalltag der Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bewusster zu verankern, hat die Kantons- und Stadt­entwicklung einen Leitfaden «Nachhaltigkeit in Basel-Stadt» (Kanton Basel-Stadt 2020) erstellt.

Mit rund 40 Fragen, verteilt auf die sechs Bereiche des Nachhaltigkeitsverständnisses, regt der Leitfaden dazu an, bei einem Vorhaben eine vernetzte Sichtweise einzunehmen. Die Fragen unterstützen dabei, ein Vorhaben ganzheitlich und werterhaltend, situations- und bedürfnisorientiert sowie zukunftsgerichtet umzusetzen, im Bereich gesellschaftlicher Zusammenhalt, für die soziale Teilhabe beispielsweise mit: Fördert das Vorhaben den gegenseitigen Respekt? Fördert das Vorhaben das Vertrauen in die Mitmenschen? Fördert das Vorhaben die Inklusion aller Bevölkerungsschichten und -gruppen? Ermöglicht das Vorhaben, dass Menschen Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen und ihren Lebensraum aktiv mitgestalten? u. a. m.

Der Leitfaden gibt auch prozessbezogene Hinweise darauf, wie im Erarbeitungsprozess mit einer vernetzten Sichtweise Lösungen im Sinne der nachhaltigen Entwicklung entstehen können. Wichtig in diesem Prozess ist es beispielsweise, mögliche Zielkonflikte sichtbar zu machen, Wechselwirkungen zu berücksichtigen, vorhandene Synergien zu erkennen und zu nutzen oder Varianten zu prüfen.

Der Fragekatalog ist nicht abschliessend und es sind selbstverständlich auch nicht alle Fragen für alle Vorhaben und Vorgehensweisen gleichermassen relevant. Der Leitfaden will Anregungen und Hilfestellungen geben, um die Optik und den eigenen Handlungs- und Gestaltungsspielraum zu erweitern und ermutigt dabei auch zu kritischen Fragen.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt baut u.a. auf sozialer Teilhabe

Für die nachhaltige Stadtentwicklung ist, neben den ökologischen und den ökonomischen Aspekten, ein guter gesellschaftlicher Zusammenhalt zentral. Er ermöglicht das friedliche Miteinander, die florierende Wirtschaft und die funktionierende Demokratie. Die Thematik des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist im kantonalen Nachhaltigkeitsverständnis verankert. Sie ist sowohl im gleichnamigen der sechs Themenbereiche integriert als auch in den Bereichen wirtschaftliche Entfaltung oder Grundbedürfnisse und Wohlergehen enthalten. Berührt ist das Thema im Absatz 3 in den Leitlinien staatlichen Handelns der Kantonsverfassung («Der Kanton sorgt für Chancengleichheit und fördert die kulturelle Vielfalt, die Integration und die Gleichberechtigung»). Insbesondere ist Chancengerechtigkeit und damit das Ermöglichen von sozialer Teilhabe und die Förderung der intragenerationellen Gerechtigkeit ein grundlegender Pfeiler für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Förderung der Chancengerechtigkeit hat im Stadtkanton eine lange Tradition. So setzt der Kanton Basel-Stadt seit Ende der 1990er-Jahre eine aktive Integrationsstrategie um und verfügt seit 2007 über ein Integrationsgesetz (SG 122.500). Basel-Stadt ist beispielsweise auch einer der ersten Kantone, der seit 2013 die obligatorische Deutsch­förderung im Vorschulalter kennt, um den Kindern einen möglichst guten Schulstart zu ermöglichen.

Ganz im Sinne der oben angesprochenen ganzheitlichen Perspektive arbeiten diverse interdisziplinäre Gremien in verschiedenen Themenfeldern an der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zusammen, wie zum Beispiel seit 2016 die Strategiegruppe Jugendarbeitslosigkeit, die interdepartementale Strategiegruppe Integration (vgl. auch KIP 2018–2021) oder auch jüngst die interdepartementale Koordinationsgruppe Alter. Letztere ist für die Umsetzung der Vision «Gut älter werden im Kanton Basel-Stadt» zuständig, die der Regierungsrat 2020 verabschiedet hat. Die Vision stellt die Wertschätzung und Teilhabe älterer Menschen in den Fokus.

Im Rahmen der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wurden verschiedene Vorhaben umgesetzt, so zum Beispiel Massnahmen zur erhöhten Beteiligung an der Berufsbildung von eingereisten Jugendlichen. Oder mit dem Projekt «Enter» werden Personen über 25 ohne anerkannten Berufsabschluss, die Sozialhilfe beziehen, gezielt darin unterstützt, eine Berufsausbildung nachzuholen.

Mit dem Behindertenrechtegesetz (SG 140.500), welches seit Anfang 2021 in Kraft ist, will der Kanton dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Rechte in allen Lebensbereichen verwirklichen und ein selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Leben ohne Benachteiligung führen können. Die neu geschaffene Fachstelle in der Kantons- und Stadtentwicklung begleitet und koordiniert die Umsetzung.

Zusätzlich zu den departementsübergreifenden und interdisziplinären Projekten fördert die Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung mit ihrer Arbeit den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Quartieren, wo sie beispielsweise die integrale Entwicklung eines Quartiers begleitet und die Lebens- und Aufenthaltsqualität stützt oder die Partizipation der Quartierbevölkerung ermöglicht und das zivilgesellschaftliche Engagement stärkt. Sie unterstützt die Integration und steuert die Wohnraumentwicklung, indem sie ausreichenden, durchmischten und preisgünstigen Wohnraum fördert – immer im Dialog und gemeinsam mit den Betroffenen bzw. Involvierten innerhalb und ausserhalb der Verwaltung. Basel-Stadt kennt seit 2018 als bisher einziger Deutschschweizer Kanton ein verfassungsmässig verankertes Recht auf Wohnen.

Die Liste der Beispiele, wie der Kanton Basel-Stadt den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, liesse sich noch weiter fortsetzen. Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess. Wie sich die nachhaltige Entwicklung im Kanton Basel-Stadt insgesamt vorwärtsbewegt und wie sich der gesellschaftliche Zusammenhalt äussert, analysiert die Kantons- und Stadtentwicklung alle vier Jahre mit dem kantonalen Bericht über die nachhaltige Entwicklung sowie zu den Kennzahlen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die nächsten Berichte erscheinen im Jahr 2024 – dann werden auch anhand der Indikatoren die Auswirkungen der Corona-Pandemie sichtbar. Um die Folgen der Pandemie soweit als möglich aufzufangen, hat der Regierungsrat im Legislaturplan 2021–2025 (Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, 2021) unter anderem die Pandemiebewältigung als einen von drei Schwerpunkten definiert und sich zum Ziel gesetzt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt gezielt zu stärken.    

Literaturverzeichnis

Bundesamt für Raumentwicklung ARE (2021). Agenda 2030 (Website).

Kantons- und Stadtentwicklung BS (2021). Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt (Website).

Kantons- und Stadtentwicklung BS (2021). Nachhaltigkeit (Website).

Bundesrat (2021): Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030. [Bern: ARE].

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (2021). Legislaturplan 2021–2025. [Basel-Stadt: Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt].

Kanton Basel-Stadt (2020). Leitfaden «Nachhaltigkeit in Basel-Stadt». [Basel-Stadt: Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt, Kantons- und Stadtentwicklung].

Fachstelle Diversität und Integration (KIP 2018–2021; 2017). Kantonales Integrationsprogram Basel-Stadt 2018–2021; [Basel-Stadt: Präsidial­departement des Kantons Basel-Stadt, Kantons- und Stadtentwicklung].

United Nations (2015). A/RES/70/1 Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development: Resolution adopted by the General Assembly on 25 September 2015.

Kämpfen, Vera. Nachhaltigkeit in die politisch-administrative Praxis integrieren – Eine Analyse am Beispiel von Basel-Stadt, Dissertation Universität Basel (in Vorb.).

Lic. phil. I, Leiterin Fachstelle Grundlagen & Strategien, Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt.
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Lic. phil. I, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachstelle Grundlagen & Strategien, Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt.
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MSc ETH, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachstelle Grundlagen & Strategien, Kantons- und Stadtentwicklung, Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt.
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