Mit der «Weiterentwicklung der IV» (WEIV) wurde auch die Liste der Geburtsgebrechen auf den neusten Stand gebracht. Sie war seit 1985 nicht mehr grundlegend revidiert worden. Im Rahmen der Aktualisierung der Geburtsgebrechenliste (GG-Liste) wurden gewisse Geburtsgebrechen gestrichen, aber auch zusätzlicher Krankheiten aufgenommen, insbesondere seltene Krankheiten.
Auf einen Blick
- Seit ihrer Einführung 1960 spielt die IV für die medizinischen Behandlungen von Kindern mit Geburtsgebrechen die Rolle einer Krankenkasse, weil es damals noch kein Krankenversicherungsobligatorium gab.
- Mit der «Weiterentwicklung der IV» (WEIV) wurden die Definitionskriterien der Geburtsgebrechen im Artikel 13 IVG verankert.
- Die Liste der Geburtsgebrechen wurde auf den neuesten Stand gebracht: Es wurden u.a. Geburtsgebrechen von der Liste gestrichen, die heute einfach zu behandeln sind.
- Im Gegenzug wurden schwerwiegende Geburtsgebrechen aufgenommen, insbesondere seltene Krankheiten.
- Eine neue Verordnungsgrundlage ermöglicht es, schneller auf die medizinische Entwicklung zu reagieren und neue Geburtsgebrechen rasch auf die Liste aufzunehmen.
Für welche Geburtsgebrechen ist die IV zuständig?
Geburtsgebrechen sind Leiden, die bei vollendeter Geburt bestehen. Geburtsgebrechen werden zwar im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts definiert, die Invalidenversicherung trägt die Kosten der notwendigen medizinischen Massnahmen für Geburtsgebrechen jedoch ausschliesslich dann, wenn das Gebrechen in der Liste der Geburtsgebrechenverordnung-EDI (GgV-EDI) aufgeführt ist. Beim Vorliegen eines Geburtsgebrechens gemäss Artikel 13 IVG übernimmt die IV bis zum 20. Altersjahr die Rolle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). Seit ihrer Einführung im Jahr 1960 ist die IV für die medizinischen Behandlungen von Kindern mit Geburtsgebrechen zuständig. Hintergrund dieser Regelung ist eine frühere Versicherungslücke, weil es damals noch kein Krankenkassenobligatorium gab.
Revision der Geburtsgebrechenliste
Mit der Gesetzesrevision «Weiterentwicklung der IV» (WEIV) wurde insbesondere die Liste der Geburtsgebrechen auf den neusten Stand gebracht. Sie war seit 1985 nicht mehr revidiert worden und entsprach somit in gewissen Gebieten nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand. Die neue Liste basiert u.a. auf einer Konsultation der betroffenen medizinischen Fachgesellschaften und wurde im Rahmen einer breit zusammengesetzten Begleitgruppe, bestehend aus Ärztinnen und Ärzten vom Bundesamt für Gesundheit, H+, FMH, Pro Raris, Inclusion Handicap, Verband der Vertrauensärzte und IV-Stellen, erarbeitet. Im bisherigen IV-Gesetz waren keine klaren Kriterien aufgeführt, nach welchen ein Geburtsgebrechen auf die GG-Liste aufgenommen wurde. Mit der WEIV sind nun solche Kriterien in Artikel 13 IVG festgelegt. Sie stützen sich auf die einschlägige Rechtsprechung ab. Ihre Verankerung auf Stufe Gesetz schafft Klarheit und Rechtssicherheit sowohl für die Rechtsanwender als auch für die Versicherten.
Die Definitionskriterien werden auf Verordnungsebene weiter präzisiert. So muss beispielsweise das Leiden bereits zum Zeitpunkt der Geburt bestehen oder spätestens sieben Tage nach der Geburt entstanden sein. Auch das Kriterium der Behandelbarkeit wurde präzisiert. So gelten Leiden als behandelbar, bei denen die Behandlung den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen kann oder den progredienten Krankheitsverlauf verlangsamt oder einstellt. Aus diesem Grund entsprechen Syndrome und Chromosomanomalien keinen Geburtsgebrechen im Sinne der IV. Gegebenenfalls kann aber die IV bei Kindern mit einem Syndrom oder einer Chromosomenanomalie medizinische Massnahmen zur Behandlung jener Symptome übernehmen, bei denen es sich um Geburtsgebrechen im Sinne der IV handelt (z.B. Herzfehlbildungen beim Smith-Magenis-Syndrom).
Der Bundesrat wird per Gesetz beauftragt, die Geburtsgebrechen, die den Kriterien entsprechen, zu bestimmen. Diese Aufgabe wird wiederum dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) übertragen, weshalb die bisher gültige Bundesratsverordnung (GgV) durch eine Departementsverordnung (GgV-EDI) ersetzt wurde. Dies erlaubt, schneller auf die medizinischen Entwicklungen zu reagieren, indem zum Beispiel seltene Krankheiten rascher in die Geburtsgebrechenliste aufgenommen werden können. Neu wird es jeder Person jederzeit möglich sein, beim BSV einen Antrag auf Aufnahme eines Geburtsgebrechens in die Geburtsgebrechenliste zu stellen. Das BSV hat die Anforderungen an einen solchen Antrag definiert und im Internet ein offizielles Antragsformular aufgeschaltet. Es prüft die jeweiligen Anträge unter Einbezug der Begleitgruppe und unterbreitet diese dem EDI.
Konkrete Veränderungen
Bei der Revision wurden Geburtsgebrechen, die heute einfach zu behandeln sind, z.B. dank eines einmaligen Eingriffs, von der Liste gestrichen. So wurde beispielsweise die «Hühnerbrust» aus der Liste gestrichen.
Im Gegenzug wurden Geburtsgebrechen, die schwerere Beeinträchtigungen zur Folge haben, insbesondere seltene Krankheiten, aufgenommen. Z.B. die «angeborenen lysosomalen Stoffwechselkrankheiten» oder «Angeborene mitochondriale Stoffwechselstörungen». Bei diesen Gebrechen handelt es sich um Krankheitsgruppen, welche eine Vielzahl von verschiedenen Krankheiten beinhalten. Z.B. umfassen mitochondriale Erkrankungen mehr als 20 Leiden, die klinisch und genetisch heterogen sind und sich häufig als Multisystemerkrankungen manifestieren.
Einzelne Geburtsgebrechen wurden mit neuen Auflagen versehen. So gelten z.B. angeborene Schädeldefekte (wie Ossifikationsstörungen) nur dann als Geburtsgebrechen im Sinne der IV, wenn die Defekte operiert werden müssen.
Gewisse Geburtsgebrechen wurden um weitere Leiden erweitert, wie z.B. «Angeborene Bronchiektasien» (Ziffer 241), welche neu unter der Bezeichnung «Angeborene Fehlbildung der Bronchien» mit weiteren Fehlbildungen resp. Krankheiten wie Bronchomalazie, Bronchialstenose, Aplasie oder Dysplasie der Bronchialknorpel und bronchogene Zysten ergänzt wurde.
Ebenfalls wurden bei veralteten Begriffen terminologische Anpassungen vorgenommen. So sind z.B. «Kartlaginäre Exostosen», sofern eine Operation notwendig ist, neu mit dem aktuellen Begriff «Disorganised development of skeletal components» versehen.
Schliesslich wurde der Inhalt gewisser Ziffern in andere überführt, so z.B. die Enchondromatose, welche zum erwähnten «Disorganised development of skeletal components» verschoben wurde.
Auswirkungen
Zwar führte die Aktualisierung der Geburtsgebrechenliste zur Streichung gewisser – geringfügiger – Geburtsgebrechen, aber auch zur Aufnahme zusätzlicher Krankheiten, insbesondere seltener Krankheiten. Die Behandlung jener Geburtsgebrechen, die von der Liste entfernt wurden, fallen in den Zuständigkeitsbereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.