Per 1. Januar 2022 ist die Gesetzesrevision «Weiterentwicklung der Invalidenversicherung (IV)» (WEIV) in Kraft getreten. Ein wesentlicher Bestandteil der Revision ist die Verbesserung der Behandlung von Kindern mit einem Geburtsgebrechen. In diesem Rahmen wurde auch die Vergütung von Arzneimitteln durch die IV neu geregelt.
Auf einen Blick
- Bei Geburtsgebrechen übernimmt die IV bis zum 20. Altersjahr die Kosten für medizinische Behandlungen sowie Arznei- und Diätmittel. Anschliessend übernimmt die Krankenversicherung diese Kosten.
- Bislang waren die vergütungspflichtigen Arzneimittel in verschiedenen Listen aufgeführt. Diese Listen werden neu in der Spezialitätenliste (SL) bzw. der neuen «Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste» (GGSL) zusammengeführt.
- Seit dem 1. Januar 2022 ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG) für die Erstellung und Pflege der GGSL zuständig. Diese Zentralisierung vereinfacht die Prozesse der Vergütung und gewährleistet eine einheitliche Beurteilung.
- Die Vergütung von Diät- und Spezialnahrungsmitteln soll in einer Diätmittel-Liste des BSV geregelt werden. Neu werden diese Präparate wie die Arzneimittel hinsichtlich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft.
Liegt ein Geburtsgebrechen gemäss Artikel 13 IVG vor, übernimmt die IV bis zum 20. Altersjahr die Rolle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Sie trägt die Kosten sowohl für medizinische Massnahmen als auch für Arzneimittel. Nach Vollendung des 20. Altersjahrs werden die bis dahin von der IV vergüteten Arzneimittel grundsätzlich auch von der OKP übernommen (vgl. Art. 52 Abs. 2 des revidierten KVG).
Im Regelfall vergütet die Invalidenversicherung Arzneimittel, wenn sie über eine Zulassung von Swissmedic verfügen und nach der Überprüfung hinsichtlich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) auf der Spezialitätenliste (SL) oder im Kreisschreiben über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME) aufgeführt sind. Währendem das Bundesamt für Gesundheit (BAG) für die SL-Aufnahme zuständig ist, prüfte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) bislang die Aufnahme ins KSME.
Neues Kompetenzzentrum beim Bundesamt für Gesundheit
Um die Prozesse der Vergütung zu vereinfachen und eine einheitliche Beurteilung zu gewährleisten, wurde ein Kompetenzzentrum im BAG eingerichtet. Das BAG verfügt aufgrund seiner Zuständigkeit für die SL bereits über weitreichende Erfahrung bei der Beurteilung hinsichtlich der WZW-Kriterien.
Neue Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste GGSL
Gemäss dem neuen Artikel 14ter Absatz 5 IVG wird eine Liste der Arzneimittel zur Behandlung von Geburtsgebrechen inklusive Höchstpreise erstellt. Dafür wurde die Bezeichnung «Geburtsgebrechen-Spezialitätenliste (GGSL)» gewählt.
Die neue GGSL ersetzt die bestehende Geburtsgebrechenmedikamentenliste (GGML), welche die Arzneimittel enthält, die nach dem 20. Altersjahr von der OKP vergütet werden, sowie die Auflistung von Arzneimitteln im KSME. Die SL bleibt bestehen.
Ob ein Präparat auf der SL oder der GG-SL gelistet wird, hat keinen Einfluss auf den Vergütungsanspruch gegenüber der IV oder OKP. Denn grundsätzlich vergüten sowohl die IV als auch die OKP die Arzneimittel der SL sowie der GGSL (Art. 52 Abs. 2 KVG und Art. 3novies IVV). Die GGSL wurde mittels Kennzeichnung technisch in die SL integriert.
Seit dem 1. Januar 2022 ist das BAG für die Erstellung und Pflege der GGSL zuständig. Dabei werden die Bestimmungen des Handbuches zur SL sinngemäss auf die GGSL angewendet.
Damit ein Arzneimittel in die GGSL aufgenommen werden kann, muss es über eine Swissmedic-Zulassung verfügen und die WZW-Kriterien analog der Vergütung von Arzneimitteln durch die OKP bei der Aufnahme und Überprüfung in die SL erfüllen. Auch für die Arzneimittel der GGSL werden die WZW-Kriterien regelmässig überprüft.
Ein Arzneimittel wird auf der GGSL gelistet, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- Indikationen ausschliesslich zur Behandlung von Geburtsgebrechen;
- Beginn der Behandlung in der Regel vor dem 20. Altersjahr.
Arzneimittel, welche über eine Zulassung in mehreren Indikationen verfügen und eine davon ein Geburtsgebrechen darstellt, werden auf der SL gelistet.
Ist ein Arzneimittel zwar für die Behandlung eines Geburtsgebrechens indiziert, beginnt die Behandlung des Geburtsgebrechens üblicherweise aber erst im Erwachsenenalter, wird es in die SL aufgenommen. Ein Arzneimittel kann nicht gleichzeitig in beiden Listen aufgeführt sein.
Die Überführung der bisher in der GGML gelisteten Arzneimittel in die SL oder in die GGSL erfolgt im Rahmen der Überprüfung der Aufnahmebedingungen alle drei Jahre nach Artikel 65d KVV. Die GGML wird mit rechtskräftigem Abschluss sämtlicher überprüfter Arzneimittel aufgehoben. Dies bedeutet, dass in einer Übergangsphase GGML, GGSL sowie SL geführt werden.
Die Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall erfolgt auch in der Invalidenversicherung weiterhin in analoger Anwendung von Artikel 71a bis 71d KVV.
Diätmittel und Spezialnahrungsmittel
Diätmittel substituieren bei als Geburtsgebrechen anerkannten Stoffwechselerkrankungen mangelnde Stoffwechselprodukte. Spezialnahrungsmittel entsprechen den üblichen Lebensmitteln ohne die für gewisse Stoffwechselkrankheiten schädigenden Stoffe.
Die IV vergütet sowohl Spezialnahrungsmittel als auch Diätmittel. Im KSME finden sich aktuell noch verschiedene Listen, die zurzeit allerdings nicht mehr auf dem neusten Stand sind und keine Preise enthalten.
Seit dem 1. Januar 2022 ist das BSV zuständig für die Erstellung und Pflege einer neuen Diätmittel-Liste. Dafür werden neu auch die WZW-Kriterien überprüft und Höchstbeträge ähnlich wie in der Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL) angegeben.
Übergangsphase
In einer Übergangsphase wird ein Arznei- oder Diätmittel nach rechtskräftiger Aufnahme in die GGSL, SL oder nach rechtskräftigem Verweis auf die Diätmittelliste des BSV in der MiGeL sowie nach dem Entscheid einer Nichtaufnahme in die erwähnten Listen in der bisherigen Liste (GGML, KSME oder SL) umgehend gestrichen. Sind alle Arzneimittel sowie Nährmittel der GGML und des KSME überprüft und die Verfügung über die Aufnahme in die GGSL oder SL oder der Verweis auf die Diätmittelliste in der MiGeL rechtskräftig, wird die GGML aufgehoben bzw. ein Eintrag im KSME gelöscht.