Der Trend ist klar: Im nächsten Jahrzehnt kippt das Umlageergebnis der AHV ins Negative. Wann dies genau der Fall sein wird, hängt von der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung ab. Für seine Finanzperspektiven stützt sich das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf verschiedene Szenarien.
Das BSV erstellt jährlich Finanzperspektiven für die AHV. Das ermöglicht plausible Prognosen zur Entwicklung der AHV-Rechnung für das nächste Jahrzehnt. Die Entwicklung der finanziellen Lage der AHV hängt sehr stark von der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung ab, die wiederum für die Beiträge, die Steuereinnahmen und die Anzahl der Leistungsberechtigten zentral ist. Bei der Berechnung der Finanzperspektiven müssen daher sowohl demografische als auch verschiedene wirtschaftliche Annahmen getroffen werden. Die definitive AHV-Abrechnung für ein bestimmtes Jahr entspricht somit nicht zwingend dem Ergebnis, das Jahre zuvor als Finanzperspektive veröffentlicht wurde. Wie kommen die Finanzperspektiven der AHV zustande? Wie werden sie verwendet? Im Folgenden werden die im Jahr 2011 veröffentlichten Perspektiven mit den definitiven Abrechnungen bis 2021 verglichen.
Auf welche Daten stützen sich die Annahmen?
Für die Finanzperspektiven zur langfristigen Entwicklung der AHV, aber auch der anderen Sozialversicherungen, greifen die Experten des BSV auf Annahmen zum Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung zurück. Die Prognosen werden von verschiedenen Expertengruppen des Bundes erarbeitet und dienen als Eckwerte für weitere Geschäfte der Bundesverwaltung – beispielsweise für den Bundeshaushalt. Die demografischen Daten fussen auf den Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS), die eine Expertengruppe alle fünf Jahre neu auflegt. Die Szenarien zeigen unter anderem, wie sich die Lebenserwartung bei der Geburt und im Alter von 65 Jahren sowie die Bereiche Migration, Erwerbstätigkeit und Fruchtbarkeit voraussichtlich entwickeln werden. Die langfristigen Annahmen zum wirtschaftlichen Umfeld – BIP-Wachstum, Jahresteuerung, Lohnentwicklung – basieren auf Einschätzungen der Expertengruppe des Bundes für Konjunkturprognosen, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV). Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) ihrerseits erstellt Einnahmeprognosen zur Mehrwertsteuer.
Wozu dienen die Finanzperspektiven?
Die Finanzperspektiven erlauben keine Vorhersage der Zukunft oder exakte Aussagen darüber, wie die definitive AHV-Abrechnung in zehn Jahren aussehen wird. Das Ziel ist es, die Entwicklungstendenzen der verschiedenen Variablen aufzuzeigen, um zu verdeutlichen, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf den Finanzhaushalt der AHV in den nächsten zehn Jahren haben wird. So können die Herausforderungen, mit denen die Sozialversicherung konfrontiert sein wird, frühzeitig erkannt werden. Die Finanzperspektiven der AHV sind ein Frühwarnsystem, denn der Bundesrat ist gesetzlich verpflichtet, die Entwicklung zu überwachen und Korrekturmassnahmen vorzuschlagen. Das Parlament und schliesslich das Volk entscheiden bei einem Referendum – so auch bei der Reform AHV 21 – ob diese Massnahmen angemessen und wünschenswert sind.
Gleichzeitig ist es aber ausgesprochen schwierig, Jahre im Voraus zu berechnen, wie sich diese Variablen entwickeln werden. Das BSV erstellt seine Perspektiven jedoch mit grösster Sorgfalt und stützt sich dabei auf die neuesten Expertenschätzungen zur künftigen Entwicklung der Konjunktur, der Löhne, der Teuerung, der Zuwanderung sowie auf andere Faktoren. Die verwendete Methodik wurde vor rund zehn Jahren überarbeitet und von externen Fachleuten überprüft und validiert. Ungewissheiten und Risiken bleiben dennoch bestehen. Vergleicht man die Perspektivrechnungen mit den tatsächlichen Endabrechnungen der AHV, weichen die Zahlen voneinander ab, was nur normal ist. Obgleich es nach wie vor sehr schwierig ist, Konjunkturschwankungen und Migrationseffekte zu antizipieren, erfüllen Zehnjahresprognosen ihren Zweck, denn sie liefern verlässliche Informationen zum finanziellen Gleichgewicht der AHV, auch wenn die Qualität der Einschätzung zum künftigen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum massgebend für die Qualität der Perspektivrechnungen ist.
Perspektiven sind zuverlässig
Wenn man die 2011 veröffentlichten Finanzperspektiven mit den tatsächlichen Umlageergebnissen der folgenden zehn Jahre vergleicht, zeigt sich, dass die Perspektiven und die Endabrechnungen generell sehr gut übereinstimmen (siehe Grafik 1). Die Finanzperspektiven waren sogar ein wenig zu optimistisch – und nicht zu pessimistisch, wie oft behauptet wird. Die Differenz zwischen den Perspektiven und den tatsächlichen Ergebnissen über die Jahre 2011 bis 2019 beträgt im Durchschnitt 200 Millionen Franken pro Jahr – und das bei einem durchschnittlichen Ausgaben- und Einnahmenvolumen von 41,6 Milliarden Franken respektive 41,1 Milliarden Franken pro Jahr.
Die signifikanten Abweichungen für 2020 (–1,7 Mrd. Fr.) und 2021 (–3,2 Mrd. Fr.) sind dabei nicht auf Fehleinschätzungen zurückzuführen, sondern gehen auf das Konto der Vorlage Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF). Die STAF verschafft der AHV jährlich über 2 Milliarden Franken an zusätzlichen Einnahmen. Die Schweizer Bevölkerung hat die Vorlage 2019 angenommen: Somit konnte diese Zusatzfinanzierung in den Finanzperspektiven von 2011 noch nicht berücksichtigt werden.
Pandemiebedingte Auswirkungen
Das BFS aktualisiert die Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung alle fünf Jahre. Unerwartete Entwicklungen wie beispielsweise Migrationsbewegungen, Pandemien oder medizinische Entwicklungen spiegeln sich somit nicht unmittelbar in den finanziellen Perspektiven wider. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sind die Covid-19-Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Probleme bei der Energieversorgung.
Anfangs noch sehr pessimistisch, was die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie anbelangt, korrigierten die Wirtschaftsexperten ihre Konjunkturprognosen später nach oben, nicht zuletzt wegen der breiten Palette staatlicher Unterstützungsmassnahmen für die Wirtschaft.
Die Finanzperspektiven werden jährlich auf den neusten Stand gebracht. Im Mai 2022 wurden die optimistischeren Eckwerte in den aktualisierten Finanzperspektiven bis 2032 mitberücksichtigt.
Babyboomer gehen in Rente
Gemäss den aktuellen Finanzperspektiven werden die Ausgaben der AHV schneller wachsen als die Einnahmen (siehe Grafik 2). Zwar lässt sich der Zeitpunkt der Unterdeckung mit der Reform AHV 21 hinausschieben, die aktuellen Perspektivrechnungen des BSV zeigen jedoch, dass die Einnahmen und Ausgaben längerfristig nicht mehr im Gleichgewicht sein werden.
Ein Höhepunkt der Pensionierungswelle wird im Jahr 2028 erreicht (siehe Video). Danach nimmt die Altersklassengrösse zwar wieder ab, bleibt aber auf einem hohen Niveau, vor allem, weil mehr Menschen mit Migrationshintergrund ins Rentenalter kommen. Rentnerinnen und Rentner leben zudem im Durchschnitt länger und beziehen daher auch länger eine AHV-Rente. Das wiederum bedeutet, dass die AHV-Rechnung auch nach der Baby-Boom-Pensionierungswelle nicht ausgewogen bleiben wird.
Dieser Beitrag basiert auf einem Faktenblatt des BSV zur Volksabstimmung vom 25. September 2022 über die Stabilisierung der AHV (AHV 21). Weitere Materialen zur finanziellen Lage der AHV finden sich hier.