Nationales Armutsmonitoring im Aufbau: erster Bericht erscheint 2025

Philipp Dubach
  |  11. April 2022
  • Armut
  • Sozialhilfe
Foto: Martin Bichsel

Der Bund baut zurzeit ein nationales Armutsmonitoring auf – gemeinsam mit Kantonen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft. Es soll die Armutslage der Bevölkerung beschreiben und aufzeigen, was über die Wirksamkeit von Strategien zur Bekämpfung und Prävention von Armut bekannt ist. Der erste Bericht erscheint 2025.

Auf einen Blick

  • Gemeinsam mit Kantonen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft baut der Bund bis 2025 ein nationales Armutsmonitoring auf.
  • Das Armutsmonitoring wird kontinuierlich bestehendes Wissen bündeln und bereits verfügbare Informationen miteinander verknüpfen.
  • Alle fünf Jahre wird das Monitoring der Bundesversammlung Bericht erstatten, erstmals 2025.
  • Das Armutsmonitoring beobachtet und beschreibt die Armutslage der Bevölkerung und analysiert, mit welchen Strategien Armut wirksam bekämpft werden kann. Mit Längsschnittanalysen zeigt es auf, wie verfestigt die Armutssituation in der Schweiz ist.

Kantone, Gemeinden und Städte sind federführende Akteure bei der Prävention und Bekämpfung von Armut in der Schweiz. Der Bund unterstützt sie darin seit mehreren Jahren im Rahmen der Nationalen Plattform gegen Armut. Nun hat er zusätzlich die Aufgabe erhalten, ein nationales Armutsmonitoring einzurichten: Alle fünf Jahre ist der Bundesversammlung ein Bericht vorzulegen, der Bund, Kantonen und Gemeinden Steuerungswissen zur Armutsbekämpfung bereitstellt. So will es eine Motion der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, die das Parlament im Juni 2020 überwiesen hat (Geschäftsnummer 19.3953). Der erste Bericht ist für Ende 2025 geplant.

Das Nationale Armutsmonitoring startet nicht bei null. Bereits heute veröffentlicht das Bundesamt für Statistik (BFS) Kennzahlen zur Armut in der Schweiz. Gemäss den aktuellsten verfügbaren Zahlen waren 2020 rund 722’000 Menschen von Armut betroffen, das sind 8,5 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung (sogenannte Armutsquote). Dies zeigt die repräsentative Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen (SILC), die jährlich bei rund 8000 Haushalten durchgeführt wird.

Solche Indikatoren werden auch im nationalen Armutsmonitoring eine wichtige Rolle spielen. Der Auftrag des Parlaments führt jedoch in mehreren Punkten darüber hinaus: Erstens soll das Armutsmonitoring nicht allein die Lage der Bevölkerung beobachten und die Armut in der Schweiz systematisch beschreiben, sondern es soll zusätzlich analysieren, mit welchen Strategien Armut bekämpft wird und was über deren Wirksamkeit bekannt ist. Zweitens hat das Monitoring Vergleiche zwischen Kantonen anzustellen. Und drittens werden Längsschnittanalysen gefordert, die aufzeigen, wie verfestigt die Armutssituation in der Schweiz ist: Das Monitoring soll Aufschluss darüber geben, wie lange Menschen in Armut verbleiben und wie häufig sich Armut von einer Generation auf die nächste überträgt.

Mehrdimensionales Verständnis von Armut

Die Federführung bei der Erstellung des Nationalen Armutsmonitorings liegt beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Es hat im vergangenen Jahr das Gesamtkonzept des Monitorings entwickelt. Dieses beruht auf einem mehrdimensionalen Verständnis von Armut. Für statistische Indikatoren wie die Armutsquote wird wie bisher eine finanzielle Sichtweise ausschlaggebend sein: Arm ist ein Mensch, wenn er in einem Haushalt lebt, dessen finanzielle Mittel unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts liegen.

Diesen finanziellen Armutsbegriff kombiniert das Monitoring mit einem Lebenslagen-Ansatz, der die Wechselwirkungen von finanzieller Armut und anderen Lebensbereichen analysiert. Diese mehrdimensionale Herangehensweise ist für das Monitoring aus zwei Gründen wichtig: Erstens hängen Wege in die finanzielle Armut und daraus hinaus erfahrungsgemäss stark davon ab, in welchem Ausmass Menschen über andere, nicht-finanzielle Ressourcen verfügen – beispielsweise, welche Bildung sie genossen haben, wie es um ihre Gesundheit steht oder ob sie sich auf ihr soziales Umfeld verlassen können. Zweitens wird in der Armutspolitik verstärkt auf präventive Ansätze gesetzt, die verhindern sollen, dass Menschen überhaupt erst in finanzielle Notlagen geraten, und die sie zu befähigen suchen, ihr Leben möglichst selbstständig zu gestalten. Die Analyse solcher Handlungsansätze setzt voraus, dass das Verständnis der Ursachen und Wirkungen von Armut über eine rein finanzielle Sichtweise hinaus erweitert wird.

Das Konzept unterscheidet insgesamt sieben Dimensionen von Armut: Finanzen, Bildung, Gesundheit, Erwerbsintegration, Wohnen, soziale Beziehungen und politische Teilhabe. Jede dieser Dimensionen übernimmt im Monitoring eine doppelte Funktion: Sie beschreibt einerseits einen Lebensbereich von armutsbetroffenen Menschen. Andererseits handelt es sich um ein Politikfeld, das für die Bekämpfung und Prävention von Armut von massgeblicher Bedeutung ist.

Steuerungswissen – drei zentrale Fragen

Was heisst es, Steuerungswissen zur Prävention und Bekämpfung von Armut bereitzustellen? Um diesem Auftrag gerecht zu werden, orientiert sich das Monitoring an drei übergeordneten Themen und Fragestellungen (vgl. Grafik G1):

  • Armutslage der Bevölkerung – Wo liegen die Probleme?
    Das Monitoring zeigt auf, in welcher Armutssituation sich die Schweizer Bevölkerung befindet – wie viele Personen von Armut betroffen sind, welche Risikogruppen es gibt und aus welchen Gründen Personen unter Armut leiden.
  • Akteure der Armutsprävention und -bekämpfung – Wer kann was tun?
    Diese unscheinbare Frage ist bei näherem Hinsehen gar nicht einfach zu beantworten. Denn Armutspolitik hat einen Querschnittscharakter, viele Akteure und Massnahmen verfolgen nicht ausschliesslich – und oft nicht einmal hauptsächlich – armutspolitische Ziele (z. B. Frühe Förderung, Quartierentwicklung). Das Monitoring muss deshalb vermitteln, was unter Armutspolitik überhaupt zu verstehen ist und Bewusstsein für Handlungsspielräume und eine armutssensible Politikgestaltung schaffen.
  • Evaluatives Wissen – Welche Strategien und Massnahmen lohnen sich?
    Als «evaluativ» bezeichnet wird das Wissen um die Gelingensbedingungen, Wirkungen und Effizienz armutspolitischer Strategien und Massnahmen. Das Monitoring informiert darüber, welche Handlungsansätze sich besonders lohnen oder besonders wirksam sind.

Zur Beantwortung dieser Fragen wird sich das Monitoring nicht allein auf statistische Indikatoren verlassen. Zusätzlich wird es in spezifischen Themen den relevanten Forschungsstand zusammenfassen. Dabei sollen insbesondere auch Studien berücksichtigt werden, die auf einmaligen Analysen beruhen, qualitativen Charakter haben oder regional begrenzt sind. Was für Monitoringsysteme allgemein gilt, trifft auch auf das nationale Armutsmonitoring zu: Seine Aufgabe besteht nicht primär darin, neues Wissen zu Einzelphänomenen zu schaffen, sondern vielmehr darin, auf kontinuierlicher Basis bestehendes Wissen zu bündeln. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es bereits verfügbare Informationen miteinander verknüpft, den aktuellen Wissensstand mit Blick auf politisch relevante Fragestellungen bilanziert und die Erkenntnisse in dichter und gut verständlicher Form bereitstellt.

Aufbauphase bis 2025

Die Aufbauphase des nationalen Monitorings dauert von 2022-2025. Ihr Fokus liegt auf den drei Dimensionen «Finanzielle Verhältnisse», «Erwerbsintegration» und «Bildung». Die übrigen Dimensionen werden in späteren Berichten vertieft behandelt. Auch wird es im ersten Bericht noch nicht möglich sein, die statistischen Kennzahlen systematisch nach Kantonen auszuweisen. Hierzu fehlen derzeit die Datengrundlagen; die Erhebung SILC erlaubt aufgrund ihrer Stichprobengrösse keine Auswertungen nach Kantonen. Als Übergangslösung wird im ersten Zyklus eine Auswertung kantonaler Armuts- und Sozialberichte vorgenommen. Parallel dazu ist unter der Leitung des BFS eine Projektgruppe eingesetzt worden, die sich mit der Weiterentwicklung der statistischen Grundlagen des Monitorings befasst. Dabei wird insbesondere eine Ergänzung der bestehenden Statistiken mit kantonalen Steuerdaten geprüft, wie sie auch im Programm «Nationale Datenbewirtschaftung» (NaDB) vorgesehen ist. Die Ergebnisse der Abklärungen sollen in den späteren Zyklen für das Armutsmonitoring verwendet werden.

Wissenschaftlicher Beirat eingesetzt

Die Umsetzung des Armutsmonitorings erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, die sich in der Schweiz in der Prävention und Bekämpfung von Armut engagieren. Das Monitoring nutzt deshalb in der Aufbauphase die bewährten Gremien der Nationalen Plattform gegen Armut; die Aufträge der Steuergruppe und Begleitgruppe der Plattform sind entsprechend erweitert worden. Für die Bildung statistischer Indikatoren besonders wichtig ist die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik, das neu in der Steuergruppe vertreten ist, wie auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und die Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektorinnen und Volkswirtschafsdirektoren (VDK).

Schliesslich wurde spezifisch für das Monitoring ein wissenschaftlicher Beirat ins Leben gerufen. Er sichert die wissenschaftliche Qualität des Armutsmonitorings und berät zu diesem Zweck die übrigen Projektgremien und das Projektteam des BSV. Ihm gehören acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die über breite Expertise in den Schwerpunktthemen des ersten Monitoringberichts verfügen. Eine Übersicht der Projektgremien und ihrer Mitglieder findet sich auf der Webseite des Nationalen Armutsmonitorings.

Projektteam des BSV

Seit Anfang März 2022 ist Dr. Anna Koukal als Projektleiterin des Nationalen Armutsmonitorings tätig (anna.koukal@bsv.admin.ch). Andrea von Dach übernimmt im Mai 2022 die zweite Stelle im Projektteam.

Sozialwissenschaftler, Geschäftsfeld Alter, Generationen und Gesellschaft, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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