Rentenübergang – ein finanzielles Risiko?

Ilka Steiner, Christof Hugentobler
  |  13. Oktober 2022
    Forschung und Statistik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
Mit dem Bezug einer Altersente sinkt das Haushaltseinkommen leicht. (Keystone)

Der Übergang ins Rentenalter birgt für die meisten Neurentnerinnen und -rentner keine finanziellen Risiken. Im Gegenteil: Personen in Haushalten mit geringen Mitteln erfahren im Durchschnitt eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation beim AHV-Rentenübergang. Wer eine Rente der zweiten Säule bezieht, verfügt über mehr finanzielle Mittel als der Durchschnitt.

Auf einen Blick

  • Das Institut für Wirtschaftsstudien Basel (IWSB) hat im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) den Rentenübergang in der ersten und zweiten Säule sowie die Erwerbstätigkeit vor und nach dem Rentenalter untersucht.
  • Im Durchschnitt können Personen in Haushalten mit geringen finanziellen Mitteln durch den Rentenübergang ihre wirtschaftliche Situation mit einer AHV-Rente und vor allem in Verbindung mit Ergänzungsleistungen verbessern.
  • BV-Rentenbeziehende verfügen generell über mehr finanzielle Mittel als der Durchschnitt.
  • Während in der AHV die grosse Mehrheit ihre Rente zum ordentlichen Zeitpunkt bezieht, tätigt in der Beruflichen Vorsorge (BV) die Hälfte einen Rentenvorbezug.

Wie verändert der Übergang ins Rentenalter die wirtschaftliche Situation der Haushalte in der Schweiz? Diese Frage hat das Institut für Wirtschaftsstudien Basel (IWSB) im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) für die erste und zweite Säule untersucht. Die Studie basiert auf dem Datensatz WiSiER (Wirtschaftliche Situation von Personen im Erwerbs- und Rentenalter), der harmonisierte Steuerdaten aus elf Kantonen mit Registerdaten und Daten aus regelmässig durchgeführten Erhebungen kombiniert. So konnte erstmals der Haushaltskontext im Zusammenhang mit dem Rentenübergang berücksichtigt werden.

Die Daten zeigen: Im Durchschnitt verbessert sich mit dem AHV-Bezugsbeginn – vor allem in Kombination mit den Ergänzungsleistungen (EL) – die wirtschaftliche Situation von Personen, die in Haushalten mit sehr geringen finanziellen Mitteln lebten. Gleichzeitig verringert sich der Anteil Haushalte in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen: Während vor dem Bezug der AHV-Rente 9 Prozent der untersuchten Personen in Haushalten mit prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, waren es danach noch 7 Prozent (siehe Grafik 1). Als prekär gilt, wenn das Äquivalenzeinkommen des Haushalts weniger als 38 652 Franken (weniger als 60 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens in der Bevölkerung) beträgt.

Medianeinkommen sinkt

Insgesamt sinkt in Haushalten mit erstmaligem AHV-Bezug der Median des jährlichen Äquivalenzeinkommens (MÄE) allerdings um fast fünf Prozent und beträgt 67 597 Franken. Trotz dieser Einkommenseinbusse liegt der Wert weiterhin um 3177 Franken über dem Median der Gesamtbevölkerung (64 420 Franken). Der Median des jährlichen Äquivalenzeinkommens entspricht dem Gesamteinkommen eines Haushalts, korrigiert durch die Anzahl Personen, die dort wohnen.

Um Zugang zur zweiten Säule zu haben, muss man ein Mindesteinkommen von 21 510 Franken pro Jahr erzielen. Nichterwerbstätige und Geringverdienende verfügen somit selten über ein Vorsorgevermögen. Das Gleiche gilt für Selbstständigerwerbende, für die die berufliche Vorsorge freiwillig ist. Aufgrund dieser Selektion verfügen Haushalte mit einer BV-Rente über mehr finanzielle Mittel als der Durchschnitt. Insgesamt haben schätzungsweise drei Viertel aller AHV-Beziehenden ein Vorsorgevermögen in der zweiten Säule aufgebaut.

Ein Jahr vor dem Rentenbeginn beträgt das Medianeinkommen von allen BV-Beziehenden 81 790 Franken und das von BV-Vorbeziehenden sogar 86 772 Franken. Mit dem BV-Rentenbezug sinkt es zwar um 11 Prozent auf 73 023 Franken, bzw. um 12 Prozent auf 75 969 Franken, bedeutet jedoch kein finanzielles Risiko.

AHV: Ordentliches Rentenalter ist die Regel

Rund 9 Prozent der versicherten Bevölkerung beziehen die AHV-Rente vor dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters (Frauen mit 62 oder 63, Männer mit 63 oder 64 Jahren). Die grosse Mehrheit (88 %) geht zum ordentlichen Zeitpunkt in die AHV-Rente (siehe Grafik 1). Nur 3 Prozent beziehen die Rente später.

Unter denjenigen, die die AHV-Rente vorbeziehen, befinden sich besonders häufig Personen mit geringen und sehr geringen finanziellen Mitteln, Personen, die mehrfach arbeitslos waren, sowie Sozialhilfebeziehende. Auch überdurchschnittlich viele Paarhaushalte beziehen die AHV vor dem ordentlichen Rentenalter.

Weil der Bezug der AHV-Rente zum Zeitpunkt des ordentlichen Rentenalters die Norm ist, unterscheiden sich die Beziehenden weitgehend nicht vom Durchschnitt aller Versicherten. Jedoch befinden sich in dieser Kategorie aus institutionellen Gründen besonders häufig Beziehende einer Hilflosenentschädigung (HL) oder Rente der Invalidenversicherung (IV): IV-Renten enden grundsätzlich bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters und werden durch eine AHV-Rente abgelöst. Witwen- oder Witwerrenten enden mit Erreichen des ordentlichen Rentenalters, sofern die AHV-Rente höher ausfällt.

Bei Personen mit spätem AHV-Rentenbezug finden sich einerseits überdurchschnittlich viele Personen in Haushalten mit umfangreichen finanziellen Mitteln (180 % des MÄE), die finanziell nicht auf die AHV angewiesen sind, weil sie über das ordentliche Rentenalter hinaus erwerbstätig oder auch unabhängig vom Erwerbseinkommen finanziell sehr gut gestellt sind. Ausserdem meldet diese Gruppe den Rentenaufschub vielfach an und erhält so einen Zuschlag auf die Rente. Andererseits handelt es sich bei den spät Beziehenden auch um Personen mit sehr geringen finanziellen Mitteln (weniger als 50 % des MÄE). Allerdings melden Letztere selten einen Aufschub an und können deshalb nicht vom Zuschlag profitieren, obwohl sie von diesem verhältnismässig mehr profitieren würden. Ein wichtiger Grund für diese Nichtanmeldung dürfte sein, dass sie weniger gut über die formellen Anforderungen für einen Rentenaufschub Bescheid wissen.

BV: Die Hälfte geht früher in Rente

In der Beruflichen Vorsorge (BV) ist der Rentenvorbezug deutlich verbreiteter als in der AHV: Jede zweite Person entscheidet sich dafür (52 %), 36 Prozent beziehen die Rente aus der zweiten Säule zum ordentlichen Zeitpunkt und nur 12 Prozent danach.

Wer entscheidet sich in der Beruflichen Vorsorge für einen Vorbezug? Im Gegensatz zur AHV sind es hier überdurchschnittlich häufig die Gutverdienenden. Je tiefer das Äquivalenzeinkommen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand früher in BV-Rente geht. Obwohl ein BV-Vorbezug mit einer Rentenkürzung einhergeht, hat die Gruppe der Vorbeziehenden eine grössere durchschnittliche BV-Rente als Personen, die sich ordentlich oder später pensionieren lassen.

Unterschied zwischen Geschlechtern

Neben der finanziellen Situation hat auch das Geschlecht einen Einfluss auf einen frühen BV-Bezug: Männer beziehen häufiger als Frauen die Rente aus der zweiten Säule vor dem ordentlichen Rentenalter. Frauen dagegen schieben den BV-Rentenbezugsbeginn öfters hinaus.

Eine Ausnahme bilden Frauen, deren Partner bereits eine Rente bezieht. Sie tätigen häufiger einen BV-Vorbezug. Generell spielt der Paarkontext eine zentrale Rolle: Wie auch in der AHV, entscheiden sich Personen in einem Paarhaushalt öfter für einen vorzeitigen BV-Bezug als Alleinstehende. Sind die Partnerinnen und Partner jedoch vier oder mehr Jahre jünger, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, die Rente aus der zweiten Säule spät zu beziehen. Ein weiterer Faktor in Bezug auf den Zeitpunkt des BV-Rentenbezugs ist der Nachwuchs: Personen mit Kindern beziehen die BV-Rente später als Kinderlose.

Auffällig sind die hohen Anteile später BV-Bezugsbeginne bei Personen mit geringen und sehr geringen finanziellen Mitteln, wie auch bei Personen, die nicht in der Schweiz geboren sind oder während ihrer Karriere mehrheitlich selbstständig waren. Vermutlich handelt es sich um Personen mit einem eher geringen Vorsorgevermögen, die ihre BV-Rente durch den Aufschub aufbessern.

Abschliessend lässt sich sagen: Zwischen dem Bezug der AHV- und der BV-Rente gibt es grosse Unterschiede. Während die AHV gemäss der Studie grossmehrheitlich zum ordentlichen Zeitpunkt bezogen wird, geht in der BV mehr als die Hälfte der Versicherten früher in Rente. Einen wesentlichen Einfluss haben dabei vor allem die wirtschaftliche Situation, das Geschlecht und der Paarkontext.

Literaturverzeichnis

Braun-Dubler, Nils; Frei, Vera; Kaderli, Tabea; Roth, Florian (2022). Wer geht wann in Rente? Ausgestaltung und Determinanten des Rentenübergangs. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Nr. 5/22.1. Bern: Bundesamt für Sozialversicherungen. Der Bericht ist auch als Kurzbericht auf Deutsch und Französisch verfügbar.

Doktorin in Demografie, Forschungsprojektleiterin, Forschung und Evaluation, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV); Lehrbeauftragte an der Universität Neuenburg
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Jurist, Gesetzgebung AHV/EO, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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