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Teilzeitarbeit birgt Risiken

Ein gutes Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung sowie Teilzeitarbeit erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Doch wer in tiefen Pensen arbeitet, setzt möglicherweise seine soziale Absicherung und berufliche Laufbahn aufs Spiel.
Doris Bianchi
  |  09. Dezember 2025
    Meinung
  • Arbeit
  • Chancengerechtigkeit
  • Sozialpolitik allgemein
In der Dienstleistungsbranche ist Teilzeitarbeit stark verbreitet. Coiffeursalon in Wallisellen ZH. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Die Einführung der Mutterschaftsentschädigung 2005 sowie der Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich verbessert.
  • Teilzeitarbeit erleichtert die Vereinbarkeit, birgt aber bei tiefen Pensen Risiken für die soziale Absicherung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit.
  • Bund und Kantone wollen die Zusammenarbeit in der Familienpolitik intensivieren.

«La politique familiale n’existe pas», schrieb das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) vor 30 Jahren in der «Sozialen Sicherheit» (Herzig 1995). Die Neunzigerjahre waren nach dem Fall der Mauer das Jahrzehnt der Freiheit und des Aufbruchs. In der Familienpolitik war von diesem Aufbruch wenig zu spüren.

1994 war das UNO-Jahr der Familie. Aber wer davon einen Aufbruch erwartete, wurde enttäuscht. Dazu hiess es im BSV-Beitrag: «Mit Elternbildung, alleinerziehenden Müttern, Tagesschulen, Kinderkrippen ist wenig Staat zu machen und wenig vom Staat zu holen.» Und noch deutlicher: «Die Familienpolitik zeigt lethargische Charakterzüge».

Ganz hoffnungslos aber war die Lage nicht. Einleitend ist auch von einer «gewissen Morgenröte am Himmel der Familienpolitik» die Rede. Es zeichneten sich Lösungen ab für die Mutterschaftsentschädigung und für nationale Familienzulagen.

Der Mutterschaftsentschädigung stimmte das Volk 2004 schliesslich mit 56 Prozent Ja-Stimmen zu – 60 Jahre nachdem diese in der Verfassung verankert worden war und nach fast 20 Anläufen. Möglich gemacht hat das eine breite überparteiliche Allianz aus FDP, SP, CVP und SVP, nachdem 1999 eine Vorlage an der Urne gescheitert war. Die Gesetzesänderung trat im Jahr 2005 in Kraft.

Im Jahr 2006 wiederum wurde das nationale Familienzulagengesetz mit 68 Prozent Ja-Stimmen an der Urne angenommen und wurde drei Jahre später umgesetzt. Seit dessen Inkrafttreten im Jahr 2009 haben alle Arbeitnehmenden mit Kindern sowie in bestimmten Fällen auch Nichterwerbstätige Anspruch auf eine Familienzulage; vier Jahre später wurden auch Selbstständige dem Gesetz unterstellt.

Grosse Fortschritte in der familienergänzenden Kinderbetreuung

Bereits 2003 war das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung in Kraft getreten – nur drei Jahre, nachdem es durch eine parlamentarische Initiative angestossen worden war. Dank der Unterstützung des Bundes konnten in den letzten 20 Jahren rund 80 000 Betreuungsplätze geschaffen werden.

Damals hat man im Parlament nicht auf die föderale Aufgabenteilung verwiesen, sondern man hat die Chance gesehen, die in diesem Programm steckt. Die familienergänzende Kinderbetreuung war eine Chance für die Volkswirtschaft – es herrschte Fachkräftemangel und in den Frauen sah man vor allem auch volkswirtschaftliches Potenzial. Sie war aber auch eine Chance für Frauen, Väter und Familien.

Der Ausbau der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung ist eine Erfolgsgeschichte. Sie zeigt: Familienpolitik muss sowohl als Sozial- wie auch als Wirtschaftspolitik verstanden werden – als Politik der Absicherung und der Chancen.

«La politique familiale existe»

Heute kann man sagen: «La politique familiale existe». Aber es gibt auch Defizite, zum Beispiel bei der Teilzeitarbeit. Im Jahr 2024 arbeiteten fast 6 von 10 Frauen Teilzeit, also in einem Pensum von weniger als 90 Prozent. Bei den Männern sind es 2 von 10. Damit ist die Schweiz laut der Statistikbehörde Eurostat europaweit an der Spitze. Bei den Männern hat der Anteil in den letzten Jahren gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) stetig zugenommen. Bei den Frauen ist der Anteil seit Jahren stabil, wobei ein Trend hin zu höheren Pensen festzustellen ist.

Die Gründe für die Zunahme von Teilzeitarbeit hängen eng mit der Familienpolitik zusammen. Teilzeit macht es einfacher, Familienleben und Berufsleben miteinander zu vereinbaren. Und zahlreiche Unternehmen fördern die Teilzeitarbeit, da sie von der Flexibilität der Mitarbeitenden profitieren.

Es sind aber auch strukturelle Faktoren, die Teilzeitarbeit vor allem Mütter davon abhalten, Vollzeit oder in höheren Pensen zu arbeiten. Die hohen Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung spielen hier eine zentrale Rolle. In einer Studie des Forschungsunternehmens Ecoplan sagt ein Drittel der erwerbstätigen Frauen, sie würden ihr Pensum erhöhen, wenn die Kosten für die Kitas tiefer wären oder wenn es mehr familienfreundliche Arbeitsplätze gäbe (Ecoplan 2023).

Auch steuerliche Rahmenbedingungen wirken hemmend – für etwa ein Drittel stellen sie ein Hindernis dar, das Pensum auszuweiten. Nicht zu vergessen sind auch jene, die keine andere Wahl haben, als Teilzeit zu arbeiten, weil es den Job Vollzeit nicht gibt oder die Arbeitsbelastung bei einem vollen Pensum zu hoch ist.

Teilzeitarbeit oft zulasten von Müttern

Teilzeitarbeit bringt Vorteile für die Vereinbarkeit, aber sie ist auch eine Falle. Tiefe Teilzeitpensen bedeuten häufig ein tieferes Einkommen und dadurch eine schlechtere soziale Absicherung, insbesondere in der zweiten Säule. In der AHV greift die eingebaute Solidarität, die auch für Mütter gute Renten gewährleistet, insbesondere das Einkommenssplitting bei Verheirateten und die Erziehungsgutschriften. In der beruflichen Vorsorge hingegen führen tiefe Pensen und tiefe Löhne unweigerlich zu tieferen Renten. Im Jahr 2023 betrug die durchschnittliche Rente von Frauen in der Schweiz 36 000 Franken; jene der Männer 52 500 Franken. Der «Gender Pension Gap» verharrt seit Jahren bei rund 30 Prozent.

Dieses Missverhältnis lässt sich auch nicht einfach korrigieren, indem man die berufliche Vorsorge reformiert und den Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle senkt. Kleine Löhne ergeben kleine Pensionskassenrenten. Das Problem ist nicht einfach gelöst, wenn diese Geringverdienenden in der beruflichen Vorsorge versichert werden können. Sie haben dann einfach einen tieferen Lohn, die Arbeitgeber müssen mehr Lohnbeiträge bezahlen, und trotzdem werden die künftigen Rentenleistungen gering ausfallen. Denn im schweizerischen Mehrsäulensystem richtet sich die zweite Säule in erster Linie nach den mittleren und hohen Löhnen. Für kleine Löhne funktioniert vor allem die AHV gut.

Wer weniger arbeitet, hat zudem meistens auch schlechtere Chancen, beruflich vorwärts zu kommen. Teilzeitarbeit kann die Karriere bremsen, weil die Aufgaben nicht mehr der eigenen Qualifikation entsprechen und Weiterbildungsmöglichkeiten eingeschränkt sind – beides erschwert Beförderungen. Es sei denn, Arbeitgeber berücksichtigen Familienarbeit und dabei erworbene Qualifikationen als lohnrelevant. Schliesslich ist das Armutsrisiko von Personen, die überwiegend in Teilzeit arbeiten, gut doppelt so hoch wie jenes von Personen, die Vollzeit arbeiten.

Auch wenn es gute Gründe für eine gewisse Skepsis gegenüber der Zunahme von Teilzeitarbeit gibt, so darf sie aber nicht dazu verleiten, Menschen an den Pranger zu stellen, die Teilzeit arbeiten. Wir arbeiten in der Schweiz viel und nicht weniger als früher, sondern mehr. Insgesamt hat die Erwerbsbeteiligung zugenommen.

Familiengründung als Wendepunkt

Die Familiengründung stellt noch immer eine Zäsur dar, vor allem für Frauen. Trotz Mutterschaftsversicherung, Vaterschaftsurlaub und mehr Kitaplätzen. Diese Zäsur lässt sich ebenfalls an der Teilzeitarbeit ablesen. Nach der Geburt reduzieren etwa drei Viertel der vollzeittätigen Frauen ihr Arbeitspensum auf weniger als 70 Prozent (Bundesrat 2024). Viele von ihnen kehren nach der Familienphase nicht mehr zu höheren Pensen zurück, selbst dann, wenn die Kinder grösser sind und keine intensive Betreuung mehr brauchen. Diese Frauen stecken in der Teilzeit fest, freiwillig oder unfreiwillig.

Die Zahlen dazu sind deutlich: Im Jahr 2022 verdienten verheiratete Frauen mit Kindern 21 Prozuent weniger als verheiratete Männer mit Kindern. Während der Unterschied zwischen ledigen, kinderlosen Frauen und ledigen, kinderlosen Männer lediglich 1,9 Prozent beträgt.

Die Erwerbsverläufe von Müttern und Väter unterscheiden sich ab der Familiengründung deutlich voneinander. Bemerkenswert ist etwa, dass nach der Geburt des ersten Kindes nicht immer jener Elternteil ihr Arbeitspensum reduziert, der weniger verdient. Viele Mütter verzeichnen nach der Geburt einen Einkommensrückgang – selbst dann, wenn sie zuvor mehr verdient haben als der Vater. Väter hingegen erleben häufig keine Änderung oder sogar eine Zunahme ihres Einkommens (Bischof et al. 2023).

Wie Paare Erwerbs- und Sorgearbeit aufteilen, hängt neben Wertvorstellungen nach wie vor vom Angebot an Kitas und Tagesschulen ab. Ein gutes Angebot an institutioneller familienergänzender Kinderbetreuung ist eine Voraussetzung, dass Mütter und Väter ihr Erwerbspotenzial ausschöpfen können. Zentral ist dabei, dass das Angebot bei Geburt des ersten Kindes verfügbar ist, da dann die entscheidenden Erwerbsentscheidungen getroffen werden. Eine wichtige Rolle spielen auch die Kosten für die Betreuung und die Qualität der Angebote.

Familienpolitik in Bewegung

Bald könnte mit der neuen Betreuungszulage wieder Bewegung in die Familienpolitik kommen. Die Vorlage des Parlaments, die die Anstossfinanzierung für Kitas und Tagesschulen in eine permanente Lösung überführen will, ist im Parlament fast fertig beraten. Sie knüpft explizit an der Erwerbesätigkeit an und könnte so Väter und Mütter dazu motivieren, in einem höheren Pensum erwerbstätig zu sein.

Bund und Kantone sind zudem daran, ihre Zusammenarbeit in der Familienpolitik zu intensivieren. Im Mai 2025 hat das Plenum der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) die Eckwerte für eine neue Fachkonferenz für Familienpolitik verabschiedet Im ersten Halbjahr 2026 soll die konstitutierende Sitzung erfolgen. Das ist ein Meilenstein in einem Politikfeld, in dem sich Bund, Kantone und Gemeinden die Zuständigkeiten teilen.

Im Raum steht schliesslich auch die Frage nach einer Elternzeit, eine entsprechende Initiative wurde lanciert. Auch der Bundesrat hat sich im Februar 2025 in einem Bericht mit der Frage einer Elternzeit befasst (Bundesrat 2025). Dieser zeigt: Eine Elternzeit kann die partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit fördern – vorausgesetzt, sie ist finanzierbar und mit unseren bestehenden Sozialversicherungen kompatibel. Der Bericht bildet nun die Grundlage für die weitere politische Diskussion.

Dieser Text basiert auf einer Rede, die Doris Bianchi am 23. Oktober 2025 an der Fachveranstaltung «Beruf und Familie – wie gestalten wir die Zukunft gemeinsam?» in Bern gehalten hat.

Literaturverzeichnis

Bischof, Severin; Kaderli, Tabea; Guggisberg, Jürg; Liechti Lena (2023). Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennungen und Scheidungen; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/23.

Bundesrat (2024). Botschaft zur Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita‑Initiative)», 14. Juni.

Bundesrat (2025). Empirische Evidenzen und Machbarkeit einer gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung verschiedener Elternzeitmodelle. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 21.3961.

Ecoplan (2023). Studie zum Wiedereinstieg und Verbleib von Frauen mit Kindern in der Erwerbstätigkeit, im Auftrag des SECO. 23. Februar.

Herzig, Michael (1995). Familienpolitik in der Schweiz, Soziale Sicherheit CHSS (4/1995:180ff).

Direktorin Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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