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Prämienverbilligung neu geregelt: Mehr Verantwortung für die Kantone

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung soll für alle bezahlbar bleiben – auch bei steigenden Gesundheitskosten. Voraussichtlich ab 2026 verpflichtet ein neuer Mindestbeitrag die Kantone, sich finanziell stärker an der Prämienverbilligung zu beteiligen.
Daniel Scherer
  |  09. September 2025
    Recht und Politik
  • Krankenversicherung
Certains cantons, dont Bâle-Ville, remplissent déjà les futures exigences minimales. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Die individuelle Prämienverbilligung sorgt dafür, dass auch Menschen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen ihre Krankenkassenprämien bezahlen können.
  • Die Prämienverbilligung wird gemeinsam vom Bund und den Kantonen finanziert.
  • Voraussichtlich ab 2026 werden die Kantone zu einem Mindestanteil an der Finanzierung der Prämienverbilligung verpflichtet.

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) gewährleistet, dass alle in der Schweiz Versicherten einen raschen Zugang zu medizinischen Behandlungen erhalten und diese für sie bezahlbar sind. Finanziert werden die von der OKP übernommenen Kosten zu einem Grossteil über die Prämien der Versicherten. Die Prämien der OKP sind für alle Versicherten beim selben Versicherer gleich hoch, unterscheiden sich jedoch nach Altersgruppe, Wohnort, gewählter Franchise, Versicherungsmodell und Unfalldeckung.

Die Finanzierungsstrategie des Bundesrats zur OKP basiert zum einen auf einer versicherungstechnischen Solidarität zwischen den Geschlechtern, jungen und alten Menschen und gesunden und kranken Menschen: Der Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen sorgt dafür, dass die Versicherer nicht nur gute Risiken (gesunde, junge Menschen) in ihrem Bestand halten und es somit keine risikobasierten Prämienunterschiede gibt (vgl. Perler 2024).

Bezahlbare Prämien für alle

Zum anderen setzt der Bundesrat auf eine sozialpolitische Komponente: die individuelle Prämienverbilligung (Bundesrat 2006 und Bundesrat 2023). Die Prämienverbilligung bezweckt die Sicherstellung erträglicher Prämien für Versicherte in «bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen» (siehe Eugster 2016 und Nef 1997).

Ihre Durchführung obliegt den Kantonen – sie legen den Kreis der Begünstigten, die Höhe der Verbilligung, das Verfahren und die Auszahlungsmodalitäten näher fest. Dabei unterscheiden sich die kantonalen Systeme erheblich, da sie auf die jeweiligen Steuern und übrigen Sozialleistungen abgestimmt sind. In einigen Kantonen ist ein Antrag notwendig, während in anderen die Prämienverbilligung aufgrund der Steuerdaten automatisch an den Versicherer ausbezahlt wird.

Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) macht hinsichtlich des Anspruchs einzig Mindestvorgaben für Kinder und junge Erwachsene in Ausbildung: Für untere und mittlere Einkommen müssen die Kantone die Prämien der Kinder um mindestens 80 Prozent und die Prämien der jungen Erwachsenen in Ausbildung um mindestens die Hälfte verbilligen. Ansonsten entscheiden die Kantone weitestgehend selbst, wer in «bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen» lebt.

2,5 Millionen Versicherte erhalten Verbilligung  

Die Prämienverbilligung wird von den Kantonen direkt an die Krankenversicherer ausbezahlt. Im Jahr 2023 bezogen gemäss der Statistik der obligatorischen Krankenversicherung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) 2,5 Millionen Versicherte eine Prämienverbilligung. Dies entspricht 28 Prozent aller OKP-Versicherten. In dieser Zahl enthalten sind auch 406 000 Personen, deren Prämien über die Ergänzungsleistungen (EL) verbilligt wird und weitere 301 000 Personen, denen die Prämie über die Sozialhilfe verbilligt wird.

Im Jahr 2023 betrugen die Gesamtausgaben von Bund und Kantonen zur Verbilligung 5,9 Milliarden Franken. Davon wurden etwas mehr als 3 Milliarden Franken für EL-Beziehende (2,2 Milliarden Franken) und für Sozialhilfebeziehende (0,9 Milliarden Franken) aufgewendet (BAG 2023).

Kantone bald in der Pflicht

Die Prämienverbilligung wird seit ihrer Einführung im Jahr 1996 von Bund und Kantonen gemeinsam ungefähr je zur Hälfte finanziert. Der Bundesbeitrag beträgt zurzeit 7,5 Prozent der schweizweiten Bruttokosten der OKP. Der Bundesbeitrag erhöht sich automatisch, wenn die Kosten der OKP und damit die Prämien steigen. Im Jahr 2023 belief sich der Bundesbeitrag auf 3 Milliarden Franken, im laufenden Jahr sind es knapp 3,6 Milliarden Franken (BAG 2023). Der Bundesbeitrag wird auf die Kantone anhand ihrer Wohnbevölkerung aufgeteilt.

Die Kantone ergänzen den Bundesbeitrag durch eigene Mittel. Aktuell sind sie nicht verpflichtet, ihre Beiträge bei einer Steigerung der Kosten der OKP zu erhöhen. Entsprechend haben einige Kantone ihren Beitrag in der Vergangenheit nur teilweise an die gestiegenen Kosten angepasst oder sogar gesenkt (Bundesrat 2021 und BAG 2023).

Um ein bestimmtes Finanzierungsgleichgewicht zwischen Bund und Kantone zu wahren, beschloss das Parlament als indirekten Gegenvorschlag zu der im Juni 2024 an der Urne verworfenen «Prämien-Entlastungs-Initiative» eine Änderung des KVG: Voraussichtlich ab Anfang 2026 muss jeder Kanton jährlich einen bestimmten Mindestanteil der kantonalen Bruttokosten der OKP an die Finanzierung der Prämienverbilligung leisten.

Wie wird der Mindestanteil berechnet?

Der Mindestanteil wird anhand der Prämienbelastung der 40 Prozent im Kanton wohnhaften einkommensschwächsten Versicherten berechnet. Machen die Prämien nach einer allfälligen Prämienverbilligung weniger als 11 Prozent der Einkommen aus, so beträgt der kantonale Mindestanteil 3,5 Prozent der Bruttokosten. Machen die Prämien hingegen 18,5 Prozent der Einkommen oder mehr aus, so beträgt der Mindestanteil 7,5 Prozent der Bruttokosten. Zwischen diesen Eckwerten erhöht sich der Mindestanteil linear. Hierbei gilt eine Übergangsfrist von zwei Jahren: In den ersten beiden Jahren nach Inkrafttreten muss der Mindestbeitrag in allen Kantonen 3,5 Prozent der kantonalen Bruttokosten betragen.

Weiter sieht der Gegenvorschlag ein Sozialziel vor, indem jeder Kanton festlegt, welchen Anteil die Prämie am verfügbaren Einkommen der Versicherten mit Wohnort im Kanton höchstens ausmachen darf. Diesen Höchstanteil können die Kantone selbst festlegen, wie auch die zugrunde liegenden Basisgrössen – etwa bezüglich Einkommen und Prämien. Hat der Kanton sein Sozialziel vier Jahre nach Inkrafttreten dieser Änderung noch nicht festgelegt, wird der Bundesrat dieses festlegen.

Die Einzelheiten regelt der Bundesrat in der «Verordnung über die Beiträge der Kantone und des Bundes zur Prämienverbilligung in der Krankenversicherung (VPVK)». In der Vernehmlassung zu den Ausführungsverordnungen unterstützen 24 von 26 Kantonen im Grundsatz die Vorschläge des Bundesrates. Die Änderungen sollen gemäss Vernehmlassungsvorlage per 1. Januar 2026 in Kraft treten.

Anpassungen in Mehrheit der Kantone

Wäre der Gegenvorschlag im Jahr 2023 bereits in Kraft gewesen, hätten nach Berechnungen des BAG die zehn Kantone Appenzell Ausserrhoden, Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, Schaffhausen, Solothurn, Tessin, Uri, Waadt und Zug die regulären Mindestanforderungen des Gegenvorschlags bereits erfüllt; die übrigen Kantone hätten ihre Beiträge erhöhen müssen (siehe Karte). Da die Kantone Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Schwyz, Glarus den Mindestanteil der kantonalen Bruttokosten von 3,5 Prozent nicht erreichten, wären sie – Stand 2023 – gezwungen gewesen, die Beiträge per sofort zu erhöhen, die übrigen Kantone nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren.

Der Gegenvorschlag dürfte auch finanzielle Anreize für Bund und Kantone zur Kostendämpfung liefern: Je tiefer die Kosten eines Kantons, umso tiefer sind die Mindestbeiträge, welche die Kantone für die Prämienverbilligung aufwenden müssen. Da die Summe der kantonalen Bruttokosten die Basis für den Bundesbeitrag legen wird, teilt auch der Bund das Interesse der Kantone an tiefen kantonalen Bruttokosten.

Bestimmte Vorwirkungen dieses Gegenvorschlags lassen sich denn auch schon erkennen: In Hinblick auf das Inkrafttreten der neuen Regelungen haben bereits einige Kantone ihre Beiträge an die Prämienverbilligung erhöht. Andere überprüfen ihr Verfahren zur Feststellung des Anspruchs. Denkbar wäre etwa, den Anspruch automatisch zu ermitteln, sodass kein Gesuch mehr erforderlich ist.

Der Gegenvorschlag verspricht schliesslich, dass die Prämien für die Versicherten tragbar bleiben sollen, indem sichergestellt wird, dass sowohl der Bund als auch die Kantone die gemeinsame Finanzierung der Prämienverbilligung gewährleisten. Die Stärkung dieser sozialpolitischen Finanzierungskomponente trägt dazu bei, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung als Ganzes weiterhin von der Bevölkerung solidarisch mitgetragen wird und alle Versicherten weiterhin einen raschen Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung erhalten.

Literaturverzeichnis

BAG (2023). Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2023, 11. Juni 2025.

Boes, Stefan (2025). Krankenversicherung: Prämien vom Einkommen abhängig machen? Soziale Sicherheit CHSS, 7. August.

Bundesrat (2005). Botschaft vom 9. Dezember 2006 zur Volksinitiative «Für eine soziale Einheitskrankenkasse».

Bundesrat (2021). Botschaft vom 17. September 2021 zur Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und zum indirekten Gegenvorschlag (Änderung des Krankenversicherungsgesetzes)

Bundesrat (2023). Stellungnahme vom 30. August 2023 zur Motion 23.3920 Weichelt «Schluss mit den unsozialen Kopfprämien bei der Krankenversicherung».

Eugster, Gebhard (2016). Krankenversicherung, Soziale Sicherheit, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, 3. Aufl., Basel 2016, N. 1391.

Nef, Urs (1997). Die Prämienverbilligung in der Krankenversicherung mit einer Ehrenrettung für das «Giesskannenprinzip», in: LAMal – KVG, Recueil de travaux, en l’honneur de la société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, S. 488 ff.

Perler, Fabrice (2024). Krankenversicherung: Jüngste Anpassungen im Risikoausgleich zeigen Wirkung. Soziale Sicherheit CHSS, 22. Februar.

Rechtsanwalt, Rechtsetzung und politische Geschäfte, Kranken- und Unfallversicherung, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
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