Auf einen Blick
- Das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS) hat in einer Studie die Wohnform des betreuten Wohnens in der Schweiz untersucht.
- Betreute Wohnungen sind altersgerecht ausgebaut und bieten gewisse Grundleistungen wie die Präsenz von Fachpersonen oder soziale Aktivitäten.
- Ein Übertritt ins betreute Wohnen ist dann «wirtschaftlich», wenn sich dadurch ein teurerer Heimeintritt erübrigt oder hinausschiebt.
- Rund die Hälfte der Kantone haben rechtliche Grundlagen für die Finanzierung des betreuten Wohnens über Ergänzungsleistungen (EL) erstellt.
Mit der zunehmenden demografischen Alterung gewinnt die Betreuung von betagten Menschen zu Hause an Bedeutung. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats hat den Bundesrat in einer Motion beauftragt, dem Parlament eine Gesetzesänderung vorzulegen, die die Finanzierung von betreutem Wohnen über Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV sicherstellt. So sollen sich Heimeintritte verzögern oder gar vermeiden lassen. Im Juni 2023 hat der Bundesrat einen Vorentwurf in die Vernehmlassung geschickt.
Im Vorfeld dieser Gesetzesarbeiten haben wir im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) eine Untersuchung zum betreuten Wohnen durchgeführt (Bannwart et al. 2022). Die Studie stützt sich unter anderem auf eine Befragung von Anbietern von betreuten Wohnformen aus allen Sprachregionen der Schweiz und Interviews mit Fachorganisationen und Verwaltungsstellen von Bund und Kantonen.
Was ist betreutes Wohnen?
Für betreute Wohnformen im Altersbereich gibt es in der Schweiz derzeit keine einheitlichen Definitionen. Um eine trennscharfe Diskussion führen zu können, scheint eine Abgrenzung zwischen dem betreuten Wohnen (als eigenständige Angebotskategorie) und dem Bezug von Betreuungs- und Unterstützungsleistungen am ursprünglichen Wohnort («Wohnen zu Hause mit Betreuung») sinnvoll. Zu den konstituierenden Merkmalen der Kategorie betreutes Wohnen gehört eine auf altersbezogene Einschränkungen und Bedürfnisse ausgerichtete Privatwohnung, kombiniert mit spezifischen Hilfe- und Unterstützungsangeboten.
Betreute Wohnungen sind in der Regel Teil eines altersgerecht gebauten Wohnkomplexes. Zusätzlich zur Miete bezahlen die Mietenden ein Basispaket an Unterstützungsleistungen, das im Rahmen der Mietnebenkosten pauschal abgegolten wird. Zu diesen Grundleistungen gehören beispielsweise rasche Hilfe in Notfallsituationen, Ansprechpersonen vor Ort, Sprechstunden, Aufenthaltsräume und soziale Aktivitäten. Nicht im Paket einbegriffen sind ambulante Pflege-, Betreuungs- und Dienstleistungen. Diese werden separat verrechnet.
Wer nutzt betreutes Wohnen?
Wer sich für betreutes Wohnen entscheidet, weist in der Regel eine gewisse Fragilität im sozialen, physischen oder psychischen Bereich auf, ist häufig alleinstehend, einsam und nur ungenügend in ein soziales Umfeld eingebunden. Ein wichtiger Grund ist zudem das Sicherheitsbedürfnis. Als wenig geeignet wird betreutes Wohnen für Personen mit dementiellen Erkrankungen, psychischen Problemen oder bei Suchtthematiken eingeschätzt, weil diese Personen ein vergleichsweise stärker strukturiertes Setting brauchen.
Über alle Angebote hinweg haben gut 40 Prozent der Neueintretenden bereits einen Pflegebedarf. Die durchschnittliche Verweildauer in einer betreuten Wohnung beläuft sich auf fünf Jahre und ist damit rund doppelt so lange wie die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in einem Pflegeheim.
In Zukunft dürfte die Nachfrage nach bezahlbaren betreuten Wohnungen zunehmen. Einerseits beobachten Fachpersonen eine Marktsättigung im mittleren und oberen Preissegment. Andererseits könnte das Angebot für breitere Bevölkerungskreise zugänglich werden, wenn Betreuungsleistungen dereinst im Rahmen der Ergänzungsleistungen (EL) stärker abgegolten würden. Auch die demografische Entwicklung und gesellschaftliche Trends sind von Bedeutung, wobei davon auszugehen ist, dass das Pflegeheimsetting gegenüber eigenständigeren Wohnformen weiter an Attraktivität verlieren wird.
Ist betreutes Wohnen exklusiv?
Je nach Umfang des Basispakets sind die Preise für betreutes Wohnen relativ hoch. Dadurch sind Angebote mit umfangreichen Grundleistungen – etwa 24-Stunden-Präsenz einer Fachperson, inbegriffene Mahlzeiten und Reinigungsdienste – oft nur für Personen mit entsprechenden finanziellen Mitteln zugänglich.
Wer nur geringe Betreuungs- und Pflegeleistungen in Anspruch nimmt und Grundleistungen des betreuten Wohnens (wie beispielsweise die Präsenz einer Fachperson oder die Hilfe in Notsituationen) nicht zwingend benötigt, kommt im angestammten Zuhause meist günstiger weg als in einer betreuten Wohnung. Ein Übertritt ins betreute Wohnen ist dann «wirtschaftlich», wenn sich damit ein Heimeintritt erübrigt beziehungsweise auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Fachleute sehen die Grenzen des betreuten Wohnens bei einem Pflegebedarf von rund 60 bis 80 Minuten pro Tag. Die institutionelle Anbindung des betreuten Wohnens an ein Heim kann aber auch bei höherem Pflegebedarf kostengünstiger sein als ein Heimaufenthalt, wenn benötigte Unterstützung und Pflege von einer Inhouse-Spitex erbracht werden. Aus den Daten entsprechender Anbieter geht hervor, dass interne Übertritte ins Heim durchschnittlich ab einem Pflegebedarf von zwei Stunden pro Tag erfolgen.
Ganzheitlich abklären
Als Kriterium für den Betreuungsbedarf war im Rahmen der EL-Reform ursprünglich die Anbindung an eine Hilflosenentschädigung (HE) vorgesehen. Dies scheint aber aufgrund der Karenzfrist wenig praxistauglich. Hinzu kommt, dass psychosoziale Faktoren wie Vereinsamung, Überforderung mit dem Haushalt oder ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, die für den Eintritt ins betreute Wohnen sprechen können, in der Hilfslosenentschädigung zu wenig berücksichtigt würden.
Entsprechend erachten einige der interviewten Expertinnen und Experten es für zielführend, die Mitfinanzierung des betreuten Wohnens an eine ganzheitlichere Bedarfsabklärung zu knüpfen, die sowohl gesundheitliche als auch soziale Faktoren berücksichtigt. Hierzu könnte man auf Abklärungsinstrumente oder geriatrische Assessments aufbauen, welche von Leistungserbringern wie Spitex oder Pro Senectute in kantonalen Abklärungssystemen sowie im Rahmen von Pilotprojekten – wie etwa die Betreuungsgutsprachen in der Stadt Bern – eingesetzt werden.
Föderale Vielfalt
Auf kantonaler Ebene lassen sich zwei gegensätzliche Finanzierungsregimes beobachten: Einerseits gibt es Kantone, die mit einer eigenen Definition für betreutes Wohnen operieren und die Mitfinanzierung im Langzeitbereich an spezifische Kriterien, Bedarfsnachweise und Qualitätsstandards knüpfen. Andererseits verfügen bestimmte Kantone bewusst über keine separaten Regelungen für betreutes Wohnen und sind bestrebt, die Betreuungsfinanzierung beziehungsweise die Vermeidung von Heimeintritten unabhängig von der Wohnform zu unterstützen.
Rund die Hälfte aller Kantone haben rechtliche Grundlagen für das betreute Wohnen aufgestellt. Einige vergüten die Grundleistungen des betreuten Wohnens dabei über die Krankheits- und Behinderungskosten der EL. Die Definition der Grundleistungen und die Höhe der vergüteten Beträge unterscheiden sich allerdings stark. Überdies spielen in vielen Kantonen die Krankheits- und Behinderungskosten in der Finanzierung von Betreuungsleistungen eine wichtige Rolle – unabhängig davon, ob eine Regelung des betreuten Wohnens besteht oder nicht. Manche Kantone haben in den vergangenen Jahren zudem neue Leistungskategorien und Vergütungsmöglichkeiten geschaffen, um den Verbleib zu Hause zu ermöglichen beziehungsweise Heimeintritte zu verzögern.
Zwei Ansätze
Grundsätzlich muss sich die Politik entscheiden, ob betreutes Wohnen als separate intermediäre Wohnform innerhalb der EL definiert wird oder ob bestimmte Leistungen unabhängig von der Wohnform in die EL aufgenommen werden sollen.
Für den ersten Ansatz wäre eine schweizweit gültige Definition von betreutem Wohnen sinnvoll. So könnte man die Anforderungen für eine Mitfinanzierung über die EL präzisieren. Die Kosten für Grundleistungen des betreuten Wohnens könnten die Kantone beispielsweise über eine Pauschale im Rahmen der Krankheits- und Behinderungskosten abgelten.
Der zweite Ansatz – die Aufnahme einzelner Leistungselemente (wie etwa ein Notrufsystem) in den Vergütungskatalog der Krankheits- und Behinderungskosten – dürfte administrativ zwar aufwendiger sein, lässt sich dafür aber unabhängig von der Wohnsituation anwenden. In beiden Fällen müsste der Gesetzgeber festlegen, welche Leistungen im Rahmen der Krankheits- und Behinderungskosten (Hilfe, Pflege und Betreuung zu Hause sowie in Tagesstrukturen) über die EL finanziert werden.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die EL das richtige «Gefäss» ist, um das Finanzierungsproblem im Bereich Betreuung umfänglich zu lösen. Neben den Vorschlägen, wie das EL-System angepasst werden müsste, um Leistungen des betreuten Wohnens stärker zu finanzieren, existieren viel weitreichendere Diskussionen zur Finanzierung von Betreuung im Alter. Zu den diskutierten Lösungsansätzen gehören Reformen bei der Hilflosenentschädigung, der Ausbau der Altershilfe in den Kantonen (diese wird vom Bund über das AHV-Gesetz teilweise mitfinanziert) sowie der Entwurf umfassender Finanzierungsmodelle.
Literaturverzeichnis
Bannwart, Livia; Künzi, Kilian; Jäggi, Jolanda; Gajta, Patrik (2022). Betreutes Wohnen – Aktualisierte Grundlagen; Studie im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/22.