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Wie können Mehrfachbeschäftigte in der zweiten Säule besser abgesichert werden?

Wer mehrere Jobs hat oder Teilzeit arbeitet, erreicht in der zweiten Säule oft die Eintrittsschwelle nicht – und ist damit nicht obligatorisch in der beruflichen Vorsorge versichert. Eine tiefere Eintrittsschwelle, ein tieferer Koordinationsabzug und die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb könnten die Situation verbessern.
Arianna Lüscher, Astrid von Wyl
  |  22. Oktober 2025
    Recht und Politik
  • Berufliche Vorsorge
Mehrfachbeschäftigungen kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Der Bundesrat hat in einem Bericht die Vorsorgesituation von Mehrfach- und Teilzeitbeschäftigten analysiert.
  • Frauen arbeiten häufiger Teilzeit als Männer.
  • Eine Verbesserung für Mehrfachbeschäftigte und Teilzeitarbeitende brächte die gleichzeitige Senkung der Eintrittsschwelle, die Anpassung des Koordinationsabzugs und die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb.

Als das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) im Jahr 1985 in Kraft trat, arbeitete die grosse Mehrheit der Erwerbstätigen in einem Vollzeitpensum. Seither hat sich die Arbeitswelt stark gewandelt: Differenzierte Arbeitsmodelle wie Teilzeitarbeit, Mehrfachbeschäftigungen oder hybride Formen zwischen abhängiger und selbstständiger Arbeit haben an Bedeutung gewonnen.

Im Jahr 2024 gaben 384 000 Erwerbstätige (ohne Lernende) gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung an, mehr als einer Beschäftigung nachzugehen (BFS 2025a). Das sind 8,2 Prozent der Erwerbstätigen, davon 235 000 Frauen und 149 000 Männer. Rund 80 Prozent dieser Mehrfachbeschäftigten sind mit ihrem Haupterwerbseinkommen bereits heute obligatorisch in der beruflichen Vorsorge versichert (Frauen: 73%, Männer: 90%). Bei den Frauen ist die Arbeitsform der Teilzeitbeschäftigung dreimal häufiger als bei den Männern (58,7% gegenüber 20,5%). Im Jahr 2024 machten Frauen 71,8 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten aus.

Mehrfachbeschäftigte sind nicht in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versichert, wenn sie für jedes einzelne Beschäftigungsverhältnis ein Einkommen unter der Eintrittsschwelle erzielen. Aktuell liegt die Eintrittsschwelle bei 22 680 Franken.

Erreichen Mehrfachbeschäftigte die Eintrittsschwelle für mehr als eine Anstellung, sind sie durch die rechtliche Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb benachteiligt, da nebenberufliche Tätigkeiten nicht der obligatorischen Versicherung unterstellt sind. Auch Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen erreichen die Eintrittsschwelle oftmals nicht.

Problematisch ist für Mehrfach- und Teilzeitbeschäftigten zudem auch der fixe Koordinationsabzugs (derzeit 26 460 Franken). Erreichen sie die Eintrittsschwelle, wird dieser vom koordinierten Lohn abgezogen. Der Beschäftigungsgrad wird nicht berücksichtigt: Sie werden wie Vollzeitbeschäftigte behandelt mit gleicher Eintrittsschwelle und gleichem Koordinationsabzug.

Vorsorgeeinrichtung können allerdings über die Vorgaben des BVG-Obligatoriums hinausgehen und freiwillig vorteilhaftere Vorsorgepläne für Mehrfachbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmende mit kleinen Löhnen vorsehen. Im Jahr 2020 boten 253 Vorsorgeeinrichtungen Vorsorgepläne mit einer Eintrittsschwelle unter der gesetzlichen Mindestschwelle an (BFS 2025b). Etwa 16 Prozent der aktiven Versicherten sind in solchen Plänen versichert.

Laura, Dragan und Erika – drei Fallbeispiele

Um die Herausforderungen im BVG-Obligatorium zu veranschaulichen, stellen wir uns drei Erwerbstätige vor: Laura, Dragan und Erika. Sie alle erzielen ein Jahreseinkommen von insgesamt 60 000 Franken, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Anzahl ihrer Arbeitgeber:

  • Laura ist bei einem Arbeitgeber angestellt und verdient 60 000 Franken.
  • Dragan hat zwei Arbeitgeber, beim ersten verdient er 40 000 Franken, beim zweiten 20 000 Franken.
  • Erika ist bei drei Arbeitgebern tätig und verdient bei jedem jeweils 20 000 Franken.

Obwohl alle drei gleich viel verdienen, gibt es im BVG-Obligatorium grosse Unterschiede: Bei Laura sind 33 540 Franken des Jahreslohns versichert (60 000 Franken minus Koordinationsabzug von 26 460 Franken). Bei Dragan sind 13 540 Franken des Jahreslohns beim ersten Arbeitgeber versichert (40 000 Fr. minus 26 460 Franken); Erika verfügt über keine berufliche Vorsorge, da keiner der Jahreslöhne über der Eintrittsschwelle liegt.

Bei Dragan und Erika gilt es anzumerken: Auch wenn sie die Eintrittsschwelle bei allen Arbeitgebern erreichen würden, wäre nicht ihr gesamtes Jahreseinkommen der obligatorischen beruflichen Vorsorge unterstellt, da nur die hauptberufliche Erwerbstätigkeit versichert ist.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass im aktuellen System je nach beruflicher Situation der versicherten Person erhebliche Unterschiede bestehen: Obwohl die drei Arbeitnehmenden alle den gleichen Jahreslohn von insgesamt 60 000 Franken erzielen, reicht die Spannweite ihrer koordinierten Löhne von 0 Franken bis 33 540 Franken.

Im Oktober 2025 hat der Bundesrat in einem Bericht dargelegt, wie sich die Situation von Mehrfachbeschäftigten in der zweiten Säule verbessern lässt (Bundesrat 2025). Damit erfüllte er ein Postulat des Nationalrats Thomas Rechsteiner (Mitte/AI). Der Bericht zeigt auch Verbesserungsmöglichkeiten für Teilzeitarbeitende oder Arbeitnehmende mit kleinen Löhnen auf.

Eintrittsschwelle und Koordinationsabzug ändern

Wie der Bericht zeigt, besteht bei der beruflichen Vorsorge von Mehrfachbeschäftigten Verbesserungspotenzial. Die beiden wirksamsten Instrumente zur Verbesserung der beruflichen Vorsorge sind die Senkung der Eintrittsschwelle und die (prozentuale) Senkung des Koordinationsabzugs. Je nach Ausgestaltung dieser Instrumente müssten auch die nach Altersgruppen gestaffelten Altersgutschriften angepasst werden, um unerwünschte Nebeneffekte zu vermeiden. Bei den Altersgutschriften handelt es sich um die Prozentsätze des versicherten Lohns, die dem Vorsorgeguthaben zur Finanzierung der späteren Altersleistungen gutgeschrieben werden.

Um zu vermeiden, dass auch sehr kleine Löhne in der obligatorischen beruflichen Vorsorge versichert werden müssen, sollte die Eintrittsschwelle zwar gesenkt, aber nicht aufgehoben werden. Auch beim Koordinationsabzug ist darauf zu achten, dass sehr kleine Löhne nicht übermässig belastet werden. Eine Änderung der Eintrittsschwelle und des Koordinierungsabzugs käme dabei nicht nur Arbeitnehmenden mit mehreren Beschäftigungsverhältnissen zugute: Auch Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen wären durch einen besseren Zugang zur beruflichen Vorsorge bessergestellt.

Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb aufheben

Ebenfalls positiv auf die berufliche Vorsorge von Mehrfachbeschäftigten auswirken würde sich die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb, da nebenberufliche Tätigkeiten nicht der obligatorischen Versicherung unterstellt sind. Damit wären alle Löhne von Mehrfachbeschäftigten, die über der Eintrittsschwelle liegen, obligatorisch versichert.

Die Aufhebung dieser Unterscheidung scheint aber nur sinnvoll, wenn sie mit einer Senkung der Eintrittsschwelle und einer Änderung des Koordinationsabzuges kombiniert wird.

Fokus auf drei Faktoren

Abschliessend lässt sich sagen: Die Situation von Mehrfachbeschäftigten lässt sich durch eine Kombination der drei Faktoren – Senkung der Eintrittsschwelle, Änderung des Koordinationsabzugs und Aufhebung der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenerwerb am zielführendsten verbessern. Dies käme auch Teilzeitbeschäftigten und Arbeitnehmenden mit kleinen Löhnen zugute. Dadurch würden versicherte Arbeitnehmende mit gleichen Löhnen gleichbehandelt – unabhängig davon, ob sie mehrere Arbeitgeber haben oder Haupt- und Nebenerwerben nachgehen. Insgesamt wären mehr Arbeitnehmende in der beruflichen Vorsorge versichert und die versicherte Lohnsumme würde höher ausfallen.

Wenn in der zweiten Säule die Versicherungspflicht ausgeweitet wird auf Arbeitnehmende, die für mehrere Arbeitgeber tätig sind, und/oder auf Arbeitnehmende mit kleinen Löhnen oder die in Teilzeit arbeiten, ohne dass der zu hohe Mindestumwandlungssatz gesenkt wird, dann wird auch die heute in der obligatorischen Versicherung bestehende Unterfinanzierung ausgeweitet. Weiter haben Änderungen des Koordinationsabzuges und der Altersgutschriften – zumindest theoretisch – auch Auswirkungen auf alle anderen Arbeitnehmenden, weil sie den Umfang der obligatorischen Versicherung ändern: Für die grosse Mehrheit, der in umhüllenden Plänen versicherten Arbeitnehmenden müssen die Vorsorgeeinrichtungen mindestens die Schattenrechnung und ihre Vorsorgepläne anpassen.

Wenn in der obligatorischen Versicherung nichts ändert, bleibt es Aufgabe der Vorsorgeeinrichtungen, der Arbeitgeber und der Sozialpartner, mit überobligatorischen Lösungen sicherzustellen, dass auch Mehrfachbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmende mit kleinen Löhnen in der beruflichen Vorsorge versichert sind. Heute liegt es schon den Vorsorgeeinrichtung offen, Vorsorgepläne, die für Mehrfachbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmende mit kleinen Löhnen vorteilhafter sind, vorzusehen.

Literaturverzeichnis

BFS (2025a). Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), 17. Juli.

BFS (2025b). Pensionskassenstatistik, 5. Juni; Auswertung BSV.

Bundesrat (2025). Situation der Mehrfachbeschäftigten in der zweiten Säule verbessern. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 23.4168 Rechsteiner, 22.Oktober.

Juristin, Recht Berufliche Vorsorge, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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Juristin, Recht Berufliche Vorsorge, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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