Die Arbeitslosenversicherung (ALV) unterstützt Menschen bei Stellenverlust – und fordert im Gegenzug aktive Mitwirkung bei der Arbeitssuche. Wer diese Pflicht verletzt, muss mit Sanktionen rechnen. Sanktionen werden verhängt, wenn Personen zu wenige Bewerbungen einreichen, Termine beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) versäumen, zumutbare Stellen ablehnen oder ihre Arbeitslosigkeit selbst verschulden. In diesen Fällen kürzt die Arbeitslosenversicherung die Taggelder, sogenannte Einstelltage. Je nach Schwere des Verstosses kann die Dauer variieren: Leichte Sanktionen umfassen bis zu 15 Einstelltage, mittlere 16 bis 30 und schwere über 30 Tage.
Leichte Sanktionen betreffen zumeist ungenügende Suchbemühungen vor oder während der Arbeitslosigkeit, während schwere Sanktionen häufiger bei selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit oder Ablehnung zumutbarer Arbeitsstellen vorkommen. Doch wie wirken sich solche Massnahmen konkret aus?
Erkenntnisse für Arbeitslosenversicherung
Dieser Frage ist ein Forschungsprojekt im Auftrag des Bundes nachgegangen (Arni et al. 2025). Ziel des Projekts war es, die Sanktionspraxis und die Wirkung von unterschiedlichen Sanktionen der Arbeitslosenversicherung empirisch zu untersuchen – vor allem mit Blick auf das Spannungsfeld zwischen schnellerer Wiedereingliederung und möglichen langfristigen Nachteilen für Betroffene.
Die Analyse kombiniert deskriptive Auswertungen mit kausalen Wirkungsanalysen. Dabei kommen moderne ökonometrische Methoden zum Einsatz, die eine differenzierte Beurteilung der Sanktionswirkungen nach Typ, Zeitpunkt und Schweregrad ermöglichen. Erstmals wurden auch Verhaltensdaten aus der Online-Jobplattform Job-Room ausgewertet, um die Auswirkungen auf das Suchverhalten ausführlich zu erfassen.
Dank dieser breiten Datenbasis bietet die Studie eine europaweit einzigartige Detailtiefe. Sie leistet einen differenzierten und evidenzbasierten Beitrag zur Diskussion über Einsatz und Folgen von Sanktionen in der Arbeitslosenversicherung.
Ungenügende Suchbemühungen
In der Schweiz ist rund ein Drittel aller Arbeitslosigkeitsepisoden von mindestens einer Sanktion betroffen – ein Anteil, der in den letzten zehn Jahren leicht gestiegen ist. Als Arbeitslosigkeitsepisode gilt ein durchgehender Zeitraum, in dem eine Person beim RAV als stellensuchend registriert ist. Meldet sich jemand später erneut beim RAV an, beginnt eine neue Episode. Zwei Drittel der über 3,9 Millionen untersuchten Arbeitslosigkeitsepisoden im Zeitraum von 2009 bis 2022 verlaufen sanktionsfrei.
Leichte Sanktionen machen etwa 70 Prozent aller Fälle aus. Am häufigsten sanktioniert die Arbeitslosenversicherung ungenügende Suchbemühungen, entweder vor der Arbeitslosigkeit (40%) oder während der Arbeitslosigkeit (22%). Danach folgen das Nichterscheinen zu Terminen (13%) und die selbst verschuldete Arbeitslosigkeit (17%).
Sanktionen treten oft mehrfach auf: 44 Prozent der sanktionierten Personen erhalten eine zweite Sanktion, meist innerhalb von zwei Monaten nach der ersten. Auch hier dominieren leichte Verstösse, wobei sich die Gründe leicht verschieben. Wiederholte Pflichtverletzungen und Terminversäumnisse treten besonders häufig auf. Wenn Sanktionen ausgesprochen werden, geschieht dies meist früh im Verlauf der Arbeitslosigkeit. Es wird den Stellensuchenden also bereits frühzeitig signalisiert, dass der Einhaltung der Pflichten grosses Gewicht beigemessen wird. Zudem bestehen allgemein regionale Unterschiede in der Sanktionspraxis.
Sanktionen erhöhen die Suchintensität
Sanktionen erhöhen unmittelbar die Suchintensität (siehe Grafik 1). Im Monat vor einer ersten Sanktion aufgrund ungenügender Arbeitsbemühungen liegen im Durchschnitt rund zwei Bewerbungen weniger vor, als eingereicht werden sollten – der Grund für die Sanktion. Direkt nach der Sanktion steigt die Zahl eingereichter Bewerbungen signifikant und nähert sich der geforderten Zahl der Bewerbungen wieder an. Das Bewerbungssoll steigt zudem nach der Sanktion. Auch die Klicks auf Stellenanzeigen nehmen kurzzeitig zu, kehren jedoch meist nach wenigen Monaten zum Ausgangsniveau zurück.
Die Effekte auf die Dauer der Arbeitslosigkeit fallen unterschiedlich aus: Insgesamt verkürzen Sanktionen die Arbeitslosigkeit durchschnittlich um 6,5 Tage. Leichte Sanktionen zeigen deutlichere Effekte (–15 Tage). Schwere Sanktionen oder solche bei selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit können die Dauer der Arbeitslosigkeit sogar verlängern. Die Gründe dafür sind vielfältig, sie reflektieren wohl auch die schwierigen Verhaltensmuster und die Situation der betroffenen Personen
Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommen
Langfristig wirken sich Sanktionen leicht negativ auf Einkommen und Erwerbstätigkeit aus: Das monatliche Erwerbseinkommen ist im Schnitt bis zu drei Jahre nach dem Ende der Arbeitslosigkeit um 0,6 bis 1,8 Prozent tiefer (siehe Grafik 2). Auch die Erwerbstätigenquote (die Wahrscheinlichkeit , nach der Arbeitslosigkeit erwerbstätig zu sein) sinkt leicht – um 0,5 bis 0,8 Prozent. Deutlicher zeigen sich diese Effekte bei schweren Sanktionen sowie bei mehrfacher Sanktionierung. Sanktionen für Pflichtverletzungen vor Beginn der Arbeitslosigkeit wirken sich hingegen kaum negativ auf den späteren Erwerbsverlauf aus.
Je nach Typ der Sanktion fallen die negativen Folgen also klar unterschiedlich aus – eine wichtige Erkenntnis für die Diskussion der Wirkungsweise von Sanktionen. Die leicht negativen Auswirkungen auf Einkommen und Erwerbstätigkeit können dem Umstand geschuldet sein, dass Sanktionen die Qualität der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beeinträchtigen. Wer unter Druck steht, nimmt womöglich schneller eine Stelle an, die weniger gut passt oder schlechter bezahlt ist. Das kann zu niedrigeren Löhnen und instabileren Arbeitsverhältnissen führen.
Sanktionen steigern die Effizienz
Wirtschaftlich gesehen verkürzen Sanktionen die Dauer des Leistungsbezugs und senken somit die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung. Gleichzeitig verursachen sie aber längerfristige Kosten für die betroffenen Personen, etwa durch tiefere Erwerbseinkommen.
Aus finanzieller Sicht lautet die entscheidende Frage deshalb: Welcher Zielhorizont ist für die Bewertung von Sanktionen massgeblich: kurzfristige Budgetentlastung und Aktivierung der Stellensuchenden oder längerfristige Integration und Einkommenssicherung? Je nach Perspektive fällt die Bewertung anders aus. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht spricht viel dafür, beide Seiten abzuwägen: die Effizienzsteigerungen der öffentlichen Arbeitsvermittlung einerseits, die individuellen Einbussen an Einkommen und Erwerbschancen andererseits.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass leichte Sanktionen – insbesondere bei Verstössen vor der Arbeitslosigkeit – einen Kompromiss bieten: Sie beeinflussen das Verhalten und die Suchintensität der Stellensuchenden positiv, ohne nennenswerte langfristige Folgen. Bei schweren Sanktionen hingegen fallen sowohl die kurzfristigen Effekte auf die Arbeitslosendauer als auch die längerfristigen Effekte auf Erwerbsverläufe negativ aus. In einer Diskussion könnten daher Letztere eher kritisch hinterfragt werden. Es ist wünschenswert, dass die Ergebnisse der Studie in eine möglichst umfassende Diskussion über gewünschte Zwecke und Wirkungen von Sanktionen einfliessen.
Dieser Beitrag ist am 3. Juni 2025 in der Publikation Die Volkswirtschaft erschienen. Er entspricht den dort geltenden Redaktionsrichtlinien.
Literaturverzeichnis
Arni, Patrick; Kaiser, Boris; Lalive, Rafael; Kläui Jeremias; Wolf, Markus (2025). Wirkung unterschiedlicher Sanktionen der Arbeitslosenversicherung. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 57. Studie im Auftrag des SECO, mandatiert von der Aufsichtskommission für den Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung (AK ALV).