Herr Brun, die IV-Stelle Luzern hat Ihre Firma mit einem Award für das Engagement bei der Eingliederung ausgezeichnet. Was machen Sie besser als andere Unternehmen?
Das Zugehörigkeitsgefühl in unserem Unternehmen ist gross, und viele Mitarbeitende arbeiten schon lange bei uns – im Schnitt sind es 14 Jahre. Wenn jemand einen Schicksalsschlag wie einen Unfall oder eine Krankheit erleidet, ist es für uns selbstverständlich, dass wir dieser Person beistehen.
Wie kommt das im Betrieb an?
Unsere Mitarbeitenden schätzen das Engagement des Unternehmens. Damit die Wiedereingliederung am Arbeitsplatz klappt, braucht es das ganze Umfeld – und dazu zählen hier vor Ort die Mitarbeitenden und die Vorgesetzten.
Wie wird Ihr Engagement in der Region wahrgenommen?
Wir haben dank dem IV-Award viele positive Rückmeldungen erhalten. Das freut mich sehr. Das zeigt, dass unser Engagement für die Wiedereingliederung einen Wert hat.
In welchen Abteilungen arbeiten die Menschen, die sie wieder eingegliedert haben?
Das ist unterschiedlich. Meist sind es Arbeitsplätze, die körperlich nicht anstrengend sind. Also zum Beispiel in der Qualitätssicherung der Produkte, wo man teilweise im Sitzen arbeiten kann.
Wie wichtig für die Rückkehr ist der Wille der Betroffenen?
Das ist entscheidend: Die Betroffenen müssen mitmachen. Wenn sie einen starken Willen haben, wieder zurück zur Arbeit zu kommen, sind die Erfolgschancen am besten.
Ist manchmal auch ein Teilzeitpensum die Lösung?
Das ist oft Teil der Lösung. Ziel ist es, das Pensum sukzessive zu erhöhen. Oft starten wir mit Kurzeinsätzen – auch wenn das nur zwei Stunden am Tag sind. Das hilft den Mitarbeitenden, zurück in eine Tagesstruktur zu kommen und sich wieder im gewohnten Umfeld zu bewegen. Also beispielsweise mit den Arbeitskollegen in die Pause zu gehen.
Vergangenes Jahr konnten Sie vier Personen nach einem Unfall beziehungsweise nach schweren Krankheiten im Betrieb behalten. Wie sind Sie da vorgegangen?
Bei diesen Menschen handelt es sich um langjährige Mitarbeitende aus dem produktionsnahen Bereich. Eine dieser Personen erkrankte an Krebs. Obwohl die Genesungsaussichten unsicher sind, ist für uns nach solchen Schicksalsschlägen klar: Wir versuchen es einfach.
«Obwohl die Genesungsaussichten unsicher sind, ist für uns klar: Wir versuchen es einfach»
Was bedeutet das konkret?
In einer ersten Phase bleiben wir mit der Person in Kontakt. Der Vorgesetzte telefoniert regelmässig mit ihr und bringt ein Genesungsgeschenk vorbei. In einer zweiten Phase versuchen wir die Person mit Kurzeinsätzen wieder an den Arbeitsplatz zurückzubekommen.
Wann kommt die IV ins Spiel?
Wir informieren die IV, sobald wir sehen, dass es länger dauert. Eine wichtige Rolle spielt die IV für uns in der Phase, in der jemand an den Arbeitsplatz zurückkommt. Denn nach einem Unfall braucht jemand beispielsweise einen ergonomischeren Stuhl.
Inwieweit ist das Fachwissen ein Anreiz, jemanden im Betrieb zu halten?
Unsere Mitarbeitenden haben über die Jahre ein grosses Know-how aufgebaut – beispielsweise, was die Bedienung der Maschinen anbelangt. Das lässt sich nicht so rasch ersetzen. Es ist einfacher, einen Mitarbeiter zu behalten, als jemanden neu einzustellen.
Vergangenes Jahr haben Sie jemanden eingestellt, den Ihnen die IV-Stelle Luzern vermittelt hat. Wie lief dies ab?
Diese Person konnte wegen Long-Covid-Symptomen nicht mehr im angestammten Beruf arbeiten. Sie hat sich deshalb bei uns beworben. Während des Bewerbungsprozesses hat sich die IV-Stelle Luzern bei uns gemeldet und uns ihre Unterstützung bei der Wiedereingliederung angeboten. Das gab uns eine gewisse finanzielle Sicherheit. Schlussendlich war aber keine Hilfe nötig, und die Einarbeitung des Mitarbeiters klappte reibungslos.
Haben Sie weitere Beispiele für erfolgreiche Eingliederung?
Im vorletzten Jahr verunfallte beispielsweise jemand im Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Einstellungsdatum und verletzte sich am Rücken. Die Begleitung durch die Unfallversicherung habe ich als sehr positiv erlebt. Diese Person arbeitet nun einfach in einem kleineren Pensum als ursprünglich vorgesehen bei uns.
Zurück zur IV: Welche Unterstützung der IV ist für Sie besonders wichtig?
Zum einen das Begutachten des Arbeitsplatzes: Was ist für einen Mitarbeitenden noch zumutbar? Wichtig ist aber auch die finanzielle Sicherheit, die uns die IV geben kann, wenn wir uns für jemanden mit gesundheitlichen Problemen entscheiden. Zu nennen sind etwa allfällige Taggelder während der Wiedereingliederung oder Hilfsmittel wie ein ergonomischer Stuhl.
Psychische Erkrankungen nehmen zu. Merken Sie etwas davon in Ihrem Unternehmen?
Ja, das merken wir. Auch wir beschäftigen Mitarbeitende mit psychischen Erkrankungen. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen oder einem Unfall sind diese Krankheiten aber schwerer fassbar. Bei starken Anzeichen für psychische Probleme – etwa bei Suchtproblemen – suchen wir mit den Betroffenen das Gespräch und sagen: Du brauchst professionelle Unterstützung. Eine mögliche Anlaufstelle ist dann das regionale Sozialberatungszentrum. Wir erwarten dann vom Mitarbeitenden, dass er dort einen Termin abmacht.
Und was passiert, wenn eine Person krankgeschrieben wird?
Das ist ein Problem, denn Ärzte schreiben eine Person oftmals gleich zu 100 Prozent krank. Wir haben den Eindruck, dass sie die Wiedereingliederung nicht als Ihre Hauptaufgabe betrachten. Dabei wäre es für die Betroffenen vielleicht besser, zu versuchen, mit einem kleinen Pensum weiterzuarbeiten.
Was wäre zu tun?
Die IV könnte hier eine aktivere Rolle als Brückenbauerin zwischen Unternehmen und Ärzteschaft übernehmen. Idealerweise könnten wir einen Fall im Sinne einer Frühintervention mit der IV besprechen – und die IV würde dann auf den behandelnden Arzt zugehen und abklären, ob der Mitarbeitende nicht doch mit einem kleineren Pensum arbeiten könnte. Das gäbe den Mitarbeitenden – und auch uns als Arbeitgeber – eine gewisse Perspektive.
«Die IV könnte eine aktivere Rolle als Brückenbauerin zwischen Unternehmen und Ärzteschaft übernehmen»
Was könnte die IV sonst noch besser machen?
Bis jemand eine IV-Rente erhält, dauert es aus meiner Sicht zu lange. Ich habe dafür auch ein gewisses Verständnis: Es braucht einen stabilen Gesundheitszustand, und es sind viele Fachärzte involviert. Zudem ist teilweise noch viel Bürokratie im Spiel: Bei der Frühintervention muss man ein langes Formular ausfüllen. Das ginge sicher auch niederschwelliger.
Was empfehlen Sie anderen Firmen in Bezug auf die Wiedereingliederung?
Die Wiedereingliederung lohnt sich: Eine Firma erhält einen motivierten Mitarbeitenden quasi wieder zurück. Das verbessert die gegenseitige Wertschätzung und schafft eine gute Unternehmenskultur. Zudem ist die Wiedereingliederung in vielen Fällen erfolgreich, wenn man auf individuelle Lösungen setzt.
Der IV-Award war mit 10 000 Franken dotiert. Wie haben Sie dieses Geld eingesetzt?
Anfang September haben wir alle Mitarbeitenden zu einem Fest eingeladen. Das war unsere Art, Danke zu sagen. Denn für eine erfolgreiche Wiedereingliederung braucht es alle: Es braucht die Arbeitskolleginnen und -kollegen, die einspringen, wenn jemand ausfällt. Es braucht aber auch die Vorgesetzten, die Personalabteilung und die Unternehmensleitung. Im Vorfeld des Fests haben wir Mitarbeitende zur Wiedereingliederung befragt – und die Aussagen auf Plakaten gedruckt.
Welche Aussagen sind Ihnen geblieben?
Jemand sagte beispielsweise, dass der Arzt skeptisch gewesen sei – der Vorgesetzte aber an ihn geglaubt habe. Das sei für ihn sehr wichtig gewesen. Das zeigt für mich: Die Unterstützung von Arbeitskolleginnen und -kollegen kann den Heilungsprozess fördern.
Philipp Brun – Elektrisola Feindraht
Der 39-jährige Philipp Brun leitet seit 14 Jahren die Finanz- und Personalabteilung der Elektrisola Feindraht AG im luzernischen Escholzmatt. Die Tochterfirma des deutschen Familienunternehmens Elektrisola produziert Drähte für Smartphones, Medizinalgeräte sowie Elektroautos und beschäftigt rund 200 Mitarbeitende. Im Jahr 2024 erhielt das Unternehmen den IV-Award Luzern für sein Engagement bei der Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigung.
Massnahmen der IV für Arbeitgeber
Arbeitgeber können von folgenden Massnahmen der IV profitieren:
Eingliederungsorientierte Beratung: Niederschwellige Beratung für Arbeitgeber, Informationen über den Auftrag und die Leistungen der IV, über den Umgang mit Erkrankungen am Arbeitsplatz, über die Meldung zur Früherfassung oder die Anmeldung von gefährdeten Personen.
Beratung und Begleitung durch die IV-Stelle: Dauerhafte und kontinuierliche Beratung und Begleitung der versicherten Person und ihres Arbeitgebers.
Arbeitsplatzanpassungen und Arbeitsplatzerhalt: Anpassungen des Arbeitsplatzes (etwa ergonomische Anpassungen), Jobcoaching oder Prüfung einer betriebsinternen Umplatzierung.
Arbeitsversuch: Die versicherte Person erprobt im ersten Arbeitsmarkt ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit. Während dieser Zeit bezahlt die IV ein Taggeld, sofern die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Der Arbeitgeber bezahlt während dieser Zeit keinen Lohn.
Einarbeitungszuschuss: Mit diesem von der IV befristet geleisteten Zuschuss erhalten Arbeitgeber einen finanziellen Anreiz zur Anstellung von behinderten Personen.
Entschädigung für Beitragserhöhungen: Entschädigung für die krankheitsbedingten Mehrkosten bezogen auf die Erhöhungen der Beiträge an die berufliche Vorsorge und der Krankentaggeldprämien.
Erstmalige berufliche Ausbildung für junge Versicherte: Wird eine junge versicherte Person in der erstmaligen beruflichen Ausbildung von der IV unterstützt, übernimmt die IV den Ausbildungslohn in Form eines Taggelds.