Asylbereich: Wer hat Anspruch auf Leistungen der ersten Säule?

Personen aus dem Asylbereich haben unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen der AHV und der IV. Je nach Staatsangehörigkeit ist internationales oder nationales Recht massgebend.
Stephanie Koch, Katrin Jentzsch
  |  04. April 2024
    Recht und Politik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
  • Ergänzungsleistungen
  • Invalidenversicherung
  • Migration
Eine Ukrainerin mit Schutzstatus S arbeitet in einer Restaurantküche in Münsingen BE. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Grundsätzlich sind alle in der Schweiz wohnhaften und/oder erwerbstätigen Personen in der AHV und in der IV versichert.
  • Massgebend für die rechtliche Stellung von Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen, Flüchtlingen und Personen mit Schutzstatus S im Sozialversicherungsrecht sind die Staatsangehörigkeit und die anwendbaren Rechtsvorschriften (Sozialversicherungsabkommen, nationales Recht).
  • Je nach Staatsangehörigkeit bestehen unterschiedliche formelle Voraussetzungen für den Anspruch auf bestimmte Leistungen wie eine ausserordentliche IV-Rente, Eingliederungsmassnahmen der IV oder Ergänzungsleistungen.

In der Schweiz leben ungefähr 2,4 Millionen ausländische Staatsangehörige. Davon befanden sich Ende 2023 gemäss dem Staatssekretariat für Migration rund 220 000 Personen im Asylbereich (siehe Grafiken). Davon sind 81 000 anerkannte Flüchtlinge sowie 45 000 vorläufig Aufgenommene – also Personen, die beispielsweise wegen Bürgerkrieg nicht in ihr Land zurückkehren können, aber nicht als anerkannte Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes aufgenommen werden. Weiter finden sich darunter 19 000 Asylsuchende, bei denen das Asylverfahren noch hängig ist. Schliesslich zählen auch 66 000 Personen mit Schutzstatus S aus der Ukraine dazu.

Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die rechtliche Stellung der Personen aus dem Asylbereich in der ersten Säule – also in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), in der Invalidenversicherung (IV) sowie bei den Ergänzungsleistungen (siehe auch IIZ 2024).

Wichtige Sozialversicherungsabkommen

Grundsätzlich gilt: Im Bereich der beitragsfinanzierten Rentenleistungen der ersten Säule haben alle ausländischen Staatsangehörigen (aus Vertrags- und Nichtvertragsstaaten) mit Wohnsitz in der Schweiz unter den gleichen Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen wie Schweizerinnen und Schweizer. So haben sie nach einem Beitragsjahr bei Erreichen des Referenzalters Anspruch auf eine AHV-Rente. Bei Vorliegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung besteht, sofern die formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, Anspruch auf eine IV-Rente. Für eine AHV-Vollrente sind für alle Versicherten 44 Beitragsjahre erforderlich, für eine volle IV-Rente die vom Jahrgang abhängige vollständige Beitragsdauer.

Bei den Sachleistungen der IV (Eingliederungsmassnahmen) sowie bei den beitragsunabhängigen Leistungen mit Sozialhilfecharakter wie der ausserordentlichen Rente oder den Ergänzungsleistungen, sind die Hürden für den Leistungsbezug für ausländische Staatsangehörige (sofern sie nicht unter das Freizügigkeitsabkommen mit der EU oder das EFTA-Übereinkommen fallen) jedoch höher als für Schweizer Staatsangehörige.

Für die Rechtsstellung von Personen aus dem Asylbereich ist massgeblich, ob sie die Staatsangehörigkeit eines Staates besitzen, mit welchem die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat oder nicht. Die Schweiz hat mit mehr als 50 Staaten Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen. Dazu zählen beispielsweise die meisten Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), darunter auch die Türkei sowie Balkanstaaten wie Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Serbien, und Länder wie Tunesien, Japan, die Philippinen und schliesslich südamerikanische Staaten wie Brasilien und Uruguay. Zwischen der Schweiz und der Ukraine besteht kein Sozialversicherungsabkommen.

Die Voraussetzungen für Leistungsansprüche in der ersten Säule von Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen oder Personen mit Schutzstatus S, die nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind, richten sich nach den Bestimmungen des nationalen Rechts im Bereich des jeweiligen Sozialversicherungszweiges. Die Anspruchsvoraussetzungen für Flüchtlinge in Bezug auf Leistungen in der AHV/IV sind im Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der Alters-, Hinterlassenen und Invalidenversicherung geregelt.

AHV und IV: Wohnsitz und Erwerbstätigkeit als Hauptkriterien

Alle Personen, die Wohnsitz in der Schweiz haben und/oder in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben, sind grundsätzlich obligatorisch in der AHV und in der IV versichert (Art. 1a Abs. 1 AHVG). Die Beitragspflicht beginnt für Erwerbstätige ab dem vollendeten 17. Altersjahr, für Nichterwerbstätige ab vollendetem 20. Altersjahr.

Erwerbstätige unterliegen grundsätzlich – unabhängig von der Staatsangehörigkeit und vom Aufenthaltsstatus – ab Aufnahme der Erwerbstätigkeit der Beitragspflicht in der AHV/IV.

Die Beitragspflicht für nicht erwerbstätige Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Personen mit Schutzstatus S gilt zwar grundsätzlich ebenfalls ab Wohnsitznahme in der Schweiz, aber die Beiträge werden erst dann festgesetzt und erhoben, wenn sie dereinst:

  • als Flüchtlinge anerkannt werden oder
  • eine Aufenthaltsbewilligung erhalten oder
  • einen Anspruch auf Leistungen der AHV oder der IV geltend machen können ( 14 Abs. 2bis AHVG).

Rentenleistungen der AHV

Bei Erreichen des Referenzalters erhalten alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, welche die Mindestbeitragsdauer von einem Jahr erfüllt haben, eine Altersrente der AHV und dies unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus. Die Höhe der Rente wird aufgrund der anrechenbaren Beitragsjahre und des massgeblichen durchschnittlichen Jahreseinkommens berechnet.

Personen, auf die ein Abkommen oder der Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der AHV und IV anwendbar ist, können sich beim Verlassen der Schweiz (Flüchtlinge bei Wohnsitznahme in einem Vertragsstaat), die Alters- bzw. die Hinterlassenenrente ins Ausland auszahlen lassen. Bei Wohnsitz in einem Nichtvertragsstaat können sie lediglich die Rückerstattung ihrer AHV-Beiträge beantragen (siehe Anhang 1 der Weisungen über die Rückvergütung der an die AHV bezahlten Beiträge im Sinne von Art. 18 Abs. 3 AHVG und der RV-AHV). Letzteres gilt auch für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Personen mit Schutzstatuts S, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Nichtvertragsstaates besitzen. Diese Regelungen für den Leistungsexport gelten ebenso für Witwen und Waisen, die eine Hinterlassenenrente der AHV beziehen.

Drei Beispiele:

  • Ein Flüchtling aus Eritrea (Nichtvertragsstaat), der in seinen Heimatstaat zurückkehrt, kann keine Rentenleistung beziehen. Er kann jedoch die Rückerstattung seiner einbezahlten AHV-Beiträge verlangen.
  • Die ukrainische Witwe eines Ukrainers, der in der Schweiz gearbeitet hat, kann die AHV-Witwenrente nach der Rückkehr in die Ukraine (Nichtvertragsstaat) nicht mehr als Rentenleistung beziehen. Sie kann jedoch die Rückerstattung der AHV-Beiträge beantragen, die ihr Ehegatte in der Schweiz entrichtet hatte.
  • Das vollwaise türkische Flüchtlingskind, das von der Familie in der Türkei (Vertragsstaat) aufgenommen wird, kann seine Waisenrente weiterhin beziehen.

Leistungen der IV

Für einen Anspruch auf eine ordentliche IV-Rente müssen mindestens drei volle Beitragsjahre vor Eintritt des Versicherungsfalls geleistet worden sein (Art. 36 Abs. 1 IVG). Die dreijährige Mindestbeitragsdauer gilt für alle Personen, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und allfällig anwendbaren Sozialversicherungsabkommen. Ist die invalidisierende gesundheitliche Beeinträchtigung vor Einreise in die Schweiz eingetreten, ist die Mindestbeitragsdauer grundsätzlich nicht erfüllt und es kann kein Anspruch auf eine ordentliche Rente entstehen. Personen, die in den Geltungsbereich der EU-Koordinierungsverordnung (883/2004) oder der bilateralen Sozialversicherungsabkommen fallen, können sich bei Bedarf in den Vertragsstaaten geleistete Versicherungszeiten für die Erfüllung der dreijährigen Beitragsdauer anrechnen lassen.

Für den Rentenexport der IV gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie bei der AHV. Allerdings kann unter den dort genannten Bedingungen eine IV-Rente nur dann im Ausland bezogen werden, wenn der IV-Grad mindestens 50 Prozent beträgt. An Personen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/2004 fallen und die in einem EU/EFTA-Staat wohnen, werden auch Renten aufgrund eines tieferen IV-Grads ausbezahlt.

Eingliederungsmassnahmen der IV

Anspruch auf Eingliederungsmassnamen der IV hat nur, wer in der IV versichert ist und in der Schweiz wohnt (Art. 9 Abs. 1bis IVG i.V. mit Art. 1a Abs. 1 Bst. a und b AHVG). Für Flüchtlinge, die in den Anwendungsbereich eines Abkommens fallen oder auf die der Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der AHV und IV anwendbar ist, gelten weitere Voraussetzungen (Leitfaden zu den versicherungsmässigen Voraussetzungen der Leistungen der IV und Der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung im internationalen Kontext). Je nach den anwendbaren Rechtsvorschriften muss vor Eintritt des Versicherungsfalls, zusätzlich zur Versicherteneigenschaft, entweder ein Beitragsjahr in der IV vorliegen, oder die Person muss unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls der Beitragspflicht unterstellt gewesen sein.

Auch Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Personen mit Schutzstatus S, die nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaates sind, müssen zusätzlich zur Versicherungsunterstellung bei Eintritt der Invalidität bereits mindestens ein volles Beitragsjahr geleistet haben, oder sie müssen sich ununterbrochen mindestens zehn Jahre in der Schweiz aufgehalten haben (Art. 6 Abs. 2 IVG).

Besondere Voraussetzungen gelten darüber hinaus für Personen, die das 20. Altersjahr noch nicht erreicht haben (vgl. je nach Personengruppe das anwendbare Abkommen, Art. 2 FlüB bzw. Art. 9 Abs. 3 IVG für Personen aus Nichtvertragsstaaten; siehe auch Kurzcheck – versicherungsmässige Voraussetzungen für die Zusprache von Leistungen der IV). Auch ausländische Kinder müssen die Voraussetzungen erfüllen (etwa bei Eintritt des Versicherungsfalles bereits ein Jahr in der Schweiz gelebt haben). Zusätzlich muss sein ausländischer Vater oder seine ausländische Mutter bestimmte Voraussetzungen erfüllen (etwa bei Eintritt des Versicherungsfalles ein Beitragsjahr geleistet haben) (Art. 9 Abs. 3 IVG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 IVG).

Beispiel: Ein Kind aus der Demokratischen Republik Kongo, welches mit seiner Mutter in die Schweiz eingereist ist, erfüllt die versicherungsmässigen Voraussetzungen nur, wenn bei Eintritt der Invalidität zum einen die Mutter mindestens ein Jahr lang Beiträge bezahlt hat und zum andern das Kind schon ein Jahr lang ununterbrochen in der Schweiz gewohnt hat.

Ergänzungsleistungen

Für den Anspruch auf Ergänzungsleistungen der AHV und IV gelten für ausländische Staatsangehörige und Flüchtlinge sogenannte Karenzfristen (Wartefristen). Um Ergänzungsleistungen beanspruchen zu können, müssen sie ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt unmittelbar vor Anspruchsbeginn ununterbrochen während einer bestimmten Zeit in der Schweiz gehabt haben (5 bzw. 10 Jahre).

Beispiel:

  • Ein eritreischer Versicherter, der seit sieben Jahren in der Schweiz lebt, erkrankt an Krebs. Er ist nach der Behandlung nicht mehr erwerbsfähig, und ihm wird eine IV-Rente zugesprochen. Hat er zudem Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur IV-Rente, so kann er diese erst zehn Jahre nach Wohnsitznahme in der Schweiz beziehen.

Die Ergänzungsleistungen werden dabei nur in der Schweiz ausgerichtet (Art. 5 ELG; s. auch Wegleitung über die Ergänzungsleistungen Rz 2410 ff.). Entsteht wegen des Fehlens der versicherungsmässigen Voraussetzungen kein Rentenanspruch, ist zu prüfen, ob allenfalls ein Anspruch auf rentenlose Ergänzungsleistungen (Art. 4 Abs. 1 Bst. d ELG) besteht.

Unterschiedliche Hürden

Abschliessend kann festgehalten werden: Personen mit Wohnsitz in der Schweiz sind unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit grundsätzlich in der AHV und in der IV versichert und können die entsprechenden Leistungen beziehen, wenn sie die jeweiligen formellen und materiellen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.

Im Bereich der beitragsfinanzierten Geldleistungen der ersten Säule (Rentenleistungen) haben alle ausländischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in der Schweiz unter den gleichen Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen wie Schweizerinnen und Schweizer. Bei Wegzug ins Ausland können allerdings nur Vertragsstaatsangehörige und Flüchtlinge diese Rentenleistungen ausbezahlt erhalten. Nichtvertragsstaatsangehörige können stattdessen die Rückerstattung ihrer AHV-Beiträge verlangen.

Bei den Sachleistungen der Invalidenversicherung (Eingliederungsmassnahmen) sowie den beitragsunabhängigen Leistungen wie der Hilflosenentschädigung oder den Ergänzungsleistungen, wird für den Leistungsbezug eine gewisse Nähe zum schweizerischen Sozialversicherungssystem verlangt. Daher müssen ausländische Staatsangehörige – sofern sie nicht unter das Freizügigkeitsabkommen mit der EU oder das EFTA-Übereinkommen fallen – zusätzliche Voraussetzungen für den Leistungsbezug erfüllen (unter anderem mindestens ein Beitragsjahr, Versicherteneigenschaft vor Eintritt des Versicherungsfalls oder Karenzfristen).

Literaturverzeichnis

Fürsprecherin, Internationale Angelegenheiten, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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Volkswirtin und Psychologin, Invalidenversicherung, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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