Eltern in der Schweiz geben viel Geld für die Betreuung ihrer Kinder in Kitas oder schulergänzenden Einrichtungen aus. Um Familien zu entlasten, unterstützt der Bund Kantone und Gemeinden, die ihre Subventionen für die Kinderbetreuung erhöhen. Eine Evaluation untersuchte die Wirkung dieser neuen Finanzhilfen.
Auf einen Blick
- Die Ausgaben für die familienergänzende Betreuung in Kindertagesstätten, schulergänzenden Einrichtungen und Tagesfamilien stellen für viele Familien eine beachtliche finanzielle Belastung dar.
- Seit 2018 leistet der Bund finanzielle Beiträge an Kantone und Gemeinden, die ihre Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ausbauen.
- Das Interesse an den Finanzhilfen des Bundes ist gross. Bis Ende 2021 haben 14 Kantone ein Finanzhilfegesuch einreicht.
- Wie viel der Bund einem Kanton ausbezahlt, hängt vom Umfang Subventionserhöhungen in einem Kanton ab. Die Subventionserhöhungen können via Kantone, Gemeinden sowie gesetzlich verankerte Arbeitgeberbeiträge erfolgen.
- Der Umfang der (geplanten) Subventionsbeiträge des Bundes über die Dauer von drei Jahren reicht von rund 0,5 Mio. bis 42 Mio. Franken.
Die Ausgaben für die familienergänzende Betreuung in Kindertagesstätten, schulergänzenden Einrichtungen und Tagesfamilien (fortan «familienergänzende Kinderbetreuung» genannt) stellen für viele Familien in der Schweiz nach wie vor eine beachtliche finanzielle Belastung dar. Dies führt häufig dazu, dass Eltern – vor allem Mütter – ihr Erwerbspensum einschränken. Zudem nutzen gerade Kinder aus sozial belasteten Familien, welche besonders von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung profitieren würden, familienergänzende Kinderbetreuungsangebote unterdurchschnittlich, was sich wiederum negativ auf ihre Bildungschancen auswirken kann (EKFF 2021).
Bundesrat und Parlament haben darum Massnahmen bei der Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ergriffen. Seit dem 1. Juli 2018 leistet der Bund – gestützt auf das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung – finanzielle Beiträge an Kantone und Gemeinden, die ihre Unterstützung ausbauen und damit die Betreuungskosten der Eltern senken. Die Kantone können die Finanzhilfen des Bundes per Gesuch beantragen. Das Programm ist auf fünf Jahre befristet und mit Fördergeldern von insgesamt 180 Mio. Franken ausgestattet.
Fragestellung
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat die beiden Forschungsbüros INFRAS und evaluanda mit der Evaluation der neuen Finanzhilfen beauftragt. Dabei wurden drei Hauptfragen untersucht:
- Sind die Finanzhilfen ein Anreiz für Kantone und Gemeinden, ihre Subventionen zu erhöhen?
- Wie setzen die Kantone und Gemeinden die Subventionserhöhungen um?
- Wie stark können dadurch die Drittbetreuungskosten der Eltern gesenkt werden?
Basierend auf den Antworten zu diesen Fragen nahm das Evaluationsteam eine Beurteilung der Angemessenheit, der Effizienz und der Wirksamkeit der gesetzlichen Bestimmungen des Bundes vor und formulierte Empfehlungen für die künftige Konzeption von Finanzhilfen im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung.
Methodisches Vorgehen
Zur Beantwortung der Evaluationsfragen wurde ein Mix von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden gewählt. Die wichtigsten methodischen Elemente der Evaluation sind:
- Eine Analyse der Finanzhilfegesuche von 14 Kantonen und den entsprechenden Angaben in der BSV-Datenbank zu den Finanzhilfegesuchen;
- Interviews mit 19 Vertreter/innen von Kantonen mit und ohne Finanzhilfegesuch;
- Fallstudien mit Modellrechnungen für verschiedene Haushalte in fünf Gemeinden sowie
- ein Workshop mit Vertretungen von Bund, Kantonen und Gemeinden.
Insgesamt geringe Anreizwirkung der neuen Finanzhilfen für Kantone und Gemeinden
Die Finanzhilfen des Bundes sind bei den Kantonen auf grosses Interesse gestossen. Insgesamt haben 14 Kantone bis Ende 2021 ein Gesuch eingereicht und weitere Kantone dürften bis Ende 2023 noch folgen. In zahlreichen Kantonen stand die Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung bereits auf der politischen Agenda und entsprechende Gesetzesprojekte waren aufgegleist oder verabschiedet. Die Finanzhilfen kamen hier gerade zum richtigen Zeitpunkt und fielen auf fruchtbaren Boden. Da in diesen Kantonen die Erhöhung der öffentlichen Subventionen auch ohne Finanzhilfen des Bundes erfolgt wäre, ist die Anreizwirkung der Finanzhilfen insgesamt als gering einzustufen. Trotz dieser Mitnahmeeffekte wird den Finanzhilfen in fast zwei Dritteln der Kantone eine förderliche Wirkung bescheinigt, indem beispielsweise die Akzeptanz für kantonale oder kommunale Vorhaben erhöht oder deren Umsetzung beschleunigt wurden. Vereinzelt führten die Finanzhilfen auch zu einer stärkeren Subventionserhöhung als ursprünglich geplant.
Insgesamt zeigen die Evaluationsergebnisse deutlich: Die Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung ist für viele Kantone und Gemeinden ein relevanter Ausgabenposten. Erhöht werden die Subventionen dann, wenn der politische Wille dafür gegeben ist und die Finanzierung langfristig – auch ohne temporäre Finanzhilfen des Bundes – sichergestellt werden kann. In einigen Kantonen, die bereits vergleichsweise viel subventionieren, kam deshalb eine weitere Erhöhung nicht in Frage. Für anderen Kantone oder Gemeinden wiederum kamen die Subventionen in der Tendenz zu früh, weil ihre Priorität momentan beim Ausbau des Angebots und weniger auf der Tarifsenkung für die Eltern liegt.
Unterschiede bei der Subventionierung werden durch Finanzhilfen kaum verringert
Im Rahmen der Gesuchseingabe mussten die Kantone die gesamten Ausgaben für die familienergänzende Kinderbetreuung in Kindertagesstätten, schulergänzenden Einrichtungen und Tagesfamilien erfassen. Dabei wurden die Ausgaben der Gemeinden, des Kantons und gegebenenfalls Arbeitgebern zu einem Gesamtbetrag summiert und für das Referenzjahr vor der geplanten Subventionserhöhung ausgewiesen. Grafik G1 zeigt, dass sich die jährlichen Ausgaben für die familienergänzende Kinderbetreuung zwischen den Kantonen stark unterscheiden und diese Unterschiede auch nach Umsetzung der (geplanten) Subventionserhöhungen gross bleiben. In absoluten Zahlen geben die Kantone Zürich und Waadt mit Abstand am meisten für die familienergänzende Kinderbetreuung aus.
Pro Kopf – d.h. gemessen an der Anzahl im Kanton wohnhafter Kinder im Alter von 0 bis 12 Jahren – sind die Ausgaben im Kanton Basel-Stadt am höchsten, gefolgt von den Kantonen Waadt, Zürich und Bern. Die durchgeführten Datenanalysen zeigen weiter, dass Kantone mit vergleichsweise hohen Subventionen ihre Subventionen pro Kind tendenziell stärker erhöhen als diejenigen mit tieferen Subventionen.
Eine weitere interessante Kennzahl ist der Anteil der Subventionen für familienergänzende Kinder-betreuung an der kantonalen Wirtschaftsleistung (BIP): Dieser Anteil liegt im Grossteil der untersuchten Kantone mit einem Finanzhilfegesuch auch nach den Subventionserhöhungen unter 0,1 Prozent des BIP. In vier Kantonen (BE, BS, FR und ZH) liegt dieser Anteil über 0,2 Prozent des BIP und in einem Kanton (VD) bei 0,6% des BIP. Zum Vergleich: Die OECD-Länder geben im Durchschnitt allein für die familienergänzende Betreuung der 3-5-jährigen Kinder rund 0,6% des BIP aus (OECD 2019).
Wirkung auf die Senkung der Drittbetreuungskosten von Eltern sehr unterschiedlich
Die Wirkungen der Finanzhilfen können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschliessend beurteilt werden, da viele kantonale Gesuche erst kürzlich eingereicht wurden und vielerorts erst die geplanten, aber nicht die effektiven Subventionserhöhungen bekannt sind. Anhand der Angaben in den Gesuchen, den durchgeführten Interviews und den vertiefenden Datenanalysen ist davon auszugehen, dass die Senkung der Drittbetreuungskosten je nach Kanton sehr unterschiedlich ausfällt und es auch innerhalb eines Kantons grosse Unterschiede geben kann. Da den Gemeinden oftmals eine Schlüsselrolle bei der Subventionierung der Elterntarife zukommt, wurde der Effekt der Subventionserhöhung auf die Betreuungsausgaben der Haushalte am Beispiel von fünf Gemeinden illustrativ aufgezeigt (siehe Grafik G2).
So konnten beispielsweise die jährlichen Betreuungsausgaben eines Haushalts mit mittlerem Einkommen, zwei Kindern und je zwei Kitatagen pro Woche in Worb (BE) um fast 15’000 CHF gesenkt werden. Dies hat damit zu tun, dass die Subventionierung in Kitas vor der Subventionserhöhung auf 20 Plätze kontingentiert war und danach alle Eltern von den kantonalen Betreuungsgutscheinen profitieren. Die Betreuungsausgaben in Worb sind nun die zweittiefsten der untersuchten Gemeinden. Sie sind jedoch immer noch doppelt so hoch wie in Vevey (VD), wo die Ausgaben der Eltern in Folge einer Erhöhung des Geschwisterrabatts nur unwesentlich reduziert wurden.
Konzeption der Finanzhilfen ist umstritten, viele Befragte fordern einen Paradigmenwechsel
In den Interviews mit 19 Vertretungen von Kantonen mit und ohne Gesuch wurde deren Einschätzung des neuen Finanzhilfeinstruments differenziert abgefragt. Die Bilanz der Befragten fällt durchzogen aus. Kritisiert wurden u.a. die Befristung der Finanzhilfen auf drei Jahre, der zu knappe Zeitraum des Bundesgesetzes von fünf Jahren und die mangelnde Planungssicherheit aufgrund der fehlenden Garantie, dass die Gelder für alle Kantone ausreichen und unsicher sei, wie viel Geld ein Kanton letztlich erhält. Am häufigsten wird jedoch der administrative Aufwand für die Gesuchseingabe und -abwicklung moniert speziell der grosse Aufwand für die jährlichen Datenerhebungen bei den Gemeinden. Viele Kantone wünschen sich ein einfacheres Instrument mit weniger detaillierten Regelungen und Datenerfordernissen. In den Interviews wie auch im Workshop kam der Wunsch der Kantone für einen grundlegenden Strategiewechsel im Sinne eines Übergangs zu einer permanenten Finanzierung durch den Bund klar zum Ausdruck.
Fazit des Evaluationsteams und Empfehlungen
Für künftige Finanzhilfen des Bundes wäre es aus Sicht der Evaluation sinnvoll, die beabsichtigten Wirkungen der Finanzhilfen und insbesondere deren Additionalität auf gesetzlicher Ebene klarer herauszustreichen und damit Mitnahmeeffekte zu verringern. Angesichts der geringen Anreizwirkung der Finanzhilfen auf der einen und des nach wie vor grossen Handlungsbedarfs und der beträchtlichen finanziellen Belastung der Familien durch Betreuungsausgaben auf der anderen Seite, ist in den Augen der Evaluatorinnen und Evaluatoren ein grundlegender Strategiewechsel angezeigt; es sei nicht empfehlenswert, die Finanzhilfen in der aktuellen Form weiterzuführen. Auch eine Anpassung einzelner Ausgestaltungsmerkmale – z.B. Verlängerung der Finanzierung von drei auf fünf Jahre – wäre zu wenig wirksam. Basierend auf den Ergebnissen der durchgeführten Analysen, der Interviews und des Workshops empfiehlt das Evaluationsteam, die Rolle des Bundes bei der Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung grundsätzlich zu überdenken und die Überführung der Finanzhilfen in eine permanente Bundesfinanzierung zu prüfen. Die familienergänzende Kinderbetreuung liegt heute in der Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden, weshalb ein Übergang zu einer gemeinsamen Finanzierung durch Gemeinden, Kantone und Bund einen Paradigmenwechsel darstellen würde, welcher auch einer Anpassung der gesetzlichen Grundlagen bedürfte.
Literaturverzeichnis
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