Ein Fahrplan für eine bessere Welt

Till Berger
  |  08. Oktober 2021
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  • Sozialpolitik allgemein

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist ein globaler Rahmen für die Lösung der grossen Herausforderungen der Weltgemeinschaft. Die Schweiz engagiert sich national wie international für die Umsetzung der Agenda und setzt ihre Prioritäten in der «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030».

Auf einen Blick

  • 2015 einigten sich die UNO-Mitgliedstaaten mit der Agenda 2030 auf einen globalen Rahmen, um Armut, soziale Ungleichheit und den Klimawandel koordiniert und mit gemeinsamen Zielen anzugehen.
  • Kern der Agenda 2030 sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung die sog. Sustainable Developoment Goals (SDG)
  • Nachhaltige Entwicklung gelingt nur, wenn die Ökosysteme langfristig ihre Leistung erbringen können, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gewährleistet ist und gesellschaftliche Solidarität sichergestellt wird.
  • Bis 2030 liegen die Prioritäten des Bundesrats in Nachhaltigkeitsfragen bei Konsum und Produktion, bei den Themen Klima, Energie und Biodiversität sowie bei der Chancengleichheit und dem sozialen Zusammenhalt.

Die grossen Herausforderungen der Weltgemeinschaft wie Armut, soziale Ungleichheiten, Klimawandel, schwindende Biodiversität, Umweltzerstörung, Gesundheitskrisen oder die Etablierung einer ressourcenschonenden Wirtschaft können nicht durch einzelne Staaten allein gelöst werden. Es braucht eine wirkungsvolle globale Zusammenarbeit und ein weltweit koordiniertes Handeln mit gemeinsamen Zielen und gut abgestimmten nationalen und internationalen Massnahmen. Diesen globalen Rahmen haben die Vereinten Nationen 2015 mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (United Nations 2015) geschaffen. Sie ist das Ergebnis aus der Zusammenführung der UNO-Konferenzen für nachhaltige Entwicklung und den Ende 2015 ausgelaufenen Millenniumsentwicklungszielen. Sie deckt damit die ganze Breite der nachhaltigen Entwicklung ab und weist den Weg in eine zukunftsfähige Welt.

Kernbestandteil der Agenda 2030 sind die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG). Diese legen fest, wohin sich die globale Gemeinschaft bis 2030 bewegen muss, um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Sie schaffen dafür Orientierungspunkte in allen zentralen Bereichen des Lebens wie Ernährung, Gesundheit, Bildung, Wirtschaft, Energie, Klima, Umwelt und auch gute Regierungsführung. Der Plan der Vereinten Nationen sieht vor, die SDG bis 2030 weltweit zu erreichen, um heute und in Zukunft für alle Menschen eine gute Lebensqualität und ein würdevolles Leben zu ermöglichen.

Als Land mit einer langen humanitären Tradition und einer international stark vernetzten Wirtschaft hat die Schweiz jedes Interesse an einer solchen Welt. Deshalb hat sie sich bereits bei der Ausarbeitung der Agenda 2030 aktiv eingesetzt und will auch bei der Umsetzung eine starke Rolle übernehmen.

Voraussetzungen für eine nachhaltige Welt

Aber was bedeutet nachhaltige Entwicklung genau? Der Bundesrat versteht darunter Folgendes: «Eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen und stellt eine gute Lebensqualität sicher, überall auf der Welt sowohl heute wie auch in Zukunft. Sie berücksichtigt die drei Dimensionen – ökologische Verantwortung, gesellschaftliche Solidarität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – gleichwertig, ausgewogen und in integrierter Weise und trägt den Belastbarkeitsgrenzen der globalen Ökosysteme Rechnung.» (Bundesrat 2021a, S. 5).

Die nachhaltige Entwicklung stellt somit die Gewährleistung einer guten Lebensqualität für alle in den Vordergrund. Um dies zu erreichen, müssen verschiedene Voraussetzungen gegeben sein. Diese werden durch die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung definiert:

  • Erstens müssen wir unsere ökologische Verantwortung wahrnehmen. Damit ist gemeint, dass sich unsere Aktivitäten im Rahmen der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ökosysteme bewegen müssen. Wir müssen sicherstellen, dass die Ökosysteme ihre Leistungen (wie die Bereitstellung von frischem Wasser oder sauberer Luft) langfristig erbringen können. Damit können wir gewährleisten, dass die planetaren Belastbarkeitsgrenzen eingehalten werden und die natürlichen Lebensgrundlagen für die Zukunft erhalten bleiben.
  • ­Zweitens gilt es, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Die Wirtschaft muss über die nötigen Grundlagen verfügen, um leistungsfähig, produktiv, widerstandsfähig und innovativ zu sein. Zudem muss das wirtschaftliche Kapital (Realkapital, Finanzkapital, Humankapital, Sozialkapital und Naturkapital) langfristig erhalten bleiben. Damit wird gewährleistet, dass alle Menschen in der Lage sind, einen Lebensstandard zu erreichen, mit dem sie genügend materielle Grundlagen für ein gutes Leben haben.
  • Drittens ist die gesellschaftliche Solidarität sicherzustellen. Dies beinhaltet die Respektierung der Würde jedes einzelnen Menschen, die Wahrung der Menschenrechte, die Gewährleistung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die gerechte Verteilung des Wohlstands, soziale Sicherheit und die gleichberechtigten Beziehungen zwischen allen Menschen. Damit wird gewährleistet, dass alle Menschen ein integrierter Bestandteil der Gesellschaft sein können (Inklusion), Gerechtigkeit für alle herrscht und soziale Spannungen geringgehalten werden können.

Die Schweiz bei vielen SDG auf Kurs

Doch sind diese Voraussetzungen in der Schweiz bereits gegeben? Ist die Schweiz bei der nachhaltigen Entwicklung auf Kurs? Ein Blick auf die aktuelle Covid-19-Krise zeigt, dass sie auch unter erschwerten Voraussetzungen bei zahlreichen SDG eine gute Bilanz vorweisen kann: Dank einem qualitativ hochstehenden und flexiblen Gesundheitssystem konnten alle an Covid-19 Erkrankten behandelt werden (SDG 3 – «Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern»). Durch unser gut ausgebautes Sozialsystem sind die meisten Menschen trotz schwerwiegender wirtschaftlicher Einschnitte nicht existenziell bedroht (SDG 1 – «Armut in allen Formen und überall beenden»). Unser innovatives und investitionsfreundliches Wirtschaftssystem bietet zudem eine ideale Grundlage für die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung (SDG 8 – «Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern»). Auch schützt die ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit die Bevölkerung vor unverhältnismässiger Einschränkungen der Grundrechte (SDG 16 – «Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern»). Und vor gefährlichen Spannungen innerhalb der Gesellschaft bewahrt uns ein auf Solidarität ausgerichtetes politisches System (SDG 10 – «Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern»).

Weltweit auf Platz 16 bei den SDG

Es gibt allerdings auch Bereiche, in denen die Schweiz noch einen langen Weg vor sich hat, um die SDG zu erreichen: Die Biodiversität nimmt nach wie vor ab, was die Widerstandsfähigkeit der natürlichen Umwelt verringert und damit auch Ökosystemdienstleistungen wie z.B. die Blütenbestäubung durch Insekten (SDG 15 – «Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen»). Die Energieversorgung basiert noch immer zu 63% auf fossilen Energieträgern (Stand 2019), was uns energetisch abhängig macht und nach wie vor für hohe Treibhausgasemissionen sorgt (SDG 13 – «Umgehend Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen»). Zudem leiden 42% der Bevölkerung zunehmend unter Übergewicht oder Fettleibigkeit (Stand 2017), was zahlreiche Krankheiten verursachen kann (SDG 3). Auch sind die Chancen ungleich verteilt; so ist beispielsweise der Einkommensanteil der obersten 20 Prozent der Bevölkerung inzwischen über 40-mal grösser als derjenige der untersten 20 Prozent (SDG 10).

Trotz dieser Herausforderungen steht die Schweiz im internationalen Vergleich aber relativ gut da. Gemäss dem «Sustainable Development Report 2021» des Sustainable Development Solutions Network SDSN und der Bertelsmann Stiftung (Sachs et al. 2021) befindet sie sich auf Platz 16 von 165, was die weltweite Erreichung der SDG betrifft (Platz 1 belegt Finnland, Deutschland kommt auf Platz 4).

Prioritäten des Bundesrats bis 2030

Der Bundesrat hat nach der Verabschiedung der Agenda 2030 eine Bestandsaufnahme durchgeführt, um zu identifizieren, wo die Schweiz den grössten Handlungsbedarf hat, um die SDG zu erreichen. Aufbauend auf dieser Analyse bestimmte er in seiner Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (Bundesrat 2021) drei Schwerpunkte, in denen er bis 2030 verstärkt tätig werden will: «Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion», «Klima, Energie und Biodiversität» sowie «Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt». Im Bereich des Konsums und der Produktion ist unter anderem der hohe Verbrauch an Rohstoffen ein vorrangiges Thema. Dieser beträgt in der Schweiz rund siebzehn Tonnen pro Person und Jahr. Ein Grossteil der Rohstoffe wird aus dem Ausland importiert. Entsprechend hoch ist auch der ausländische Anteil der konsumbedingten Umweltbelastung, der derzeit mehr als 70 Prozent ausmacht (Frischknecht et al. 2018, S. 40). Zur Förderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster setzt der Bundesrat deshalb unter anderem auf die Stärkung der Kreislaufwirtschaft und auch auf die Verbesserung der Transparenz entlang von Wertschöpfungsketten.

Beim zweiten Schwerpunkt (Klima, Energie und Biodiversität) ist die Bekämpfung des Klimawandels eines der vorrangigen Themen. Die mittlere Jahrestemperatur ist hierzulande seit Messbeginn 1864 um 2 °C gestiegen, gut doppelt so viel wie im globalen Mittel. Dies hat auch zunehmende Folgen für die Biodiversität, welche bereits durch den Nutzungsdruck des Menschen in einem sehr unbefriedigenden Zustand ist. Der Bundesrat hat deshalb beschlossen, in beiden Bereichen verstärkt zu handeln. Einer der wichtigsten Ansatzpunkte ist die Halbierung der inländischen Treibhausgasemissionen bis 2030. Bis 2050 soll die Schweiz unter dem Strich überhaupt keine Treibhausgase mehr ausstossen, d.h. CO2-neutral sein.

Weniger Armut und stärkerer sozialer Zusammenhalt

Im dritten Schwerpunkt der «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» konzentriert sich der Bundesrat unter anderem auf die Reduktion der Armut. Obwohl es in der Schweiz keine absolute Armut mehr gibt, waren im Jahr 2019 rund 8,7 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung von Einkommensarmut betroffen. Prekär ist insbesondere die Situation von Kindern und Jugendlichen, die in Familien aufwachsen, die von Armut betroffen oder gefährdet sind. Dies wirkt sich insbesondere auch auf ihre Bildungschancen und auf ihre Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit in Bezug auf ihre Lebensgestaltung aus. Diesbezüglich bestehen für ärmere Bevölkerungsteile und Menschen mit Migrationshintergrund empfindliche Benachteiligungen. Aus diesem Grund will der Bundesrat Armut verhindern und bekämpfen sowie die soziale und berufliche Integration fördern (siehe Wissler, Bernhard, «Werkstatt rollaid: Wie Ausgedientes wieder dient». Er unterstützt die Kantone, Städte und Gemeinden sowie die zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure dabei, die Armutsprävention und Armutsbekämpfung weiterzuentwickeln, und er stellt die nötigen Informationen über die Armutsentwicklung, die Präventivmassnahmen sowie deren Auswirkungen zur Verfügung (siehe Luisier Rurangirwa, Géraldine, «Das BSV trägt zur Umsetzung der Agenda 2030 bei».).

In einem weiteren Handlungsfeld befasst sich der Bundesrat mit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Die Individualisierung der Lebensstile, regionale Disparitäten oder Verteilungsfragen zwischen den Generationen stellen den Zusammenhalt der Schweizer Bevölkerung vor grosse Herausforderungen. Aber auch Diskriminierungen beispielsweise aufgrund der Herkunft, der Sprache, der Hautfarbe oder der sozialen Stellung gilt es zu bekämpfen. Der Bundesrat begegnet diesen Herausforderungen in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen. Dazu gehören Massnahmen für die gesellschaftliche Vernetzung (siehe Uehlinger/Karnusian, «Niederschwellige Gesprächsrunden von und für Migrantinnen und Migranten»), die politische Partizipation, das freiwillige Engagement und das gegenseitige Verständnis. Unter anderem zielt er auch auf eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Quartieren und Agglomerationen ab (siehe Alder et al., Nachhaltige Stadtentwicklung im Kanton Basel-Stadt).

Ein Vierjahreszyklus für die nachhaltige Entwicklung

Die Umsetzung der Agenda 2030 ist ein äusserst dynamischer Prozess, der von vielen nationalen und internationalen Entwicklungen beeinflusst wird. Das beste Beispiel ist die aktuelle Covid-19-Krise. Aus diesem Grund durchläuft die Nachhaltigkeitspolitik des Bundesrats einen vierjährigen Politikzyklus. Dieser richtet sich nach der Legislaturplanung und beinhaltet vier Schritte. Zu Beginn der Legislaturplanung wird zur Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 jeweils ein neuer Aktionsplan verabschiedet (Bundesrat 2021b). In einem zweiten Schritt wird dieser durch die zuständigen Bundesstellen umgesetzt, wobei der Bund die Umsetzung auch auf den Ebenen der Kantone, Städte und Gemeinden sowie der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft fördert. In einem dritten Schritt werden die Fortschritte oder Rückschritte in der Zielerreichung gemessen (siehe Savary, Medea et al., MONET 2030: Messung der nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz) und in einem vierten Schritt ein Bericht an die UNO über die noch bestehenden Herausforderungen erstellt. Dadurch soll ein dynamischer Prozess entstehen, der so eine flexible und wirkungsvolle Umsetzung der SDG ermöglicht.

Nachhaltige Entwicklung ist ein Megatrend

Die UNO hat Ende 2019 die Decade of Action ausgerufen, um die Anstrengungen zur Umsetzung der SDG zu beschleunigen. Nur wenige Monate danach hat die Covid-19-Krise die Erreichung einiger Ziele, wie die Beendigung der Armut in all ihren Formen, deutlich erschwert. Dennoch besteht Grund zur Hoffnung: Nachhaltige Entwicklung ist heute mehr denn je ein Megatrend, der bei Konsumenten, Unternehmen, Finanzinstituten und der Politik gleichermassen angekommen ist. Gemeinsam lässt sich viel erreichen. Die Decade of Action dauert noch gut neun Jahre.

Literaturverzeichnis

Dipl. Biologe, stv. Chef Sektion Nachhaltige Entwicklung, Bundesamt für Raumentwicklung ARE.
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