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Neue IV-Instrumente beim Berufseinstieg bewähren sich

Jugendliche mit einer gesundheitlichen Einschränkung erhalten von der IV gezielte Unterstützung beim Berufseinstieg. Die vor drei Jahren eingeführten Instrumente werden von den befragten Fachpersonen positiv beurteilt, wie eine Evaluation zeigt.
Fernanda Benz, Maria Ritter
  |  27. Mai 2025
    Forschung und Statistik
  • Eingliederung
  • Invalidenversicherung
Eine individuelle Unterstützung beim beruflichen Einstieg ist für junge Menschen mit einer gesundheitlichen Einschränkung wichtig. (Alamy)

Auf einen Blick

  • Die Anfang 2022 eingeführten Neuerungen der IV leisten einen wichtigen Beitrag zur Früherfassung und beruflichen Unterstützung von Jugendlichen mit gesundheitlichen Einschränkungen, wie eine Evaluation zeigt.
  • Die Fachpersonen, die die betroffenen jungen Menschen bei diesem Übergang begleiten, schätzen die neuen Instrumente der letzten IV-Reform.
  • Die wachsende Zahl von Jugendlichen mit komplexen psychischen Erkrankungen stellt gemäss Evaluation eine grosse Herausforderung dar.

Für viele junge Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen stellt der Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung und in die Arbeitswelt eine hohe Anforderung dar. Die Anfang 2022 in Kraft getretene Reform der Invalidenversicherung (IV) zielte deshalb insbesondere darauf ab, sie beim Wechsel ins Erwerbsleben bedarfsgerechter zu unterstützen und Invalidität möglichst zu verhindern.

Das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung sieht eine Reihe von neuen und verbesserten Instrumenten vor:

  • Die IV-Stellen können die Instrumente «Früherfassung» und «Frühintervention», die sich für erwachsene Personen bewährt haben, neu auch bei Jugendlichen einsetzen – kombiniert mit Unterstützungsleistungen im Rahmen von Zusammenarbeitsvereinbarungen mit den kantonalen Bildungsbehörden.
  • Die Palette an Vorbereitungsmassnahmen auf eine erstmalige berufliche Ausbildung wurde differenziert und erweitert, um bestehende Angebotslücken zu schliessen, etwa für Jugendliche mit psychischen Problemen.

Diese Neuerungen konnten grösstenteils problemlos umgesetzt werden. Fachleute der IV-Stellen, der kantonalen Stellen und Anbieter von Eingliederungsmassnahmen beurteilen sie positiv. Die neuen und verbesserten Instrumente ermöglichen eine adäquatere und individuellere Unterstützung der betroffenen Jugendlichen. Dies ist das Fazit einer Evaluation, die das Forschungsbüro Infras zusammen dem Sozialwissenschaftler Ralph Thomas im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) durchgeführt hat.

Gezielte Früherfassung

Eine Früherfassung bereits ab 13 Jahren soll es ermöglichen, Jugendliche mit einer gesundheitlichen Einschränkung möglichst frühzeitig bedarfsgerecht zu unterstützen und dadurch eine Chronifizierung der Situation zu verhindern. Zu diesem Zweck kann die IV kantonale Koordinationsstellen, die Jugendliche mit Mehrfachproblematiken beim Berufseinstieg begleiten, finanziell unterstützen. Diese Stellen bauen spezifisches Wissen zur IV auf und übernehmen in enger Zusammenarbeit mit der IV-Stelle die Früherfassung und Information betroffener Jugendlicher. Indem eine IV-externe Beratungsstelle diese Aufgabe wahrnimmt, sollen ein zu früher Kontakt mit der IV oder unnötige Interventionen sowie die Medikalisierung psychosozialer Probleme verhindert werden.

In der Regel handelt es sich bei diesen kantonalen Koordinationsstellen um das sogenannte «Case Management Berufsbildung» (CMBB), das junge Menschen mit Mehrfachproblematiken beim Berufseinstieg unterstützt. Es steht in den meisten Kantonen schon in den beiden letzten Jahren der obligatorischen Schule mit den Jugendlichen, deren Erziehungsberechtigten und den Schulen in Kontakt. Gemäss Aussagen der in der Evaluation Befragten wird das «Case Management Berufsbildung» im Vergleich zu den IV-Stellen als neutraler wahrgenommen. Deshalb können so bestehende Hemmschwellen gegenüber der IV abgebaut und die Akzeptanz für eine Anmeldung bei der IV erhöht werden.

Es gibt erste Hinweise darauf, dass auch Jugendliche mit psychischen Erkrankungen besser erfasst werden. Dies ist relevant, weil psychische Erkrankungen bei dieser Altersgruppe die häufigste Ursache für eine IV-Rente sind (vgl. IV-Statistik 2023) und eine frühzeitige Erkennung und Behandlung von zentraler Bedeutung ist.

Vielfältige Angebotspalette für Jugendliche

Junge Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen sollen mit geeigneten Angeboten für eine erstmalige berufliche Ausbildung befähigt werden. Dazu gehören zum Beispiel die «vorbereitenden Massnahmen in der Berufsberatung»: In einem mehrmonatigen Schnuppereinsatz können Jugendliche mögliche Berufsziele in der Praxis ausprobieren und erste Arbeitserfahrungen sammeln. Die «regulären Brückenangebote» der Kantone können um spezifische Elemente erweitert werden, damit sie auch für junge Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zugänglich sind. Im Rahmen der «gezielten Vorbereitung» sind diverse Unterstützungsformen wie Kurse, Praktika oder Coachings möglich. Voraussetzung ist, dass die Berufswahl erfolgt ist und die Vorbereitung spezifisch darauf ausgerichtet ist.

Von besonderem Interesse sind «Integrationsmassnahmen», die neu auch Jugendlichen zur Verfügung stehen. Es ist das niederschwelligste Angebot der IV, da zu Beginn eine achtstündige Anwesenheit pro Woche ausreicht. Ziel ist es, dass die betroffene Person ihre Präsenz- und Leistungsfähigkeit erhöhen und im Anschluss eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit aufnehmen kann. Die befragten Fachpersonen schätzen die Integrationsmassnahmen, weil sie jungen Menschen mit komplexen psychischen Erkrankungen eine Struktur und Perspektiven ermöglichen. Aktuell sehen sie es noch als Herausforderung, diese Massnahmen zu gestalten, hier besteht Entwicklungspotenzial.

Insgesamt hat sich die Anzahl Jugendlicher und junger Erwachsener, die an den Vorbereitungsmassnahmen der IV teilnehmen, von 3997 im Jahr 2022 auf 6347 im Jahr 2023 erhöht. In diesen Zahlen sind Doppelzählungen von Jugendlichen enthalten, die an mehreren Massnahmen teilgenommen haben.

Grenzen der Evaluation und der IV

Aussagen zu den Wirkungen der Neuerungen sind noch nicht möglich. Der berufliche Einstieg von Jugendlichen mit einer gesundheitlichen Einschränkung ist in der Regel ein langfristiger, mehrjähriger Prozess, häufig auch mit Rückschlägen und Krisen verbunden. Es wird sich erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand evaluieren lassen, inwiefern die Neuerungen zu einer erfolgreichen beruflichen Ausbildung beziehungsweise Eingliederung beitragen. Eine entsprechende Wirkungsevaluation ist aber bereits geplant.

Die aktuelle Evaluation zeigt zudem, dass es die IV mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun hat, die sie nicht oder nur sehr beschränkt beeinflussen kann. So steigt gemäss den befragten Akteuren die Zahl von Jugendlichen mit komplexen psychischen Erkrankungen. Vielen gelingt es nicht, nach einer zwölfmonatigen Integrationsmassnahme im geschützten Rahmen eine Anschlusslösung wie zum Beispiel eine erstmalige berufliche Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt zu finden und absolvieren.

Schliesslich weisen die befragten Fachpersonen darauf hin, dass die angespannte Situation im psychiatrischen und psychologischen Bereich den Unterstützungs- und Eingliederungsprozess betroffener Jugendlicher erschwert. Um junge Menschen zu befähigen, den Einstieg ins Erwerbsleben zu meistern, ist die IV auf andere Akteure und auf eine gute Zusammenarbeit mit diesen angewiesen. Dies sind etwa die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, die die jungen Menschen im Berufseinstieg bestärken, oder die Arbeitgebenden, die den Betroffenen eine Chance geben.

Literaturverzeichnis

Hammer, Stephan; Gasser, Yannick; Gmür, Malena; Stern, Susanne; Thomas, Ralph (2025). Evaluation der Umsetzung der Neuerungen in der Invalidenversicherung am Übergang I. Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 3/25.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Invalidenversicherung, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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Projektleiterin, Forschung und Evaluation, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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