Welche Sozialversicherungen benötigen Auslandschweizer?

Wer auswandern möchte, sollte sich frühzeitig mit der eigenen Versicherungssituation auseinandersetzen. So lassen sich – etwa bei einer Krankheit – Überraschungen vermeiden.
Silvia Pittavini
  |  17. September 2024
    Recht und Politik
  • International
Congrès des Suisses de l'étranger en juillet 2024 à Brunnen SZ.

Auf einen Blick

  • Zwei Drittel der Auslandschweizerinnen und -schweizer leben in Europa.
  • Um zu wissen, welches nationale Sozialversicherungsrecht gilt, ist die Unterscheidung zwischen Vertrags- und Nichtvertragsstaaten entscheidend.
  • Besondere Aufmerksamkeit verdient die Krankenversicherung

Bereits jede zehnte Person mit Schweizer Pass wohnt im Ausland: Ende 2023 zählte das Bundesamt für Statistik (BFS) über 800 000 Auslandschweizerinnen und -schweizer. Knapp zwei Drittel von ihnen leben in Europa – allein ein Viertel in Frankreich. Dahinter folgen Deutschland, Italien, das Vereinigte Königreich und Spanien. Etwas mehr als die Hälfte der Auslandschweizerinnen und -schweizer ist im erwerbstätigen Alter, knapp ein Viertel ist über 65 Jahre alt, und ein Fünftel sind Kinder und Jugendliche.

So unterschiedlich die Auswanderungsgründe sind, so verschieden gestaltet sich auch die Versicherungssituation. Durch das zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen können Schweizer Staatsangehörige in den EU-Staaten relativ einfach eine Arbeit aufnehmen und sich dort niederlassen. Das Freizügigkeitsabkommen enthält Regeln zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme (Verordnungen [EG] Nr. 883/2004 und 987/2009) und legt fest, welcher Staat für die Sozialversicherungsbeiträge und -leistungen zuständig ist (sogenannte Versicherungsunterstellung).

Die Regeln des Freizügigkeitsabkommens umfassen alle Sozialversicherungszweige. In der Schweiz sind dies die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die Invalidenversicherung (IV), die berufliche Vorsorge (gemäss BVG), die Familienzulagen, die Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung und die Unfallversicherung. Dieselben Regeln gelten im Rahmen des Übereinkommens der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Übereinkommen) auch im Verhältnis zu Liechtenstein, Norwegen und Island.

Versicherungsunterstellung in der EU/EFTA

Bei den Sozialversicherungen ist die Unterscheidung zwischen Vertragsstaaten und Nichtvertragsstaaten entscheidend. Ein Vertragsstaat ist ein Land, mit dem die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.

Betrachten wir zunächst die Situation in der EU/EFTA, für welche das Freizügigkeitsabkommen massgebend ist: Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in einem EU/EFTA-Staat arbeiten, sind in der Regel dort den Sozialversicherungen unterstellt. Hiervon gibt es allerdings diverse Ausnahmen.

Insbesondere entsandte Arbeitnehmende, die für ihren Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz vorübergehend (maximal sechs Jahre) in einem EU/EFTA-Staat arbeiten, bleiben weiterhin im Schweizer Sozialversicherungssystem versichert. Ganz generell ist die Abklärung der Versicherungsunterstellung komplex. Speziell ist, dass auch bei Tätigkeiten in mehreren Staaten immer nur ein einziges Sozialversicherungssystem anzuwenden ist. Dies auch, wenn sich der Arbeitgeber im Ausland befindet.

Um die Versicherungsunterstellung verbindlich zu klären, sollten Auslandschweizerinnen und -schweizer bei Entsendungen aber auch bei einer Erwerbstätigkeit in mehreren Staaten ihre AHV-Ausgleichskasse beziehungsweise den Sozialversicherungsträger im Aufenthalts- oder Wohnstaat kontaktieren.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Krankenversicherung: Insbesondere bei Rentnerinnen und Rentnern kommt es des Öfteren zu einer falschen Versicherungsunterstellung. Grundsätzlich gilt hier: Bezieht jemand eine Schweizer Rente und wandert in einen EU/EFTA-Staat aus, muss die Schweizer Krankenversicherung beibehalten werden, sofern keine zusätzliche Rente im Wohnstaat bezogen wird. Nichterwerbstätige Familienangehörige bleiben – mit einigen Ausnahmen – ebenfalls in der Schweiz krankenversichert.

Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in einem Nachbarstaat der Schweiz wohnen, sich aber in der Schweiz versichern müssten, können wählen, ob sie sich der Krankenversicherung der Schweiz oder derjenigen des Wohnsitzstaats unterstellen möchten. Wählen sie die Krankenversicherung im Wohnstaat, müssen sie innerhalb von drei Monaten nach Erhalt der ersten Rentenzahlung (beispielsweise der AHV oder der IV) oder nach dem Umzug in den EU-Staat bei der Gemeinsamen Einrichtung KVG oder bei der zuständigen kantonalen Behörde einen Antrag stellen. Rentnerinnen und Rentner, die nach Spanien oder Portugal auswandern, haben ebenfalls diese Wahlmöglichkeit.

Nach dem Brexit im Jahr 2020 hat die Schweiz mit dem Vereinigten Königreich ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen. Dieses enthält im Bereich der Versicherungsunterstellung ähnliche Regelungen, wie zwischen EU/EFTA gelten.

Leben und arbeiten in Europa

Folgende Merkblätter enthalten die wichtigsten Informationen im Zusammenhang mit einer Auswanderung in einen EU-/EFTA-Staat:

Und ausserhalb Europas?

Über ein Drittel aller Auslandschweizerinnen und -schweizer wohnt ausserhalb Europas. Am beliebtesten sind englischsprachige Länder. So wohnt jede zehnte ausgewanderte Person mit Schweizer Pass in den USA. Dahinter folgen Kanada und Australien.

Um den sozialen Schutz sicherzustellen, hat die Schweiz diverse Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen. Weltweit deckt das Vertragsnetz fast 90 Prozent der Auslandschweizerinnen und -schweizer ab.

Diese Sozialversicherungsabkommen sehen vor, dass Schweizer Staatsangehörige gleichbehandelt werden wie Angehörige des jeweiligen Vertragsstaats. Die Abkommen enthalten zudem Regelungen zur Versicherungsunterstellung. Sie regeln insbesondere den Export von Rentenleistungen und die Anrechnung von ausländischen Versicherungszeiten an die Mindestbeitragszeiten für die Begründung des Rentenanspruchs im anderen Vertragsstaat.

Auslandschweizerinnen und -schweizer, die in der Schweiz keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben und auch nicht durch einen Schweizer Arbeitgeber entsandt wurden, sind nicht mehr dem Schweizer Sozialversicherungssystem unterstellt und nicht mehr obligatorisch versichert. Wer jedoch vor dem Wegzug aus der Schweiz mindestens fünf aufeinanderfolgende Jahre bei der AHV/IV versichert war, kann weiterhin freiwillige Beiträge in die erste Säule einzahlen und so Versicherungslücken vermeiden. Zudem besteht grundsätzlich kein Zugang zur obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz. Ob eine private Zusatzversicherung beibehalten werden kann, richtet sich nach den Versicherungsbedingungen der jeweiligen Krankenkasse.

Renten der ersten und der zweiten Säule

Für das Verständnis von Sozialversicherungsabkommen ist es wichtig zu wissen: Die Sozialversicherungssysteme der Vertragsstaaten werden lediglich koordiniert und nicht harmonisiert. Das heisst, es können keine Beiträge aus dem Sozialversicherungssystem eines Vertragsstaats in das System eines anderen Vertragsstaats übertragen werden. Eine Ausnahme besteht einzig in Bezug auf die Türkei.

Wer definitiv auswandert und den Sozialversicherungen im neuen Wohnstaat untersteht, ist nicht mehr obligatorisch in der AHV/IV versichert und erhält deshalb in der Regel eine tiefere Altersrente. Auslandschweizerinnen und -schweizer, die mindestens ein ganzes Jahr Versicherungsbeiträge in einem Vertragsstaat bezahlt haben, haben jedoch zusätzlich Anspruch auf eine anteilige Rente dieses Staats.

Schweizer Staatsangehörige können AHV/IV-Renten grundsätzlich weltweit beziehen. Nur der Export von Invalidenrenten, die aufgrund eines Invaliditätsgrads unter 50 Prozent zugesprochen wurden, ist auf die EU/EFTA-Staaten beschränkt.

Befindet sich der Wohnsitz im Ausland, muss der Antrag auf eine AHV- oder eine IV-Rente bei der zuständigen Verbindungsstelle im Aufenthalts- oder Wohnstaat oder bei der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK) gestellt werden. Wird die Rente auf ein Konto im Ausland ausbezahlt, erfolgt dies in der Regel in der jeweiligen Landeswährung. Ergänzungsleistungen und Hilflosenentschädigungen werden hingegen nicht ins Ausland ausbezahlt.

Die Rentenleistungen der zweiten Säule wiederum können unabhängig vom Vorliegen eines Sozialversicherungsabkommens weltweit bezogen werden. Freizügigkeitsguthaben aus der beruflichen Vorsorge können allerdings nicht in ein ausländisches Sozialversicherungssystem transferiert werden. Wer die Schweiz definitiv verlässt, hat aber die Möglichkeit, hinsichtlich der Guthaben in der zweiten Säule die Barauszahlung der gesamten Freizügigkeitsleistungen zu verlangen. Bei Ausreise in einen EU- oder einen EFTA-Staat ist diese Möglichkeit aber eingeschränkt: In der Regel können in diesem Fall nur die Leistungen der überobligatorischen Vorsorge bar bezogen werden. Ist die Barauszahlung nicht möglich, so verbleibt das Guthaben in der Schweiz auf einem Sperrkonto – sprich auf einem Freizügigkeitskonto bei einer Bank oder einer Freizügigkeitspolice bei einer Versicherung.

Medizinische Behandlungen

Auslandschweizerinnen und -schweizer, die weiterhin in der Schweiz obligatorisch krankenversichert sind und in einem EU/EFTA-Staat oder dem Vereinigten Königreich wohnen, haben im Wohnstaat Anspruch auf medizinische Behandlungen, wie wenn sie dort versichert wären. Sie benötigen dafür eine Bescheinigung des Schweizer Krankenversicherers. Die im Wohnstaat angefallenen Behandlungskosten – etwa für Behandlungen in Krankenhäusern, bei Ärzten, Physiotherapeuten – werden dann über den Krankenversicherungsträger vor Ort abgerechnet; in der Regel erhält man hierfür eine Versichertenkarte des Wohnstaats.

Bei Härtefällen können Auslandschweizerinnen und -schweizer bei der Botschaft ihres Landes ein Gesuch um finanzielle Unterstützung einreichen. Über eine allfällige Unterstützung entscheidet die Sozialhilfe für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer (SAS) gemäss dem Auslandschweizergesetz.

Juristin, Internationale 
Angelegenheiten, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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