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20 Jahre Mutterschaftsversicherung – der späte Durchbruch

Vor 20 Jahren ist die nationale Mutterschaftsversicherung in Kraft getreten. Die Vorlage war ein Kompromiss zwischen Frauenverbänden und Wirtschaft. Mit einer Entschädigung von 14 Wochen Urlaub befindet sich die Schweiz am unteren Ende der OECD-Länder.
Marlène Gerber, Michelle Beyeler
  |  26. Juni 2025
    Recht und Politik
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie
Im internationalen Vergleich ist die Mutterschaftsentschädigung in der Schweiz spät eingeführt worden. (Alamy)

Auf einen Blick

  • Vor 20 Jahren trat mit der nationalen Mutterschaftsentschädigung eine breit akzeptierte Lösung in Kraft.
  • Mit einer strategisch geschickten, klar begrenzten Vorlage gelang es, die anhaltend grossen Widerstände an der Urne zu überwinden.
  • In den letzten Jahren kam es zu diversen Weiterentwicklungen, wobei zunehmend auch der andere Elternteil ins Blickfeld rückt.

Mit der nationalen Mutterschaftsversicherung, die am 1. Juli 2005 in Kraft trat und heute als «gut akzeptierte und nicht mehr wegzudenkende Entschädigung» im Schweizer Sozialversicherungssystem gilt (Aeppli 2012: 12), war nach jahrzehntelanger Forderung eine einheitliche Minimallösung zum Schutz aller erwerbstätigen Frauen geschaffen worden.

Zuvor gab es über Lohnfortzahlungspflichten im Obligationenrecht (OR) und freiwillige Taggeldversicherungen grosse Unterschiede in der Absicherung des Erwerbsausfalls aufgrund einer Mutterschaft. Die Leistungen variierten stark und hingen unter anderem von der Anstellung oder Arbeitsverhinderungen im Dienstjahr wie Krankheit oder Schwangerschaftsbeschwerden ab. Auch zeigten sich Unterschiede zwischen den Branchen: Insbesondere kleine Betriebe und männerdominierte Branchen kannten vor 2005 häufig noch keine Mutterschaftsentschädigung (Aeppli 2012).

Gleichzeitig trugen die frauendominierten Branchen einen ungleich höheren Teil der Kosten. Neben dem öffentlichen Sektor betraf dies vor allem das Coiffeurgewerbe, aber etwa auch den Detailhandel und das Bankenwesen (siehe BBl 2002: 7522 ff.).  Mit der neuen Lösung wurde das Mutterschaftsrisiko kollektiv über alle Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden finanziert, was besonders Branchen mit hohem Frauenanteil entlastete.

Die lange Vorgeschichte

Bereits 1904 forderte der «Bund Schweizerischer Frauenvereine» einen Lohnersatz für das vom Bund festgesetzte achtwöchige Arbeitsverbot nach der Niederkunft. Bundesrat und Parlament setzten jedoch zunächst andere Prioritäten in den Sozialversicherungen, namentlich die Schaffung einer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), oder verzichtete in Krisenjahren ganz auf Sozialreformen.

Im Jahr 1945 erteilte die damals noch männliche Stimmbevölkerung dem Bund mit Dreiviertelmehrheit den Verfassungsauftrag zur Einrichtung einer Mutterschaftsversicherung, deren konkrete Umsetzung die Politik in den folgenden fast 60 Jahren indes immer wieder aufs Neue beschäftigte.

An Schwung gewannen die Debatten mit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971. Hervorzuheben ist dabei die 1978 lancierte Volksinitiative der «Organisation für die Sache der Frau», die neben einem 16-wöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub einen Elternurlaub von 9 Monaten forderte. Mit einem Ja-Stimmenanteil von nur 16 Prozent scheiterte das Anliegen 1984 an der Urne jedoch deutlich. Auch zwei moderatere Bundesratsvorlagen ohne Elternurlaubsregelungen konnten keine ausreichende Solidarität mit den erwerbstätigen Frauen evozieren und wurden nach Ergreifen des Referendums 1987 (29% Ja-Anteil) und 1999 (39% Ja-Anteil) erneut an der Urne verworfen.

Das Ringen um den Kompromiss

Nach langem Seilziehen sprachen sich im September 2004 schliesslich 56 Prozent der Stimmenden für eine Änderung der Erwerbsersatzordnung aus, die erwerbstätigen Müttern nach der Geburt eine Lohnfortzahlung von 80 Prozent ihres bisherigen Lohns garantiert. Diese Lösung beruhte auf einer parlamentarischen Initiative des damaligen Nationalrats und Gewerbeverbandsdirektors Pierre Triponez (FDP/BE), die in Zusammenarbeit mit Jacqueline Fehr (SP/ZH), Thérèse Meyer-Kälin (CVP/FR) und Ursula Haller (SVP/BE) entstanden war.

Der am Ende obsiegende Vorschlag war ein strategischer Schachzug, der Lehren aus den zuvor gescheiterten Vorhaben zu ziehen wusste. So verzichtete der Vorschlag auf Entschädigungen für nicht erwerbstätige Mütter und auf einen Adoptionsurlaub, um möglichst wenig Angriffsfläche im Falle eines fast schon sicheren Referendums zu bieten. Anders als früher war sie auch nicht an eine Revision des Krankenversicherungsgesetzes gekoppelt und beschränkte die Urlaubsdauer auf 14 Wochen.

Am entscheidendsten dürfte jedoch gewesen sein, dass die Finanzierung erstmals Grossteile der Wirtschaft überzeugte: Eine Finanzierung über die Erwerbsersatzordnung (EO), für die seit 1940 auch Frauen Beiträge entrichteten, versprach im Gegensatz zu einem obligationenrechtlich geregelten Mutterschaftsurlaub sogar eine finanzielle Entlastung der Arbeitgebenden. Um die Vorlage möglichst mehrheitsfähig auszugestalten, sah sie zudem eine Erhöhung der Grundentschädigung für Armeedienstleistende von 65 auf 80 Prozent des entgangenen Verdienstes vor, also auf das Niveau der Mutterschaftsentschädigung.

Eine Minimalvariante

Die Schweizer Mutterschaftsentschädigung ist im internationalen Vergleich sehr spät eingeführt worden. Punkto Länge des Anspruchs nimmt die Schweiz im Vergleich mit 38 anderen Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zudem einen Platz fast am Ende der Liste ein. Lediglich in Mexiko ist der Anspruch mit 12 Wochen noch leicht kürzer und die USA kennen bisher keine Mutterschaftsversicherung. Im OECD-Mittel beträgt der Anspruch der Mütter auf einen bezahlten Urlaub 52 Wochen. Diese durchschnittlich 52 Wochen umfassen sowohl für die Mütter reservierte Entschädigungen als auch Elternzeitansprüche, die teilweise auch vom anderen Elternteil bezogen werden können.

Beim Anteil der Mütter, welche die Versicherung nach einer Geburt auch nutzen, liegt die Schweiz hingegen im Vergleich mit anderen OECD-Ländern im oberen Mittelfeld. Wie aktuelle Analysen zeigen, besteht in der Schweiz bei rund 80 Prozent aller Geburten ein Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung (Roth und Unterhofer 2025). Dieser Anteil hat sich seit Einführung der Mutterschaftsentschädigung erhöht, da sich immer weniger Mütter ganz aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass die gesetzliche Verankerung des Anspruchs auf Entschädigung im Jahr 2005 die Bereitschaft zur Rückkehr ins Erwerbsleben stark beeinflusst hat. Gemäss BFS (2021: 29) hat der Anteil der erwerbstätigen Mütter, die Anspruch auf bezahlten Urlaub hatten, bereits seit 1998 kontinuierlich zugenommen.

Von den anspruchsberechtigten Müttern machen 94 Prozent den Anspruch geltend (Roth und Unterhofer 2025). Unter den 6 Prozent der Mütter, die darauf verzichten, finden sich überproportional solche mit entweder sehr tiefen Einkommen oder solche mit sehr hohen. Die genauen Ursachen des Verzichts wurden bisher nicht untersucht.

Oft kommt ein privater Urlaub dazu

Viele Mütter bleiben länger als 14 Wochen zu Hause. Gemäss BFS (2021: 30) hat mehr als die Hälfte der Mütter, die innerhalb eines Jahres nach der Geburt ihres ersten Kindes die Erwerbsarbeit wieder aufgenommen hat, den Urlaub verlängert. Frauen mit Tertiärausbildung verlängern den Urlaub dabei häufiger über die 14 Wochen hinaus als die anderen Frauen.

Die Mütter können teilweise unbezahlten Urlaub beziehen, teilweise finanzieren auch die Arbeitgebenden einen längeren Urlaub. In einer Studie aus dem Jahr 2018 gaben 36 Prozent der befragten Arbeitgebenden an, ihren Angestellten zusätzlichen Mutterschaftsurlaub zu finanzieren (Rudin et al. 2018). Ein Teil der Befragten hat aber auch die Stelle aufgegeben und nach dem Wiedereinstieg eine neue gesucht, weil ein verlängerter Urlaub nicht möglich war. Teilweise ziehen sich die Mütter nach der Geburt auch für mehrere Jahre aus dem Erwerbsleben zurück. Besonders oft geschieht dies bei Müttern ohne weiterführende Ausbildung (Ecoplan 2023: 24).

Vaterschaftsurlaub seit 2021

In den jüngsten Jahren hat es bei der Mutterschaftsentschädigung eine Reihe von Weiterentwicklungen gegeben. So können seit der Einführung eines zweiwöchigen Urlaubs für den andern Elternteil (seit Januar 2021 zunächst als «Vaterschaftsurlaub») sowie eines ebenfalls zweiwöchigen Urlaubs bei der Aufnahme zur Adoption eines Kindes unter vier Jahren (seit Januar 2023) auch weitere Personenkreise von entsprechenden, über die EO finanzierten Urlaubsregelungen profitieren. Eine Besonderheit ist dabei die Möglichkeit, dass diese Bezugsberechtigten ihre Abwesenheit tage- oder wochenweise gestalten können, während Mütter ihre 14 Wochen am Stück beziehen müssen.

Seit Januar 2024 können Urlaubsansprüche im Todesfall eines Elternteils auch auf den hinterbliebenen Elternteil übertragen werden. Durch die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen (seit Sommer 2021) wurde auch die Leistungsdauer für die Mutter für den definierten Fall erhöht. Seit Juli 2021 sind Erziehungsberechtigte im Falle eines schwer erkrankten oder verunfallten Kindes zudem zum Bezug einer 14-wöchigen Betreuungsentschädigung berechtigt, die ebenfalls über die EO entrichtet wird.

In Umsetzung befindet sich zudem eine Revision des Erwerbsersatzgesetzes (EOG), die unter anderem die Mutterschaftsentschädigung im Falle eines längeren Spitalaufenthalts der Mutter ausdehnen, den Urlaubsanspruch für den anderen Elternteil beim Tod des Kindes erhalten sowie neue Anspruchsvoraussetzungen bei der Betreuungsentschädigung für Eltern von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern schaffen will. Hierzu präsentierte der Bundesrat Mitte April 2025 seine Botschaft.

Mit derselben Revision sollen zudem Forderungen umgesetzt werden, die darauf abzielen, die Leistungen aller EO-Beziehenden anzugleichen (Motionen 19.4110, 19.4270 und 22.4019). So soll etwa die Betriebszulage für Selbstständige, die bislang nur von Dienstleistenden in Anspruch genommen werden konnte, neu allen selbstständig erwerbstätigen EO-Beziehenden offenstehen. Nicht zuletzt können Parlamentarierinnen seit Juli 2024 ihre Parlamentstätigkeit auch während ihres Mutterschaftsurlaubs ausüben, ohne den Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung zu verlieren.

Forderungen nach einer Elternzeit

Kaum Bestrebungen gab es im eidgenössischen Parlament, die Dauer des Mutterschaftsurlaubs generell zu verlängern (Gerber 2021). Dies könnte unter anderem an einer zunehmenden Infragestellung der primären Zuständigkeit der Mütter für die frühkindliche Betreuung liegen. Während 2013 noch über die Hälfte der 15- bis 80-Jährigen in der Schweiz eindeutig oder eher der Meinung waren, Frauen können sich besser um kleine Kinder kümmern als Männer, ist dieser Anteil 2023 auf 35 Prozent gesunken (BFS 2025).

Seit den späten 1990er-Jahren zielten diverse parlamentarische Vorstösse darauf ab, einen Vater- oder Elternurlaub einzuführen (Oehrli 2021). Als erster Kanton stimmte Genf 2023 einer sechswöchigen Elternzeit zu, die bislang noch nicht mit geltendem Bundesrecht vereinbar ist. Der Bundesrat prüft jedoch eine entsprechende Gesetzesänderung. In vielen Kantonen werden auch Forderungen nach Einführung einer Elternzeit auf Bundesebene laut (Bundesrat 2025). Jüngst gaben die Kommissionen für Soziale Sicherheit und Gesundheit erstmals zwei offen formulierten Standesinitiativen aus den Kantonen Genf und Jura Folge, die eine nationale Elternzeit fordern.

Ende Mai 2025 sprach sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats für eine Lösung aus, die auf eine Flexibilisierung des bestehenden Mutterschaftsurlaubs und des Urlaubs für den anderen Elternteil abzielt und von einer Ausdehnung der bisherigen Urlaubsdauer absieht. Diese Variante steht in deutlichem Kontrast zu der im April 2025 lancierten Familienzeit-Initiative, die für beide Elternteile je 18 Wochen Entschädigung fordert.

Zwanzig Jahre nach dem Durchbruch bei der Mutterschaftsversicherung steht damit eine weitere wichtige familienpolitische Auseinandersetzung im Raum: das Ringen um eine mehrheitsfähige nationale Elternzeit.

Literaturverzeichnis

Aeppli, Daniel C. (2012).  Forschungsbericht «Wirkungsanalyse Mutterschaftsentschädigung». Im Auftrag des BSV.

Bundesrat (2025).  Empirische Evidenzen und Machbarkeit einer gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung verschiedener Elternzeitmodelle. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 21.3961 eingereicht von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats am 23.06.2021

Ecoplan (2023). Studie zum Wiedereinstieg und Verbleib von Frauen mit Kindern in der Erwerbstätigkeit. Im Auftrag des SECO.

Gerber, Marlène (2021). Die Geschichte einer Zangengeburt: die Mutterschaftsversicherung. In: Marlène Gerber und Anja Heidelberger (Hrsg.), Dem Laufgitter entkommen: Frauenforderungen im eidgenössischen Parlament seit 1950. Seismo (313–343).

Oehrli, Dominique (2021). Vaterschaftsurlaub: Das Ringen um einen (vorläufigen) gleichstellungspolitischen Kompromiss. In: Marlène Gerber und Anja Heidelberger (Hrsg.), Dem Laufgitter entkommen: Frauenforderungen im eidgenössischen Parlament seit 1950. Seismo ( 345–359).

Roth, Anja; Unterhofer, Ulrike (2025). Mutterschaft und Vaterschaft: Mütter nutzen Urlaub häufiger als Väter. Soziale Sicherheit CHSS 16. Januar 2025. 

Dr. rer. soc., Co-Direktorin Année Politique Suisse, Universität Bern
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Dr. rer. soc., Privatdozentin, Universität Zürich
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