Die meisten psychisch erkrankten Personen möchten ein normales Leben führen und insbesondere eine Erwerbstätigkeit ausüben. Allerdings stossen sie dabei immer wieder auf Hindernisse, sowohl in persönlicher Hinsicht (Verlust des Selbstvertrauens, Angst vor dem Arbeitsmarkt) als auch aus beruflicher Perspektive (schwer erklärbare Lücken im Lebenslauf, arbeitsmarktfern). Die berufliche Eingliederung ist zurzeit kaum Bestandteil von psychiatrischen Behandlungen. Auch sind die beruflichen Eingliederungsmassnahmen der Arbeitslosenversicherung (ALV), Sozialhilfe (SH) und Invalidenversicherung (IV) nicht wirklich auf Personen mit psychischen Beeinträchtigungen zugeschnitten, obwohl die Zahl der betroffenen Bezüger ansteigt. Alle Eingliederungsakteure bestätigen dieses Phänomen. In der Epidemiologie wird es allerdings nicht der Zunahme der psychischen Erkrankungen zugeschrieben, sondern vielmehr der Verschärfung des Arbeitsmarkts. Durch die Anforderungen in Bezug auf Diplome, Leistungsfähigkeit bzw. Belastbarkeit, Flexibilität und Sozialkompetenz werden die schwächsten, am wenigsten anpassungsfähigen Arbeitnehmenden immer mehr ins Abseits gedrängt. Damit ist die Situation sowohl für die Betroffenen (Ausgrenzung, Verarmung, Verschlechterung oder gar Chronifizierung der psychischen Probleme) als auch für die Gesellschaft schwierig (Kosten für Arbeitslosigkeit, IV und SH, mögliche indirekte Auswirkungen auf die Gesundheitskosten).
Komplexes Problem, komplexe Lösung Im Anschluss an die 5. IV-Revision, mit der die Zahl der Neurenten in der IV gebremst und die beruflichen Eingliederung gefördert werden sollten, hat die Eingliederungsabteilung des psychiatrischen Gemeindedienstes des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) 2009 das Projekt «Ressort» ins Leben gerufen. Im Rahmen des Projekts wurden die Eingliederungsmodalitäten von Personen mit psychischen Schwierigkeiten, die arbeitsmarktfern sind oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz haben, untersucht. Ausserdem wurden nützliche Partnerschaften aufgebaut, denn eine so komplexe Problematik wie die berufliche Eingliederung, die an der Schnittstelle zwischen Sozialbereich und Wirtschaft liegt, kann nicht durch einen Akteur alleine gelöst werden.
Von Anfang an unterstützte die kantonale IV-Stelle das Projekt, das die eingliederungsorientierte, auf die steigende Zahl der psychisch bedingten IV-Anmeldungen zielende Ausrichtung der IV aufgreift. Konkret unterstützt die IV-Stelle die verschiedenen Ressort-Standorte durch Eingliederungsfachpersonen mit insgesamt 230 Stellenprozenten. Diese IV-Delegierten vor Ort sorgen dafür, dass Versicherte mit psychischen Schwierigkeiten besser über die Eingliederungsprozesse Bescheid wissen. Durch den persönlichen Kontakt zwischen der IV-Stelle und den psychiatrischen Einrichtungen (psychiatrische Abteilung CHUV und Fondation de Nant) verbesserte sich zudem die Zusammenarbeit.
Der Dienst für Vorsorge und Sozialhilfe (SPAS) beauftragte «Ressort» damit, die psychische Gesundheit bestimmter Sozialhilfeempfänger zu beurteilen und die Betroffenen bei Bedarf an die passende Stelle im öffentlichen oder privaten Psychiatrienetz zu verweisen. Durch die medizinische Intervention, die rund 40 Prozent der Ressort-Fälle betrifft, lassen sich Probleme, die den Gesundheitszustand verschlechtern könnten, frühzeitig erkennen. Zudem können Hindernisse für die berufliche Eingliederung identifiziert und in bestimmten Fällen kann eine IV-Anmeldung vorgeschlagen und unterstützt werden.
Die politische Unterstützung war für die Nachhaltigkeit des Projekts zentral: Gesundheits- und Sozialminister Pierre-Yves Maillard förderte die Ausweitung von Ressort auf die Waadtländer Randregionen, die 2014 dank der Mitfinanzierung durch den SPAS (510 Stellenprozente im ganzen Kanton) und das öffentliche Gesundheitswesen (420 Stellenprozente für die psychiatrischen Dienste: Yverdon, Prangins und Montreux zur Realität wurde. Diese Entwicklung geht mit der Waadtländer Sozialpolitik einher, bei der die Mobilisierung und Eingliederung der Sozialhilfebezüger im Vordergrund stehen, v. a. auch der Zugang der jungen Bezüger zu einer beruflichen Ausbildung über das auf sie ausgerichtete Integrationsprogramm FORJAD.
Ergebnisse Ressort entwickelte sich rasch und nachhaltig: 2009 verfügte es in Lausanne über 200 Stellenprozente, 2018 bereits über deren 810, die psychiatrischen Dienste der Randregionen über je 290 Stellenprozente. Die hohe Anzahl und die Stabilität der Neuanmeldungen (Lausanne: durchschnittlich 188 pro Jahr) rechtfertigen den Ausbau und belegen den dringenden Handlungsbedarf.
Medizinische Intervention und berufliche Eingliederung ergänzen sich. Sie erfolgen nicht in einer bestimmten Reihenfolge; vielmehr orientieren sie sich am Bedürfnis der betroffenen Person.
Mit der medizinischen Intervention können rund 60 Prozent der evaluierten Personen an eine angemessene, meist psychiatrische oder psychologische Betreuung oder an die IV weitergeleitet werden. In vielen Situationen werden die psychischen Probleme als Ursache für die Eingliederungsschwierigkeiten identifiziert. Mit der medizinischen Intervention wird vermieden, dass Betroffene über Jahre in der SH hängen bleiben und chronische Erkrankungen entwickeln.
Bei der beruflichen Integration variiert die Erfolgsquote: In 30 bis 42 Prozent der Fälle gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt (Stelle im 1. Arbeitsmarkt) oder in eine Ausbildung (meist EFZ). Das Programm arbeitet nach dem Modell Individual Placement and Support (IPS), das sich für Personen mit psychischen Schwierigkeiten als sehr wirksam erwiesen hat (Hoffmann 2014). IPS zeichnet sich durch seine Ausrichtung auf den 1. Arbeitsmarkt und durch die Methode selber aus (kurze Evaluationszeit, rasche Kontaktaufnahme zum Arbeitsmarkt gemäss Modell Place then Train). Ziel ist die berufliche Rehabilitation, wobei die betroffene Person im Zentrum des Prozesses steht. Die Jobauswahl wird anhand der persönlichen Grenzen und Wünsche festgelegt, auch wenn die Vorstellungen erst wenig realistisch erscheinen mögen: Durch die Konfrontation mit dem Arbeitsmarkt stellt die Person rasch fest, wo die Grenzen liegen. Nachdem sie ihre Enttäuschung überwunden hat, beteiligt sie sich umgehend an der Erarbeitung eines neuen Jobprojekts. So werden Blockaden vermieden, die entstehen können, wenn sich jemand unter Zwang gesetzt oder nicht respektiert fühlt.
Besonderheiten und Stärken von Ressort Bei der Integration durch Ressort ist die berufliche Eingliederung Teil der psychiatrischen Behandlung. Zudem wird die Zusammenarbeit mit dem Ärztenetz der Betroffenen legitimiert und vereinfacht. Damit kommt der psychischen Gesundheit im Eingliederungsprozess besondere Aufmerksamkeit zu. Die Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten ist für eine erfolgreiche Integration absolut zentral (vgl. Baer et al. 2017, OECD-Bericht 2014). Für eine massgeschneiderte Begleitung ist es unabdingbar, die Patienten und ihre Hintergründe zu kennen. Hierzu tragen auch die Ressort-Mitarbeitenden mit ihren Beobachtungen vor Ort bei.
Durch die Partnerschaft mit der IV-Stelle sind die medizinischen und sozialen Partner von Ressort besser mit der IV vertraut, was eine effizientere Zusammenarbeit ermöglicht. Ausserdem fördert die Partnerschaft den Austausch relevanter Informationen zwischen der Ärzteschaft und der IV-Stelle und erleichtert die Integration. Die Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten ermöglicht die Früherkennung von psychischen Beeinträchtigungen bei Bezügern von SH. Damit können eine Verschlechterung des Zustands und die Entstehung einer Invalidität vermieden werden.
Ein massgebender Erfolgsfaktor besteht darin, dass der Eingliederungsprozess von einer einzigen Ansprechperson (Ressort-Mitarbeiter/-in) koordiniert wird, die sich auch um die Zusammenarbeit im Partnernetz kümmert. Dieses Vorgehen ist für die betroffene Person ein Vorteil und wirkt bestärkend. Überdies ist die Koordination zwischen den betroffenen Akteuren (Sozialdienste, IV-Stelle, Ärzteschaft) sichergestellt: Massnahmen, die bei einem früheren Versuch keinen Erfolg brachten, werden nicht erneut angeordnet.
Die Betreuung der Betroffenen erfolgt persönlich und vor Ort. Sie ist auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten und geht über die Vermittlung des Zugangs zum Arbeitsmarkt oder den Erhalt des Arbeitsplatzes hinaus. Die Ressort-Mitarbeitenden kümmern sich bei Vollzeitbeschäftigung um höchstens 20 Dossiers, d. h., sie sind überdurchschnittlich flexibel und rasch einsatzbereit. Für die Integration von Menschen mit psychischen Schwierigkeiten in den Arbeitsmarkt ist sie ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Schliesslich erweist sich auch die Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern als Schlüssel zum Erfolg und als umso wichtiger, je mehr funktionelle Einschränkungen jemand aufweist. Durch die Vernetzung kann über psychische Schwierigkeiten informiert werden, was zur Entstigmatisierung beiträgt. Ausserdem erhöht die vernetzte Zusammenarbeit die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Arbeitgeber bei einem Arbeitnehmer mit Anpassungsschwierigkeiten aufgrund von psychischen Problemen für eine Intervention einsetzt, anstatt die Person einfach zu entlassen.
- Literatur
- Hoffmann, Holger; Jäckel, Dorothea; Glauser, Sybille; Mueser, Kim T.; Kupper, Zeno (2014): «Long-Term Effectiveness of Supported Employment: 5-Year Follow-up of a Randomized Controlled Trial», in Am J Psychiatry, AiA, S. 1–8.
- Baer, Niklas; Frick, Ulrich; Rota, Fulvia; Vallon, Pierre; Aebi, Kaspar; Romann, Christine; Kurmann, Julius (2017): Patienten mit Arbeitsproblemen. Befragung von Psychiaterinnen und Psychiatern in der Schweiz [Bern: BSV]. Beiträge zur sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 11/17: www.bsv.admin.ch > Publikationen & Service > Forschungspublikationen.
- Baer, Niklas et al. (2018): «Schlüsselrolle der Psychiater bei der beruflichen Eingliederung», in Soziale Sicherheit CHSS 1/2018, S. 32–39.
- OECD (2014): Psychische Gesundheit und Beschäftigung: Schweiz [Paris: OECD].