Die Kontakte der Versicherten mit den IV-Stellen: Entwicklungen 2008-2021

Christoph Müller
  |  24. März 2022
    Forschung und Statistik
  • Invalidenversicherung

Seit 2008 misst das Bundesamt für Sozialversicherungen in regelmässigen Abständen, wie sich die Kontakte der Versicherten mit den zuständigen kantonalen Stellen der Invalidenversicherung (IV) entwickeln. Die Zufriedenheit mit verschiedenen Aspekten des Austausches steht dabei im Zentrum. In der jüngsten Befragung wurde ausserdem ein besonderes Augenmerk auf die pandemiebedingten Umstände gelegt.

Auf einen Blick

  • Die IV führte 2008, 2016 und 2021 Befragungen von Versicherten durch.
  • Im Vordergrund steht die Frage, wie die Versicherten den angestrebten Kulturwandel der IV und die Servicequalität wahrnehmen.
  • Die Versicherten beurteilen die Verfahrensdauer, die Zufriedenheit mit den Kontakten und dem Entscheid der IV-Stelle sowie das Informationsangebot der IV-Stellen im Internet.
  • In der jüngsten Befragung wurde zudem erhoben, wie Covid-19 diese Wahrnehmung beeinflusst hat.

Im Jahr 2008 wurde zum ersten Mal im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) eine Zufriedenheitsbefragung bei den IV-Versicherten durchgeführt. Mit der 5. und 6. IVG-Revision wurde das Instrumentarium der Invalidenversicherung deutlich erweitert, wobei auch innerhalb der Stellen, die für dessen Anwendung zuständig sind, ein Kulturwandel angestrebt wurde. Acht Jahre später sollte mit einer weiteren Erhebung aufgezeigt werden, wie stark dieser Kulturwandel bereits umgesetzt werden konnte und wie die Versicherten die Leistungen der IV-Stellen einschätzten. Seither kam es zwar nicht mehr zu ähnlich grossen Umwälzungen in der Invalidenversicherung. Im Sinne eines kontinuierlichen Monitorings der Servicequalität der IV-Stellen erfolgte 2021 eine weitere Messung.

Die Methode

Im Rahmen der Erhebung 2021 wurden Personen befragt, welche in den 24 Monaten vor Erhebungsstart, d.h. zwischen April 2019 und März 2021, im Rahmen eines Gesuchs mit einer IV-Stelle Kontakt hatten. Die Interviews konnten wahlweise als Onlinefragebogen oder telefonisch geführt werden, um möglichst allen gezogenen Zielpersonen eine Teilnahme zu ermöglichen. Zwischen Ende Mai und Anfang August 2021 wurden auf diese Weise 4437 Versicherte befragt, und zwar in allen Sprachregionen und Kantonen der Schweiz. Durch ein Gewichtungsverfahren wird sichergestellt, dass die Ergebnisse trotz Veränderungen bei der Zusammensetzung der Antragstellenden miteinander verglichen werden können. Diese Zeitreihe (in den Graphiken jeweils die ersten drei Säulen von links) gibt Auskunft über die Veränderungen im Vergleich zum Jahr 2008 und dient damit in erster Linie dazu, die Entwicklungen der Zufriedenheit mit den IV-Stellen im Anschluss an die 5. und 6. IVG-Revisionen aufzuzeigen. Die Beurteilung der Qualität der Arbeit der IV-Stellen wird dabei nicht durch Veränderungen in der Zusammensetzung der Antragstellenden beeinflusst. Gerade weil sich die Struktur der Dossiers in den vergangenen 15 Jahren aber deutlich gewandelt hat (u.a. weniger Rentenbescheide), werden für die Jahre 2016 und 2021 auch Resultate ausgewiesen, welche diese Entwicklungen berücksichtigen, d.h. auf der jeweils aktuellen Versichertenstruktur beruhen (in den Graphiken jeweils die beiden rechtsstehenden Säulen).

Einschätzung der Verfahrensdauer und Zufriedenheit

Auch wenn es im Zusammenhang mit Covid-19 in gewissen Fällen wahrscheinlich zu Verzögerungen bei der Bearbeitung der Dossiers gekommen ist, zeigt sich, dass sich vor allem die Wahrnehmung der Wartezeit bis zum Entscheid ungünstig entwickelt hat, dies obwohl die Dauer der Verfahren objektiv betrachtet im Durchschnitt etwas kürzer ist.

Obschon die tatsächlich gemessene Dauer von der Anmeldung bis zum Entscheid zwischen den Messzeitpunkten der Zeitreihe (linksstehend auf der Graphik G1) weitgehend konstant gehalten wird, zeigt sich, dass die Verfahrensdauer von den Befragten 2021 als deutlich länger eingeschätzt wird. So ist der Anteil der Dossiers, welche gemäss den interviewten Personen mehr als ein Jahr bis zum Abschluss benötigten, seit 2016 um 11 Prozent gestiegen (+10% ohne Zeitreihengewichtung). Die nach 2008 tatsächlich eingetretene Verkürzung der Entscheiddauer wird damit in der Wahrnehmung der befragten Personen im Gegensatz zum Messzeitpunkt 2016 nicht wahrgenommen. Die objektiv betrachtet raschere Arbeitsweise der IV-Stellen findet also nur noch bedingt ihr Echo in der Beurteilung durch die Versicherten, welche die Wartezeit bis zum Beschluss zunehmend überschätzen.

Das Zufriedenheitsniveau bezüglich der Dauer bis zum Entscheid bleibt indes knapp stabil.

Gemäss Graphik G2 ist die Beurteilung der Verfahrensdauer im Vergleich zu 2016 fast unverändert, und zwar sowohl in der Betrachtung der Zeitreihe, wie auch in der Gegenüberstellung der 2016er- und 2021er-Stichproben mit ihren aktuellen Strukturen. In der jüngsten Erhebung geben 13 Prozent an, dass der Prozess viel zu lang gedauert hätte und 22 Prozent, dass es sehr schnell ging.

Allgemeine Zufriedenheit mit dem Entscheid und dessen Verständlichkeit

Wahrscheinlich dank einer im Vergleich zu 2016 noch etwas rascheren Arbeitsweise konnten auch die Resultate zur generellen Zufriedenheit mit dem Entscheid gehalten werden.

Die allgemeine Zufriedenheit liegt 2021 auf dem gleichen Niveau wie bei der Befragung 2016. Zu verdanken ist dies den noch etwas kürzeren Verfahrensdauern (gemäss Registerdaten). Sobald diese nämlich durch die Zeitreihengewichtung konstant gehalten werden (linksstehende drei Balken in Graphik G3), sind bei der allgemeinen Zufriedenheit mit dem Entscheid in der aktuellen Messung Einbussen zu verzeichnen. Die Verständlichkeit des kommunizierten Entscheids bleibt konstant gut: 2021 fanden 81 Prozent der Befragten, dass die Entscheide klar und leicht zu verstehen waren.

Internetseiten der IV-Stellen

Die Nutzung der Internetseiten der IV-Stellen hat 2021 weiter zugenommen, ist aber noch nicht für alle Versicherten zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die grösste Veränderung bezüglich des Anteils der Nutzer der Internetseiten hat ausserdem in der Zeit von 2008 bis 2016 stattgefunden. Seither verläuft die Entwicklung deutlich langsamer und Personen, welche die Interseite ihrer IV-Stelle konsultieren, bleiben weiterhin in der Minderheit (2021: 41%). Die Webauftritte erhalten nach wie vor sehr gute Noten und konnten mit den steigenden Anforderungen aus dem Zielpublikum mithalten: In der aktuellen Messung bezeichnen sie 85 Prozent der Befragten als übersichtlich, 84 Prozent als gut verständlich und 89 Prozent als informativ. Die IV-Stellen haben also in den vergangenen fünf Jahren ihr Webangebot nochmals deutlich verbessert, die Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer sind aber mehr oder weniger im Gleichschritt gewachsen.

Zufriedenheit mit der IV-Stelle sowie deren Mitarbeitenden

Der Kontakt zwischen Antragstellenden und der zuständigen IV-Stelle hat sich seit 2016 eher noch etwas intensiviert, persönliche Gespräche in den IV-Stellen-Räumlichkeiten erfahren aber (wahrscheinlich auch Covid-bedingt) einen kleinen Rückgang. Der Einsatz von E-Mail hat dafür zugenommen (ebenfalls der Briefverkehr).

Die Zufriedenheit der versicherten Personen mit den Mitarbeitenden der IV-Stellen ist im Vergleich zu 2016 ziemlich konstant.

Die Zufriedenheit der Versicherten mit den persönlichen IV-Berater/innen ist stabil (vergleichbare Zeitreihe, 2021: 87% eher zufrieden, 2016: 86%). Weiterhin als sehr gut beurteilt werden auch die Kontakte mit den Mitarbeitenden des Empfangs (2021: 91%, 2016: 92%, 2008: 89%, siehe Graphik G4).

In der Detailbewertung verschiedener Kriterien sind aber leichte Verkleinerungen der Zufriedenheit auszumachen. Ein Vergleich zwischen den beiden Analysemethoden lässt vermuten, dass gerade ältere Versicherte mit lang andauernden Anträgen und Rentenbescheiden weniger zufrieden sind als noch vor fünf Jahren.

Im Bereich der Freundlichkeit des Empfangs beispielsweise verringert sich der Anteil «stimmt sehr» in der Zeitreihe von 66 Prozent auf 57 Prozent (linksstehend in Grafik G5.1). Dieser Rückgang kann nur teilweise in der Kategorie «stimmt eher» wettgemacht werden. Auffällig ist, dass vor allem gemäss der Zeitreihengewichtung 2021 ein Absinken der Zufriedenheit deutlich sichtbar ist (siehe auch Eigenschaft in Grafik G5.2 «Hören zu, nehmen die Leute ernst»). Betrachtet man 2016 und 2021 in Bezug auf ihre jahresaktuellen realen Stichprobenstrukturen (jeweils die zwei letzten Balken in Graphik G5.1 und G5.2), so lassen sich zwar auch etwas weniger zufriedene Versicherte bemerken, jedoch in einem sehr viel geringeren Ausmass und meistens ohne klaren Verlust des eigentlichen Zufriedenheitsniveaus. Diese Feststellung lässt folgende Hypothese zu: In der Zeitreihe erhalten Personen mit durchschnittlich eher langen Verfahren durchgehend ihr inzwischen überholtes Gewicht aus der Nullmessung 2008. Deren Zufriedenheit hat offenbar in letzter Zeit deutlich stärker abgenommen; ihr grosser Anteil in der Zeitreihe lässt dies durchscheinen. Dies dürfte vor allem dadurch ausgelöst werden, dass die IV-Stellen sich verstärkt an der neuen Kundenstruktur ausrichten, welche im Durchschnitt jünger ist und weniger häufig Renten zugesprochen werden. Fakt ist jedenfalls, dass die Entwicklung der Zufriedenheitsdaten bezüglich den Mitarbeitenden unter Beachtung des sich verändernden Profils der Versicherten sehr viel weniger Anlass zur Sorge gibt. Mit anderen Worten: die IV-Angestellten passen sich, trotz einer kleinen Baisse, ganz gut an die neuen Verhältnisse an.

Das Gleiche gilt für die Gesamtbeurteilung der IV-Stellen (siehe Graphik G6.1 und G6.2).

Bei der Situation bezüglich den Reklamationen und deren Bearbeitung gibt es dementsprechend kleine Abstriche, sie kann aber weiterhin als nicht besorgniserregend eingestuft werden (2021: 9% der Befragten mit eingereichter Reklamation). Der Einsatz der IV zu Gunsten der beruflichen Eingliederung wird hingegen noch etwas positiver wahrgenommen: Von den Versicherten im Eingliederungsprozess melden 2021 über 70 Prozent, dass sich die IV-Stelle genügend dafür engagiert hat.

Einfluss von Covid-19

Die IV-Stellen haben sich alles in allem gut den besonderen Umständen der Corona-Pandemie angepasst, auch wenn ein paar Einschränkungen (z.B. Verfügbarkeit einer Ansprechperson während des Verfahrens) bemerkbar waren. Die Kontaktqualität hat aus Sicht der Befragten denn auch nur selten gelitten und offenbar in bestimmten Fällen sogar von den neuen Rahmenbedingungen profitiert (siehe Graphik G7).

Lic. rer. soc., Generaldirektor M.I.S. Trend AG.
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