Altershilfe in den Kantonen

Altershilfe unterstützt die ältere Bevölkerung darin, ihr Leben selbstständig zu Hause zu führen. Eine neue Studie gibt einen systematischen Überblick über die aktuelle Organisation und Steuerung der Altershilfe in den Kantonen und weist darauf hin, wie der Bund die Finanzhilfen in der Altershilfe, die er subsidiär zu den Kantonen ausrichtet, effektiver gestalten könnte.
Peter Stettler
  |  05. Juni 2020
    Forschung und Statistik
  • Alter
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung

Die Zuständigkeit für die Altershilfe liegt gemäss Art. 112c der Bundesverfassung bei den Kantonen. Sie sind dafür verantwortlich, die nötigen direkten Hilfestellungen und Dienstleistungen für die ältere Bevölkerung, deren Angehörige und die im Altersbereich tätigen Fachpersonen und Freiwilligen bereitzustellen. Der Bund unterstützt ergänzend dazu im Rahmen von Art. 101bis des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) gesamtschweizerisch tätige, gemeinnützige Organisationen der Altershilfe jährlich mit Finanzhilfen im Umfang von ca. 70 Mio. Franken.

Das für die Steuerung und Ausrichtung der Beiträge zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) stellte einen Bedarf an aktuellem Grundlagenwissen fest und gab deshalb eine Studie (Stettler et al. 2020) in Auftrag: Um seine Finanzhilfen an die Altershilfe der gesamtschweizerisch tätigen gemeinnützigen Organisationen künftig noch effektiver und v. a. in Ergänzung zu den bestehenden kantonalen Aktivitäten und Strategien planen und ausrichten zu können, wollte das BSV insbesondere die Organisation und Steuerung der Altershilfe in den Kantonen besser verstehen. Hierzu erarbeitete die Studie eine umfassende Übersicht über die Rahmenbedingungen und die Aktivitäten der Kantone sowie das Zusammenwirken von Kantonen, Gemeinden und Bund in der Altershilfe. Ihre wichtigsten Resultate werden in diesem Artikel vorgestellt.

Methode und Studiendesign Um den Untersuchungsgegenstand genau zu fassen, wurde ausgehend von Art. 101bis AHVG als Erstes der Begriff Altershilfe eingegrenzt und definiert. Darauf aufbauend wurde ein Raster mit zehn Tätigkeitsfeldern der Altershilfe erarbeitet. Dieses diente im Sommer 2019 als Grundlage für eine Onlinebefragung der mit der Altershilfe befassten kantonalen Verwaltungsstellen. Als zusätzliche Informationsquelle wurden die einschlägigen strategischen Grundlagendokumente der Kantone zur Altershilfe (Leitbilder, Strategien, Berichte usw.) inhaltlich ausgewertet. Im Herbst 2019 fanden zur Vertiefung drei grössere Workshops mit Vertreterinnen und Vertretern der Kantone und ausgewählter Gemeinden sowie zwei Expertengespräche mit je einem Exponenten von Pro Senectute Schweiz und dem Netzwerk altersfreundlicher Städte statt.

Altershilfe wird in der Studie verstanden als unterstützende, stärkende und fördernde Massnahmen, die ältere Menschen dazu befähigen, so lange als möglich zu Hause zu leben und ein aktives und selbstbestimmtes Leben zu führen. Damit wird auf Altershilfe im Sinne direkter Hilfe und Dienstleistungen für die ältere Bevölkerung, für ihre Angehörigen und für die im Altersbereich tätigen Fachpersonen und Freiwilligen fokussiert. Nicht eingeschlossen sind hiermit die Alters- bzw. Langzeitpflege, die materielle Existenzsicherung im Alter (AHV, EL usw.) und das Schaffen von altersgerechter Infrastruktur.

Die zehn Tätigkeitsfelder und die jeweiligen Sub-Bereiche sind in Grafik G1 zusammengestellt. Die Tätigkeitsfelder 1 bis 7 (horizontal aufgeführt) umfassen die Angebote und Leistungen, die sich mehrheitlich direkt an die ältere Bevölkerung oder an betreuende Angehörige, Freiwillige und betreuendes (Hilfs-)Personal richten. Bei den Tätigkeitsfeldern 8, 9 und 10 (vertikaler Text) handelt es sich um Querschnittbereiche. Sie zielen insgesamt darauf ab, die nötigen Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Angeboten und eine bedarfsgerechte, koordinierte und wirksame Leistungserbringung zu schaffen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist die Darstellung der unterschiedlichen kantonalen Rahmenbedingungen der Altershilfe: Die Kantone unterscheiden sich bedeutend in der begrifflichen Konzeption von Altershilfe, der entsprechenden Gesetzgebung, den Strategien und hinsichtlich der Aufgabenteilung zwischen Kantons- und Gemeindeebene. Als weiteres zentrales Ergebnis wird festgestellt, dass die Kantone unterschiedlich gewichtige Rollen in der Steuerung und Bereitstellung der Altershilfe einnehmen, die immer auch im Zusammenwirken mit den Gemeinden und den privaten Organisationen gesehen werden müssen. Die Studie zeigt zudem, wie die Kantone ihre Finanzierung der Altershilfe mit den Beiträgen des Bundes an die Altershilfe koordinieren und stellt eine grundsätzliche Bereitschaft der Kantone zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Bund fest.

Rahmenbedingungen der Kantone für den Politikbereich der Altershilfe Die Kantone verwenden den Begriff Altershilfe mehrheitlich nicht oder nicht mehr. Ihre Strategiedokumente enthalten Begriffe, die inhaltlich umfassendere Handlungsfelder bezeichnen, wie z. B. Alters­politik, Seniorenpolitik oder Sozialpolitik im Alter. Altershilfe wird dabei nicht explizit als ein Teilbereich dieser Handlungsfelder ausgewiesen. Auch in denjenigen Kantonen, die den Begriff Altershilfe gebrauchen, deckt er sich nur teilweise mit der in dieser Studie verwendeten Definition.

In fünf Kantonen existiert ein Spezialgesetz zum Altersbereich oder zur Altershilfe. Die anderen Kantone regeln die Altershilfe im Rahmen ihrer Sozial- oder Sozialhilfegesetzgebung, ihrer Gesetzgebung zur (Langzeit-)Pflege oder ganz allgemein in ihrer Gesundheitsgesetzgebung. Über alle Kantone gesehen, zeigt die Untersuchung eine über die Zeit sehr unterschiedlich gewachsene Regelung der Altershilfe im Rahmen der jeweiligen Gesetzgebung zur Sozial- und/oder Gesundheitspolitik. Die grosse Mehrheit der Kantone verfügt für ihre Aktivitäten in der Altershilfe über eine relativ explizite und umfassende strategische Grundlage. Eine weitere Gruppe von Kantonen stützt sich in ihren Aktivitäten hauptsächlich auf eine Planung der Langzeitpflege und -betreuung, teilweise ergänzt mit Strategiepapieren aus Themenfeldern, in denen der Bund eine aktive Rolle einnimmt (z. B. «betreuende Angehörige», «betreutes Wohnen», «Demenz» oder «Palliative Care»). In einer letzten Gruppe von Kantonen stützt sich die Altershilfe hauptsächlich auf Dokumente der Legislaturplanung.

Die Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden ist in den Kantonen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Aufgrund der rechtlichen Bestimmungen und der Strategiedokumente lassen sich die Kantone drei Modellen zuordnen:

  • In acht Kantonen sind hauptsächlich die Gemeinden zuständig für die Altershilfe (AG, BL, GR, LU, SG, SH, ZG, ZH), wobei die Kantone mehrheitlich Rahmenbedingungen schaffen und die Gemeinden in ihren Aufgaben unterstützen.
  • In dreizehn Kantonen sind Kanton und Gemeinden gemeinsam zuständig für die Altershilfe (AR, BE, BS, FR, GE, NW, OW, SO, SZ, TG, UR, VD, VS). Die Formen der Aufgabenteilung in diesen Kantonen sind äusserst unterschiedlich.
  • In fünf Kantonen ist der Kanton hauptsächlich oder allein für die Altershilfe zuständig (AI, GL, JU, NE, TI).

Rolle von Kantonen, Gemeinden und privaten Akteuren in der Bereitstellung und Steuerung von Altershilfe Für die Analyse der Rolle der Kantone in der Bereitstellung und Steuerung der Altershilfe wurde ein Indikator «Aktivitätsbreite» gebildet. Dieser bezieht einerseits das Themenspektrum ein, das die einzelnen Kantone in den zehn Tätigkeitsfeldern der Altershilfe abdecken. Andererseits wird auch die Breite der kantonalen Steuerungsaktivitäten wie Strategieentwicklung, Bedarfsplanung, Finanzierung usw. berücksichtigt. Die Kantone lassen sich aufgrund der Ergebnisse in drei Gruppen einteilen:

  • Eine erste Gruppe von Kantonen weist eine relativ hohe Aktivitätsbreite aus. Sie sind in fast allen oder allen Tätigkeitsfeldern aktiv und nehmen über Steuerungsaktivitäten relativ stark Einfluss auf die Altershilfe in ihrem Kanton. Es handelt sich dabei um vier Kantone, in denen sich die kommunale und kantonale Ebene die alterspolitische Kompetenz teilen (BS, FR, GE, VD), und drei Kantone, in denen diese hauptsächlich bei den Kantonen liegt (AI, NE, TI).
  • Eine weitere Gruppe umfasst Kantone mit mittlerer Aktivitätsbreite. Sie decken ein mit der ersten Gruppe von Kantonen vergleichbares oder leicht engeres Themenspektrum ab, steuern aber die Altershilfeaktivitäten im Kanton deutlich weniger stark. Es handelt sich um fünf Kantone, in denen die Altershilfe gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden (BE, SO, SZ, TG, VS) ist, und zwei Kantone, bei denen hauptsächlich der Kanton für die Altershilfe zuständig ist (GL, JU).
  • Zur letzten Gruppe gehören Kantone mit relativ tiefer Aktivitätsbreite. Die Kantone dieser Gruppe decken ein leicht oder deutlich kleineres Themenspektrum der Altershilfe ab und sind in der Steuerung eher nur punktuell aktiv. Zu dieser Gruppe gehören mehrheitlich Kantone, bei denen die Gemeinden hauptsächlich für die Altershilfe zuständig sind (AG, BL, GR, LU, SG, SH, ZG und ZH), oder die kleineren Kantone AR, NW, OW und UR, in denen die Altershilfe gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden ist.

Den privaten Organisationen der Altershilfe, wie z. B. der Pro Senectute oder dem Schweizerischen Roten Kreuz, wird in den meisten Kantonen eine wichtige Rolle als Leistungserbringer und insbesondere auch als Fachorganisationen zugeschrieben. Die Mehrheit der Kantone trägt der bedeutenden Rolle dieser Organisationen Rechnung, indem sie diese in die Erarbeitung von Strategien einbindet, sie als wichtige Akteure bei der Koordination berücksichtigt oder ihnen gemeinsam mit den Gemeinden die Umsetzung der kantonalen Altersstrategie überträgt.

In den meisten Kantonen orientiert sich die konkrete Steuerungspraxis – insbesondere in Hinsicht auf die Bedarfsplanung – stark an den Erfahrungswerten der Altershilfeorganisationen, die mit den Verhältnissen vor Ort besonders gut vertraut sind. In einigen – eher grösseren – Kantonen werden zudem Befragungen der Bevölkerung und der in der Altershilfe tätigen Anbieter durchgeführt. Auch die nationalen Strategien im Gesundheitsbereich und die darin verwendeten statistischen Grundlagen dienen den Kantonen als Grundlagen für die Bedarfsplanung.

In Kantonen, in denen die Altershilfe hauptsächlich in kommunaler Kompetenz liegt, hängt die Art und Weise der Steuerung und die Stärke des Engagements in den Gemeinden stark mit der Gemeindegrösse und dem Professionalisierungsgrad der Gemeindebehörden zusammen. Als weitere Faktoren werden das Engagement der Bevölkerung, der Anteil älterer Personen an der Bevölkerung, die parteipolitischen Kräfteverhältnisse und die finanzielle Situation der Gemeinde genannt.

Koordination mit den Bundesbeiträgen Ein Teil der Kantone stimmt ihre eigene Subventionspraxis explizit auf jene des Bundes ab. Sie verfolgen dabei unterschiedliche Strategien, die insgesamt darauf hinauslaufen, die Bundessubventionen zu ergänzen. Andere Kantone orientieren sich bei der Vergabe von finanziellen Beiträgen primär an den eigenen Strategiedokumenten und den darin festgelegten Schwerpunkten. Hier werden die kantonalen Subventionen nicht explizit mit den Bundessubventionen abgestimmt. Die Kantone schätzen die Prioritätensetzung des Bundes bei der Subventionierung der Altershilfe nach Art. 101bis AHVG insgesamt als sinnvoll und nachvollziehbar ein. Allerdings stellte der Bund mit kürzlich erfolgten Korrekturen seiner Subventionspraxis, wie der Begrenzung des Bundesanteils auf 50 Prozent des Gesamtaufwands der subventionierten Leistung und dem Fokus auf vulnerable Gruppen, viele Kantone vor die Frage, inwiefern sie die fehlenden Beiträge ersetzen sollen. In einigen Fällen sprangen die Kantone in strategisch zentralen Bereichen ein. Teilweise kam es aber auch zu einem Leistungsabbau.

Verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen angesichts der Herausforderungen Finanzierungsfragen sind die grössten Herausforderungen, vor denen die Kantone in der Altershilfe in Zeiten knapper öffentlicher Budgets und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels stehen. Als zweite grosse Aufgabe wird die Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen genannt. Insbesondere die Zunahme sozialer Isolation älterer Personen und die steigende Diversität der Bevölkerung sind Entwicklungen, die von den Kantonen adäquate Antworten verlangen.

Um diese Herausforderungen zu meistern, verfolgen die Kantone verschiedene eigenständige Ansätze wie das Schaffen von rechtlichen Grundlagen für eine längerfristige Finanzierung der Altershilfe oder eine verstärkte strategische Planung und Zusammenarbeit der verschiedenen staatlichen und privaten Akteure in den Kantonen. Sie sind aber auch an einer verstärkten Zusammenarbeit und einem Austausch mit dem Bund und den anderen Kantonen interessiert. Auch das Angebot des Bundes an die Kantone, die Subventionsverträge des Bundes mit den auf ihrem Gebiet tätigen gemeinnützigen Organisationen künftig mitzugestalten, wird grundsätzlich begrüsst.

Fazit der Studie Die hier vorgestellte Studie liefert Grundlageninformationen zur Ausgestaltung der Altershilfe in den Kantonen. Sie zeigt die Vielfalt der Rahmenbedingungen, Konzepte, Akteure und Zusammenarbeitsformen. Durch die Verdichtung von Informationen bringt sie wesentliche Unterschiede auf den Punkt und erlaubt eine vergleichende Kategorisierung der Kantone.

Verschiedene Fragen konnten im Rahmen dieser Studie nicht ausreichend behandelt werden. Ihre Beantwortung im Rahmen weiterer Untersuchungen oder Abklärungen kann jedoch für die Weiterentwicklung der Alterspolitik hilfreich sein:

  • Die Studie konnte keine verlässlichen Aussagen dazu machen, inwiefern der Bedarf an Altershilfe gedeckt ist und wo die Versorgung optimiert werden sollte. Für eine (zukünftige) Steuerung der Angebote bei knappen Ressourcen werden Fragen der bedarfsgerechten Versorgung zentral sein. Hier sollte der Bund aktiv werden, indem er gemeinsam mit den Kantonen Wissen zur Versorgungslage und zur bedarfsorientierten Steuerung aufbaut.
  • Die Studie zeigt, dass sehr viele und viele verschiedene Akteure in der Altershilfe und der Alterspolitik involviert sind. Das Unterstützungs- und Dienstleistungsangebot ist unübersichtlich. Politische Vertretungen der älteren Bevölkerung und Fachpersonen weisen auf die zentrale Bedeutung altersgerechter Information hin, damit die ältere Bevölkerung die Angebote zu nutzen vermag. Um die entsprechenden Anlaufstellen für die ältere Bevölkerung zu etablieren, Informationen über das vorhandene Angebot zielgruppengerecht zu gestalten und Case-Management-Strukturen auszubauen, sollten Bund und Kantone die bestehenden Bemühungen gezielt verstärken.
  • Die Studie zeigt, dass die kantonale Altershilfe und die Alterspolitik rechtlich, konzeptionell, strukturell und auch in der Praxis durchgängig sowohl im Sozial- als auch im Gesundheitsbereich angesiedelt sind. Aus dieser in der Sache nahezu unvermeidbaren Verortung der Altershilfe zwischen der Gesundheits- und der Sozialpolitik ergeben sich Schwierigkeiten und Unklarheiten mit negativen Auswirkungen für die Versorgungssituation. Um die Altershilfe zwischen Bundes- und Kantonsebene künftig besser zu koordinieren, sollte deshalb eine weitgehende Absprache und Koordination zwischen dem Sozial- und dem Gesundheitsbereich der beiden Verwaltungsebenen und den beiden Konferenzen der kantonalen Exekutiven (SODK und Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, GDK) angestrebt werden.
Partner und Bereichsleiter Evaluationen, Alterspolitik und Altershilfe, Büro für arbeits- und sozial-politische Studien BASS.
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