...
HomeThemenWie lässt sich der Zugang zu Ergänzungsleistungen verbessern?

Wie lässt sich der Zugang zu Ergänzungsleistungen verbessern?

Der Zugang zu Ergänzungsleistungen ist für AHV- und IV-Rentenbeziehende anforderungsreich. Eine Studie hat untersucht, mit welchen Informationspraktiken und Hilfestellungen die Kantone hier entgegenwirken können.
Tamara Bischof, Nana Adrian
  |  04. Dezember 2025
    Recht und Politik
  • AHV
  • Armut
  • Ergänzungsleistungen
Digitale Tools erleichtern den Zugang zu Informationen über Ergänzungsleistungen. (Alamy)

Auf einen Blick

  • Das Wissen der Zielgruppe über Ergänzungsleistungen ist lückenhaft, wie eine Analyse von Ecoplan und Interface im Auftrag des BSV in acht Kantonen zeigt.
  • Fast alle Anspruchsberechtigten benötigen Unterstützung bei der Anmeldung.
  • Zielführend scheinen persönliche Beratung, vereinfachte Informationen und digitale Verfahren.

Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) haben wir in acht Kantonen untersucht, wie über die Ergänzungsleistungen informiert wird und wie das Anmeldeverfahren abläuft (Adrian et. al. 2025a): Welche Informations- und Anmeldepraktiken gibt es? Über welchen Informationsstand verfügen neue AHV-Rentnerinnen und -Rentner?

Die Studie basiert auf Interviews mit den Durchführungsstellen und weiteren Akteuren in den Kantonen Aargau, Appenzell Ausserrhoden, Genf, Jura, Luzern, Tessin, Waadt und Zürich. Ergänzend dazu haben wir neue AHV-Rentenbeziehende dieser Kantone in einer Online-Befragung sowie in vertiefenden Interviews befragt.

Hoher Unterstützungsbedarf

In allen acht Kantonen bestehen Informationsangebote für AHV- und IV-Rentenbeziehende. Wichtige Akteure sind die EL-Stellen, die AHV-Zweigstellen sowie die Pro Werke (Pro Senectute und Pro Infirmis) und die Sozialdienste. Insbesondere EL-Stellen, AHV-Zweigstellen und Pro Werke stehen in der Regel für persönliche Beratungsgespräche zur Verfügung und bieten Unterstützung bei der Anmeldung.

Der Umfang dieser Unterstützung unterscheidet sich je nach Kanton und häufig auch je nach Gemeinde. Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Informationen: In einigen Kantonen beziehungsweise Gemeinden werden Rentnerinnen und Rentner etwa mittels Vorträgen, Medienbeiträgen oder Veranstaltungen proaktiv über die Ergänzungsleistungen informiert.

Der Unterstützungsbedarf bei der EL-Anmeldung ist gross: 93 Prozent der befragten EL-Beziehenden nutzten für die Anmeldung entweder die Hilfe der Fachstellen oder wurden von ihrem Umfeld unterstützt.

Die Online-Befragung der Rentenbeziehenden zeigt, dass es beim Informationsstand Lücken gibt: 23 Prozent der Personen in angespannter finanzieller Lage, die aktuell keine Ergänzungsleistungen beziehen, haben noch nie davon gehört. Unter allen Befragten, die keine Ergänzungsleistungen beziehen, liegt der Anteil bei 11 Prozent. Weitere 57 Prozent wissen eher wenig oder gar nichts über die Ergänzungsleistungen.

Personen, die gemäss Selbsteinschätzung sicher oder vermutlich Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätten, wurden nach den Gründen für den möglichen Nichtbezug befragt: Häufig genannt werden Unklarheiten über das Anmeldungsverfahren (45%), die Komplexität des Verfahrens (31%) oder fehlende Unterstützung (24%). Gleichzeitig bestehen Sorgen über eine spätere Rückzahlung (28%). 30 Prozent gaben an, aktuell keinen Bedarf an Ergänzungsleistungen zu haben.

Nicht- und Falschwissen als Herausforderung

Ein wesentliches Problem beim Zugang zu den Ergänzungsleistungen stellt das Nichtwissen und Falschwissen dar. Gemäss Gesetz müssen die potenziell Berechtigten ihren Anspruch geltend machen. Wenn jedoch die Existenz der Ergänzungsleistungen unbekannt ist oder fälschlicherweise angenommen wird, dass kein Anspruch besteht, erfolgt keine Informationssuche. Dieses Falschwissen betrifft laut den befragten Fachstellen sowohl die Rentnerinnen und Rentner selbst als auch deren Umfeld.

Darüber hinaus treten Schwierigkeiten beim Verstehen der Informationen auf: Selbst, wenn die Anspruchsberechtigten grundsätzlich Kenntnis über die Möglichkeit der Ergänzungsleistungen haben und sich Informationen beschaffen möchten, werden die vorhandenen Materialien zum Teil nicht verstanden. Überforderung kann aufgrund der Materie oder fehlendem Systemwissen auftreten.

Auch die Anmeldung wird als komplex wahrgenommen und stellt für viele Personen eine Herausforderung dar. Zwar bestehen verschiedene Unterstützungsangebote – diese sind jedoch nicht immer bekannt oder leicht zugänglich.

Besonders anspruchsvoll ist der Zugang für schwer erreichbare Personen – etwa für Mobilitätseingeschränkte oder Menschen mit geringen Sprachkenntnissen oder fehlenden sozialen Netzwerken. Für diese Gruppen akzentuieren sich die oben genannten Herausforderungen, da sie weniger Zugang zu Unterstützung und Informationen haben.

Schliesslich sind die Ressourcen der Informations- und Unterstützungsstellen begrenzt. Sie werden teilweise als zu niedrig eingeschätzt, als dass die Angebote und die Unterstützung der Anspruchsberechtigten weiter ausgebaut werden könnten.

Gute Praktiken aus den Kantonen

Zur Reduktion von Nichtwissen und Falschwissen setzen die meisten Kantone auf Sensibilisierung von Fachpersonen, Partnern und dem Umfeld der Anspruchsberechtigten. So arbeiten EL-Stellen oft eng mit verschiedenen Partnern zusammen und führen gezielte Schulungen durch. Ein Beispiel sind Schulungen im Kanton Jura für AHV-Zweigstellen, Notarinnen und Notare oder die Spitex: Dadurch sollen diese Akteure für das Thema sensibilisiert und möglichst als Vermittler genutzt werden. Auch dem Falschwissen wird entgegengewirkt.

Um das Nichtverstehen der vorhandenen Informationen zu verringern, ist es hilfreich, die bestehenden Materialien zu vereinfachen und zu präzisieren. Ein gutes Beispiel ist die EL-Stelle der Stadt Zürich, die Informationen in einfacher Sprache und in verschiedenen Fremdsprachen bereitstellt. Ergänzend bieten Checklisten – beispielsweise von den EL-Stellen in den Kantonen Aargau, Waadt und Tessin – eine klare und übersichtliche Struktur, welche die Antragstellenden unterstützt, den Prozess besser zu verstehen. Hilfreich und einfach umzusetzen ist ein Hinweis auf Online-Übersetzungsfunktionen – dies praktizieren bereits einige EL-Stellen auf ihren Websites.

Zur Vereinfachung des Anmeldeverfahrens dienen insbesondere digitale Anmeldeverfahren. Diese sind bisher vor allem in der Deutschschweiz verfügbar. Im Kanton Aargau passen sich das Formular und die Fragen dynamisch an die vorherigen Antworten an und vereinfachen und beschleunigen so das Ausfüllen.

Die persönliche Beratung und Begleitung bleibt ein zentrales Element bei der Information und Anmeldung und erleichtert den Zugang zu Ergänzungsleistungen. In allen Kantonen besteht die Möglichkeit einer persönlichen Beratung durch Fachstellen. Der Umfang variiert allerdings je nach Kanton und häufig auch je nach Gemeinde.

Ein gutes Beispiel ist das zweistufige Verfahren in der Stadt Zürich: Nach einer ersten Anmeldung folgt ein standardisiertes Gespräch mit den Antragstellenden. Das hilft, offene Fragen zu klären und Hürden abzubauen.

Ebenfalls als «Good Practice» zu sehen sind Hausbesuche, wie zum Teil in den Kantonen Aargau und Tessin. Entscheidend für den Zugang zu Unterstützung und damit den Zugang zu den Ergänzungsleistungen ist, dass die bestehenden Unterstützungsangebote bekannt gemacht werden.

Steuerdaten nutzen?

In den untersuchten Kantonen werden Steuerdaten derzeit nicht systematisch genutzt, um Personen mit potenziellem EL-Anspruch gezielt zu identifizieren. Die Möglichkeiten werden jedoch diskutiert und mehrere Kantone prüfen derzeit diese Ansätze.

Hauptherausforderungen bestehen darin, dass Berechtigte nicht exakt identifiziert werden können und zusätzliche Anmeldungen von Personen ohne Anspruch den Aufwand erhöhen sowie die Wartezeiten verlängern könnten. Gleichzeitig bieten zielgerichtete Informationen auf Basis von Steuerdaten das Potenzial, Anspruchsberechtigte frühzeitig zu erreichen.

Voneinander lernen

Die bestehenden Informations- und Unterstützungsangebote erleichtern den Zugang zu den Ergänzungsleistungen. Gleichzeitig bestehen Herausforderungen: Insbesondere Informationslücken, Verständnisschwierigkeiten und die Komplexität der Anmeldung stellen Barrieren für die Zielgruppe dar.

Im Umgang mit diesen Herausforderungen finden sich verschiedene «Good Practices» in den Kantonen – beispielsweise persönliche Beratung, gezielte Sensibilisierung von Fachpersonen, einfache und mehrsprachige Materialien, sowie Checklisten und digitale Unterstützung.

Diese Ansätze könnten von anderen Kantonen übernommen werden, um den Zugang zu den Ergänzungsleistungen weiter zu verbessern. Besonders prüfenswert scheinen Massnahmen, die Verbesserungen für schwer erreichbare Personen bringen. In der Dokumentation zur Studie findet sich eine detaillierte Aufstellung der Verbesserungsmöglichkeiten und Good Practices (Adrian et al. 2025b).

Literaturverzeichnis

Adrian, Nana; Bischof, Tamara; Caviezel, Urezza; Büchler, Chiara; Senn, Aline; Brun, Nils; Mariéthoz, Sarah; Marti, Michael; Amberg, Helen (2025a). Zugang zu Ergänzungsleistungen. Informations- und Anmeldungspraxis in den Kantonen. Studie im Auftrag des BSV, Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 7/25.

Adrian, Nana; Bischof, Tamara; Caviezel, Urezza; Büchler, Chiara; Senn, Aline; Brun, Nils; Mariéthoz, Sarah; Marti, Michael; Amberg, Helen (2025b). Zugang zu Ergänzungsleistungen. Good Practices und Verbesserungsmöglichkeiten. Beilage zur Studie im Auftrag des BSV, Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 7/25.

Dr. rer. oec., Senior Projektleiterin, Interface
[javascript protected email address]
Dr. rer. oec., Senior Projektleiterin, Ecoplan
[javascript protected email address]

Weitere Beiträge zum Thema

Armut in der Schweiz besser verstehen

Mit dem Nationalen Armutsmonitoring liegt ein neues, breit abgestütztes Referenzwerk zur Armut in der Schweiz vor. Akteure aller drei Staatsebenen, der Zivilgesellschaft und der Forschung waren in die Erstellung des Berichts eingebunden.

Forschung und Statistik
Recht und Politik
  • Armut
Alle Tags anzeigen Beitrag lesen

Sozialversicherungen: Was ändert sich 2026?

Ende 2026 wird erstmals die 13. Altersrente der AHV ausbezahlt – zusammen mit der Dezember-Altersrente. Im Jahr 2026 treten zudem weitere Neuerungen wie das neue Tarifsystem für medizinische Leistungen Tardoc in Kraft.

Recht und Politik
  • AHV
  • Berufliche Vorsorge
  • Erwerbsersatzordnung
  • Krankenversicherung
  • Private Vorsorge
  • Sozialpolitik allgemein
Alle Tags anzeigen Beitrag lesen

BSV-Finanzperspektiven sind für Compenswiss zentral

Die Finanzperspektiven des Bundesamts für Sozialversicherungen bilden eine zentrale Grundlage für Compenswiss, um die künftigen Einnahmen und Ausgaben der Ausgleichsfonds der AHV, der IV und der EO zu prognostizieren. Auch die Anlagestrategie stützt sich auf diese Daten.

Perspektiven
  • AHV
  • Erwerbsersatzordnung
  • Invalidenversicherung
Alle Tags anzeigen Beitrag lesen
Filter
Apply Filters