Zusätzliche Mittel für die familienergänzende Kinderbetreuung

Der Bundesrat will die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit weiter ­verbessern. Berufstätige Eltern sollen für die Drittbetreuung ihrer Kinder weniger bezahlen, und das ­Betreuungsangebot soll besser auf ihre Bedürfnisse abgestimmt werden. Hierfür will der Bundesrat während fünf Jahren 100 Mio. Franken zur Verfügung stellen.
Giovanna Battagliero
  |  08. Dezember 2016
    Recht und Politik
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In den letzten Jahren richteten Kantone, Gemeinden und vor allem Private zahlreiche neue Betreuungsplätze in Kindertagesstätten und schulergänzenden Einrichtungen ein. Seit 2003 unterstützt auch der Bund mit Finanzhilfen die Schaffung neuer Plätze. Hierzu wurde mit dem Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG)1 ein zeitlich befristetes Impulsprogramm geschaffen, das bisher zweimal verlängert wurde und bis Januar 2019 läuft. Bis heute flossen insgesamt rund 328 Mio. Franken in die Schaffung von mehr als 53 000 neuen Betreuungsplätzen, was in etwa einer Verdoppelung des Angebots seit Beginn des Impulsprogramms entspricht. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit hängt aber nicht allein von einem quantitativen Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung ab. Vielmehr sind nach Auffassung des Bundesrats auch anderen Faktoren, wie den Kosten oder der Ausgestaltung des Betreuungsangebots, Rechnung zu tragen.

Basierend auf dem Bericht «Familienpolitik. Auslegeordnung und Handlungsoptionen des Bundes» vom 20. Mai 2015 (Battagliero 2015; Bundesrat 2015b) und nach Kenntnisnahme der Vernehmlassungsergebnisse zum entsprechenden Vorentwurf2 hat der Bundesrat am 29. Juni 2016 die Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familien­ergänzende Kinderbetreuung an das Parlament überwiesen (Bundesrat 2016). Mit der Revision des KBFHG will der Bundesrat 100 Mio. Franken für die Senkung der Betreuungskosten berufstätiger Eltern und die bedürfnis­orientierte Ausgestaltung des Betreuungsangebots einsetzen. Damit sollen die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit verbessert und – ganz im Sinn der Fachkräfteinitiative – das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft werden.

Aktuelle Herausforderungen berufstätiger Eltern

Hohe Betreuungskosten Die grösste Herausforderung berufstätiger Eltern bei der Inanspruchnahme familienergänzender Betreuung sind die hohen Kosten. So bezahlen die Eltern für einen nicht subventionierten Vollzeitplatz in einer Kindertagesstätte in der Regel mindestens 2400 Franken pro Monat. Im internationalen Vergleich tragen die Eltern in der Schweiz damit überdurchschnittlich hohe Betreuungskosten, was gemäss einem aktuellen Forschungsbericht (Stern et al. 2015) aber nicht primär den hohen Vollkosten der Betreuung zugeschrieben werden kann. So liegen die kaufkraftbereinigten Vollkosten für einen Krippenplatz in den Kantonen Zürich und Waadt nicht höher als in den deutschen, französischen und österreichischen Vergleichsregionen, die im Rahmen der Studie untersucht worden sind. Hingegen beteiligt sich die öffentliche Hand in den Nachbarländern deutlich stärker an den Drittbetreuungskosten als in der Schweiz. Durchschnittlich tragen die Eltern in Zürich rund zwei Drittel der Kosten selber, im Kanton Waadt sind es 38 Prozent. In den ausländischen Vergleichsregionen beträgt der Elternanteil dagegen nur zwischen 14 und 25 Prozent. Zudem werden in den Nachbarländern grundsätzlich alle Krippenplätze, in der Schweiz hingegen häufig nur ein Teil davon, subventioniert. Dieser Anteil variiert je nach Gemeinde. Der höchste Elterntarif, der in Krippen mit subventionierten Plätzen verlangt wird, entspricht in der Schweiz meistens in etwa den Vollkosten. In den Nachbarländern liegen die Maximaltarife bei lediglich 20 bis 40 Prozent der Vollkosten, wodurch auch die Eltern mit hohen Einkommen subventioniert werden.

Eine Abdeckung der Arbeitszeit durch ein Betreuungsangebot reduziert insbesondere bei Haushalten mit hohen Erwerbspensen das verfügbare Haushaltseinkommen über zwei Mechanismen: Erstens können die Eltern die erwerbsbedingten Drittbetreuungskosten meist nur zu einem kleinen Teil vom steuerbaren Einkommen abziehen. Zweitens gelangen sie mit jeder namhaften Ausweitung des Erwerbs­pensums und des Bruttoeinkommens in eine höhere Tarifkategorie, womit die Drittbetreuungskosten zusätzlich ansteigen (Eidg. Steuerverwaltung 2015). In vielen Fällen lohnt sich deshalb die (zusätzliche) Erwerbstätigkeit beider Elternteile kaum oder gar nicht.

Betreuungsangebot mangelhaft auf die Bedürfnisse abgestimmt Besonders im schulergänzenden Bereich ist es für berufstätige Eltern oft schwierig, eine geeignete Ganztagesbetreuung zu finden. In der Praxis kann es vorkommen, dass nur ein Mittagstisch angeboten wird, nur bestimmte Betreuungszeiten verfügbar sind oder Wartelisten für bestimmte Betreuungszeiten bestehen. Desgleichen kann die Betreuung an verschiedenen Orten stattfinden, sodass das Kind beispielsweise für den Mittagstisch in der Schule bleibt, sich für die Betreuung morgens oder nachmittgas hingegen in eine andere Einrichtung begeben muss. Oft verschärft sich diese Situation durch eine fehlende Zusammenarbeit zwischen Schule und Betreuungseinrichtung zusätzlich. Schliesslich ist beispielsweise in Regionen oder kleinen Gemeinden, in denen wenige Kinder leben, ein entsprechendes Betreuungsangebot auch nicht immer möglich.

Für berufstätige Eltern ist es eine besonders grosse Herausforderung, mit ihren betrieblich gewährten Ferien von vier bis fünf Wochen Ferien pro Jahr die Kinder während deren gesamten Schulferienzeit von 12 bis 13 Wochen zu betreuen.

Gerade für Eltern, die Schicht arbeiten oder sonst unregelmässige oder unübliche Arbeitszeiten haben, ist es sehr schwierig, eine geeignete familienexterne Betreuung zu finden. In den meisten Kitas ist die Betreuung an feste Tage und Zeiten gebunden. Vor sechs Uhr morgens, nach 20 Uhr oder am Wochenende gibt es kaum Betreuungsangebote. Zudem widersprechen sich das Bedürfnis der Kitas nach einer gewissen Planungssicherheit und der Anspruch der Eltern nach grösstmöglicher Flexibilität des Betreuungsangebots: Kurzfristige Erhöhungen der Betreuungszeiten als Übergangslösung beispielsweise bei einer plötzlichen Änderung des Erwerbspensums oder bei einem gesundheitlichen Problem eines Elternteils sind selten möglich und erschweren die Erwerbstätigkeit der Eltern zusätzlich.

Inhalt der Vorlage Zur Reduktion der negativen Erwerbsanreize schlägt der Bundesrat die Ergänzung des KBFHG durch zwei neue, auf fünf Jahre befristete Finanzhilfen vor:

  • Finanzhilfen für die Erhöhung von kantonalen und kommunalen Subventionen für die familienergänzende Kinderbetreuung in Kindertagesstätten, schulergänzenden Betreuungseinrichtungen sowie Tagesfamilien und
  • Finanzhilfen für Projekte zur besseren Abstimmung des familienergänzenden Betreuungsangebotes an die Bedürfnisse berufstätiger Eltern.

Finanzhilfen zur Senkung der Betreuungskosten berufstätiger Eltern Um die Kosten der Eltern für die familienergänzende Betreuung zu senken, erachtet es der Bundesrat als nötig, hierfür mehr Mittel einzusetzen (Bundesrat 2015a). Ein Teil der neuen Finanzhilfen des Bundes soll deshalb jenen Kantonen und Gemeinden zufliessen, die mehr Betreuungsplätze subventionieren oder ihre Subventionskriterien so anpassen, dass mehr Eltern von den Subventionen profitieren oder durch höhere Subventionen stärker entlastet werden. Die konkrete Ausgestaltung des Subventionsmechanismus bleibt dabei den zuständigen Kantonen und Gemeinden überlassen. So sind sie frei, auch die Arbeitgeber zur Mitfinanzierung des familienergänzenden Betreuungsangebotes zu verpflichten, wie dies bereits die Kantone Waadt, Neuenburg und Freiburg tun. Diese Arbeitgeberbeteiligungen werden vom Bund bei der Bemessung der Finanzhilfen berücksichtigt. Empfänger dieser ersten Form der Finanzhilfen sind ausschliesslich die Kantone, die in einem Gesamtkonzept aufzeigen müssen, wie die Subventionssumme in ihrem Gebiet steigen wird. Bei Erfüllung der Bedingungen leiten sie allfällige Finanzhilfen an diejenigen Gemeinden weiter, die ihre Subventionen erhöht haben. Die Finanzhilfe ist so ausgestaltet, dass jeder Kanton einmal während maximal drei Jahren unterstützt werden kann und die Finanzhilfe von Jahr zu Jahr sinkt.

Finanzhilfen zur besseren Abstimmung des Betreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern Um das Betreuungsangebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abzustimmen, braucht es ein zusätzliches Engagement der Kantone, Gemeinden, Schulen und Betreuungseinrichtungen. Solche Bestrebungen will der Bundesrat mit Projektfinanzhilfen unterstützen. Dabei können Projekte gefördert werden, die unter Einbezug der Schule oder Schulbehörden eine ganztägige Betreuung schulpflichtiger Kinder gewährleisten. Vorgesehen ist zudem die Förderung von Projekten für Betreuungsangebote ausserhalb der üblichen Öffnungszeiten.

Schliesslich können Projekte unterstützt werden, welche die Betreuung von Schul- und Vorschulkindern gewährleisten, deren Eltern unregelmässige Arbeitszeiten haben. Denkbar sind auch Finanzhilfen für gemeinsame Projekte von Anbietern verschiedener Betreuungsformen (z. B. Zusammenarbeit von Kindertagesstätten oder schulergänzenden Betreuungseinrichtungen mit Tagesfamilien). Diese zweite Form der Finanzhilfen kann nicht nur Kantonen, sondern auch Gemeinden sowie weiteren juristischen und natürlichen Personen gewährt werden. Die Projekte müssen die kantonalen Qualitätsanforderungen an die Betreuung einhalten und eine gewisse territoriale Reichweite haben, d. h. mindestens allen Einwohnerinnen und Einwohnern einer Gemeinde zur Verfügung stehen. Der Bund übernimmt maximal die Hälfte der anrechenbaren Projektkosten.

100 Mio. Franken für fünf Jahre Für den Vollzug der ab Inkraftsetzung auf fünf Jahre befristeten Revision will der Bundesrat einen Verpflichtungskredit von 100 Mio. Franken zur Verfügung stellen. Wegen der Befristung der Finanzhilfen auf drei Jahre pro Kanton, können sich die Auszahlungen auf acht Jahre erstrecken. Fünf Jahre während der Laufzeit des Gesetzes sowie zusätzlich drei Jahre für die im letzten Jahr bewilligten Finanzhilfen.

Ergebnisse der Vernehmlassung Die Vorlage wurde in der Vernehmlassung insgesamt positiv aufgenommen. Es wurden 103 Stellungnahmen eingereicht.3 Drei Viertel der Vernehmlassungsteilnehmenden, darunter 18 Kantone, die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) begrüssen sie grundsätzlich.

Mit Bedenken bezüglich der Komplexität der Umsetzung und der Befürchtung, dass die Kantone und Gemeinden die Hauptlast der zusätzlichen Subventionen zu tragen hätten, lehnen sieben weitere Vernehmlassungsteilnehmende, darunter fünf Kantone, die Finanzhilfen für die Erhöhung kantonaler und kommunaler Subventionen ab. Sie begrüssen hingegen die Projektfinanzhilfen zur besseren Abstimmung des familienergänzenden Betreuungsangebotes auf die Bedürfnisse der Eltern.

13 Teilnehmende, darunter drei Kantone, stellen sich gegen die Vorlage als Ganzes, da die familienergänzende Kinderbetreuung ausschliesslich in die Kompetenz der Kantone und Gemeinden falle.

Aufgrund der überwiegend positiven Rückmeldungen hält der Bundesrat nach eingehender Analyse der einzelnen Änderungsanträge an den wesentlichen Punkten der Vorlage, die er in die Vernehmlassung geschickt hat, fest.

Nächste Schritte Am 29. Juni 2016 überwies der Bundesrat die Botschaft ans Parlament. Je nach Verlauf der parlamentarischen Debatte könnte die Änderung des KBFHG Mitte 2017 oder Anfang 2018 in Kraft treten.

Fürsprecherin, Direktorin der Stiftung Schulungs- und Wohnheime Rossfeld (ab 2022), Bern.
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