Die Invalidenversicherung (IV) hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Reformen durchlaufen. Vor allem hat sie einen Philosophiewechsel vollzogen. Mit Erfolg. Von einer Renten- hat sie sich zur eigentlichen Eingliederungsversicherung entwickelt. Das zeigen die Evaluationen der 4. und 5. sowie der 6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket (Revision 6a). Mit diesem Wandel, der schneller erfolgte als erwartet, liess sich die Anzahl laufender Renten um mehr als zehn Prozent reduzieren. Die Neurenten sind seit 2003 um 50 Prozent gesunken. Konnten die IV-Stellen 2008 über 6000 Personen im Arbeitsmarkt halten oder dort wiedereingliedern, waren es 2015 bereits 20 000. Gleichzeitig musste die IV den Gürtel massiv enger schnallen; 2011 beliefen sich ihre Schulden bei der AHV auf rund 15 Mrd. Franken. Davon konnte sie v. a. dank der Zusatzfinanzierung über eine bis 31. Dezember 2017 befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer 3,6 Mrd. Franken bereits zurückzahlen. Nach aktuellen Projektionen sollte die Schuld 2030 getilgt sein. Die Sanierung der IV läuft somit nach Plan.
Damit stellt sich die legitime Frage, warum es eine weitere Erneuerung überhaupt braucht: Zum einen hat die Evaluation der früheren Reformen gezeigt, dass die mit der Revision 6a gesteckten politischen Eingliederungsziele nicht erreicht worden sind. Zum anderen kam der OECD-Bericht «Mental Health and Work: Switzerland» 2014 zum Schluss, dass die IV zwar gut funktioniert, die Zusammenarbeit der einzelnen Eingliederungsakteure in verschiedenen Punkten aber verbessert werden kann. Schliesslich – und das ist zentral – sollen mit den dem Parlament vorgeschlagenen Massnahmen die Versicherten und ihre Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn, obwohl es im aktuellen System gelungen ist, die Zahl der Renten insgesamt zu reduzieren, wurden mit den jungen Erwachsenen und den Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zwei Personengruppen nicht richtig erreicht. Demzufolge will die IV künftig früher im Leben gefährdeter Versicherter präsent sein, schneller reagieren, die Versicherten von der Geburt bis ins Rentenalter nach Bedarf begleiten, beraten, führen. In der Zusammenarbeit mit allen Eingliederungsakteuren, einschliesslich der Schule, Berufsbildung und Ärzteschaft, sollen Synergien gesucht und geschaffen werden. Da sein, alle denkbaren erfolgsversprechenden Massnahmen ausloten, Anreize schaffen, fördern und befähigen: Das sind nur einige Leitsätze, die mit der Weiterentwicklung der IV bestärkt und gefestigt werden sollen.
Künftig soll weniger starr und schematisch gearbeitet, aber besser koordiniert werden. Die IV muss gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten zeit ihres Lebens zur Seite stehen, ab Geburt über die Schul- und Ausbildungszeit bis hin zur möglichst dauerhaften und nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt. Denn jede Massnahme, die früh genug getroffen wird, wirkt sich positiv auf die weitere Erwerbskarriere aus und macht Diskussionen über ein Mindestalter für den Rentenbezug überflüssig. Systemoptimierung: Damit kann die IV die künftigen Herausforderungen bewerkstelligen. Der Bundesrat hat dem Parlament hierzu ein reichhaltiges Menu vorgelegt. Hoffen wir, dass es daran Geschmack findet.