«Ein Zwischenhalt vor weiteren Um- und Ausbauschritten in der Invalidenversicherung ist nötig»

Stefan Ritler
  |  02. Juni 2022
    MeinungRecht und Politik
  • Invalidenversicherung
BSV / OFAS

Seit den 2000er-Jahren verfolgte der Bundesrat die Strategie, die Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verstärken und die Invalidenversicherung (IV) gleichzeitig finanziell zu konsolidieren. 2004 wurden mit der 4. IV-Revision die medizinische Abklärung sowie die Arbeitsvermittlung verstärkt. Die 5. IV-Revision von 2008 fokussierte unter dem Motto «Eingliederung vor Rente» den Ausbau der beruflichen Eingliederungsmassnahmen und die Schaffung neuer Instrumente. Mit dem ersten Teil der 6.IV-Revision (6a, 2012) wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, den gesamten Rentenbestand zu überprüfen. Neu wurde der Assistenzbeitrag eingeführt.

Ein weiteres Element dieser Strategie war die befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 2011 bis 2017 sowie die IV-Revision 6b. Dieses Revisionspaket, welches neben weiteren Verbesserungen auch Sparelemente enthielt, scheiterte 2013 im Parlament.

Zwei Motionen forderten die sofortige Aufnahme der unbestrittenen Teile der gescheiterten Revision. Das BSV wurde beauftragt, zusätzliche weitere Optimierungsmöglichkeiten des IV-Systems zu prüfen. Entlang der Lebenslinie von Geburt bis zum Übertritt ins AHV-Referenzalter, – unter dem Titel «Optimierung und verbesserte Koordination» – wurden alle Leistungen, Massnahmen und Verfahren der IV in den einzelnen Lebensabschnitten der Zielgruppen überprüft mit dem Ziel, die Eingliederung zu verstärken und wenn immer möglich die Invalidität zu verhindern.

Dieser CHSS-Schwerpunkt soll aufzeigen, dass neben den politisch und medial bestimmenden Themen wie die Invaliditätsbemessung und das medizinische Gutachterwesen bedeutende Optimierungen und verbesserte Koordination zwischen den betroffenen und beteiligten Akteuren entwickelt wurden. So beinhaltet die Weiterentwicklung IV Bestimmungen zur Fallführung, zur Beratung und Begleitung von betroffenen Menschen sowie zum Einbezug von beteiligten Akteuren. Weiter wurden der Leistungs- und Massnahmenkatalog von den Geburtsgebrechen über die medizinischen und beruflichen Eingliederungsmassnahmen bis hin zum Abklärungsverfahren ausgebaut und ein lineares Rentensystem eingeführt.

Diese Reform folgt den Intentionen der 5. IV-Revision und wurde kostenneutral ausgestaltet, so wie es die Politik vorgab. Kaum ist die Reform jedoch in Kraft gesetzt und ohne dass Evaluationsergebnisse vorliegen, werden bereits Forderungen gestellt, die auf einen Ausbau insbesondere der Rentenleistungen zielen. Ohne Mehreinnahmen oder konkrete Abbaumassnahmen sind die neuen Forderungen zum Leistungsausbau nicht zu stemmen, verschweige denn, dass die IV ihre 10-Milliarden-Schuld dem AHV-Fonds zurückbezahlen könnte.

Vizedirektor Bundesamt für Sozialversicherungen, Leiter Geschäftsfeld Invalidenversicherung, Bundesamt für Sozialversicherungen, BSV
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