Auf einen Blick
- Beim Mutterschafts- und beim Vaterschaftsurlaub wurden erstmals ausschliesslich die anspruchsberechtigten Mütter und Väter betrachtet.
- Im Jahr 2022 bezogen 94 Prozent der anspruchsberechtigten Mütter und 74 Prozent der berechtigten Väter in der Schweiz einen Mutterschafts- beziehungsweise einen Vaterschaftsurlaub.
- Kantonale Unterschiede in den Bezugsquoten der Väter lassen sich nicht auf Geschlechternormen zurückführen, sondern möglicherweise auf arbeitgeberspezifische Faktoren oder eine Finanzierung des Urlaubs ausserhalb der Erwerbsersatzordnung.
Im Jahr 2022 haben in der Schweiz 94 Prozent aller anspruchsberechtigten Mütter Mutterschaftsurlaub bezogen. Deutlich geringer fiel die Quote bei den Vätern aus, von denen nur 74 Vaterschaftsurlaub in Anspruch nahmen. Diese Bezugsquoten basieren auf einer neuen Daten- und Berechnungsbasis, die es erstmals erlaubt, die Anspruchsberechtigung der Elternteile zu prüfen und den Bezug besser zu quantifizieren. Dies gelingt durch die Verknüpfung von Individualdaten über Geburten in der Schweiz, den Bezug von Entschädigungen über die Erwerbsersatzordnung (EO) und die Erwerbstätigkeit der Eltern vor der Geburt (siehe Kasten).
Bisher beruhten die kommunizierten Bezugsquoten zum Mutterschafts- und zum Vaterschaftsurlaub vorwiegend auf aggregierten Daten, welche die Urlaubsbeziehenden und die Geburten in einem Jahr ins Verhältnis setzten (Roth 2022). Weil jedoch nicht jede Geburt einen Anspruch auslöst, konnten die bisherigen Analysen keine Aussage darüber machen, für welchen Anteil der Geburten es berechtigte Mütter und Väter gibt und welcher Anteil der berechtigten Eltern einen Mutterschafts- oder einen Vaterschaftsurlaub bezieht.
Wer hat Anspruch?
Anspruch auf einen bezahlten Urlaub haben nur Eltern, die vor der Geburt eines Kindes für 9 Monate obligatorisch versichert waren, in 5 der 9 Monate sowie zum Zeitpunkt der Geburt ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder ein Ersatzeinkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bezogen haben. Für den Vater (bzw. den anderen Elternteil) muss darüber hinaus eine anerkannte Elternschaft bestehen.
Die Entschädigung wird über die Erwerbsersatzordnung finanziert. Sie beträgt 80 Prozent des Erwerbseinkommens vor der Geburt, derzeit aber höchstens 220 Franken pro Tag. Der Mutterschaftsurlaub wird für bis zu 14 Wochen und der Vaterschaftsurlaub für bis zu 2 Wochen vergütet.
Nach Prüfung der Anspruchsberechtigung wurde die Bezugsquote als Anteil der urlaubsbeziehenden Mütter beziehungsweise Väter an allen Geburten berechnet, für die eine Berechtigung besteht. Da die Daten zur Erwerbstätigkeit vor der Geburt erst mit einer gewissen Verzögerung zur Verfügung stehen, können die Quoten nur bis zum Jahr 2022 berechnet werden. Sie werden in Zukunft jährlich aktualisiert und im Rahmen der EO-Statistik publiziert.
Diese Quoten erfassen nur Urlaube, die über die Erwerbsersatzordnung abgerechnet werden. Mutterschafts- und Vaterschaftsentschädigungen, welche ein Arbeitgeber aus den eigenen Mitteln bezahlt, sind darin nicht enthalten. Dasselbe gilt für Urlaube, die über die EO-Leistungen hinausgehen, sowie unbezahlte Urlaube.
Höhere Berechtigtenquote bei den Vätern
Das Bezugsverhalten beim Mutterschafts- und beim Vaterschaftsurlaub gemessen an allen Geburten ist in Grafik 1 dargestellt. Im Jahr 2022 gab es in der Schweiz rund 76 000 Lebendgeburten, wobei Mehrlingsgeburten nur einmal gezählt werden, da diese nur einen Urlaubsanspruch auslösen. In Bezug auf all diese Geburten hatten 80 Prozent aller Mütter Anspruch auf einen Mutterschaftsurlaub und 89 Prozent der Väter auf einen Vaterschaftsurlaub (Summe der roten Balken). Die höhere Anspruchsberechtigung von Vätern ist durch die stärkere Partizipation von Männern auf dem Arbeitsmarkt zu erklären.
Bei den Müttern ist der Anteil der Berechtigten von 2013 bis 2022 um etwa 7 Prozentpunkte angestiegen, was in erster Linie den Trend einer zunehmenden Teilnahme von Müttern auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Bei den Vätern stehen erst ab 2021 Daten zur Verfügung, weil der Vaterschaftsurlaub damals in Kraft trat. Ehepartnerinnen von Müttern sind in diesen Daten nicht berücksichtigt, da sie erst seit 2023 einen Anspruch auf den Urlaub des anderen Elternteils haben.
Bei den Vätern ist zwischen 2021 und 2022 ein leichter Rückgang beim Anteil der Anspruchsberechtigten zu verzeichnen. Ein Grund hierfür ist, dass die Einkommensdaten der Selbstständigen für 2022 zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig erfasst sind. Darüber hinaus spielt möglicherweise der vorübergehende Anstieg der Geburtenrate nach der Covid-Pandemie eine Rolle, welcher in gewissen Bevölkerungsgruppen ausgeprägter war als in anderen.
Im Jahr 2022 bezogen wie erwähnt 94 Prozent der anspruchsberechtigten Mütter Urlaub – das entspricht 77 Prozent aller Mütter. Bei den Vätern bezogen 74Prozent der Anspruchsberechtigten Urlaub, was 67 Prozent aller Väter entspricht. Im Umkehrschluss bedeutet dies: 6 Prozent der Mütter und 26 Prozent der Väter machten ihren Anspruch nicht geltend. Nicht urlaubsberechtigt waren im Jahr 2022 20 Prozent der Mütter und 11 Prozent der Väter.
Bei den anspruchsberechtigten Müttern sind die Bezugsquoten seit 2013 leicht gestiegen: Während 2013 noch 8 Prozent der berechtigten Mütter auf ihren Urlaubsanspruch verzichtet hatten, waren es 2016 nur noch 6 Prozent. Seitdem ist die Bezugsquote stabil. Auch bei den Vätern nahm die Bezugsquote von 2021 auf 2022 etwas zu. Insgesamt scheinen die Bezugsquoten der Väter jedoch relativ stabil, und es kann kein Einführungseffekt des Vaterschaftsurlaubs festgestellt werden.
Mit diesen Bezugsquoten liegt die Schweiz im oberen Drittel der Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), bei denen Daten für 2022 vorhanden sind. Allerdings sind diesem internationalen Vergleich Grenzen gesetzt, da die OECD einen anderen Indikator verwendet. So setzt sie die Nutzung von staatlich geförderten Mutterschafts- oder Vaterschaftsleistungen mit den Lebendgeburten pro Kalenderjahr – und nicht pro Geburtsjahr – ins Verhältnis. Darüber hinaus gibt es grosse institutionelle Unterschiede in der Ausgestaltung der Elternzeit und der Grosszügigkeit der staatlich subventionierten Leistungen.
Vielseitige Gründe für einen Verzicht
Eine Geburt bedeutet insbesondere für die Mutter eine starke körperliche Belastung und einen Bedarf an Erholung. Dennoch macht ein kleiner Anteil von Müttern ihren Urlaubsanspruch über die Erwerbsersatzordnung nicht geltend.
Die Zahlen für 2022 zeigen einerseits: Nicht beziehende Mütter weisen im Schnitt ein tieferes Einkommen als beziehende Mütter auf. Ein Grund dafür können unregelmässige Beschäftigungs- oder Einkommensverhältnisse sein: Bei unregelmässigem Beschäftigungsverhältnis, Mehrfachbeschäftigung oder Anstellung im Stundenlohn dürften die Prozesse für die Berechtigten weniger formalisiert sein, was einen höheren Nichtbezug oder eine sehr späte Anmeldung eines Urlaubs, der nicht mehr durch unsere Analysen erfasst ist, erklären könnte.
Zudem ist es bei Müttern mit sehr geringem Einkommen denkbar, dass einige schon wenige Wochen nach der Geburt wieder einer Arbeit nachgehen, da ihnen die Einkommenseinbusse von 20 Prozent bei der Erwerbsersatzordnung zu hoch ist. Denn während des Mutterschaftsurlaubs ist eine bezahlte Arbeit nicht erlaubt.
Andererseits ist der Nichtbezug auch bei Müttern mit einem sehr hohen Einkommen (über 250 000 Franken pro Jahr) höher, allerdings nicht so ausgeprägt wie bei tieferen Einkommen. Hier ist die schnellere Rückkehr an den Arbeitsplatz womöglich auch durch die mit der hohen Entlöhnung einhergehende Verantwortung erklärbar. Da der Urlaubsanspruch mit der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit endet, ist auch hier denkbar, dass ganz auf den Anspruch verzichtet wird bzw. während des Mutterschutzes die Lohnfortzahlung nicht über die EO abgegolten wird. Dabei spielen möglicherweise ebenfalls finanzielle Überlegungen eine Rolle. Der maximale Tagesansatz liegt bei 220 Franken, was bedeutet, dass ab einem jährlichen Einkommen über 99 000 weniger als 80 Prozent des Einkommens vor der Geburt ersetzt werden.
Auffallend ist zudem, dass der Nichtbezug der Mutterschaftsentschädigung bei ausschliesslich selbstständig erwerbstätigen Frauen mit 17 Prozent viel höher ist als bei Arbeitnehmerinnen (6 Prozent). Selbstständige Mütter sehen sich wahrscheinlich mit höheren Hürden konfrontiert, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit pausieren. Zudem muss auch hier die Mutter den Anspruch eigenständig geltend machen; dies erfolgt nicht durch den Arbeitgeber. Schliesslich handelt es sich bei den Nichtbeziehenden möglicherweise auch um Frauen, die in Ausbildung sind, oder solche, deren Kind kurz nach der Geburt verstirbt.
Lebens- und Einkommenssituation spielen eine Rolle
Im Vergleich zu den Müttern, bei denen nach der Geburt während 8 Wochen ein Beschäftigungsverbot gilt, ist es einfacher, sich vorzustellen, dass ein Vater die Erwerbstätigkeit gleich nach der Geburt wieder aufnimmt oder gänzlich auf einen Urlaub verzichtet. Gerade wenn der Vater nicht im gleichen Haushalt wohnt wie das Kind, kann man sich Konstellationen vorstellen, in denen der Vater weniger involviert ist. So zeigen die Auswertungen auch, dass fast die Hälfte der Väter, die nicht mit der Mutter in einem Haushalt wohnen, keinen Urlaub beziehen.
Ähnlich wie bei den Müttern beziehen auch Väter mit einem tiefen Einkommen (unter 50 000 Franken pro Jahr) oder einem sehr hohen Einkommen (über 250 000 Franken) sowie Selbstständigerwerbende weniger häufig Vaterschaftsurlaub. Es ist jedoch vorstellbar, dass die höhere Flexibilität von Selbstständigen oder von Personen mit hohen Einkommen für die Zeit mit dem Kind oder die Unterstützung der Mutter genutzt wird, ohne den Urlaubsanspruch über die Erwerbsersatzordnung geltend zu machen. Wenn zusätzlich die Ersatzquote bei unter 40 Prozent des Einkommens liegt, was bei Einkommen über 200 000 Franken der Fall ist, lohnt es sich noch mal weniger, diese Tage beim Arbeitgeber oder bei der Ausgleichskasse anzumelden.
Schliesslich beobachten wir bei den Vätern, die vor der Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung (ALV) beziehen, einen deutlich niedrigeren Bezug. Ein Grund dafür könnte sein, dass die ALV-Ersatzquote der EO-Ersatzquote entspricht, weshalb ein geringer Anreiz besteht, den Anspruch auf Vaterschaftsentschädigung geltend zu machen.
Soziale Normen: Kein Treiber für Nichtbezug
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welchen Einfluss die vorherrschenden Geschlechternormen des Vaters oder jene in seinem Umfeld auf den Urlaubsbezug haben. Um dies etwas genauer zu untersuchen, haben wir die Zustimmungsquoten in der Volksabstimmung vom 27. September 2020 über den Vaterschaftsurlaub pro Kanton mit den Bezugsquoten der berechtigten Väter verglichen.
Dabei zeigt sich, dass der Nichtbezug vor allem in Kantonen besonders ausgeprägt war, die mit klarer Mehrheit für die Einführung des Vaterschaftsurlaubs gestimmt hatten. Beispiele dafür sind Genf und Basel-Stadt, die Bezugsquoten von nur 50 Prozent und 56 Prozent aufweisen. Hingegen sind die Bezugsquoten in Appenzell Innerrhoden (81%) und Uri (80%), die gegen den Vaterschaftsurlaub waren, überdurchschnittlich hoch.
Mit anderen Worten: Es spricht wenig dafür, dass Väter aufgrund traditioneller Geschlechternormen in ihrem Wohnkanton weniger oder mehr Vaterschaftsurlaub beziehen. Im Gegenteil: Wir sehen das umgekehrte Muster. So zeigt die lateinische Schweiz mit ihrer längeren Tradition von Vaterschaftsurlauben eine tiefere Bezugsquote der berechtigten Väter als die Deutschschweiz
Dieses Muster bleibt auch bestehen, wenn wir berücksichtigen, dass die Einkommen, der Anteil der Selbstständigen, die Haushaltszusammensetzung und andere sozioökonomische und sozioprofessionelle Faktoren, die den Urlaubsbezug beeinflussen, sich zwischen den Kantonen unterscheiden können, und diese Einflussfaktoren rausrechnen. Erst wenn wir mithilfe von «Arbeitgeber-fixen» Effekten für alles kontrollieren, was für alle Arbeitnehmer einer Firma gleich ist, verschwinden die kantonalen Unterschiede praktisch vollständig.
Dies legt die Vermutung nahe, dass es vonseiten der Arbeitgebenden Einflussfaktoren gibt, welche die kantonalen Unterschiede treiben. So ist denkbar, dass es in einigen Branchen schlechter möglich ist, zwei Wochen am Arbeitsplatz zu fehlen. Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass dies das Muster erklärt. Zum einen, da ein Teil dieses Effekts schon über die sozioökonomischen und sozioprofessionellen Faktoren abgedeckt ist. Zum anderen dürfte dies eher im ersten oder im zweiten Sektor der Fall sein, die aber sowohl in den Zentralschweizer Kantonen mit sehr hohen Bezugsquoten wie auch in gewissen lateinischen Kantonen mit tiefen Bezugsquoten einen hohen Anteil an den Beschäftigten ausmachen (BFS 2022). Es ist deshalb schwierig, die kantonalen Unterschiede mit der Branchenstruktur in Verbindung zu setzen.
Darüber hinaus kann man sich vorstellen, dass gewisse Arbeitgeber den Urlaubsbezug mehr oder weniger unterstützen. Wäre das allerdings der Grund für das beschriebene Muster, würde das bedeuten, dass Arbeitgeber in eher traditionelleren Kantonen den Urlaubsbezug stärker unterstützen als Arbeitgeber in liberaleren Kantonen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Väter zwar Vaterschaftsurlaub beziehen, dieser aber zum Beispiel bei Unternehmen in den Kantonen Basel-Stadt und Genf weniger häufig oder erst sehr spät über die Erwerbsersatzordnung abgerechnet wird. Mit anderen Worten: Sie bezahlen die Urlaube vorübergehend oder vollständig aus den eigenen Mitteln. Um die Gründe für die grossen kantonalen Unterschiede abschliessend zu identifizieren, brauchte es weitere Untersuchungen, die den Rahmen dieser Kurzanalyse sprengen würden.
Verwendete Daten
Für diese Analyse wurden Daten aus dem Bevölkerungsregister (STATPOP) mit Daten aus den individuellen Konten der AHV (AHV-IK) sowie die Angaben aus dem Register der Erwerbsersatzordnung (EO) verknüpft. Lebendgeburten wurden auf Geburten eingeschränkt, für die eine Mutter gemeldet war. Mehrlingsgeburten wurden nur einmal gezählt.
Um die Berechtigung für einen Urlaub zu prüfen, wurden die beitragspflichtigen Einkommen in den neun Monaten vor der Geburt betrachtet. Darüber hinaus wurden nur Väter betrachtet, die im Register als Kindesvater eingetragen sind.
Kleinere Ungenauigkeiten in der Anspruchsprüfung und den Bezugsquoten ergeben sich durch Unvollständigkeiten in den Einkommensdaten der Selbstständigen und von Personen, die vor der Geburt im Ausland gelebt haben. Darüber hinaus wurden sehr späte Meldungen von Mutterschafts- und Vaterschaftsurlauben, die erst 16 Monate nach einer Geburt erfolgt sind, nicht berücksichtigt.
Eine detaillierte methodische Beschreibung und Begründung der getroffenen Annahmen findet sich hier. Die Aufbereitungsprogramme und deren Dokumentation werden auf Anfrage zur Verfügung gestellt.